Bei einer solchen Überschrift mag man glauben, dass es sich um eine positive Nachricht handelt. Sicherlich, die Zinsen sind gefallen. Doch wenn man sich die konkreten Zahlen ansieht, wird der freudige Blick auf die brasilianische Zinspolitik schnell vertrübt. Laut einer Veröffentlichung des brasilianischen Finanzverbandes Anefac sanken die privaten Verbraucherzinsen im Mai gegenüber dem Vormonat abermals um 0.04 Prozent auf nunmehr durchschnittlich 7.32 Prozent.
Dies ist der niedrigste Stand seit Einführung der regelmässig erscheinenden Studie des Verbandes im Jahr 1995. Nicht unerwähnt bleiben sollte jedoch, dass es sich dabei um den monatlichen Zinssatz handelt. Der Jahreszins liegt damit bei 133.44 Prozent.
Firmen bzw. juristische Personen kommen bei der Kreditaufnahme weitaus besser weg. Hier sank der Zinssatz von 4.17 Prozent auf 4.14 Prozent im Monat, was einem Jahreszins von 62.71 Prozent entspricht.
Seit September 2005 sinken nun die Zinsen nun genauso wie der brasilianische Leitzins Selic, welcher derzeit auf bei 12 Prozent liegt. Damals hatte die brasilianische Zentralbank nach kontinuierlicher Steigerung eine Reduktion der Basiszinsen initiiert. Seitdem konnte der Jahreszinssatz für private Verbraucher einen Rückgang von insgesamt 7.68 Prozentpunkten verzeichnen, die Senkung der Kreditzinsen für Unternehmen fiel mit 5.52 Prozentpunkten etwas geringer aus.
Was faktisch zur Folge hat, dass ich als privater Konsument für einen Kredit im Durchschnitt nunmehr keine 141.12 Prozent, sondern “nur“ noch 133.44 Prozent Zinsen im Jahr zahlen muss. Und auch dass dies der niedrigste Zinssatz seit 1995 ist, kann man Herz nicht so richtig erwärmen. Vielmehr bin ich jetzt intensiv am überlegen, was ich mir nun auf Pump kaufe und was ich vor allem mit den gesparten Zinsen anstelle. Vielleicht noch was in Raten abbezahlen?
Aber mal im Ernst. Meiner Erfahrung nach hat es gerade die einfache brasilianische Bevölkerung nicht so mit dem Geld. Und mit dem Sparen erst recht nicht. So stelle ich immer wieder fest, dass die Menschen das Geld ausgeben, was sie noch gar nicht haben. Und sich an Zinsen dumm und dämlich zahlen. Anstelle sechs Monate Geld zur Seite zu legen und es sich dann erst zu kaufen, wird es sofort gekauft und 12 oder mehr Monate teuer abbezahlt.
Ob Möbel, Kleidung oder Elektrogeräte – alles kann auf Pump gekauft werden. Vor wenigen Minuten habe ich an meinem Gartentor ein neuerliches Prospekt gefunden. Diese Ladenkette für Möbel und Elektrogeräte erstaunlicherweise einen recht niedrigen Zinssatz von 4.73 Prozent im Monat oder 74.12 Prozent im Jahr an. Bezahlt wird zu festen Raten mit der Methode 1+12. Die erste der also insgesamt 13 Raten wird bei Kauf fällig, und danach muss noch 12 Monate abgestottert werden.
Immer wieder finden sich in solchen Prospekten auch Angebote, die ohne Berechnung von Zinsen in Raten bezahlt werden können. Da freut sich der Konsument natürlich. Wenn der Barzahlungspreis, der ja nun identisch mit dem Teilzahlungspreis ist, auch ein echtes Schnäppchen wäre. Beobachtet man den Markt, so konnte ich zumindest immer wieder feststellen, ist der Barpreis des Produktes völlig überzogen. Aber das ist für das Unternehmen nicht weiter schlimm, denn kaum jemand kauft ja cash. Hauptsache der Kunde freut sich über das Schnäppchen – und zahlt die Zinsen eben versteckt.
Teilzahlung ist also gross in Mode. Und die Kunden werden gelockt. Positive Wirtschaftsnachrichten, grösseres Vertrauen in die Zukunft des Landes und mehr Geld auf dem Lohnzettel treiben die Menschen in die Verschuldung. Und wenn man im Konsumrausch nichts mehr auf seinen eigenen Namen bekommt, schleppt man eben die Verwandtschaft mit in den Laden.
