Die Arara Karo leben in zwei Dörfern, Iterap und Paygap, beide befinden sich im südlichen Teil des Indio-Territorims (IT) “Igarapé de Lourdes“, im Bundesstaat Rondônia. Zwei Drittel der Arara Karo bewohnen das erste Dorf, und der Rest lebt im zweiten. Im gleichen IT leben auch die Indios Gavião, ihre traditionellen Feinde. Die Arara Karo wurden erstmals in den 1940er Jahren kontaktiert, daraufhin starben Hunderte von ihnen an ansteckenden Krankheiten, und die Überlebenden fristeten fortan ihr Leben in den Camps der Latexsammler der Region. Das führte dazu, dass sich diese Indios vollkommen der Lebensart jener Zivilisierten anpassten, aber ihre Schamanen bewahrten die indigenen Traditionen und werden immer noch von allen anerkannt als sehr mächtig.
Arara Karo
Andere Namen: I´târap Sprachfamilie: Ramarama Population: 208 (2006) Region:Bundesstaat Rondônia |
INHALTSVERZEICHNIS Name Sprache Sozio-linguistische Situation Interessante sprachliche Aspekte Lebensraum Bevölkerung Geschichte des Erstkontakts Gesellschaftliche und politische Organisation Mythologie und Schamanismus Materielle Kultur Quellenangaben |
Name
Die Arara Karo sind auch als “Arara Tupi“, als “Arara de Rondônia” oder einfach “Karo” bekannt (was in ihrer Sprache “Ara“ bedeutet), das sind Termini, die benutzt werden, um sie von den anderen Arara-Gruppen Brasiliens zu unterscheiden: den Arara do Acre (Shawanawá), den Arara do Aripuanã (Arara do Beiradão) und den Arara do Pará (Ukarãgmã). Sie selbst nennen sich jedoch “I’târap“ – wir alle – ein Wort, welches eine Zusammenfassung der ersten Person plural “I’tâ“ – wir – gefolgt von dem Kollektivwort “tap“ – alle (das wie “rap“ ausgesprochen wird).
Sprache
Diese Indios sprechen die Karo-Sprache, ehemals als Arara-Sprache bezeichnet, die vom Autor dieser Feldforschung ab 1987 als “Karo” umbenannt wurde, um sie von den anderen Sprachen der brasilianischen Arara-Gruppen zu unterscheiden.
Die Karo-Sprache gehört zur linguistischen Familie Ramarama, aus dem Sprachstamm Tupi (Rodrigues 1964), und lange Zeit war man der Meinung, dass es noch andere Sprachen derselben Familie gäbe: Ntogapíd (oder Itogapúk), Ramarama, Uruku, Urumi und Ytangá. In jüngerer Zeit jedoch, durch eine Untersuchung von Gabas (2000), wurde bewiesen, dass es sich bei allen jenen vermuteten Sprachen, de facto, um eine einzige Sprache handelt, die von verschiedenen Ethnologen, welche Listen mit Worten der Sprecher in unterschiedlichen Perioden zusammengetragen hatten, unterschiedliche Namen erhielt (Curt Nimuendaju, im Jahr 1925 und 1955; Marechal Rondon, 1948; Claude Lévi-Strauss, 1950; Horta Barbosa, 1945; und Harald Schultz, 1955). Daher stellt die Karo-Sprache heute die einzige der Familie Ramarama dar, so wie andere Sprachen aus dem Tupi-Stamm ebenfalls einzigartig innerhalb ihrer Familien sind: Aweti, Puruborá und Sateré-Mawé.
Sozio-linguistische Situation
Die Arara-Karo leben in zwei verschiedenen Dörfern. In beiden sprechen praktisch alle Bewohner ihre eigene Sprache, und Portugiesisch wird als Zweitsprache gelernt und lediglich für Kontakte mit der Aussenwelt benutzt. Einige Arara-Karo, die von Siedlerfamilien erzogen wurden, sprechen nur Portugiesisch, verstehen aber die Karo-Sprache. Unterhaltungen jener Personen mit der nationalen Gesellschaft und ihren eigenen Familien werden demnach zweisprachig geführt.
Die Kinder beider Dörfer erlernen von Geburt an die Karo-Sprache, und obwohl Portugiesisch erst später dazukommt, kann man bereits einen graduellen Gebrauch portugiesischer Termini beobachten, besonders bei den neueren Generationen, die zum Beispiel für die Verwandtschaftsgrade Verwendung finden (Vater, Mutter, Onkel, Tante, Cousin, Cousine etc).
