Eines schönen Tages entsprach ich endlich dem mehrmals ausgesprochenen Wunsch meiner Grossmutter, eine alte Tante von São Paulo mit meinem Wagen in einen kleinen Ort am Meer im südlichen Bahia zu transportieren. Sie war eine unglückliche alte Jungfer, die Menschen, Hunde, Städte, Strände und einfach alles hasste und verabscheute, was ihr so vor die Nase kam.
Als ich vor ihrer Tür einparkte, um sie abzuholen, stellte sie sich sofort in Positur um gegen die “alte, verrostete Karre“ zu protestieren (und damit meinte sie mein Auto). Schliesslich liess sie sich nach vielen eindringlichen Worten meinerseits herab, einzusteigen – um mich dann während der gesamten Fahrt mit ihren abfälligen Bemerkungen zu nerven: sie entdeckte einen Polizisten mit “furchtbar hässlichem Gesicht“ – einen LKW, “der die Luft verpestete“ – die Kurven waren ihr “zuviel und zu eng“ – und dann erst “diese Löcher, die niemand zumacht“ – und vor allem natürlich “der Fahrer und sein Auto“, die in sich sämtliche verabscheuenswerten Fehler vereinten, die man bei diesen zweien überhaupt finden kann.
Trotzalledem erreichten wir unser Ziel – und ich freute mich darauf, einen verdienten Ruhetag einlegen zu können. Recht früh wachte ich auf und fuhr alleine zum Strand. Ich war so vergnügt, dass ich anfing, eine Sandburg zu bauen – als plötzlich die grelle Stimme der Tante zu mir herüberschallte, mit der sie mein Werk beleidigte . . .
Verärgert setzte ich mich auf den Sandhaufen. Der Tag schien mir verloren – und in diesem Moment tauchte der Hund auf.
Er hatte ein dichtes, weisses Fell und schlenderte direkt in meine Richtung – etwa fünf Meter vor mir hielt er abrupt inne, seine blaurote Zunge hing ihm seitlich aus dem Maul – er fixierte mich aufmerksam und sympathisch. Ich sandte ihm ein paar freundliche Worte über die kurze Distanz, und er wedelte leicht mit dem Schwanz. Natürlich begann die Tante mit ihren Schimpftyraden gegen das Tier, nannte ihn “hässlich und verfloht“, aber ich beachtete sie nicht weiter, sondern warf ihm einen Keks hin. Er machte ein paar Schritte bis zu dem Leckerbissen, beroch ihn, aber er frass ihn nicht. Dann legte er sich demonstrativ hin vor den Keks, die Schnauze auf den ausgestreckten Vorderpfoten, wedelte weiter mit dem Schwanz und bedachte meine Tante und mich mit abwechselnden prüfenden Blicken.
Ich lockte ihn – aber er legte nur seinen Kopf schräg und betrachtete die Alte eingehend, so als wollte er sagen: “Mit der auf deiner Seite, kannst du nicht mit mir rechnen“.
Also ging ich ein Stück weiter und rief ihn erneut. Und er kam. Ich begann seinen Kopf zu kraulen, das hatte er offensichtlich gern – und er rollte sich im Sand hin und her, lachte mich an und wedelte mit seinem Schwanz, bis er plötzlich . . .
. . . in Bruchteilen einer Sekunden – als ob er meine geheimsten, verbotenen Gedanken gelesen hätte – in übermütiger Freude aufsprang, mit wenigen Sätzen war er bei der Palme, unter der sich meine Tante mit ihren Utensilien niedergelassen hatte, hob das Bein und versprühte eine herrliche Menge gelber Hundeurin über ihre Tasche und ihren Sonnenhut.
Die alte Jungfer schrie wie am Spiess, mit geballten Fäusten vor ihrem puterroten Gesicht, als ob die Apokalypse bevorstünde. Sie machte ein paar verzweifelte Schritte in Richtung des “verdammten Hundeviehs“, aber der floh in lustigen Sprüngen, mit denen er seinen offensichtlichen Spass an diesem Spiel auszudrücken schien. Ich rannte ebenfalls, ohne mein konvulsives Gelächter unter Kontrolle zu bekommen – schliesslich half ich meiner Tante, ihre Sachen im Meerwasser auszuspülen. Aber es gelang mir nicht, sie zu trösten.
