Yamandú Costa: Von Passo Fundo in die Welt in einem Exklusiv-Interview
Kurz vor dem Beginn vom Open Strings Festival 2007 nimmt der “Vorbote der Gewässer“, also Yamandú Costa, an der Radio Sendung “Brasil com S“ vom 19. September 2007 teil, live in einem Exklusiv-Interview, in welchem er seine Geschichte, über seine Liebe der latein-amerikanischen Musik gegenüber und über seine sozialen Sorgen erzählt. Das grosse Interview können Sie hier im Boletim “A Casa dos Taurinos“ im Ganzem lesen
Interview: Tãnia Gabrielli-Pohlmann ©
Deutsche Version: Tânia Gabrielli-Pohlmann & Clemens Maria Pohlmann ©
Link: Yamandú Costa
Link: Open Strings
Tânia Gabrielli-Pohlmann
“Brasil com S” bekommt heute ein Geschenk: der grosse Gitarrist Yamandú Costa, der am 29. September 2007 beim Open Strings Festival ein Konzert geben wird. Guten Abend, Yamandú, und vielen Dank, dass du uns freundlicherweise dieses Interview gibst.
Yamandú Costa
Guten Abend, es ist mir eine Ehre, mit dir zu sprechen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Wie alt bist du jetzt?
Yamandú Costa
Ich bin jetzt 27 Jahre alt.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Siebenundzwanzig Jahre alt und schon eine Autorität in der Musik. Ich merke, immer wenn ich mit anderen Künstlern rede und dich erwähne, dass du von ihnen mit sehr viel Respekt gesehen wirst, inklusiv hier. Wie kamst du dazu, in einer so kurzen Zeit eine so solide Karriere zu bauen, besonders in Brasilien, wo die Instrumental Musik kaum Zugang in den Medien hat?
Yamandú Costa
Also, ich komme aus einer Musiker Familie und die Musik ist in meinem Leben schon seit sehr früh präsent. Mein Vater und meine Mutter hatten eine Musik Gruppe, eine Gruppe für regionale Musik aus meiner Provinz, aus meinem Bundesland, Rio Grande do Sul. Und die Gitarre kam in mein Leben als ich sieben Jahre alt war, durch einen Freund meines Vaters, einem argentinischen Gitarristen, der mich in einem grossen Masse beeinflusste und der bis heute noch meine grosse künstlerische Inspiration ist. Die Musik ist dann immer eine sehr natürliche Sache bei mir zu Hause, deswegen habe ich gar nicht wahrgenommen und weiss ich nicht so genau sagen, wann ich damit angefangen habe. Es war eine sehr natürliche Sache.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Du bis in Passo Fundo geboren, oder? Diese Stadt liegt im Norden des Bundeslandes Rio Grande do Sul, im Süden Brasiliens. Dann hast du angefangen, das Gitarre Spielen zu lernen, zuerst von deinem Vater, Algacir Costa, welcher der Leader der Gruppe “Os Fronteiriços” war, richtig?
Yamandú Costa
Ja, es war genau so…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Und später mit Lúcio Yanel…
Yamandú Costa
Genau. Ich habe in mir viele Einflüsse der argentinischen Musik. In meiner Musik ist die Kultur der argentinischen Musik sehr präsent, nämlich der Grenzen wegen. Meine Stadt hat Grenzen mit Argentinien und Uruguay, deswegen haben wir in unserer Provinz viel Kontakt mit der lateinamerikanischen Musik.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Yamandú, als du sieben Jahre alt warst, also ein siebenjähriger Bube… Ahntest du es schon, dass du weltweit berühmt werden könntest durch die Musik? Was lief in deinem Kopf damals?
Yamandú Costa
(Lachen) Nein… Das war das Ergebnis meiner Arbeit. Aber damals war es eigentlich sogar nicht so wichtig, weil ich ein Kind war. Ich sage immer, dass ich einfach das Video Game durch die Gitarre ersetzt habe, das heisst dann, dass das Musik machen war für immer ein grosser Spass… Deswegen… dachte ich nicht darüber nach. Das war immer eine sehr naive Sache, wirklich natürlich, der Kontakt mit dem Musikinstrument.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Man kann sagen, du bist schon mit einer Gitarre geboren, oder? Du “kamst” schon mit ihr..