Als ich im Mai im Pantanal verweilte, brauchte die Schwester meiner Frau ein Medikament. Doch in der Apotheke war ihr “Kreditrahmen“, der dort übrigens zinsfrei ist, erschöpft. Also musste kurzerhand meine Frau mit dorthin – schliesslich war es ein „Notfall“ – und die Sache wurde auf ihren Namen gekauft. Nach meiner Rückkehr habe ich dann wie immer das Konto ausgeglichen. Brasilianischer Alltag, der mich schon lange nicht mehr sonderlich aufregt. Die 25 Euro – denn um soviel ging es – bekamen wir dann sogar Anfang Juni vom nächsten Gehalt. Ob meine Schwägerin allerdings auch ihre eigene offene Rechnung in der Apotheke bezahlt hat, wage ich zu bezweifeln.
Es ist tatsächlich die bittere Wahrheit: Die Menschen geben das Geld aus, von dem sie denken, es demnächst zu verdienen. Zumindest sind sie fast immer einen Monat im Voraus. Ohne Teilzahlung könnte daher hier kaum ein Einzelhändler überleben. Und auch ohne zinsfreies Anschreiben beim kleinen Supermarkt an der Ecke wäre der Alltag nicht komplett. Hier mal ein Beutel Milch, da mal schnell Waschpulver, am Ende des Monats wird bezahlt. Logisch, dass die kleinen Läden oftmals wesentlich teurer sind, müssen sie doch ihre Ware lange Zeit vorfinanzieren. Und am Monatsende nehmen die Menschen dann ihr verdientes Geld, bezahlen ihre Raten und Schulden und setzten ihre “Kundenkonten“ auf Null. Um am nächsten Tag direkt neu anschreiben zu lassen – denn es herrscht schon wieder Ebbe im Portemonnaie.
Wo doch ein richtiges Finanzmanagement die Menschen soviel Geld sparen lassen könnte. Ein wenig Geld könnte man direkt auf ein Sparbuch packen, da gibt es fast 10 Prozent Zinsen im Jahr. Wenn man dann im Geschäft – Supermärkte mal ausgenommen – das Geld direkt auf den Tisch legen kann, gibt es Nachlässe ohne Ende. Bargeld lacht. Und an Regentagen, wo die Verkäufer sich mehr langweilen als zu bedienen, umso mehr. Und nach ein paar dieser umsatzschwachen Tage sind die mehrheitlich auf Provisionsbasis beschäftigten Mitarbeiter sogar bereit, ihre eigene Provision zu kürzen, um zumindest noch etwas zu verdienen. Das mag ausnutzend klingen, doch schliesslich ist es mein Geld, welches ich möglichst zweckmässig ausgeben will. Letztendlich kaufe ich daher mit der gleichen Menge an Geld viel mehr oder bessere Ware. Weswegen manche hier denken, dass ich viel reicher bin als sie – was natürlich nicht stimmt. Meine Erklärungen dazu versetzen sie dann regelmässig in Staunen, die Ratschläge allerdings umzusetzen gelingt ihnen fast nie.
Ein wenig bin ich nun vom eigentlichen Thema abgedriftet. Wie finde ich also nun die Kurve zurück zu den Zinsen? Oder der Senkung derselbigen, wie es die Überschrift verrät.
Die Ratenkäufer an sich profitieren also nicht wirklich von den so Hochgelobten Zinssenkungen. Die Gesellschaft im Gesamten vielleicht schon eher. Denn der Staat spart ebenso kräftig und investiert das nun mehr verfügbare Geld vielleicht in eine verbesserte Infrastruktur, in Krankenhäuser und Schulen. Wünschenswert wäre es ja. 12 Milliarden Euro hat der brasilianische Staat in den letzten 21 Monaten an Zinsen durch die Absenkung des Leitzinses eingespart. Massgeblich sind die öffentlichen Schuldverschreibungen, die sich an dem von der Zentralbank festgelegten Zins orientieren. Diese machen im Übrigen den Hauptanteil der rund 176 Milliarden Euro Inlandsverschuldung aus.
Daher gilt folgende Faustregel: Ob Privatperson, Unternehmen oder Staat – Schulden machen ist legitim. Und durch die Teilzahlung hat man ja schliesslich sein Objekt der Begierde sofort und muss nicht eventuell monatelang darauf warten. Und im Rahmen der derzeit niedrigen Zinsen „muss“ man einfach sofort zugreifen. Dass es vielleicht schon kaputt ist, gestohlen wird oder verloren geht, bevor es vollständig bezahlt ist, spielt beim Kauf keine Rolle. Solche Gedanken haben nur miesepetrige Spielverderber und Konsummuffel – sagen zumindest meine Frau, die Werbeprospekte und vor allem die Verkäufer beim Ausfüllen des Ratenvertrages.