Die Wochenzeitschrift “VEJA“ begleitete die bisher grösste Aktion zur Aufhebung des Bankgeheimnisses in der brasilianischen Geschichte: Die 389 Konten der Terror-Brigade
Das “Primeiro Comando da Capital“ (Erstes Kommando der Hauptstadt), die grösste und mächtigste Verbrecherorganisation des Landes, die mit den Buchstaben PCC firmiert, schockierte das Land mit der Mobilisierung Hunderter von Verbrechern, mit denen sie im vergangenen Jahr Terror und Chaos unter den Bürgern São Paulos provozierte.
Ihre Attentate forderten 152 Tote und beunruhigten die Behörden besonders durch die Organisations-Kapazität des PCC und sein freches Auftreten. Zu jener Zeit konnte man sich noch nicht vorstellen, wie eine Verbrecherbande, deren bedeutendste Anführer bereits im Gefängnis sassen, eine solche Welle von Attentaten erfolgreich durchzuführen im Stande war. Vor allem hatte man noch keine Vorstellung von der tatsächlichen Macht der Organisation.
In den letzten drei Wochen jedoch sickerten die ersten Details einer geheimen Untersuchung durch, die von einer Elite-Gruppe des Justiz-Ministeriums, des Ministeriums der Stadt São Paulo und der Polizei desselben Bundesstaates durchgeführt wurde, und diese Unternehmung bringt endlich einen Teil des PCC-Netzes ans Licht – das seiner Finanzen. Während der letzten fünf Monate gelang es diesen Leuten, mit Genehmigung des obersten Bundesgerichts, 389 Konten der Verbrecherorganisation lahmzulegen – die bisher grösste Aktion zur Aufhebung des Bankgeheimnisses in der brasilianischen Geschichte. Durch diese Untersuchung kam ein fein gesponnenes, enormes finanzielles Netz ans Licht – innerhalb von nur einem Jahr waren hier 27,6 Millionen Reais angehäuft worden, ohne von den offiziellen Organen zur Geldwäschebekämpfung bemerkt zu werden.
Obwohl immer noch bescheiden im Vergleich zu anderen Geldwäscheaktionen, die von gewissen korrupten Politikern und anderen Staatsbeamten bekannt geworden sind, hat das Kontennetz des PCC unter den Verbrecherorganisationen Brasiliens nicht seinesgleichen. “Der Gesamtumfang der Mittel des PCC übertraf alle unsere Erwartungen“, drückt sich einer der Beamten aus der Untersuchungskommission aus, die zwischen Juli 2005 bis September 2006 tätig war. “27 Millionen Reais zusammenzubringen mag wenig erscheinen – etwa das Vermögen eines mittelständischen Unternehmens – aber in der Welt des Verbrechens ist dies ein Haufen Geld, genug, um jederzeit Attentate finanzieren zu können“. In der Tat, es ist genug Geld um Waffen, Munition und Drogen für eine kleine Armee zu kaufen. “Ein Unternehmen bezahlt Steuern und arbeitsrechtliche Abgaben, der PCC unterzeichnet keine Arbeitsbücher und bezahlt auch keine Genehmigungen zum Kauf von Gewehren“, sagt der Promoter Roberto Porto von der Gruppe “Ação Especial de Repressão ao Crime Organizado (GAECO), eine in die Untersuchung eingebundene staatliche Organisation.
Die scheinbare Simplizität des PCC-Kontennetzes verbirgt eine geniale Konstruktion, wahrscheinlich um die Verfolgung seiner verschiedenen Einzelteile zu erschweren. Es besteht aus unwahrscheinlich vielen kleinen Konten, auf denen entsprechend kleine Beträge hin und her bewegt werden – dadurch werden Verfolger unsicher. “Wenn wir es hier mit traditionellen Verbrechern zutun hätten, mit wenigen Unternehmen und entsprechenden Konten, wäre unsere Arbeit sehr viel einfacher“, bemerkt Roberto Porto von der GAECO. “Unser Problem ist, dass der PCC keine zentrale Kasse betreibt und deshalb schwer zu verfolgen ist“. Diese Taktik des PCC ist allerdings nicht neu. Sie ähnelt der aus der Unterwelt der Vereinigten Staaten, die von Raubüberfällen und Drogeneinzelhandel existieren. Bis zum heutigen Tag ist es dem FBI nicht gelungen, sie finanziell auszuhungern – im Gegensatz zu den berühmten Mafiosi, die, weil sie eine zentrale Kasse betrieben, zum grössten Teil von der amerikanischen Regierung zerschlagen werden konnten.
“Wir schätzen, dass die von uns entdeckten Konten etwa 85% der Bankoperationen des PCC entsprechen“, sagt einer der Untersuchungsbeamten. Die Analyse der Fachleute enthüllte eine sich wiederholende Regel: die Mehrzahl aller Konten werden von Frauen, Söhnen oder Konkubinen der Organisationsmitglieder betrieben. Diese Methode ist dermassen verbreitet, dass man unter den sechzig überprüften Konten einer einzigen Zelle der Organisation – sie hat sich im “Vale do Paraíba“ (Bundesstaat São Paulo) installiert – ihre Eröffnung durch die Frauen der Verbrecher festgestellt hat. Im Fall der Ehefrauen des PCC funktioniert eine der expressivsten Konten bei der BRADESCO-Bank. Es sind Sparkonten, die allerdings wie Durchlaufkonten bewegt werden. Die Bevorzugung von Sparkonten gründet auf der Tatsache, dass diese mit weniger Bürokratie aufrecht erhalten werden können und, dass die Bank in der Regel für ihre Einrichtung keinen Einkommensnachweis verlangt. Trotz der immensen Zahl jener Konten gelang es den Investigatoren, sie auf 23 Hauptkonten einzuschränken. Diese nannten sie dann “Kassen-Konten“, weil sich in ihnen der grösste Teil der Einzahlungen und Abhebungen der Banditen spiegelte.