Yamandú Costa
Ja, es war ungefähr so…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Erzähle ein bisschen über den Verlauf deiner Karriere, besonders ab deinem ersten Auftritt in São Paulo…
Yamandú Costa
Also, ich bin das erste Mal nach São Paulo gegangen als ich 17 Jahre alt war. Ich bin dahin gegangen, um mit Borghettinho (Renato Borghetti, Ziehharmonika Spieler auch aus Rio Grande do Sul) zu spielen. Er hat mich eingeladen, und dort habe ich das Team vom Tom Brasil kennen gelernt, der damals ein Projekt hatte mit der Produktion von “Brasil Musical”. Ab diesem Moment dann habe ich Musiker und so weiter kennen gelernt, und ich bin dann häufiger nach São Paulo gegangen. Ein bisschen später bin ich nach São Paulo umgezogen, als ich noch 17 war. Kurz danach bekam ich den Prêmio Visa, was von grosser Bedeutung in meiner Karriere ist, weil er ein sehr begehrter Preis in Brasilien ist und ich hatte das Glück, mit diesem Preis ausgezeichnet zu werden. Anschliessend bekam meine Karriere eine grössere Dimension.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Du hast schon die Bühne mit “Grossen” unserer Musik geteilt, nicht wahr? Auf deiner DVD zum Beispiel habe ich dich auf der Bühne mit Baden Powell gesehen, und da drauf sahst du noch sehr sehr jung aus. Wie alt warst du damals?
Yamandú Costa
Ja… Ich war 15 Jahre alt. Das war in Porto Alegre. Ich wurde eingeladen für die Eröffnung einer Show von Baden Powell, der gerade wieder aus Europa zurückkehrte. Es war im Jahr 1996. Er hat viele Jahre in Deutschland und in Frankreich gewohnt und ich hatte die Ehre, ihn kennen zu lernen und mit ihm in diesem Konzert zu spielen. Da haben wir viele Informationen ausgetauscht und ich habe von ihm eine Menge gelernt in der so kurzen Zeit miteinander. Einer der grössten Ehren meines Lebens war es, eine Bühne mit Baden Powell teilen zu dürfen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Das kann ich mir vorstellen! Baden Powell ist in Deutschland und Europa sehr respektiert und bekannt…
Yamandú Costa
Eben… Er hatte auch da eine sehr schöne Karriere, hat schöne Platten aufgenommen… Er ist unsere Autorität in dem Bereich brasilianischer Gitarre… Ein Kerl, der es geschafft hat, unser Land und unsere Kultur in einer sehr schönen Art und Weise zu zeigen, mit einer sehr starken Persönlichkeit, in einer Zeit, in welcher es nicht so gewöhnlich war… Baden Powell ist bis heute unsere grosse Referenz in Gitarre und in Komposition. Er war nicht nur ein grosser Gitarrist, sondern auch noch ein grosser Lieder-Komponist, eine Figur, die uns Afro-Sambas hinterlassen hat, also eine so wichtige Bewegung in der Welt der brasilianischen Musik. Baden Powell hatte immer eine sehr grosse Tiefe, sehr schön…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
In anderen Ländern hast du auch schon Konzerte gegeben… Wie nimmst du die Unterschiede in den Reaktionen des Publikums an verschiedenen Orten wahr?
Yamandú Costa
Grundsätzlich ist es sehr interessant. Das deutsche Publikum zum Beispiel ist sehr unterschiedlich in Vergleich zum brasilianischen Publikum. Der Applaus der Deutschen ist viel ausdauernder, ehrlicher. Die Menschen haben den Sinn für Kritik stärker entwickelt. In Brasilien ist es ein Fest… Es hängt aber auch von der Stadt in Brasilien ab. In Rio de Janeiro ist ein Fest: die Leute schreien… In São Paulo ist das Publikum schon ein bisschen zurückhaltender, aber… Hermeto sagt immer, also Hermeto Pascoal, sagt immer, dass jedes und alles Publikum ist eigentlich das Selbe; das Wichtige ist, was du zu sagen hast, dein tieferer Sinn. Daher glaube ich, das ist das Relevanteste.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Der Musiker und Veranstalter vom Open Strings Festival Peter Finger hat mir erzählt, dass du in Osnabrück eine CD aufnehmen wirst. Wirst du mit Peter Finger spielen oder geht es um eine Solo CD? Was ist für diese CD vorzusehen?
