Kurzlegenden aus Brasilien

Zuletzt bearbeitet: 22. Februar 2013

Die nachfolgenden Kurzlegenden aus Brasilien handeln u.a. von einer Spukerscheinung, den Cairara-Indios, einem Wilden Biest, einer Prinzessin vom See, einem Alten vom Strand, der Legende vom Uirapurú und vom Mavutsinim – dem ersten Mann.

Anhangá

Anhanga ist eine gefürchtete Spukerscheinung, ein ruheloser, vagabundierender Geist, dem die Aufgabe zufällt, die Tiere des Waldes zu beschützen. Er tritt in Erscheinung als weisser Hirsch, mit feurigen Augen. Wenn ein Jäger ein Muttertier verfolgt, das seine Jungen umsorgen muss, läuft er Gefahr, vom Anhangá angegriffen zu werden.

Cairara

Im Stamm der Bororo gab es einst einen sehr weisen Schamanen. Er war immer traurig, wegen seines gewaltigen Körperumfangs – und deshalb nannten ihn alle “Cairara“. Eines Tages entdeckte er ein Kraut, welches die Affen frassen, um damit ihre Körper wohlgestaltet und agil zu halten. Also braute er sich einen Tee aus diesen Blättern, um auszuprobieren, ob er wohl so wohlgestaltet und agil wie die Affen würde.

Sieben Tage lang trank er von dem Gebräu – und siehe da, seine Haare fingen an zu wachsen, sein Hängebauch schrumpfte ein, das Volumen seiner feisten Oberschenkel ging zurück – er magerte sichtbar ab und näherte sich binnen kurzer Zeit seiner Idealfigur – als er bemerkte, dass ihm ein Schwanz zu wachsen begann. Längst hatte er aufgehört, mit dem Teetrinken, aber seine Transformation ging weiter.

Heute versteht man unter dem “Cairara“ einen feingliedrigen, mageren Primaten, intelligent und erfinderisch, der im Regenwald Amazoniens lebt.

Cidade encantada

Im Bundesstaat Maranhão, am Unterlauf des Rio Gurupi, ragt ein riesiger schwarzer Felsen in den Himmel. Wer nachts mit einem Boot unterwegs ist, umfährt diesen Felsen in weitem Bogen. In seinem Innern existiert eine grosse Höhle. Und man erzählt sich, dass in uralter Zeit eine Stadt an diesem Ort gestanden hat – bis das Meer sie überspülte – nur die Spitze des Felsens war noch zu sehen. Fährt man des Nachts an ihm vorbei – auch wenn man vorsichtigerweise stets gebührenden Abstand hält – so kann man Töne von verschiedenen Musikinstrumenten und manchmal auch Glockengeläut vernehmen, das vom Felsen herüber weht. Es kommt aus der verzauberten Stadt.

Besta Fera

Das “Wilde Biest” (Besta Fera ) ist ein Wesen, halb Mensch und halb Pferd, das in Neumondnächten durch die Strassen abgelegener Siedlungen galoppiert. Seine Präsenz ist furchteinflössend, und niemand hat sich je erdreistet, die Tür zu öffnen und auf die Strasse zu gehen, wenn diese Spukgestalt unter haaresträubendem Schnauben und Gebrüll vorbeiprescht. Der Klang ihrer Hufe auf dem Pflaster lässt auch den mutigsten der Männer erzittern und das Kreuz schlagen. Hinter der Bestie her rennen Dutzende von Strassenkötern, die einen infernalen Lärm verursachen. Wenn einer der Bestie zu nahe kommt, wird er gnadenlos von einem Huftritt zermalmt. (Eine populäre Legende aus dem Nordosten Brasiliens).

Die Prinzessin vom See

Hinter dem Strand von “Maiandêua“, im Munizip von Maracanã (Bundesstaat Pará), gibt es einen See mit kristallklarem Wasser, in dem eine blonde Prinzessin wohnt – und die sie gesehen haben, suchen nach Worten, um ihre unvergleichliche Schönheit zu beschreiben. Sie erscheint jede Nacht in einem hübschen weissen Kleid am Ufer des Sees – dort wandert sie ein bisschen auf und ab, um plötzlich wieder zu verschwinden.

Der Alte vom Strand

Man erzählt sich, dass es in einem Häuschen, am südlichen Zipfel des Maracanã-Strandes (im Bundesstaat Pará), spukt – es gehört anscheinend einem alten Mann mit langem, weissem Bart, der in alter, zerschlissener Kleidung und auf einen dicken Stab gestützt, manchmal auftaucht, um eventuelle Eindringlinge aus dem Haus zu verjagen – und dann verschwindet er wieder im Meer.

