Tostão – Eduardo de Andrade

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

Tostao_StartKünstlername: Tostão
Kompletter Name: Eduardo Gonçalves de Andrade
Geburtsdatum: 25/01/1947
Geboren in: Belo Horizonte
Position: Sturm

Vereine:
01/1972 bis 12/1973: Vasco da Gama (RJ)
07/1963 bis 12/1972: Cruzeiro (MG)
01/1962 bis 06/1963: FC America (MG)

WM-Einsätze Seleção:
WM 1970 Mexiko
WM 1966 England

Spiele für die Seleção: 47
Tore für die Seleção: 28

Für Eduardo Goncalves de Andrade, geboren 1947, hielt das Schicksal nur eine kurze aber umso brillantere Karriere bereit. Er trat lediglich von 1963 bis 1973 den Ball für sein Heimatland Brasilien, war aber einer der talentiertesten Sturmspitzen, die dieses Land je gesehen hat. Er verstand es, sich ganz plötzlich ins Mittelfeld zurückzuziehen und seine gefürchteten Attacken als Mittelstürmer aufzubauen.

Bei der Weltmeisterschaft 1970, in Mexiko, nannte die europäische Presse ihn „den besten Spieler der gesamten Begegnung“ – setzte ihn noch über Pelé und Jairzinho. Tostão verstand sich sogar auf das Spiel ohne Ball, wie man von ihm sagte: immer wieder entzog er seinen Körper den direkten Angriffen seiner Gegner – reagierte mit einer schier unglaublichen Schnelligkeit. Nicht, dass er besonders schnell zu Fuss gewesen wäre, aber sein Ball traf stets dorthin, wo er ihn haben wollte, und seinen Gegnern gelang es nie, ihm einen Ball abzunehmen ohne ein Foul zu provozieren. Nach Meinung von Zagallo, seinem Trainer von 1970, war Tostão ein Spieler aller Klassen, in der Lage, jedwede Position im Feld zu übernehmen – vom Mittelfeld bis zur Front.

Tostão begann seine Karriere beim Cruzeiro von Minas Gerais, wo er von 1963 bis 1972 agierte. Schon im Alter von 16 Jahren hielt er mit seinem Team den nationalen Titel, er war jedes Mal der gefeierte Torschütze in einem Team, das in den 60er Jahren grosse Erfolge verbuchte und neben Tostão auch so bekannte Grössen wie Piazza, Zé Carlos, Raul, Evaldo und Dirceu Lopes hervorgebracht hat. Mit diesem Team brachten sie es bis zum vierfachen Meister von Minas Gerais – ein Team, das lange Zeit als unbesiegbar galt und besonders das Prestige des berühmten Santos-Fussballclubs stark auszehrte, denn dieser wurde einzig vom Cruzeiro mehrmals geschlagen. Es dauerte nicht lange bis Tostão in die brasilianische Nationalmannschaft berufen wurde: 1969, im Alter von nur 19 Jahren, kämpfte er im brasilianischen Team um den Weltmeistertitel in England – er hatte alle Qualitäten eines erstklassigen Athleten, als der Unfall passierte, der alle seine Anstrengungen in ein einziges Drama verwandelte: der Verteidiger des Corinthians-Clubs, Ditão, schoss bei einem Abwehrschlag den Ball direkt aufs Auge von Tostão – die Hornhaut löste sich ab.

Nachdem er in Houston/USA vom brasilianischen Arzt Roberto Abdala Moura operiert worden war, kehrte Tostão zum aktiven Fussball zurück, und die ganze Nation verfolgte mit Spannung seine entschlossene Haltung und Disziplin, mit der er den Schicksalsschlag überwand. „Die Weltmeisterschaft 1970 hatte für mich einen ganz besonderen Geschmack, denn dies war ein Wettkampf in dem Brasilien siegte und gleichzeitig international überzeugte. Zweifellos der bedeutendste Moment in meinem Leben“, erinnert sich Tostão.

