Die besonderen geografischen Eigenheiten des heutigen Bundesstaates Rio Grande do Sul – unterteilt in 11 unterschiedliche physiographische Regionen – haben zweifellos die Besetzung dieses Teils von Brasilien durch die Europäer hinausgezögert. Ein anderer negativer Faktor war das „Traktat von Tordesilhas (von 1494)“, welches die Besitzrechte über die Entdeckungen in der Neuen Welt, zwischen Portugiesen und Spaniern, durch einen festgelegten Meridian aufteilte, der im Fall von Brasilien zwischen der Marajó-Insel (Amazonasmündung) im Norden, und der Bucht von Laguna (Santa Catarina) im Süden, verlief.
Diese imaginäre Linie wurde eine Zeitlang mit geradezu übertriebenem Respekt behandelt, das heisst, beide beteiligten Nationen blieben vorläufig weit weg, besonders von deren südlichem Scheitelpunkt, um neuen diplomatischen Verwicklungen aus dem Weg zu gehen. Aber am Anfang des 17. Jahrhunderts rückten die Spanier auf der linken Seite des Rio Uruguai vor. Den Weg bereiteten ihnen die Jesuiten, die bereits in Paraguay Fuss gefasst hatten und nun an verschiedenen strategischen Punkten neue Reducciones (autake Indianer-Missionen) errichteten – sie kamen sogar bis in den Einzugsbereich der heutigen Hauptstadt Porto Alegre – und man kann sagen, dass sie sich in gewisser Weise als die Herren des gesamten Westens vom heutigen Rio Grande do Sul fühlten.
Die Paulistaner ihrerseits, nahmen ebenfalls Kontakt mit den Eingeborenen der Region auf – den Tupi-Guaraní, den Jê und Guaicuru – vor allem, um einen Tauschhandel zu garantieren, der auf der Lieferung von Indianersklaven, aus von ihnen besiegten Nachbarstämmen, bestand. Daraus folgte, dass Bewohner von São Vicente, Santos und Piratininga (alle São Paulo), noch vor den später folgenden Bandeirantes, in diesen Gebieten unbehindert ein und aus gingen.
Dann zerstörten die Bandeirantes die Provinz von Guaíra – zogen durch die Província do Tape, im Herzen von Rio Grande, dann durch die Província do Uruguay – machten die vorgefundenen Dörfer dem Erdboden gleich und nahmen alle Indianer, die ihnen in die Hände fielen, gefangen, um sie als Sklaven auf ihren Plantagen einzusetzen. Antônio Raposo Tavares war einer der grössten und gefürchtetsten Anführer dieser Sklavenjagd-Expeditionen. Zwischen 1636 und 1640 brannte er sämtliche Dörfer ab, ihre Bewohner wurden bei Widerstand von seinen Soldaten erschlagen und die andern in Ketten gelegt. Überlebende, die entkommen konnten, flüchteten sich zu den Jesuiten auf die rechte Seite des Rio Uruguay.
Die Guarani-Missionen
Etwas später, der Zyklus der Bandeirantes war vorbei, wagten sich die Padres und ihre indianischen Schützlinge wieder über den Fluss zurück – diesmal allerdings blieben sie in unmittelbarer Nähe dieser westlichen Fluchtgrenze. Hier gründeten sie die sieben „orientalischen Missionen“: São Nicolau, São Luís Gonzaga, São Miguel, São Francisco de Borja, São Lourenço, São João Batista und Santo Ângelo. Diese Reducciones wurden durch ein jeweils unabhängiges Administrations-System regiert – auf paternalistischer Basis – ziemlich nahe am kommunitarischen Ideal eines Plato und Santo Agostinho. Jedem Mitglied einer solchen Kommune war es untersagt, mit Weissen Kontakt aufzunehmen – seien es Portugiesen oder Spanier – mit Ausnahme der so genannten Catequistas – Männern, deren apostolische Überzeugung sie immun gegen alle Anfechtungen von aussen machte. Der Initiative letzterer ist es zu danken, dass über Assuncion/Paraguay die ersten Rinder ihren Weg nach Rio Grande do Sul fanden, wo sie in so genannten Vacarias – enormen nativen Grasflächen – sich selbst und der Natur überlassen wurden. Zwei dieser Vacarias vergrösserten sich dermassen, dass man ihnen Namen gab: die Vacaria dos Pinhais – in der Serra-Region – und die Vacaria do Mar – im Einzugsbereich der Lagoa Mirim und dem Küstenstreifen. Durch das auf diesen Flächen native Gras von hohem Nährwert und das günstige Klima, vermehrten sich die Herden besonders gut und erweckten die Begehrlichkeit vieler.