Die Vitória-Régia

victoria amazonicaDie Schamanen der Tupi-Guarani erzählten, dass der Mond, nachdem er hinter den Bergen untergegangen war, sich während des Tages mit seinen bevorzugten Jungfrauen vergnügte. Und sie versicherten, dass der Mond, wenn er Gefallen an einem jungen Mädchen fand, sie in einen Stern am Himmel verwandelte.

Naiá, die Tochter eines Häuptlings und Prinzessin ihres Stammes, war von dieser Geschichte so beeindruckt, dass sie sich in einer mondhellen Nacht, als alle schliefen, auf einen Hügel vor ihrem Dorf begab, damit der wandelnde Mond sie sehen könnte – denn sie wollte in einen Stern verwandelt werden.

Sie tat das eine Weile, in allen folgenden, mondhellen Nächten. Aber es schien ihr, als ob der Mond sich nicht bemerkte – auch auf ihr trauriges Schluchzen reagierte er nicht. Dann erblickte sie in einer solchen Nacht plötzlich die grosse, goldene Scheibe des Mondes vor sich im Wasser des Sees – es war nur eine Spiegelung, aber das arme Geschöpf dachte, der Mond sein nun gekommen, um sie zu holen – stürzte sich in den See und ertrank.

Und der Mond erbarmte sich ihrer. Da er sie nicht zu den Sternen am Himmel holen konnte, verwandelte er sie in einen “Stern des Wassers“ – den die Menschen “Victoria Regia“, die Prinzessin der Pflanzen – nannten. Sie besitzt einen himmlischen Duft und ihre schneeweissen Blütenblätter öffnen sich nur des Nachts, um dankbar das Licht des Mondes zu reflektieren.

Die Legende vom Uirapurú

Es war einmal ein junger Indianer, nicht besonders wohlgestaltet, aber trotzdem bewundert und begehrt von allen Mädchen seines Stammes, denn er konnte Flöte spielen, wie kein anderer weit und breit. Und sie nannten ihn nur noch “Catuboré“ (das heisst: verzauberte Flöte). Unter den Jungfrauen gelang es der schönen Mainá, seine Liebe zu wecken – und sie wollten bald darauf heiraten. Kurz vor dem Tag der Hochzeit begab sich Catuboré zum Fischen – und kehrte nicht mehr zurück.

Das ganze Dorf begab sich auf die Suche nach ihm – und sie fanden ihn schliesslich im Schatten eines Baumes, schon ohne Leben, Opfer eines Schlangenbisses. Sie begruben ihn dortselbst, unter dem Baum. Mainá war untröstlich – tagelang weinte sie in tiefer Trauer um ihren Geliebten. Catuborés Seele spürte den Schmerz seiner Braut – und da er keine Ruhe finden konnte, wandte er sich an Gottvater Tupã. Dieser verwandelte die Seele des jungen Mannes in einen kleinen Vogel – nicht besonders wohlgestaltet, aber mit einer herrlichen Stimme, die wie eine Flöte klingt – um Mainás Seele zu erfreuen. Als der kleine Vogel seine zauberhafte Flötenstimme zum ersten Mal vernehmen liess, kam es den Dorfbewohnern so vor, als ob Catuboré zurück gekommen sei, um sie alle mit seinem Spiel zu beglücken – „Wirapu-rú“ (Flöte bewegt Seele) murmelten sie andächtig und lauschten den süssen Flötentönen.

Der seltene kleine, unscheinbare “Uirapurú“ (Cyphorhinus aradus), der zum Symbol der Liebe in Amazonien geworden ist, fesselt bis heute die Aufmerksamkeit eines jeden, der ihn hört – und sogar die Vögel schweigen still, wenn seine Flötentöne durch die Wipfel des Waldes schweben. “Die anderen Vögel sind neidisch“, sagen die Indios, “denn gegen seine göttliche Stimme ist die der andern nur Gekrächze“!

Mavutsinim – der erste Mann

Dies ist eine Legende der Kamaiurá-Indios, die heute im “Parque Nacional do Xingu“ leben – ein alter Schamane dieses Volkes hat sie uns erzählt:

“Am Anfang der Menschheit gab es nur “Mavutsinim“. Niemand lebte mit oder bei ihm. Er hatte keine Frau. Hatte auch keinen Sohn – nicht mal Verwandte hatte er. Er war ganz allein. Eines Tages machte er sich eine Frau aus einer Muschel – und heiratete sie. Als ihr Kind geboren wurde fragte Mavutsinim seine Frau: “Ist es ein Mann oder eine Frau“? “Ein Mann“! “Dann nehme ich ihn mit mir“ – und er ging fort mit dem Kind. Die Mutter weinte und kehrte zum Fluss zurück, aus dem sie gekommen war – und wurde wieder zur Muschel. “Wir sind“, so sagen die Kamaiurá, “alle Nachfahren des Sohns von Mavutsinim“!

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