Wie der Mond erschien

Zuletzt bearbeitet: 19. Dezember 2012

Am Anfang lebte der Mond auf der Erde (Mond = Lua, ist im Portugiesischen weiblich), unter dem Namen “Capéi“. Ein Mädchen von so weisser Haut, wie aus dem Schaum eines Wasserfalls geschaffen. Es verbrachte die Tage tief im Innern des Waldes, wo es die Lichter der Leuchtkäfer anzündete, oder am Rand von Seen und Lagunen, auf die es glitzernde Reflexe verstreute.

gauchlegenden2Die Menschen nannnten sie einfach “Capéi“ aber wussten kaum etwas über sie. Sie jedoch, hatte grossen Einfluss auf die Natur rundherum. Nur Wenigen war damals bekannt, dass sie die Gezeiten der Ozeane regulierte, die Keimung der Pflanzen beeinflussen konnte, bestimmten Steinen Glanz verleihen, die Menstruation der Frauen und die Geburt von Mensch und Tier unter Kontrolle hatte. Nur die Indianer waren sich dieser Dinge bewusst – also konsultierten sie “Capéi“, bevor sie das Holz für einen Bogen schnitten, bevor sie ein neues Feld anlegten oder sich auf die Jagd begaben. Auch ihre Medizinmänner sprachen mit ihr, bevor sie einem Kranken ein Kraut verabreichten oder um ihrem Volk die Dinge voraus zu sagen, die sich ereignen würden. Sie alle suchten sie auf in ihrem Versteck im Innern des Waldes.

Aber dieses Leben im Wald begann Capéi zu langweilen, und es nahm dann ein ganz plötzliches Ende, als sie sich mit einem gewissen Medizinmann der Nachbarschaft überwarf. Voller Bitterkeit entschloss sie sich, die Menschheit ihrem Schicksal zu überlassen, ihre Geschwister von Gottes Gnaden, um in den Himmel aufzusteigen auf der Suche nach einem besseren Leben. Und das liess sie sich nun nicht mehr ausreden.

Von nun an widmete sie sich nur noch dem Schneiden von Lianen, die überall von den Bäumen hingen. Daraus flocht sie sich eine riesige Leiter, deren Stufen sie im Abstand von zwei Handbreit mit einem Stück Holz verstärkte. Nachdem sie mit dieser Arbeit fertig war, begab sie sich zu einer Baumhöhle und weckte den Vogel auf, welcher dort den Tag zu verschlafen pflegte, um sich während der Nacht seiner Jagd auf Mäuse und Frösche zu widmen:

“Freundin Eule“, rief sie hinein, “würdest du mir wohl einen Gefallen tun“? Capéi bat sie, hinauf zur Himmelstür zu fliegen und dort die Spitze der Leiter festzuhalten. Die Eule war ihr gern zu Diensten – alsogleich machte sie sich mit dem einen Ende der Leiter in ihren kräftigen Krallen auf den Weg nach oben. Und Capéi stieg hinauf in die blaue Endlosigkeit – ohne auch nur einmal auf den vielen Gold umrandeten Wolken zu verschnaufen, die sie unterwegs traf. Und schliesslich oben, wies sie ihren Töchtern, den Sternen, ihre Plätze am Firmament an. Seither ist sie dort oben geblieben, um die Abgründe der Nacht und ihren Geschwistern auf der Erde den Heimweg zu beleuchten.

Nach Afonso Schmidt aus “Lendas Brasileiras“
Überarbeitet von Klaus D. Günther für BrasilienPortal
Zeichnung © Edgar Koetz

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