Yamandú Costa
Tja… Ich habe schon viele Platten, inklusiv die “Ida e Volta” wurde in Belgien aufgenommen, eine andere wurde in Japan aufgenommen und auch dort ausgeliefert, aber ich habe bisher keine Solo CD, mit Solo Gitarre meine ich. Ich habe Platten mit Formationen, mit Trios, auf der DVD bin ich auch mit einer grösseren Formation zu sehen, aber diese wird meine erste echte Solo CD sein, das heisst dann, diese ist für mich eine sehr besondere CD, auch weil sie in Deutschland aufgenommen wird, was für mich eine Ehre ist. Deutschland ist ein Land, wo es eine grosse Zärtlichkeit der Gitarre gegenüber gibt. Ich glaube sogar, dass es das Land ist, wo die Gitarre am Intensivsten beliebt ist auf der Welt ist. Es wird ein sehr besonderer Moment. Die meisten Stücke sind eigene Kompositionen, die für diese Gelegenheit aufbewahrt wurden, von daher kannst du dir vorstellen, wie diese ganze Geschichte für mich wichtig ist… Ich bin damit sehr zufrieden und glücklich.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Das kann ich mir vorstellen. Und Peter wird uns wieder eine CD für eine Welt-Uraufführung geben müssen. Ich will die Erste sein, die diese CD im Radio spielt. Peter wird es mir versprechen müssen…
Yamandú Costa
(Lachen)… Aber er wird mit mir nicht spielen. Ich werde die CD bei seinem Label produzieren lassen. (Acoustic Music)…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Ja, aber ich bringe ihn dazu, hier ins Studio von osradio 104,8 zu kommen und er wird deine CD bei mir präsentieren müssen… Er kommt hin und wieder zu unseren Sendungen…
Clemens Maria Pohlmann
Es wird dann die 2. Welt-Uraufführung in einer unseren Sendungen sein, wie diejenige mit Beda, dem österreichischen Gitarristen, der den Nachwuchs Wettbewerb beim Open Strings Festival 2005 gewonnen hat.
Yamandú Costa
O, toll, schön! Wir drücken die Daumen dafür!
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Peter Finger ist ein Künstler, dem wir viel Zärtlichkeit gegenüber haben… Und beim Open Strings Festival, was werden wir geniessen können?
Yamandú Costa
Ungefähr das Gleiche, was ich auf der CD aufnehmen werde: ein paar neue Stücke, und andere sind schon aufgenommen und die ich schon seit langem spiele, aber der grösste Teil besteht aus eigenen Kompositionen. Ein wirklich ganz eigenes Repertoire. Das finde ich wesentlich, weil mein Konzept für die Gitarre ist eigentlich eine lateinamerikanische Gitarre… Eigentlich mehr in der Richtung als brasilianisch… Mein Wunsch, mein Traum ist eigentlich diese sogenannten Schulen (Richtungen) – die Gitarre Argentiniens, Uruguays mit der brasilianischen Gitarre zu vereinigen, weil sie sehr unterschiedlich zwischeneinander sind und meiner Meinung nach ergänzen sie sich sehr gut. Da ich aus der Grenzregion komme, daher glaube ich, ich kann diese Richtungen ganz nah einander bringen. Das ist ungefähr meine Absicht.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Was für eine Herausforderung! Man merkt aber solche Betonung in deiner Arbeit…
Yamandú Costa
Das ist sehr stark…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Und Brasilien hat diese Eigenschaft, Kulturen zu vereinigen, nicht wahr?
Yamandú Costa
Ich halte es für super und sehr wichtig…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Auf deiner CD “Yamandú ao Vivo” gibt es auch eigene Kompositionen, ausser der Partnerschaft mit Rogério Souza, Kompositionen von Baden Powell, Caetano Veloso, Dilermano Reis, und es gibt einen Name, der uns sogar berührt, wenn man ihn hört, besonders wenn man im Ausland lebt. Auf der DVD habe ich auch deine Liebe zu diesem Mensch auch gemerkt… Ich meine Radamés Gnatalli…
Yamandú Costa
Bestimmt… Radamés Gnatalli ist einer der grossen Komponisten Brasiliens, sowohl der klassischen als auch der populäre Musik, wie es Villa-Lobos auch war, daher ist Radamés echt wichtig. Wie wir alle wissen hat er ein super schönes Werk für Gitarre hinterlassen und war ein grosser Komponist für Klassik, ein sehr wichtiger Name in Brasilien, in der Tradition der brasilianischen Musik in den fünfziger Jahren, daher es ist mir eine grosse Ehre, an ihn zu erinnern, auch weil er einer unserer grössten Maestros war. Ich bin ein Liebhaber seines Werkes.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Leider kamen wir zu spät dazu, sein Werk zu schätzen, besonders in der Achse Rio-São Paulo, nicht wahr?