Einige Arara-Karo sprechen und verstehen auch die Sprache der Gavião, ihrer indigenen Nachbarn, dank verschiedener Eheschliessungen zwischen den Mitgliedern beider Ethnien. Diese Mehrsprachigkeit wird nicht negativ bewertet, obwohl Arara und Gavião traditionelle Feinde sind.
Interessante sprachliche Aspekte
Die Karo-Sprache besitzt für Studierende von nicht-europäischen Sprachen verschiedene interessante Aspekte, unter denen ich drei herausgreifen möchte: Der erste betrifft den Gebrauch eines Klassifizierungs-Systems, welches je nach verwendetem Substantiv zur Anwendung kommt, indem der Sprecher ein klassifizierendes Wort anhängt. Ein praktisches Beispiel dafür ist das Wort für “Auge“ – es heisst in der Karo-Sprache icagá ’a’ – das erste Wort bedeutet Auge, und das zweite “rundes Objekt“. Das Klassifizierungs-System der Karo enthält zehn unterschiedliche Begriffe, die sich auf unterschiedliche Aspekte von Objekten beziehen.
Ein anderer interessanter Aspekt der Sprache ist ein System von “Ideophonen“, das sind Worte mit einer sehr spezifischen, verbalen Bedeutung, die benutzt werden, um einer Erzählung oder Unterredung mehr “Colorit“ zu verleihen. Ein Beispiel für ein Ideophon der Karo-Sprache ist das Wort “oturum“, es bedeutet “mit viel Lärm auf den Boden fallen“, oder “ngârâgn“, was bedeutet “den Kopf nach hinten drehen“. Ideophone sind in der Karo-Sprache eine offene Klasse, das heisst, sie werden je nach Phantasie und Kreativität der jeweiligen Redner geformt, deshalb ist ihre Zahl schier unendlich groß.
Ein dritter Aspekt ist die Existenz eines Systems von Zweifel beseitigenden Worten, die dazu dienen, die Quelle oder die Vertrauenswürdigkeit einer Information zu identifizieren. Zum Beispiel, wenn ein Arara-Karo das Wort “to’wa“ nach einer Behauptung benutzt, will er damit kund tun, dass sein Bericht vom Hörensagen stammt, also dass er selbst nicht Zeuge des Geschehens war, sondern nur die Information weitergibt. Die Karo-Sprache bedient sich zehn verschiedener Evidenzien.
Lebensraum
Die Arara-Karo leben in derselben Region, die auch ihre Vorfahren schon immer bewohnten. Das heutige Indio-Territorium Igarapé de Lourdes umfasst zirka 190.000 Quadratkilometer, und zirka ein Drittel davon gehört ihnen, der andere Teil den Gavião.
Die den beiden Dörfern am nächsten gelegene Stadt ist Ji-Paraná, in zirka 70 km Entfernung via einer Erdpiste, die nur in der Trockenzeit befahrbar ist. Von dieser Stadt aus erreicht man per Kanu das Dorf Iterap, wenn man etwa drei Stunden den Rio Machado abwärts fährt, um dann in den Igarapé da Prainha einzubiegen (während der Regenzeit) – bis zum Dorf Iterap. Das Dorf Paygap ist leichter zu erreichen, weil es sich in der Nähe des Örtchens Nova Colina befindet. Auf einer Erdpiste in zika 50 km Entfernung.
Bevölkerung
Im Jahr 1987, als dieser Autor seine Forschungsarbeit unter den Arara-Karo begann, gab es nur ein einziges Dorf, gerade gegründet, wo zirka 100 Indios lebten.
Im Jahr 2004 wurde die Bevölkerung beider Dörfer auf 170 Personen geschätzt, von denen zwei Drittel im Dorf Iterap und die andern in Paygap wohnten. Ab und zu finden Eheschliessungen zwischen Arara-Karo (sowohl Männer wie Frauen) und Indios Gavião statt, und seltener auch mit Indios Zoró, die in der Nachbarschaft leben. Ehen mit Nicht-Indios sind äusserst selten. Aus linguistischer Sicht erlernen die Kinder aus interethnischen Ehen die Sprachen beider Elternteile (Arara und Gavião, oder Arara und Zoró), und später Portugiesisch als Kontaktsprache mit der nationalen Gesellschaft.