Die Rinder
Unter der Führung des Gouverneurs von Rio de Janeiro, Dom Manuel Lobo, gründeten die Portugiesen Colônia do Sacramento (1680), auf der linken Seite des Rio de la Plata, direkt gegenüber der spanischen Bastion Buenos Aires! (Heute liegt die Colonia del Sacramento in Uruguay, dessen Territorium erst 1777, dem Tratado de Santo Ildefonso, von den Portugiesen an Spanien abgetreten wurde).
Man stellte nun den halbwilden Rindern der Vacarias nach – aber nicht etwa, wegen ihrem Fleisch, sondern wegen ihrer Häute und der Verarbeitung zu Leder, eine Aktivität, die der vorgeschobenen portugiesischen Siedlung Sacramento auch wirtschaftlichen Inhalt geben sollte. Das Fleisch der gehäuteten Tiere war sozusagen ein Nebenprodukt – verdarb schnell und wurde der lokalen Bevölkerung zur Ernährung überlassen. Damals bekamen sogar die Sklaven des Südens täglich Fleisch in ihre Töpfe – sie entwickelten eine Einsalztechnik, mit der sie das Fleisch, in schmale Streifen geschnitten, über mehrere Wochen lang haltbar machen konnten. Dieser sogenannte Charque hat sich über die Jahrhunderte erhalten, und die Gaúchos der Pampa von heute haben stets ein Stück Charque in der Satteltasche – entweder, um während der Arbeit darauf herumzukauen, oder um es in der Mittagszeit, zusammen mit Reis, zu einem schnellen Eintopf, dem beliebten Arroz de Carreteiro zu verarbeiten.
Weit weg von irgendwelchem Nachschub – nicht mal die Kommunikation nach São Paulo oder Rio de Janeiro funktionierte zu dieser Zeit zufrieden stellend – aber direkt vor den Kanonen der Spanier in Buenos Aires, wurde die kleine Kolonie regelmässig blockiert und angegriffen, zerstört und wieder aufgebaut, und hielt die beiden rivalisierenden Königreiche, in ihren amerikanischen Besitztümern, fast während eines ganzen Jahrhunderts unter Waffen.
Cristóvão Pereira de Abréu war der erste, der nach Art der nordamerikanischen Cowboys, mit einem Trupp Peões, grosse Rinderherden quer durch Rio Grande und Santa Catarina, bis nach Zentral-Brasilien trieb. Man nannte die mutigen Burschen damals Tropeiros. In Mato Grosso expandierten am Anfang des 18. Jahrhunderts die Goldminen, und die Viehtriebe mit dem Frischfleisch aus dem Süden wurden von den aus allen Teilen des Landes zugelaufenen Goldschürfern mit Halloh begrüsst – und gut bezahlt. Cristóvão machte das Geschäft seines Lebens – und als die Minenbesitzer bei ihm Maultiere und Esel zum Lastenschleppen bestellten, schaffte er auch die heran. Natürlich blieb er nicht der Einzige. Zahlreiche Paulistas warfen sich ebenfalls auf dieses lukrative Geschäft. Sie zogen nach Rio Grande durch die Sertões von Paraná und Santa Catarina und, teils durchs Interior, teils an der Küste entlang, trieben sie enorme Rinderherden bis in die paulistanischen Zentren. Die Stadt Sorocaba, im Süden des Bundesstaates São Paulo, entwickelte sich zum grössten Handelsposten von Rindern aus Südbrasilien.
