Davi Kopenawa Yanomami – Nicht die Weißen haben Brasilien entdeckt!

Zuletzt bearbeitet: 1. Juli 2023

Davi Kopenawa Yanomami (geboren in den 1950er Jahren in Alto Rio Toototobi, Amazonas) ist Schamane und Vertreter der Yanomami-Indigenen in Brasilien. Er kämpft für die Rechte der Indigenen, vor allem für die Sicherung ihrer Landrechte und ist Präsident der Yanomami-Organisation “Hutukara“. Für sein Engagement hat er mehrere internationale Auszeichnungen erhalten.

Davi Yanomami – Foto: Fiona Watson/ Survival International

Es ist lange Zeit her, dass meine Großeltern, die in einem sehr weit abgelegenen Dorf an den Quellen des Rio Tootobi lebten, sich aufmachten, um in der Ebene andere Angehörige ihres Volkes zu besuchen, die entlang des Rio Aracá wohnten.

Und dort begegneten sie den ersten Weißen ihres Lebens. Diese Fremden waren damit beschäftigt, Fasern der Piaçaba-Palmen am Ufer des Flusses zu sammeln.

Während der folgenden Besuche erhielten meine Großeltern ihre ersten Haumesser aus Metall. Diese Geschichte erzählten sie mir viele Male, als ich ein Kind war. In dieser Zeit bekam man weiße nur zu sehen, wenn man sich sehr weit von seinem Dorf entfernte – aber man pflegte sie nicht einfach so, ohne Motiv, zu besuchen. Doch ihre Metallwerkzeuge hatten es den Menschenwesen (so bezeichnen sich die Yanomami selbst) angetan, denn sie besaßen lediglich kleine Stücke aus weichem Metall (gemeint ist Gold), die unser Gott Omâma ihnen dagelassen hatte.

Auf diesen langen Reisen gelang es ihnen dann, ihre kleinen Metallstücke gegen die begehrten Metallwerkzeuge (Axt, Hacke, Spaten etc) einzutauschen – die Weißen zeigten sich überaus interessiert an diesem Tausch, den die Menschenwesen als sehr vorteilhaft für sich selbst einschätzten. Und sie bearbeiteten von nun an ihre Pflanzungen, indem sie die wenigen wertvollen metallenen Werkzeuge untereinander ausliehen. Hatte einer seine Pflanzung angelegt, gab er seinen Spaten an den Nächsten weiter, und so fort. Sogar zwischen dem einen und dem anderen befreundeten Dorf wurden diese Geräte ausgeliehen.

Wegen Streichhölzern, zum Beispiel, machte niemand den weiten Weg zu den Weißen, denn dafür hatten sie ihre eigenen Methoden: Mit dem trockenen Holz des Kakaobaums verstanden sie ein Feuer fast so schnell zu entzünden, wie mit Streichhölzern. Aber zum Beispiel die Töpfe aus Aluminium fanden sie wunderschön und begehrenswert, doch selbst für die lohnte sich der weite Weg nicht: Sie hatten ihre Tontöpfe, um die Jagdbeute darin zu garen. Ja, es war tatsächlich nur wegen der Messer und Äxte, der Spaten und Hacken, weshalb man den langen Weg zu den Weißen unter die Füße nahm.

Sehr viel später, als wir in Maracanä wohnten, mehr zur Quelle des Rio Tootobi hin, besuchten die Weißen unser Dorf zum ersten Mal. Zu dieser Zeit lebten noch alle unsere Ältesten und wir waren sehr zahlreich, daran kann ich mich deutlich erinnern. Ich selbst war ein Kind, aber gerade in dem Alter, in dem man die Dinge wahrnimmt.

Dort wuchs ich auf und entdeckte die Weißen. Niemals vorher hatte ich einen von ihnen gesehen, wusste Garnichts über sie. Hatte nicht einmal daran gedacht, daß sie existierten. Als ich sie dann mit eigenen Augen sah, heulte ich vor Angst. Unsere Erwachsenen hatten sie schon einige Male zu Gesicht bekommen, aber ich – niemals. Dachte es wären Kannibalen-Geister, die uns auffressen würden. Und ich fand sie so fürchterlich hässlich, ausgebleicht und behaart. Sie waren so verschieden von den Menschenwesen, daß sie mich in Schrecken versetzten. Außerdem verstand ich keines ihrer verschlungenen Worte.

Als die Weißen auf unseren Dorfplatz traten, versteckte mich meine Mutter unter einem großen Korb aus Lianen, im dunklen Hintergrund unseres Hauses. Und sagte zu mir: “Hab keine Angst! Aber sag nicht ein einziges Wort!“ Und ich kauerte mich zitternd unter den Korb und sagte nicht ein einziges Wort mehr. Ich muss tatsächlich damals sehr klein gewesen sein, sonst hätte ich wohl nicht unter diesen Korb gepasst. Meine Mutter versteckte mich, denn auch sie fürchtete, dass diese Weißen mich mitnehmen würden, so wie sie damals jene Kinder mitgenommen hatten. Und sie wollte mich damit auch beruhigen, denn ich war außer mir vor Angst und hörte nur auf zu weinen, weil ich mich unter dem Korb wieder sicher fühlte.