Geschichte des Erstkontakts
Obwohl sie seit der 1920er Jahre einen gewissen Kontakt mit der nationalen Bevölkerung unterhalten, wurden die Arara-Karo vom ehemaligen SPI (Indianerschutz) erst gegen Ende der 1940er Jahre kontaktiert. Dieser Kontakt war eine Katastrophe für die Arara-Karo: Hunderte ihrer Mitglieder starben an von Nicht-Indios eingeschleppten Infektionskrankheiten (vor allem Lungenentzündung, Grippe und Masern), und die wenigen Überlebenden übernahmen Arbeiten in den Latex-Sammellagern der Region, zusammen mit der regionalen Bevölkerung.
Erst gegen Ende der 1960er Jahre gelang es einem Funktionär des SPI, wahrscheinlich dem Chef des Indio-Postens Lourdes, Senhor Brígido, die Arara-Karo neu zu gruppieren, die von da an bei den Gavião lebten. Nach zahlreichen Streitigkeiten, in der Mitte der 1980er Jahre, entschlossen sich die Arara, ihr eigenes Dorf zu gründen, nahe des Igarapé da Prainha (Bach), zirka 5 km oberhalb seiner Mündung in den Rio Machado. Sie erhielten die Anerkennung ihres Dorfes von der FUNAI, und diese Schutzorganisation, die inzwischen den SPI abgelöst hatte, errichtete dort den Indigenen Posten Iterap.
Zu Beginn der 1990er Jahre gab es einen internen Streit um die Führung bei den Arara, mit dem Resultat, dass der damalige Häuptling Pedro Agamenon sich mit seiner Verwandtschaft in einen anderen Teil des IT zurückzog, um dort sein eigenes Dorf zu gründen, welches heute Paygap heisst. Nach Auskunft der FUNAI ist die Bevölkerungszahl im Dorf Paygap nicht gross genug, um einen zweiten FUNAI-Posten zu rechtfertigen.
Gesellschaftliche und politische Organisation
Angesichts der Tatsache, dass die Arara-Karo schon seit langer Zeit mit der nationalen Gesellschaft in Kontakt stehen (annähernd 60 Jahre), sind ihre gesellschaftliche und politische Organisation in Vergessenheit geraten oder praktisch verschwunden.
Was anhand der Aussagen von Ältesten festgestellt werden konnte, gab es traditionelle Feste (zum Beispiel das Fest zur Maisernte), und auch die Reklusion der Jugendlichen bis zum Tag der Eheschliessung wurde von ihnen praktiziert. Es existierten zwei verschiedene Arara-Gruppen: die gegenwärtigen Arara und die so genannten “Schwarzfüsse“ – letztere unterhielten sich in einem anderen Dialekt als die Arara. Obwohl beide Gruppen benachbarte Gebiete bewohnten und freundschaftliche Beziehungen pflegten, geschah es mehrere Male, dass sie aufeinander losgingen und Tote auf beiden Seiten zu beklagen hatten. Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen mehr von einer Existenz jener “Schwarzfüsse“ unter den Arara-Karo.
Einige Aspekte ihrer traditionellen gesellschaftlichen Organisation werden allerdings noch aufrecht erhalten, zum Beispiel der Brauch, dass die jungen Männer nach der Eheschliessung für ihren Schwiegervater solange arbeiten, bis dieser sie von dieser Verpflichtung entbindet (zum Beispiel Feldarbeit, Jagd, Fischfang, etc). Diesen Brauch kann man auch bei solchen Arara beobachten, die in eine andere Ethnie eingeheiratet haben – besonders die Gavião.
Man weiss nicht, wie das traditionelle System der Namensgebung bei Neugeborenen einst gehandhabt wurde, jedoch erhalten die Kinder sowohl einen Stammesnamen, als auch einen aus dem portugiesischen Sprachgebrauch (in der Regel von ihren Eltern und/oder den Grosseltern). Die Bedeutung des Namens bezieht sich stets auf einen physischen Aspekt des Kindes oder eine Episode bezüglich seiner Geburt (oder Schwangerschaft).
Die Struktur der Behausungen des Dorfes entspricht nicht mehr der traditionellen Arara-Architektur. Es sind Holzhäuser (einige auch aus Backsteinen), mit zwei oder drei Zimmern – die Küche befindet sich getrennt, in einem Anbau an das Haus, und besteht nur aus einem Geflecht von Paxiúba-Palmblättern. In der Frische dort hält man sich untertags am liebsten auf, wenn die Hitze ihren Höhepunkt erreicht.