Die Bevölkerung
Trotz allen diesen geschäftigen Umtrieben war keine weitere portugiesische Siedlung mehr in der Provinz Rio Grande entstanden. Dem Brigade-General José da Silva Pais, den man an der Spitze einer maritimen Expedition vorausgeschickt hatte, um jener besagten Colônia do Sacramento etwas Rückendeckung gegen ihre traditionellen Feinde zu geben, gelang es nicht ganz, seine Mission wie geplant zu erfüllen, aber dafür warf er die Spanier aus der Gegend von Barra do Rio Grande hinaus und gründete am linken Flussufer das Fort Jesus-Maria-José, und das war der Anfang der Stadt Rio Grande und des Bundesstaates gleichen Namens (1737).
Die Besiedelung von Rio Grande kam erst mit den portugiesischen Emigranten von den Azoren richtig voran. Paarweise gründeten sie die ersten Siedlungen, nach dem Modell portugiesischer Municípios (Distrikte). Ihnen schlossen sich portugiesisch stämmige Brasilianer aus São Paulo und Santa Catarina an, sowie Indianer und Abenteurer verschiedener Ethnien – das war der gesellschaftliche Hintergrund, aus dem der rio-grandensische Gaúcho hervorgegangen ist. Einzige produktive Beschäftigung dieser Menschen im Hinterland war vorläufig der Umgang mit den Viehherden, denn die Produktion der Erva-Mate (Mate-Kraut) lag zu dieser Zeit noch ganz in den Händen der Indianer in den Jesuiten-Missionen.
Dieser exklusive Umgang mit Pferden und Rindern, auch mit Schafen, Ziegen, Eseln und anderen Haustieren, ihre Aufzucht und Pflege, ihre Schlachtung und Verarbeitung des Fleisches, der Häute und der Wolle, formte einen eigenwilligen Menschenschlag, den Gaúcho, dem sich sogar das portugiesische Element selbst, personifiziert in den Emigranten von den Azoren, mit seinen Sitten und Gebräuchen angepasst hat. Sie lernten von den Gaúchos den Churrasco zuzubereiten (Fleisch am Spiess über der offenen Holzkohlen-Glut gebraten) und Chimarrão zu trinken (den heissen Extrakt des Mate durch ein Röhrchen zu saugen), und wie man das Lasso und die Boleadeiras (Wurfkugeln) gebraucht, die unentbehrlichen Utensilien für den Umgang mit der Herde.
Die ersten Jahrzehnte der neuen Eroberung waren schwere Zeiten. Portugal und Spanien unterzeichneten Traktate, und dann verwarfen sie sie wieder, je nach den gerade vorrangigen Interessen der europäischen Dynastien, und ihre amerikanischen Kolonien bekamen die Folgen dieser Rivalitäten zu spüren. Unter all den Grenzabkommen, die da im Lauf der Zeit unterzeichnet wurden, hatte keins soviel Gewicht wie das von Madrid, im Jahr 1750, dessen Unterzeichnung dem politischen Genie des Alexandre de Gusmão zu verdanken ist: eine seiner Klauseln besagte, dass „im Interesse des Friedens, die Colônia do Sacramento an Spanien zu übergeben sei“, und zwar „im Tausch gegen die Sete Povos (die sieben Jesuiten-Missionen) – deren Bevölkerung sich mit ihrem mobilen Eigentum auf die rechte Seite des Rio Uruguai zu begeben habe, der von nun an als Grenzlinie gelte“. Aber die Übergabe fand nicht statt, obwohl die beiden damaligen Kommandanten, der Marquês de Val de Lírios, für Spanien, und der General Gomes Freire de Andrade, für Portugal, an der Spitze ihrer Truppen erschienen waren, um der Durchführung des Vertrags Nachdruck zu verleihen.
Denn die Jesuiten erhoben heftigen Einspruch gegen den forcierten Exodus ihrer Schäfchen und machten von ihrem enormen Prestige an den europäischen Höfen Gebrauch, um diese Entscheidung rückgängig zu machen. Doch die Indianer selbst liessen sich von ihrem Führer Sepé Tiaraiú zu einer voreiligen Reaktion hinreissen: sie erhoben sich gegen das gemischte Heer von Portugiesen und Spaniern, in einer Kurzschlussreaktion, die sie praktisch alles kostete. Die bedauerliche Episode ist bekannt unter dem Namen Guerra Guaranítica (Krieg der Guaraní) – nach einem Zusammenstoss in Caiboaté, wo sie zirka 10.000 Bogenschützen verloren, gaben die restlichen Indianer den Widerstand auf, und bevor sie flüchteten, zündeten sie ihre Reducciones an, in denen die Sieger nur noch einen Haufen von Ruinen vorfanden.