Auch die Ausrüstung der Weißen erschreckte mich. Ich hatte Angst vor ihren Motoren, vor ihren elektrischen Lampen, vor ihren Schuhen, vor ihren Brillen und ihren Uhren. Hatte Angst vor dem Rauch ihrer Zigaretten und dem Gestank ihres Benzins. Alles erschreckte und erschütterte mich zutiefst, weil ich nie vorher etwas ähnliches gesehen hatte – ich war eben noch sehr klein.

Yanomami Kinder spielen mit Flugzeugschrott der brasilianischen Luftwaffe – Foto: Fernando Frazão/AgenciaBrasil

Und als dann ihre Flugzeuge uns überflogen, war ich nicht der Einzige, der Angst hatte. Auch unsere Erwachsenen ergriff die Panik – einige brachen tatsächlich in
Schluchzen aus, alle rannten, um sich im Regenwald, rund um unser Dorf, zu verstecken. Wir sind Waldbewohner, wir kannten keine Flugzeuge, und sie erschreckten uns über allen Maßen. Wir dachten an übernatürliche, fliegende Wesen, die auf uns herabfallen würden, um uns alle zu verbrennen. Alle hatten wir Todesangst.

Später dann wuchs ich heran und begann richtig zu denken. Aber ich fuhr fort mich zu fragen: “Was wollen diese Weißen hier? Warum schlagen sie Wege in unseren Wald?“ Und unsere Dorfältesten antworteten mir: “ Sie kommen bestimmt, um sich unser Land anzusehen und später hier mit uns zu wohnen!“ Sie verstanden jedoch nichts von der Sprache der Weißen, und deshalb ließen sie die Fremden in ihr Land eindringen, so wie Freunde. Wenn sie damals schon ihre Worte verstanden hätten, würden sie sie sicher aus dem Land gejagt haben. Denn diese Weißen hintergingen sie mit ihren Geschenken.

Sie gaben ihnen Äxte, Haumesser, kleine Klappmesser und Stoffe. Und sie sagten ihnen, um ihre Aufmerksamkeit einzuschläfern: “Wir, die Weißen, werden euch niemals unversorgt lassen, wir werden euch viele unserer Waren geben, und Ihr werdet unsere Freunde werden!“

Nur wenig später starben unsere Verwandten fast alle durch eine Epidemie – danach folgte die nächste. Später starben noch einmal viele andere Yanomami, als die Straße in ihre Wälder vordrang – und viele, sehr viele andere Yanomami mussten sterben, als die Goldschürfer mit ihrer Malaria in unser Gebiet einfielen. Aber zu diesem Zeitpunkt war ich bereits erwachsen und hatte gelernt richtig zu denken – und ich hatte verstanden, was die Weißen mit ihrer Invasion unseres Gebietes
bezweckten.

Goldsucher im Yanomami Land – Foto: Bruno Kelly/Amazonia-Real

Die Weißen sind geschickt und intelligent, sie haben viele Maschinen und Waren, aber sie entbehren der Weisheit. Sie interessieren sich nicht mehr für jene, die ihre Vorfahren waren, als sie geschaffen wurden. In der ersten Zeit ihrer Existenz waren sie wie wir – aber dann haben sie alle ihre antiken Worte vergessen. Später durchquerten sie das große Wasser und zogen in unsere Richtung. Und dann sagten sie, dass sie dieses Land entdeckt hätten. Und das habe ich erst verstanden, als ich gelernt hatte, ihre Sprache zu sprechen.

Wir, die Bewohner des Regenwaldes, leben hier seit undenkbaren Zeiten – schon seit unserer Erschaffung durch Omama. Am Anfang aller Dinge gab es hier nur Waldbewohner, die Menschenwesen. Die Weißen nehmen heute für sich in Anspruch: “Wir haben das Land Brasilien entdeckt!“ Das ist eine Lüge! Das Land existiert schon seit eh und je, und Omama hat uns mit ihm geschaffen. Schon unsere Urväter kannten diese Erde. Sie wurde nicht durch die Weißen entdeckt. Viele andere Völker, wie die Makuxi, die Wapixana, die Waiwai, die Waimiri-Atroari, die Xavante, die Kayapó und die Guarani lebten ebenfalls auf ihr. Trotzdem lügen die Weißen sich selbst in die Tasche und lehren ihre Kinder, dass sie dieses Land entdeckt hätten. So als ob es leer gewesen wäre. So als ob wir Menschenwesen es nicht schon seit Anbeginn der Zeit bewohnt hätten. Was die Weißen tatsächlich entdeckt haben ist, dass diese Erde schon vorher von uns entdeckt worden war!