Mythologie und Schamanismus
Wenig weiss man über die Kosmologie des Arara-Volkes. Einige ihrer verbliebenen Mythen jedoch erwähnen die Erschaffung des “weissen Mannes” aus einem Jatobá-Baum; berichten auch von der Dualität zwischen Gut und Böse mit den Figuren von zwei Brüdern, einer virtuos, der andere verwegen, die sich im Wald verlaufen, bis schliesslich der eine den anderen tötet. Eine Sammlung der Arara-Mythen, an die sich die Ältesten noch erinnern konnten, ist in Vorbereitung und wird in Kürze veröffentlicht.
Kein einziges traditionelles Ritual wird gegenwärtig von den Arara durchgeführt. Es gibt zwar verschiedene Schamanen im Dorf, alle werden sie von ihrer Kommune und auch von Mitgliedern anderer Ethnien sehr respektiert, aber ihre Funktionen scheinen sich nur noch auf Ratgeber für die Gesellschaft zu beschränken, und nicht mehr auf die typischen Praktiken ihres Status als Schamane (Heilungen, rituelle Dialoge, Erarbeitung von Gesängen, etc).
Materielle Kultur
Das traditionelle Kunsthandwerk der Arara-Karo kann man anhand der Herstellung von Handarbeiten (Ketten aus Pflanzensamen, Armreifen, Federkopfschmuck etc), Haushaltsartikel (geflochtene Körbe, Hängematten aus Tucum-Fasern und Baumwolle, Besen, Fächer, etc), oder Artikel für die Jagd (Bogen und Pfeile). Es gibt keine Produktion von Keramik mehr, aber die Frauen schneidern ihre Kleidung selbst (aus Stoffen, die sie in der Stadt kaufen). Und sie bemalen ihre Körper noch mit verschiedenartigen Ornamenten.
Diese Körperbemalung ist eine besondere Kunst, die in früheren Zeiten besonders gepflegt wurde. Die Arara-Karo pflegten dazu vorzugsweise die schwarze Farbe der Jenipapo-Frucht zu verwenden (die Gesichtsbemalung begann mit einer dünnen schwarzen Linie von einer Seite des Gesichts zur anderen), in die durchbohrte Nasenscheidewand wurde eine Arafeder gesteckt und in der perforierten Unterlippe trugen sie einen kleinen Holzpflock. Obgleich dieser Schmuck heute nicht mehr von der Allgemeinheit getragen wird, kann man ihn bei den Dorfältesten noch sehen.
Periodisch bedienen sich die Indios noch des Lianengiftes (Timbó) anlässlich eines Fischzuges, an dem das ganze Dorf teilnimmt, und der im nahen Flüsschen stattfindet. Während der Trockenzeit, und auch in der Regenperiode, fischen sie mit Angelhaken oder einem Netz. Es gibt auch ein paar unter ihnen, die es vorziehen, ihre Fische auf die traditionelle Art und Weise, mit Pfeil und Bogen, zu erlegen.
Auf die Jagd gehen auch die Arara heutzutage mit Schrotgewehren. Für eine Jagd auf Vögel, besonders grosse Arten, werden noch die traditionellen Fallen aus Strohgeflecht benutzt.
Quellenangaben
Es gibt nur wenig (eigentlich gar keine) anthropologische Kenntnisse bezüglich der Arara-Karo. Das einzige publizierte Material, welches eine kurze Beschreibung ihrer Lebensgewohnheiten enthält, findet sich bei den Publikationen von Levi-Strauss (1950).
Speziell über die linguistische Wissenschaft, wurden Arbeiten (in ihrer Mehrheit Wortlisten) seit 1925 angefertigt, von Curt Nimuendaju. Andere Referenzen finden sich von HORTA BARBOSA (1945), HUGO (1959), NIMUENDAJU (1925), RONDON & FARIA (1948) und SCHULTZ (1955).
Ein profunderes linguistisches Wissen über die Karo jedoch, verbreitete sich ab dem Jahr 1987, als dieser Autor seine linguistischen Feldstudien begann. Seither wurden verschiedene Artikel veröffentlicht, Buchkapitel und ganze Bücher verfasst, welche die Aspekte der Karo-Sprache behandeln. Gegenwärtig sind eine komplette Grammatik und ein Wörterbuch Karo – Portugiesisch vom selben Autor in Vorbereitung.
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung Klaus D. Günther