Der General Gomes Freire verblieb über neun Jahre lang in seinem Amt zur Ausführung dieser Kommission, und in dieser Zeit verstärkte er die Verteidigung der Küste und im Tal des Rio Jacuí, gründete die Tranqueira do Rio Pardo (Verteidigungs-Wall), der den Spaniern definitiv standgehalten hat, als sie kurz darauf – nach der Annullierung des „Traktats von Madrid“- Rio Grande überfielen und den extremen Süden besetzten.
Kriegerische Tradition
Diese Besetzung von Rio Grande durch die Spanier währte 14 Jahre – von 1763 bis 1777. Aber es gelang ihnen nicht, sich am linken Ufer der Lagoa dos Patos festzusetzen, denn der Widerstand in Rio Pardo und Viamão – in letztere hatte man die Hauptstadt verlegt – war gut organisiert und hielt sämtlichen Invasionsversuchen des Gegners stand. 1776 warfen die Portugiesen die Spanier wieder aus ihrem Territorium und 1777, mit dem Tratado de Santo Ildefonso, wurde wieder einmal der Friede zwischen beiden Nationen unterzeichnet – um im Jahr 1801 erneut gebrochen zu werden. Eine Gruppe von Gaúcho-Patrioten, geführt von José Borges do Canto, Manuel dos Santos Pedroso und Gabriel Ribeiro de Almeida, machte sich die Situation zunutze und griff die Missionen an. Dazu muss erklärt werden, dass die spanische Regierung die Jesuiten bereits ausgewiesen hatte – ihre Reducciones waren wieder aufgebaut worden und nun der staatlichen Administration unterstellt, was erst zu ihrem ideologischen und dann auch zu ihrem wirtschaftlichen Ruin führte. Jenen Gaúchos war diese Situation wohlbekannt, und sie scharten auch die Unzufriedenen aus den Reducciones selbst um sich, bevor sie mit einem Überraschungsangriff diese sieben Siedlungen eroberten und damit den gesamten Westen des heutigen Rio Grande do Sul – bis zum Rio Uruguay – dem brasilianischen Territorium einverleibten.
Aber die Wahrheit ist, dass das heutige Rio Grande do Sul zweifellos das am meisten umkämpfte Territorium Brasiliens gewesen ist. Das erklärt sich schon aus seiner politischen Lage – als Grenzland zum Erzrivalen. Die Spanier – oder wie man sie hier inzwischen nannte, die „Platinos“ (Bewohner der La-Plata-Region) – haben sich über Jahrhunderte nicht mit den, in zahllosen Verträgen ausgehandelten, Süd- und West-Grenzen abgefunden, und es waren diese Grenzstreitigkeiten und –Übertretungen, die immer wieder zu blutigen Konflikten führten, in denen beide Dynastien furchtbare Verluste hinnehmen mussten.
Kolonisation
Für die Teilnahme an allen diesen kriegerischen Auseinandersetzungen hat besonders die Bevölkerung von Rio Grande einen hohen Preis bezahlen müssen – sowohl an Menschenleben wie an Material. Und, da sie es langsam gewöhnt waren, ständig zwischen Krieg und Frieden hin- und hergerissen, ihr Leben zu verbringen, hatten sie sich damit abgefunden und liessen sich deshalb nicht mehr als unbedingt nötig von ihrer täglichen Arbeit mit dem Vieh und der Landwirtschaft abbringen.