Am Ufer des Gebietes, an dem sie anlegten, lebten schon andere Indios. Die Weißen waren damals noch nicht sehr zahlreich, also begannen sie zu lügen: “Wir, die Weißen, sind gut und großzügig! Wir geben Euch Geschenke und Nahrungsmittel. Lasst uns an Eurer Seite wohnen auf diesem Land. Wir möchten Eure Freunde sein!“

Und mit eben denselben Lügen versuchten sie auch das Volk der Yanomami zu täuschen. Nachdem sie ihre Lügen unter den Indios verstreut hatten, zogen sie sich zurück – um schließlich in so großer Zahl zurückzukommen, wie Mücken in einem Schwarm. Anfangs, noch ohne eigene Häuser auf unserem Land, gaben sie sich freundlich gegenüber den Indiovölkern. Dann entdeckten sie die Schönheiten unserer Wälder und beschlossen, sich hier niederzulassen.

Jedoch, seit sie sich bei uns eingenistet haben, seit sie ihre Häuser gebaut und ihre Pflanzungen angelegt haben, seit sie mit ihrer Viehzucht anfingen und den Boden nach Gold durchwühlen, haben sie ihre Freundschaft zu uns vergessen. Sie haben angefangen, die Waldbewohner zu töten, die in ihrer Nachbarschaft wohnten.

“Wir haben dieses Land entdeckt! Wir besitzen die Bücher, und deshalb sind wir die Bedeutenden!“ sagen die Weißen. Aber das sind nur Lügen – die sie sogar aufgeschrieben haben. Sie haben nicht mehr geleistet, als den Waldbewohnern ihren Lebensraum gestohlen, um ihn zu verwüsten. Die gesamte Erde wurde einstmals als ein Ganzes von Omama geschaffen – die Erde der Weißen und unsere – zusammen mit dem Himmel. Und all das existiert schon seit allererster Zeit, als Omama uns schuf. Und deshalb glaube ich auch nicht an die Worte von der Entdeckung Brasiliens durch die Weißen. Dieses Land war nicht leer! Ich habe beobachtet, dass die Weißen nur daran interessiert sind, sich unser Land anzueignen – deshalb wiederholen sie stets diese Worte von der “Entdeckung“.

Yanomami Familie – Foto: Fernando Frazão/AgenciaBrasil

Aber ich bin der Sohn der antiken Yanomami, ich bewohne den Wald, in dem meine Familie schon seit meiner Geburt gelebt hat, doch ich gehe nicht herum und sage zu den Weißen, dass ich den Wald entdeckt habe. Er war schon immer da, schon lange vor mir. Ich sage nicht: “Ich habe dieses Land entdeckt, weil meine Augen darauf gefallen sind, und deshalb gehört es mir!“ Ich sage auch nicht: “Ich habe den Himmel entdeckt!“ Und ich sage nicht: “Ich habe die Fische entdeckt und die Jagd!“ Alle diese Dinge waren schon immer dort – seit Anbeginn der Zeit. Also kann ich höchstens sagen, dass ich mich ebenfalls an ihnen freue und mich durch sie ernähre – das ist alles.

Wir Yanomami möchten, dass der Regenwald so bleibt, wie er immer war – und für immer. Wir möchten in ihm leben, in guter Gesundheit, und mit uns die Geister Xapiripë, die jagdbaren Tiere und alle Fische. Wir kultivieren nur die Pflanzen, welche uns ernähren – wir brauchen keine Fabriken, keine Löcher in der Erde und keine verschmutzten Flüsse. Wir möchten, dass der Wald ein ruhiger Ort bleibt, dass der Himmel klar über uns steht, dass sich die Dunkelheit der Nacht weiterhin und mit aller Regelmäßigkeit über Mensch und Tier senkt, und dass man die Sterne sehen kann.

Die Erde der Weißen ist verdorben, sie ist bedeckt von dem epidemischen Rauch Xawara, der sich bis zum Gewölbe ihres Himmels erhebt. Dieser Rauch fließt auch in unsere Richtung, aber noch hat er uns nicht erreicht, denn der himmlische Geist Hutukarari vertreibt ihn unermüdlich. Über unserem Wald ist der Himmel immer noch klar, weil es noch nicht lange her ist, dass sich die Weißen in unser Gebiet eingeschlichen haben. Aber eines Tages, vielleicht wenn ich schon tot bin, wird auch dieser Rauch sich soweit ausgebreitet haben, dass er die Erde verdunkelt und die Sonne zum Erlöschen bringt.

Die Weißen denken nie an diese Dinge, welche die Schamanen schon seit langem befürchten, und deshalb haben sie keine Angst vor den Konsequenzen. Ihre Gedanken sind voll von Vergessenheit, deshalb müssen sie ihre Worte aufzeichnen. Wir dagegen bewahren die Worte unserer Vorfahren seit langer Zeit in unserem Kopf auf, und wir überliefern sie unseren Kindern. Die Weißen fahren fort, ihre Gedanken nur an ihre Waren zu verschwenden – so als ob sie ihre Geliebten seien.


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AutorIn: Klaus D. Günther

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