Eigentlich hatte ich mir geschworen, meinen Urlaub nie mehr mit Erika zu verbringen – aber erstens war diese ganze Brasilien-Idee von ihr und zweitens, wenn sie nicht mit dabei ist, fehlt sie mir eben, und ich denke die ganze Zeit daran, wie schön es doch wäre, wenn ich sie mitgenommen hätte. Paradox, nicht?
Erika hat immer ganz tolle Ideen – wie letztes Jahr die Fahrt mit einer gemieteten „Harley Davidson“ von Miami nach San Francisco – war auch ihre Idee: leider regnete es gleich zu Anfang, und als sie nach ein paar Stunden auf dem Sozius völlig durchgeweicht war, beschloss sie umzukehren. Ich wendete all meine Überredungskunst an, drohte ihr sogar, sie allein zurückfahren zu lassen und nie mehr in Urlaub mitzunehmen – als wir am nächsten Morgen einigermassen trocken vor das Motel traten und es immer noch regnete, hatte ich ein Einsehen, und wir fuhren zurück. Kaum hatten wir das Motorrad abgegeben, kam die Sonne hervor – und die genossen wir dann in den „Everglades“. Schliesslich doch noch ein schöner Urlaub, besonders, weil Erika dabei war – und wenn sie es trocken und warm hat, ist sie einfach reizend – viel zu reizend, um sie einfach zuhause zu lassen.
Nach Brasilien also in diesem Jahr. Ich fand die Idee von ihr wieder mal ganz nach meinem Geschmack – das heisst, meinen laienhaften Vorstellungen entsprechend – denn eigentlich wussten wir beide bis dato recht wenig von diesem Land. Erika hatte es die „Sonnengarantie“ angetan, ein Ausdruck, den der Verfasser einer Reisebeschreibung über den Nordosten Brasiliens benutzt hatte, um alle Erikas dieser Welt in Entzücken zu versetzen. Nun, auch mir gefiel diese Vorstellung durchaus, besonders wenn man sich aus dem deutschen Schneematsch–Monat März in ein Land mit dieser „Sonnengarantie“ absetzen kann!
Über „Rio de Janeiro“ und „Salvador“ erreichten wir „Fortaleza“ – schon mit drei Wochen Brasilienerfahrung hinter uns. Erikas Winterhaut von rosaroter Farbe, hatte inzwischen eine fast dunkelbraune Tönung angenommen – nur ich lief, als eher traurige Gestalt, mit einem zusätzlichen T–Shirt über der Badehose herum, weil mir die Tropensonne, gleich in Rio, die Haut buchstäblich zerfetzte – und jetzt hielt ich mich respektvoll bedeckt. Erikas blonder Schopf und ihre anderen unübersehbaren Qualitäten wurden, besonders in Rio, von anerkennenden Pfiffen der bronzefarbenen Männlichkeit um uns herum bewundert, was sie, so konstatierte ich deprimiert, durchaus zu geniessen schien – schliesslich hatte sie von mir, so glaubte ich mich zu erinnern, noch nie einen derartigen Pfiff verehrt bekommen. Nun, man reist schliesslich auch in andere Länder, um etwas dazuzulernen, oder nicht?
Fortaleza – wie könnte es anders sein – empfing uns tatsächlich mit Sonne! Und im Nachhinein kann ich nur bestätigen, was jener Enthusiast über den Nordosten geschrieben hatte – auch für uns schien dort die ganze Woche über die Sonne! Und das Meer war lauwarm – und die weiten Strände wunderschön – und furchtbar nette Menschen überall – und ein besonders netter Guide, der Deutsch mit französischem Akzent sprach, was Erika besonders „süss“ fand. Per offenem Buggy starteten wir vom Hotel in Fortaleza nach „Cascavel“ – und nach einem guten, lokalen Mittagessen mit – man stelle sich vor: „frischer gegrillter Languste“ – ging es weiter nach „Caponga“, einer kleinen Fischersiedlung mit herrlichem Strand.
Am späten Nachmittag kommen die Fischer mit ihren „Jangadas“ nach Hause zurück – mehr als einhundert dieser Holzflösse liegen dann auf einer Erhöhung aufgebockt, die Segel gestrichen, im fahlen Licht des Mondes – bis sie, noch vor Sonnenaufgang, von ihren jeweiligen Mannschaften wieder flott gemacht und auf Holzrollen ins Wasser geschoben werden – wo dann ein neuer Tag dieser mutigen Männer in der unendlichen Weite des Ozeans beginnt.
Wir waren schon ein paar Tage Gäste in einer kleinen, aber sehr romantischen Pousada – unser französisch–akzentuierter Guide hatte sich, bis zu unserem Rücktransport, wieder nach Fortaleza zurückgezogen – als Erika mich beim Mittagessen anstrahlte und mit der Nachricht herausplatzte, „die Fischer veranstalteten morgen, an einem Sonntag, ihr jährliches Wettrennen“ – eine Jangada–Regatta sozusagen – und „wenn wir wollen, könnten wir gerne daran teilnehmen“ ! „Mitfahren auf einem Floss“ – fügte sie noch begeistert hinzu!