Die Kontoauszüge verstärken den Verdacht, dass sich die verschiedenen Zellen des PCC in São Paulo gegenseitig finanziell unterstützen. Die Untersuchungsbeamten entdeckten Überweisungen zwischen Konten der Zelle “Campinas“ – eine der stärksten in der Organisation – und den Zellen der Süd- und der Ostzone der Hauptstadt. Die Konten jener Zelle, welche an das Gefängnis von “Presidente Venceslau“ gekoppelt ist – im Interior von São Paulo, wo einige der PCC-Anführer einsitzen – haben ebenfalls Überweisungen an die Zellen in São Paulo getätigt. “Wir entdeckten, dass die Zellen untereinander nicht nur durch ihre Anführer kommunizieren, sondern auch finanziell“, sagt einer der Investigatoren des Ministeriums. “Es gibt solche Kommunikationen zwischen 75% aller Konten“. Aus anderen Quellen der Untersuchungskommission verlautete, dass derselbe Mechanismus der “Kommunikation“ zwischen Führungsspitzen aus São Paulo und Zellen anderer Bundesstaaten zu beobachten sei, die dort gerade entstehen: zum Beispiel in Minas Gerais, Rio Grande do Sul, Paraná, Bahia und Pará. Dies sind so genannte “Franchise-Ableger“ des PCC, die von der “Marke“ und der Technologie der Organisation profitieren um Drogen zu verkaufen und Banken zu überfallen. Die grösste entdeckte Einzahlung, von 7,6 Millionen Reais, stammte von einem Konto in Sao Paulo an ein Unternehmen im Bundesstaat Pará, die in Verbindung mit den Drogenhändlern stand.
Die Strategie, sämtliche Kräfte zur Bekämpfung des PCC auf die finanzielle Aushungerung der Organisation zu konzentrieren, entstand während einer geheimen Versammlung von Obrigkeiten São Paulos und ihrer Militärpolizei am 31. August des vergangenen Jahres. Damals hatte man gerade jene Attentate in São Paulo erlebt und alle waren wie gelähmt und ratlos gegenüber den Terrorakten jener Gruppe. Alle bedeutenden Anführer sassen bereits im Gefängnis, trotzdem gingen die Überfälle weiter. “Wir merkten, dass es nicht genügte, die Anführer einzusperren“, berichtet einer der Teilnehmer jener Versammlung. “Wir kämpfen gegen einen unsichtbaren und agilen Feind, der jedoch – wie alle kriminellen und terroristischen Organisationen – nur mit Geld überleben kann“. Also entschieden wir, sämtliche Konten und Unternehmen, die mit dem PCC in Verbindung standen, aufzuspüren – und damit begann unser Gegenangriff. Der Intelligenz-Sektor der Militärpolizei übernahm die Aufgabe, dem Ministerium Kontonummern und Namen von “Laranjas“ (Scheinfirmen) der Verbrecher weiterzugeben. Noch im September gelang den Promotoren die Aufhebung des Bankgeheimnisses von 286 Personen und vier Firmen.
Die Analyse jener Operationen wird dank der stillen Mitarbeit des “Laboratoriums zur Bekämpfung von Geldwäsche“ möglich, einem Organ, welches vom Justiz-Ministerium eingerichtet wurde und von ihm koordiniert wird. Erst seit sechs Monaten geschaffen, ist dieses Labor dafür verantwortlich, die unglaubliche Menge von 138.000 Banktransaktionen des PCC zu sichten und aus ihr Beweismaterial zusammenzutragen. Das Labor hat 11 Techniker zur Verfügung – darüber hinaus auch Profis des Justiz-Ministeriums, des Finanz-Ministeriums und der Banco do Brasil – ausserdem Softwares, die sich Alogarithmen künstlicher Intelligenz bedienen, um in den Bank-Transaktionen gewisse Regelmässigkeiten aufzuspüren. Dieselbe Technologie wird auch vom amerikanischen FBI und vom CIA eingesetzt, um die Spur des Geldes zu verfolgen, das den Terror des 11. September finanzierte. “Nur die Technologie des Labors erlaubt uns Fortschritte in der Verfolgung des Geldflusses vom PCC“, anerkennt der Promotor Arthur Lemos, der die Untersuchungen der GAECO hinsichtlich des finanziellen Rahmens der Organisation leitet.
Der nächste Schritt besteht nun daraus, die Aufhebung des Bankgeheimnisses jener Konten zu erreichen, welche von den 389 entdeckten und schon untersuchten Konten Überweisungen erhielten. “Wahrscheinlich werden wir noch zwei oder drei Schichten von Konten aufbrechen müssen, bis wir zum Besitz des PCC vorstossen und zur Identität jener Unternehmen, die das Geld der Organisation waschen. “Das kostet Zeit“, sagt einer der Labortechniker. Wenn dann der Fluss der Geldmittel erst einmal aufgezeichnet ist, wird es möglich, die Mitglieder und Scheinfirmen der Organisation wegen Geldwäsche vor Gericht zu stellen und die Blockierung Hunderter von Konten zu veranlassen. Auf diese Weise, mit dem Abwürgen der finanziellen Mittel der Verbrecher, rückt die Möglichkeit in greifbare Nähe, dem PCC endlich das Rückgrat brechen zu können.