Yamandú Costa
Das stimmt… Er arbeitete mehr als Arrangeur bei Rádio Nacional, war ein Mensch zu Beginn des Jahrhunderts und war immer hinter den Kulissen, ist immer im Bereich der Produktion geblieben. Aber er hat uns ein sehr besonderes und reiches Werk hinterlassen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Insgesamt, wie viele CDs und DVDs hast du veröffentlicht?
Yamandú Costa
DVD habe ich nur eine. CDs habe ich acht, weil ich vor Kurzen eine CD zusammen mit Dominguinhos ausgeliefert habe. Dann kommt die CD, die ich bei Acoustic Music aufnehmen werde, und welche mir sehr besonders sein wird, weil sie Solo-CD ist. Ich bin sehr begeistert davon.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
O, Yamandú, die Zeit ist viel zu schnell vergangen und die Sendung nähert sich ihrem Ende… Also, wie in jedem meiner Interviews, beende ich auch dieses mit folgender Frage: Welche ist die soziale Rolle des Künstlers, besonders eines brasilianischen Künstlers, deiner Meinung nach?
Yamandú Costa
Also, die soziale Rolle des brasilianischen Künstlers ist wesentlich, in einem so grossen Land mit so vielen sozialen Schwierigkeiten. Die Rolle der Musikausbildung in Brasilien ist auch etwas noch sehr improvisiert. Die Menschen haben keine reellen Chancen, Musik zu studieren. Es ist nicht wie in Deutschland, wo es in jeder Provinz eine Universität gibt, wo es Zugang dazu gibt. Man ist hier dabei sehr intensiv dafür zu kämpfen, um die Musik als Fach in der Grundbildung durchzusetzen. Man macht, was man kann. Ich spende ich immer wieder Musikinstrumente an junge Menschen, die mit dem Spielen anfangen wollen. Ich habe noch vor, eine super günstige sieben Saiten Gitarre zu entwerfen, also das ist die Art Gitarre, wie ich sie selber spiele. Ich werde es versuchen, diese Art Gitarre auf dem Markt zu bringen, aber in einer zugänglicheren und einfacheren Art und Weise. Also, man trägt dazu bei, wie man kann, aber weisst du, wie das Leben mit seiner Hektik ist… Alle sind immer hart am Arbeiten, dann ist es ziemlich kompliziert, etwas Direkteres zu tun. Andererseits gibt es sehr schöne sozial Projekte, hier in Rio, in den Slums, also… In Bahia gibt es Olodum, mit sehr seriösen und interessanten Projekten… Aber ich habe es vor, mich etwas direkterer und effektiverer darin zu involvieren und engagieren. Das ist ohne Zweifel eines meiner Pläne.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Ich möchte mich wirklich sehr herzlich für dieses Interview bedanken. Ich wünsche dir, dass du eine sehr gute Reise hier nach Deutschland hast. Wir warten auf dich schon und ich hoffe, du hast viel Spass beim Open Strings Festival, wo wir uns sehen werden…
Yamandú Costa
Super… Ohne Zweifel, es ist eine Ehre, daran teilnehmen zu dürfen. Ich gebe von hier aus meine Umarmung an dieses Land, welches mich immer mit viel Zärtlichkeit empfangen hat. Ich glaube, wie die wesentlichen Unterschiede der Kultur Brasiliens und der Kultur Deutschlands sich beiderseits bereichern und vereinigen, von daher kann man dabei schöne Momente zusammen erleben… Ich möchte meine Zärtlichkeit diesem Land gegenüber ausdrücken, diesem Land, welches ich so gerne mag, wo auch das Essen so gut ist, wo die Frauen so schön sind, und wo die Musik einen sehr historischen musikalischen Wert hat, der so wichtig für die Menschheit ist. Und dazu noch, dort spielen zu dürfen und eine CD aufzunehmen, ausserdem mit euch beiden zu sein, was mir auch eine grosse Ehre sein wird. Vielen Dank für deine Einladung zu diesem Interview.