Sie setzte sich endlich wieder hin, mit abweisendem Blick, starrte aufs Meer und murmelte unablässig vor sich hin. Und dann bemerkte ich, dass sie plötzlich ihre Augen weit aufriss und auf etwas starrte, was hinter meinem Rücken ablief. Ich drehte mich um und sah, dass der Hund wieder zurück kam – gefolgt von zwei weiteren: einer braunen Hündin, genauso verspielt wie er selbst, und einem zweiten weissen, männlichen Tier, das etwas langsamer und gemütlich hinter den beiden hertrottete und freundlich mit dem Schwanz wedelte.
Meine Tante erhob sich und eilte den Hunden schreiend und mit geballten Fäusten entgegen. Die zwei ersteren teilten sich – einer auf jeder Seite meiner gestikulierenden Tante – sie bellten freundlich und hatten Gefallen an dem interessanten Spiel. Da hatte die Tante jenen traurigen Einfall, den Weissen mit einem Tritt aus der Fassung bringen zu wollen – er wich aus und, schnell wie eine Möve im Flug, war er bei der Palme, schnappte sich ihren Sonnenhut und rannte mit ihm davon.
Die Tante rannte hinter ihm her und schrie aus vollem Halse.
Die braune Hündin machte es ihrem weissen Bruder nach und fuhr mit der Schnauze in die Strandtasche – zerrte ein Handtuch heraus und wie der Wind floh sie in lustigen Sprüngen hinter dem Weissen her. Ich war besorgt, dass die Tante jetzt kurz vor einem Herzanfall stehen könnte – jedenfalls schrie sie besorgniserregend – aber ihr Geschrei nützte gar nichts, die beiden jungen Hunde verschwanden in einem Palmenwäldchen, und der alte folgte ihnen in gesetztem Trab.
Was da soeben abgelaufen war, ich konnte es kaum glauben. Ich sass im goldgelben Sand und versuchte mir vorzustellen, was an diesem denkwürdigen Tag noch alles passieren könnte.
Ungefähr zwei Stunden später näherte sich uns von fern ein Mann, der etwas in der Hand hielt. Und hinter ihm trotteten ungeniert die drei Hunde. Der Mann stellte sich als Besitzer der drei (bösen) Hunde vor – hatte, als er sie “mit den Sachen im Maul erwischte“, sich gleich gedacht, dass sie die von irgendeinem Gast des Hotels stibizt hätten. Er käme, “um sich zu entschuldigen“, hier seien “der Hut und das Handtuch zurück“ – er habe sie “schon gewaschen“, und, indem er eine Tüte öffnete, erklärte er noch, das die “Quitutes“ (kleine Maiskuchen) “für die Herrschaften“ seien – als Friedensangebot sozusagen.
Ein sehr sympathischer Bahianer, und ausgesprochen höflich, der die Tante mit äusserster Aufmerksamkeit bedachte und, zu meiner grossen Überraschung, ihr schon nach wenigen Minuten ein Lächeln zu entlocken verstand. Ganz bestimmt hatte er in ihr Details entdeckt, die mir bisher verschlossen geblieben waren…
Um diese Geschichte etwas abzukürzen: Meine Tante hat diesen netten Bahianer schliesslich geheiratet.
Etwa ein Jahr später habe ich sie an jenem Strand besucht. Man konnte sie kaum wiedererkennen: sie lachte die ganze Zeit – beschwerte sich überhaupt nicht mehr über rein gar nichts – und teilte ihr Ehebett grosszügig mit jenen drei Hunden, die abwechselnd in ihrem Schoss zu träumen pflegten, und die sie, zusammen mit ihrem Mann, als “die vier Lieben in meinem Leben“ bezeichnete.