Marina Silva über Rio+20

Zuletzt bearbeitet: 29. Oktober 2013

In den fast 30 Jahren ihres öffentlichen Lebens wurde Marina Silva im In- und Ausland besondere Anerkennung durch Verteidigung der Ethik, der Wertschätzung natürlicher Ressourcen und der nachhaltigen Entwicklung zuteil. Hier sind ein paar Beispiele ihrer Meinung zu der Umwelt-Konferenz “Rio+20“:

Unsere Zukunft gehört den nächsten Generationen

Menschen aus aller Welt versammeln sich in Brasilien, um sich mit der Umwelt und der nachhaltigen Entwicklung zu beschäftigen. Führungspersönlichkeiten aus 193 Ländern waren vom 20. bis 25. Juni in Rio de Janeiro, um dieses zweifache Thema zu diskutieren. Vom 13. bis 23. Juni fand ein Event internationaler Zivilorganisationen unter der Bezeichnung “Cúpula dos Povos“ (Gipfel der Völker) statt, mit den gleichen Zielen, aber unter einer anderen Perspektive. Die Zusammenfassung beider Veranstaltungen lief unter der Bezeichnung “Rio+20“.

Dieser Name hat historische Bedeutung. Genau 20 Jahre ist es her, seit jener UNO-Konferenz für Umwelt und Entwicklung, die ebenfalls in Rio stattfand – im Jahr 1992. Zu jenem Anlass, der ebenfalls Vertreter aus mehr als 190 Ländern zusammenführte, hat man eine Diagnose der ambientalen Zustände unseres Planeten erstellt, betreffend seiner multiplen Nutzung durch die Menschheit zur wirtschaftlichen Produktion, zum Wohnen, zur Unterhaltung, zur Bewegung auf kurzen, mittleren und weiten Entfernungen etc. Diese Diagnose war nicht positiv. Und die Empfehlung war klar: Veränderung des unhaltbaren Entwicklungsmodells des Planeten, gegen das es bereits verschiedene Alarmsignale gab.

Viele Menschen zeigten sich besorgt durch das, was ihnen präsentiert wurde. Die UNO schuf Konventionen, die sich mit speziellen Ambiente- und Entwicklungs-Themen befassten – wie Klima, Biodiversifikation, Versteppung und Verwüstung – so entstand die “Agenda 21“ (ein entwicklungs- und umweltpolitisches Aktionsprogramm für das 21. Jahrhundert), nach der den erarbeiteten Empfehlungen global entsprochen werden sollte. Dahinter stand die erklärte Absicht zu verhindern, dass neue Fronten ambientaler Zerstörung auftreten und die Risiken zu mindern, welche sich aus dem Nutzungsprozess der natürlichen Ressourcen für das Wohl der Menschheit ergeben. Auch die zivile Gesellschaft organisierte sich und trat zum Dialog zusammen, übte Druck aus und mobilisierte sich zur Verteidigung der Nachhaltigkeit, wie zum Beispiel die Erarbeitung der “Erd-Charta“ (stellt eine Deklaration grundlegender ethischer Prinzipien für eine nachhaltige Entwicklung im globalen Massstab dar und soll als völkerrechtlich verbindlicher Vertrag von der internationalen Staatengemeinschaft ratifiziert werden).

Der Moment ist gekommen, der Diagnose endlich Taten folgen zu lassen – neue Vereinbarungen für die Zukunft zu treffen. Das ist die Aufgabe der “Rio+20“.

Unser gegenwärtiges Entwicklungsmodell hat die Kapazität zur Schaffung materiellen Reichtums durch die Nutzung der Biodiversifikation unseres Planeten erweitert, hat jedoch auch die materiellen Unterschiede zwischen den Menschen vergrössert. Die bedeutendsten Folgen dieses Modells waren, auf der einen Seite, die Unmöglichkeit einer Erreichung sozialer und politischer Gleichheit unter den Menschen und, auf der andern, eine Ausbeutung des Planeten, die um 30% höher liegt als seine Kapazität zur Regenerierung der natürlichen Basis.