TostaoAm 21. Juni 1970 bescherte Brasilien der ganzen Welt eine unvergessliche Lehrstunde in Fussball – als die brasilianische Equipe Italien 4:1 bezwang. Die 110.000 Zuschauer im „Estádio Azteca“ (Mexiko-City) explodierten in einem einzigen Fest. Die Ausgelassenheit war dergestalt, dass Teilnehmer später berichteten: „es war ein einziger Karneval mitten im Juni“! Die Cracks des Fussballs, noch wenige Minuten zuvor einfache Spieler auf dem Rasen, wurden zu bewunderten Helden des gesamten mexikanischen Volkes. Die Zuschauer wollten sie anfassen, sich vergewissern, dass zum Beispiel Pelé tatsächlich aus Fleisch und Blut bestand und nicht von einem anderen Stern gekommen war, um den Leuten Fussball beizubringen. Der Torwart Félix, mit seinem glücklichen Händchen für gegnerische Bälle, wurde von der begeisterten Menge festgehalten und stürmisch abgeküsst.

Der Trainer Zagallo wurde immer wieder umarmt von Leuten, die er noch nie im Leben gesehen hatte. Aber das war alles nichts im Vergleich zu dem, was mit Tostão geschah: die Menge zog ihr Idol aus – es fehlte nicht viel und er wäre ohne seine Turnhose dagestanden! Die brasilianischen Spieler hatten grosse Mühe, zu den Umkleideräumen zu gelangen, um dort ein Bad zu nehmen, die Kleidung zu wechseln und sich schliesslich auf der Tribüne präsentieren zu können. Dort dann der Moment allergrösster Emotionen: der mexikanische Präsident Dias Ordaz überreichte dem brasilianischen Kapitän Carlos Alberto Torres den „Jules Rimet Pokal“ – zum dritten Mal – jetzt gehörte der Pokal Brasilien für immer!

Drei Jahre später die nüchterne Feststellung: „Der Arzt hat sein letztes und definitives Wort gesprochen, dass ich nicht mehr in der Verfassung bin, weiter spielen zu können. Ich verfiel in Trauer, in Depression. Die ersten Tage waren fürchterlich“, erinnert sich Tostão. Und dann erzählt er, dass er anfing zu überdenken, was das alles ihm auf der anderen Seite an Positivem bringen könne. „Ich war noch jung, gerade mal 26 Jahre alt“, fährt er fort, „und ich hatte mit 18 aufgehört zu studieren, um Fussball spielen zu können. Jetzt war die Gelegenheit gekommen, zum Studium zurück zu kehren“.

Tostão erzählt über sein Medizinstudium, dass er das Engagement der Ärzte für ihre Patienten vermisste: „Mir gefiel das Studium der Biologie zwar, aber ich musste feststellen, dass sich der Arzt lediglich mit dem Körper des Patienten befasst aber nicht mit seiner Seele. Der Arzt behandelt zwar die Krankheit, aber er beschäftigt sich nicht mit den kranken Menschen. Also dachte ich darüber nach, Psychologie zu studieren und hätte beinahe das Medizinstudium aufgegeben, um Psychoanalytiker zu werden“.

Tostao2Über seine Vergangenheit als Fussballstar findet Tostão, dass er sich von seinen zeitgenössischen Mitspielern unterschied: „In meinem Fall – klar heraus und ohne falsche Bescheidenheit – hatte meine Art und Weise zu spielen eher mit der Fussball-Technik von heute zutun, denn ich war ein Team-Spieler, obwohl ich meine individuellen Fähigkeiten hatte, aber ich setzte sie bevorzugt im Zusammenspiel mit der Gruppe ein“. Die Chronisten jener Zeit sprachen stets von Tostão als einem Gruppenspieler, der seinen Kameraden stets gute Pässe lieferte, sie nannten ihn einen „Denker im Spielfeld“ – nicht einen, der möglichst alles selbst vollbringen wollte. Tostão hat in 65 Begegnungen insgesamt 36 Tore für die brasilianische Nationalmannschaft geschossen.

Heute bringt er, neben seiner professionellen Tätigkeit als geschätzter Arzt in Belo Horizonte, immer noch ein bisschen Zeit auf, um sich seinem Hobby, dem Fussball zu widmen: als Kommentator wichtiger Begegnungen, und wieder überrascht er die Menschen mit seinen intelligenten und äusserst interessanten Kommentaren.

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AutorIn: Klaus Reichel

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