Wieder einmal drohte sich die Situation am La Plata zuzuspitzen, als Rio Grande (1824, bereits Provinz) unter seinem ersten Präsidenten, dem Visconde de São Leopoldo, mit grossem Erfolg die Kolonisation der ersten deutschen Emigranten einleitete. Über das Tal des Rio dos Sinos, ihrer ersten Besiedelungs-Region, breiteten sie sich bald über den gesamten Serra-Rand aus. Man überliess ihnen kleine Besitze zu günstigen Konditionen – sowohl von Seiten der Regierung als auch von Privatunternehmen, die für die Promotion der Kolonisation eingerichtet worden waren. Gefördert wurde der freie Arbeiter und seine Anstellung in der Landwirtschaft, der Viehzucht oder der Industrie, dem aber selbst die Nutzung von Sklavenarbeit untersagt war. Auf diese Weise entstanden viele Distrikte (Municípios), die inzwischen dicht besiedelt sind. Während mehr als vierzig Jahren war der Zustrom deutscher Emigranten kontinuierlich, er verebbte ab 1870. Dann fing 1875 die Einwanderung der Italiener an, die bis in unsere Tage nicht mehr aufgehört hat – aber während des Zweiten Weltkriegs, der Ära des Faschismus, unterbrochen wurde.
Die Farrapos
Noch in den Anfängen seiner Konsolidierung machte sich das Imperium, unter dem jungen, unerfahrenen Kaiser Dom Pedro II., unbeliebt bei den Gaúchos der Provinz Rio Grande – besonders beim Militär. Es war nicht die Schuld des Kaisers, sondern die des imperialistischen Generals Sebastião Barreto, der sich mit dem Oberst Bento Gonçalves da Silva, dem Kommandanten der Gaúcho-Grenztruppe in Jaguarão/Rio Grande, überwarf. Der eine beschuldigte den andern, dass er mit den Uruguayern zusammen die Trennung der Provinz von Brasilien beabsichtige – der andere, ein echter Gaúcho macho, der schon damals, noch mehr als fünfzig Jahre vor dem Sturz der Monarchie, schon liberale, republikanische Gedanken hegte, wetterte gegen die exzessive Zentralisierung der Administration, gegen die Unfähigkeit der ernannten Provinz-Präsidenten, gegen die ungerechten Besteuerungen und vieles mehr.
Als er daraufhin ein amtliches Antwortschreiben vom Provinz-Präsidenten Antônio Rodrigues Fernandes Braga überreicht bekam, in dem man ihn der liberalen Konspiration bezichtigte und ihm drohte, platzte ihm der Kragen. Schnurstracks kehrte er zu seiner Grenztruppe zurück und die – alle ebenfalls Gaúchos machos – schworen, dass sie ihm in die Hölle folgen würden und setzten sich in Marsch in Richtung auf die Hauptstadt.
Präsident Braga allerdings, hatte Lunte gerochen und war aus der Stadt geflohen, die von den Revolutionären am 21. September 1835 besetzt wurde.
Der bewaffnete Kampf zwischen den konservativen Imperialisten und den Revolutionären, die man Farrapos nannte, (diese Bezeichnung, welche man schon vor der Revolution für Ausgeflippte benutzte, entspricht etwa den Sans-culottes der französischen Revolution), bescherte der Provinz Rio Grande ein Blutbad nach dem andern – 10 Jahre lang! Die Farrapos hielten während dieser Zeit ganz Rio Grande besetzt, wo sie die República Farroupilha ausgerufen hatten. 1839 gelang ihnen die Invasion ihrer Nachbar-Provinz, und der gesamte Süden von Santa Catarina wurde nun zur Republik erklärt, mit der Hauptstadt Laguna, die sie in Cidade Juliana umbenannten.
Die Revolutionäre, unter ihrem geistigen Führer Bento Gonçalves da Silva, beabsichtigten eine Föderation zu gründen, mit allen brasilianischen Provinzen, die sich ihnen anschliessen würden. Der grösste Teil der Gaúchos kämpften für dieses Ideal gegen die Truppen des Imperiums, die von soviel Enthusiasmus immer wieder geschlagen den Rückzug antreten mussten – in der berühmten Schlacht vom Rio Pardo, am 30. April 1838, wurden sie geradezu vernichtend von den Farrapos geschlagen. Die Revolutions-Truppen zu Land wurden von David Canabarro geführt, und den Befehl über die Flotte hatte der „Held zweier Welten“, der italienische Emigrant Giuseppe Garibaldi, der Canabarro bei der Einnahme von Laguna vom Meer her Schützenhilfe gab. In Laguna war es auch, wo Garibaldi seine grosse Liebe Anita kennen lernte, der er von da an alle seine Siege weihte. Auch dieses historische Liebespaar hat Einzug in die Gaúcho-Folklore gefunden – in der Poesie, in der Musik, in Film und TV-Inszenierungen sind die beiden unsterblich geworden. (Siehe auch Text über Santa Catarina).