Das Arbeitsprogramm der Rio+20 befasst sich mit der “grünen Wirtschaft“ im Zusammenhang mit der Armut und der nachhaltigen Entwicklung. Gruppen aus verschiedenen Ländern und Wissenschaftler haben Einwendungen gegen die “grüne Wirtschaft“ als zentrales Thema. Man befürchtet, dass daraus eine Veränderung entsteht, die alles so belässt, wie es ist. Man befürchtet, dass anstelle eines Treffens zwischen Ökologie und Ökonomie, lediglich eine weitere wirtschaftliche Nische zur Preisgestaltung der Natur geschaffen wird, einer Verhökerung von Werten, die nicht kommerzialisiert werden dürfen. Ausserdem befürchtet man, dass wiederum die zukünftigen Generationen nicht berücksichtigt werden, denn noch sind sie nicht zugegen, um sich Gehör zu verschaffen, zu wählen und ihre eigene Verteidigung zu übernehmen. Nur eine starke Mobilisierung der Gesellschaften kann erreichen, dass dieses Zusammentreffen sich tatsächlich einer historischen Fussnote in unserer und der Zukunft der nächsten Generationen wert erweisen wird.

Quelle: Artikel von Marina Silva, publiziert in der Ausgabe des Magazins “Ultimato“, 336 (Mai-Juni 2012).

Multilateralismus in ambientalen Fragen hat durch das negative Ergebnis der Rio+20 grössten Schaden genommen

Die Ex-Ministerin für Umwelt und Aktivistin Marina Silva, die gegenwärtig das “Institut Marina Silva“ leitet und am “Instituto Democracia e Sustentabilidade“ (Institut für Demokratie und Nachhaltigkeit) mitarbeitet, war am Freitag (22.Juni) im “Riocentro“ während der Gründung der “União Global pela Sustentabilidade (UGS)“ und nahm die Gelegenheit war, ihre Botschaft bezüglich der enttäuschenden Ergebnisse der “Rio+20“ zu hinterlassen. Sie beglückwünschte alle Mitglieder der UGS und sagte, dass Initiativen wie diese sie weiterhin mit Hoffnung erfüllten.

Agência Brasil - ABr - Empresa Brasil de Comunicação - EBC“Wir haben gerade ein grosses Treffen der Länder hinter uns, aber leider ist das Ergebnis dieses Events weit von den tatsächlichen Bedürfnissen unseres Planeten entfernt. Ich sehe uns vor einer Art Regierungs-Vakuum in Bezug auf jemanden, der die Führung zur Sicherheit des Planeten und die Lösungen zur globalen Krise der Umwelt aktiv übernehmen würde. Es tut mir leid, dass die Verantwortung für die Anstrengungen zur Veränderung dessen, was mit unserem Planeten geschieht, nun auf die Gesellschaft übertragen worden ist. Das aus der “Rio+20“ resultierende Dokument, von den sozio-ambientalen Organisationen heftig kritisiert, enthält allgemeine Ziele der nachhaltigen Entwicklung – aber ohne Mechanismen zur Finanzierung und ohne eine starke Führung dahinter“, kritisiert Marina.

Marina hebt hervor, dass der grösste Verlust dieses Treffens möglicherweise dem Prinzip des Multilateralismus zur globalen Lösung des ambientalen Problems zugefügt wurde. “Bisher hatte man immer gesagt, dass die Anstrengungen multilateral zu koordinieren seien, mit Instrumenten, die Antworten für das schwere Problem des Planeten schaffen würden, aber unter Mitarbeit aller Länder – und jetzt, mit dieser Idee der allgemeinen Ziele zur nachhaltigen Entwicklung, wird jeder wieder nur das tun, was er eben kann, ohne seine eingefahrenen Möglichkeiten zu kompromittieren. Also liegt eine sehr grosse Verantwortung nun bei der Gesellschaft“.

Für Marina bedeutet dies alles eine Verschiebung der Verantwortung auf die Gesellschaft, so als ob die Regierenden sagen würden: Wir haben entschieden, alles noch einmal aufzuschieben, und ihr Unternehmer, Akademiker, Bürger dieser Welt, tut nun etwas!

“Meiner Meinung nach befinden wir uns in der Gegenrichtung eines viel zu lange währenden Übergangs, und unser Planet gibt uns dafür nicht mehr die nötige Zeit. Wir befinden uns bereits zu 50% im roten Bereich oder vor einer abrupten Katastrophe, denn ein Entwicklungsmodell kann man nicht über Nacht ändern“.

Jedoch zeigte sich Marina auch zuversichtlich, dass es möglich sei, Veränderungen in den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Profilen einzuleiten, indem man die Nachhaltigkeit nicht nur als eine Tätigkeit sondern eine Art zu sein versteht – als ein Lebensideal.

“Wenn die Gesellschaft das „Warum“ dieser Veränderung absorbiert, dann wird sich das in ihren Unternehmen, in ihren Schulen auswirken“.
Als Optimistin, trotz ihrer Frustration hinsichtlich der von der brasilianischen Regierung eingeschlagenen Politik der letzten Jahre, glaubt Marina an die Möglichkeit einer Durchsetzung dieser Veränderung.