Je nach Jahreszeit weht der Wind in „Caponga“ vom Meer zur Küste hin, entweder morgens oder am Nachmittag, und nach ihm müssen sich die Fischer richten, wenn das Ganze gelingen soll – an diesem Sonntag ist es gegen neun Uhr früh, die Sonne steht schon hoch, der Wind weht in Richtung auf’s offene Meer, und der Strand wimmelt von Einheimischen und anderen Besuchern. Die alljährliche Regatta von „Caponga“ wird sogar in den Zeitungen erwähnt und eine grosse Menge Neugieriger belebt dann den kleinen Ort.
Erika stellt mich dem „Mestre“ (Floss–Führer) und dem „Proeiro“ (Bug–Mann) vor – und, nachdem sie den Mast aufgestellt und das Dreieckssegel gehisst haben, binden sie uns, mit einem Tau um die Hüfte, am Mast fest, sodass wir zwar noch genügend Freiraum haben, um ein paar Schritte zu tun, aber nicht mehr über Bord gespült werden können. Alle sind barfuss, weil man so den besten Halt auf dem schlüpfrigen Deck hat. Tun müssen wir gar nichts – höchstens den beiden Männern nicht im Weg stehen, wenn das Rennen losgeht.
Vom Strand starten alle teilnehmenden Floss–Teams – in der Regel zwei oder drei Männer pro Floss – in beliebigen Abständen durch die turmhohe Brandung. Vom Ufer aus sieht diese Brandung so harmlos aus – aber wenn man dann, wie in einem Aufzug, plötzlich senkrecht hochgehoben wird – zwei oder auch dreimal – dann kann einem schon das Herz in die Hose bzw. in das Bikini–Teil fallen – von Erika kommt prompt ein spitzer Schrei, der unsere beiden „Jangadeiros“ belustigte Blicke tauschen lässt – aber dann sind wir auch schon darüber hinweg. Erika hat etwas von ihrer Farbe verloren, und wir nehmen Kurs auf die offene See – etwa eine Stunde lang segeln wir so, immer geradeaus, bis man das Land nur noch als eine schmale Linie erkennt. Hier heisst es nun etwas warten, bis der Wind gegen Mittag dreht und zur Landseite hin zu wehen beginnt. Unsere beiden Freunde versuchen ein Gespräch mit uns – das aber nicht so recht gelingt, denn was kann man schon in drei Wochen Brasilien lernen. Einfach zu wenig.
Alle teilnehmenden Jangadas – ich zähle so an die dreissig – haben sich inzwischen zu einer imaginären Linie formiert. Kurz nach Mittag dreht dann der Wind ganz plötzlich – ein alter Mann gibt das Signal auf einer Trillerpfeife – jetzt geht’s los: auf allen Flössen wird das Dreieckssegel aufgezogen und die Jangadas kommen träge in Fahrt. Gäste bitte in einen toten Winkel zurückziehen, um die beiden hart arbeitenden Jangadeiros nicht zu stören – sowie der Wind voll zugepackt hat, können wir uns in unserem Haltetau, hinten beim „Mestre“, der mit dem schweren Ruder steuert, weit über die höherliegende Bordseite lehnen – als Gegengewicht. Mehr ist nicht zu tun. Wir beobachten mit Vergnügen, wie der „Proeiro“ mit einer Schöpfkelle Meerwasser aus der Bugwelle auffängt und in regelmässigen Abständen ins Segel schleudert – der genässte Stoff quillt, das Gewebe wird dichter und hält dadurch mehr Wind – die Jangada wird schneller. Wenn wir eine gute Brise erwischen sollten, dann nähern wir uns dem Land mit einer Geschwindigkeit von immerhin etwa 40 bis 50 km/h – um es einmal so als geborene Landratte auszudrücken.
Dicht nebeneinander her geht die wilde Jagd – anfeuernde Rufe gellen von einem zum andern Floss. Die aufschäumende Bugwelle schwappt uns über die nackten Füsse. Ein grosses Mittel–Schwert verhindert, dass die Konstruktion kentert. Man wundert sich, wie viele Parallelen zu einer echten Segelregatta man hier entdeckt – aber unser Spass ist wahrscheinlich noch viel grösser!
Am Ufer kann man jetzt schon einzelne Gesichter unterscheiden – die Brandung verschluckt aber sämtliche Stimmen. Sie kommt jetzt von hinten und hat uns so plötzlich in ihrem Griff, dass man ordentlich erschrickt, wenn man vom Kamm der riesigen Welle auf den flachen Strand tief unter sich blickt – aber dann sind wir schon im Parterre – springen ab und schieben das Floss noch ein Stück aus dem Gefahrenbereich der sich überschlagenden Wellen. Da, wo es aufsetzt, ist das Rennen zu Ende – dass unsere Mannschaft nicht Sieger geworden ist, erfahren wir erst am nächsten Tag, aber das war besonders für uns, auch nicht so wichtig.
Aber, dass Erika sich so gut gehalten hat in diesem Abenteuer, war für mich persönlich eine sehr wichtige Erfahrung – ausser jenem erwähnten „spitzen Schrei“, den man ja auch unbändiger Freude zuschreiben könnte, hat sie sich bestens bewährt – trotzdem wir auch bei diesem Abenteuer ganz schön nass geworden sind! Stellen Sie sich vor: im nächsten Urlaub will sie mit mir in den Amazonas–Regenwald!