Die Republik
Der Traum von der Republik war aber nicht etwa zu Ende. Im Gegenteil, er wurde im Süden ständig weiter genährt. Mutige Reden von Gaúchos machos in der Öffentlichkeit waren üblich, und die pflegten, hier im liberalen Süden, auch von denen nicht unterbrochen zu werden, die anderer Meinung waren, und erst recht nicht von jenen, die offiziell und uniformiert eine andere Meinung zur Schau zu tragen hatten! Denn mit den Gaúchos wollte sich, um Gottes Willen, niemand anlegen – die waren „Fleischfresser“ und schon deshalb viel aggressiver als andere Landsleute!
Konkret wurde es im Jahr 1884 – fünf Jahre vor der landesweiten Republik – als eine Gruppe von frischgebackenen jungen Gaúcho-Akademikern (doch, inzwischen gab’s die!) von der Universität in São Paulo in die Heimat zurückkehrten und in Porto Alegre die Zeitung „A Federação“ (Die Föderation) gründeten (die übrigens erst 1937 ihre Tore schloss) – schon kurz darauf avancierte sie zum Sprachrohr der Republikaner des ganzen Landes. Ihre Mitglieder gründeten auch republikanische Zentren in der ganzen Provinz, und viele junge Gaúchos, die der späteren Republik Glanz verliehen, wurden in diesen Reihen herangebildet: José Gomes Pinheiro Machado, Júlio de Castilhos, Ernesto Alves, Fernando Abbott, Joaquim Francisco de Assis Brasil, Ramiro Barcelos und Demétrio Ribeiro.
Castilhos war der ihr grösster Doktrinär des republikanischen Ideenguts. Gleich nach dem Sturz der Monarchie (1889) wurde er der erste Staatspräsident. Und er war es auch, der die Constituição Estadual verfasste (1891) – eine Verfassung, die zum grössten Teil von den Doktrinen des französischen Philosophen Auguste Comte inspiriert war. Danach wurde dem ersten Mandatsträger eine quasi diktatorische Macht übertragen, innerhalb der straffen Konzeption einer starken Regierung, mit präsidentialistischem Anstrich. Das Gegenstück zu diesem „Macho-Regime“ war der Parlamentarismus, für den sich Silveira Martins einsetzte, ehemaliger Ratgeber des Imperiums und ein Politiker mit Prestige in Rio Grande. Dieser bemerkenswerte Redner, ehemaliger Chef der Liberalen Partei während der Monarchie, war auch der letzte Präsident der Provinz gewesen. Als Ersatz gründete er nun die Partei der Föderalisten (1892) in Bagé, deren Vorsitz er übernahm. Die neue Partei scharte alle unzufriedenen Liberalen um sich und fing an, das „parlamentarische Regime“ zu propagieren.
Und das gab schon wieder Zoff! Jetzt zwischen den Republikanern der offiziellen Regierungspartei und den Föderalisten, denen unter „liberal“ der Parlamentarismus vorschwebte, keine Oligarchie. 1893 bis 1895 hieben Gaúchos auf Gaúchos ein – der Bürgerkrieg, der als Revolução Federalista in die Geschichte eingegangen ist, kostete 10.000 Menschenleben und wurde auf beiden Seiten mit extremer Grausamkeit geführt, gespickt mit barbarischen Gräueltaten.
Ist es nach soviel Krieg und Draufschlagen noch verwunderlich, dass man den Gaúchos ein unberechenbares Temperament nachsagt, dass sie einen besonders männlichen Ruf geniessen? Dass sie einem Kampf nicht auszuweichen pflegen?