“Die Menschen sind hier, weil sie Autoren und Co-Autoren dieser möglichen Welt sein wollen, für die wir uns entschieden haben. Die Idee jener Prophezeiungen einer neuen Zeit, die durch den Menschen selbst zerstört werden wird, ist eine Warnung – und nicht umsonst – denn, wenn wir die Macht haben, den Planeten zu zerstören, dann haben wir auch die Macht, ihn zu erhalten“. “Dieses Vorrecht liegt bei uns – also sollten wir es nutzen”, beschliesst Marina Silva ihren Vortrag und erhält grossen Applaus aus dem Publikum.

Hilferuf abgelehnt

“Trotz meiner noch etwas verschleierten Sicht durch die Nähe der Fakten, riskiere ich anzudeuten, was aus diesem Treffen “Rio+20“ zu 100% erfolgreich hervorgegangen ist: Das waren die von den US-amerikanischen Repräsentanten offen verteidigten – und von Indien, China und Russland übernommenen – Positionen einer Weigerung, ihre Interessen multilateralen Entscheidungen unterzuordnen. Damit wurde eine der besten bisher gefundenen Formen zur Lösungsfindung für die schwere ambientale Krise, die unseren Planten bedroht, abgeschmettert.

Europa, das während der vergangenen zwanzig Jahre politisch und operationell die These eines vorrangigen Multilateralismus zusammen mit einer Gruppe von Ländern vertrat – unter ihnen auch Brasilien – hat diesen Kurs in Rio beibehalten, aber gleichzeitig der diplomatischen Bürokratie die Rolle übertragen, ihm das unverzichtbare Siegel der Aktion zu nehmen.

Brasilien seinerseits verzichtete auf jedweden Wagemut und entzog sich der Verlegenheit mittels einer konservativen Position beim Reden und beim Handeln. Das verabschiedete “schmerzstillende“ Dokument war ein schwerer Schlag für den Multilateralismus, denn es attestiert ihm die Inkompetenz als Verhandlungsbasis. Es wird nicht an Versuchen fehlen, den Untergang des Multilateralismus zu vertreten, um die ambientale Krise zu lösen. Die absolut lächerlichen Resultate der offiziellen Agenda dieser beklagenswerten “Rio-20“ erklären sich aus einem Gewebe wirtschaftlicher Interessen und politischer Intrigen, an dem seit der “Rio 92“ unablässig gesponnen wurde, damit es von keinerlei Veränderung betroffen oder seine geopolitische Hegemonie bedroht würde.

Im Jahr 1992 bewegte ein Appell des Mädchens Severn Suzuki an die Staatschefs, ihre ambientalen Kompromisse einzuhalten, die Weltöffentlichkeit. Diesmal war die Neuseeländerin Britanny Trilford ein bisschen schärfer: “Seid Ihr hier um euer Image zu retten oder uns“? Und weiter: “Haltet, was Ihr versprochen habt“! Diese Kritik traf auf völlig unbewegte Gesichter. Ob wohl diese aggressive Denunzierung ihrer Untätigkeit die Anwesenden überhaupt berührt hat?

Die Konferenz hat die zunehmende Distanz zwischen den Völkern und ihren Regierungen deutlich werden lassen. Der Kontrast bestand nicht nur zwischen den schreienden Farben gesellschaftlicher Unterschiede und den Formalitäten des “RioCentro“ (Veranstaltungsort). Es handelt sich dabei vielmehr um eine Loslösung der Gesellschaft, ein Transit der Zivilisation, mit dem die Regierungen nicht Schritt halten. Die begnügen sich mit Zukunfts-Blabla, während sie sich um den Nachlass des vergangenen Jahrhunderts streiten und sich dazu hergeben, die Wächter der Unhaltbarkeit zu sein.

Die grosse Enttäuschung, leider, war die Ablehnung der brasilianischen Regierung, eine innovative Führungsrolle zu übernehmen, für die das Land angesichts seiner sozio-ambientalen Potenz durchaus prädestiniert wäre – gleichzeitig zog sie sich aus ihrer diplomatischen Tradition in der ambientalen Agenda zurück.

Indem sie sich erlaubte, die Hand zu sein, die den Multilateralismus schwächte und die exklusiven Strategien der reichen Länder stärkte, ergab sie sich derselben Logik, die zum internen Rückschritt geführt hat, welcher sich im neuen “Código Florestal“ (Forst-Verordnung) ausdrückt. Den Ländern fehlte die Entschlossenheit – und Brasilien unternahm nichts, um diese Situation umzukehren oder sie infrage zu stellen.

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: AgenciaBrasil

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