Nach vierzig Minuten Flug erschien endlich ein etwas erhöht liegendes, trockenes Areal unter der einmotorigen Cessna – ein Zufluchtsort des Hyazinth-Ara (Anodorhynchus hyacinthinus). Es war Februar, Höhepunkt der Regenzeit im Pantanal. Die unter uns liegende Tiefebene stand sonst überall unter Wasser – soweit mein Auge reichte. Auf der Seite des Piloten, mit der Nase ans Fenster des Flugzeugs gepresst, beobachtete ich die Baumkronen, die aus dem Wasser ragten und zunehmend an Form gewannen, je tiefer wir sanken und jenem Stück erhöhter Viehweide zustrebten, der einzig möglichen Landepiste innerhalb von Hunderten Kilometern überschwemmter Savanne.
Das Risiko der Reise mitten in der Regenperiode würde sich lohnen. In der von mir anvisierten Region mit dem kleinen Ort Poconé, in Mato Grosso, hatte man den grössten Schwarm von Hyazinth-Aras aller Zeiten beobachtet, zirka 200 Individuen insgesamt, ein nie zuvor erlebtes Spektakel. Diese Spezies befand sich vor nicht so langer Zeit fast am Aussterben in freier Natur wegen der unerbittlichen Verfolgung durch illegale Händler, rücksichtslos darauf bedacht, mit der ignoranten Begierde von Züchtern und Zoos im Ausland satte Gewinne zu machen, die bereit sind, einen Haufen Geld zu zahlen für das Privileg, ein Exemplar dieses schönen Vogels präsentieren zu können. Bis in die 1980er Jahre sollen angeblich zirka 10.000 dieser Aras das Land durch Schmuggler verlassen haben. Und noch heute verfolgt dieser schändliche Handel die reduzierten restlichen Schwärme in abgelegenen Gebieten des brasilianischen Nordostens – während es im Pantanal gelungen ist, die Jagd auf diese Vögel zu unterbinden. Heute ist die Region ein Refugium für 80% der existierenden 6.500 Exemplare – dank eines Schutzprogramms, welches 1990 von der Biologin Neiva Guedes ins Leben gerufen wurde.
Kurz bevor das Flugzeug auf dem Boden aufsetzt, überquert ein Schwarm Aras die prekäre Piste. Die Szene, die sofort meine Emotionen freisetzt, illustriert genau passend die zunehmende Erholung des Tierbestandes im Pantanal. Trotzdem besteht ein Risiko der Ausrottung immer noch, jetzt aber durch ambientale Probleme. Die Zunahme der Waldabholzung zur Schaffung neuer Weideflächen könnte den Bestand von drei Pflanzenarten verringern, die für das Überleben der Hyazinth-Aras unverzichtbar sind. Als in ihren Lebensgewohnheiten sehr spezialisierte Vögel, ernähren sie sich fast ausschliesslich von den Früchten der Acuri- und Bocaiúva-Palmen, und ihre Nester legen sie in natürlichen Vertiefungen von Stämmen der Manduvi-Palmen an. Die Seltenheit dieser zuletzt genannten Palme ist schon seit langem ein ernst zu nehmender Risikofaktor für die Aras. “Und zwar so riskant, dass wir als eine unserer ersten Massnahmen Nistkästen aus Holz aufgehängt haben, die den natürlichen Vertiefungen im Palmenstamm nachempfunden waren“, erzählt die Biologin und Forscherin der Universität für Staatliche Entwicklung und der Region des Pantanals (Uniderp) – sie ist ausserdem Mitglied der Schutzorganisation WWF-Brasil. Eine grosse Anzahl von Ara-Geburten geschieht bereits in diesen Nistkästen, die von den Wissenschaftlern hoch oben an Bäumen befestigt werden.
Wirtschaftlicher Druck hat die Fazendeiros im Pantanal motiviert, ihre Herden aufzustocken und dafür Wald abzuholzen, um neue Weideflächen zu gewinnen. Historisch betrachtet, sind die Viehzüchter mit den von der Natur des Pantanals zur Verfügung stehenden Weideflächen immer ausgekommen – sie haben mit dem eigenwilligen Ökosystem des Pantanals auch immer gut gelebt. Die Hyazinth-Aras haben gelernt, von der Präsenz der Rinder in ihrem Lebensraum zu profitieren, indem sie mit Kühen und Ochsen eine interessante ökologische Partnerschaft eingegangen sind. Und das ergab sich aus der Tatsache, dass die Zeburinder plötzlich Lust auf dieselben Früchte bekamen, die die Lieblingsspeise der Aras darstellten. Die Früchte der Bocaiúva, einer sehr hohen Palme, lesen sie vom Boden auf – die der Acuri fressen sie direkt von der niedrigen Baumkrone. Von diesen harten, nussartigen Früchten – sie sind etwa so gross wie ein Pingpong-Ball – verdauen sie lediglich die dicke, faserhaltige Schale, der nutritive Kern wird wieder unverdaut ausgeschieden – genau die wichtige Portion für die Vögel.
Das erklärt, warum sich grosse Schwärme von Hyazinth-Aras auf jenen Bäumen einfinden, unter denen die Herde die Nacht verbringt, nachdem sie den ganzen Tag auf der Weide waren. Früh am Morgen, wenn die Hitze noch nicht so gross ist, turnen die Aras schon auf trockenen Zweigen oder Umzäunungen herum und warten darauf, dass sich die Herde in der Weite der Savanne auflöst, um sich auf die ausgeschiedenen Nusskerne zu stürzen. Aber der Schwarm begibt sich nie bis zum letzten Individuum auf den Boden. Einige von ihnen verbleiben an Stellen mit guter Rundumsicht, stets bereit, um Alarm zu geben – ein kurzer, trockener Laut – sowie sich im Umkreis von etwa zweihundert Metern etwas Unbekanntes rührt oder einen Ton von sich gibt. Diese Wachen erschweren auch die Pläne eines Birdwatchers, der ein solches biologisches Phänomen gerne aus der Nähe betrachten möchte. Um sie bei diesem ungewöhnlichen Bankett zu fotografieren, musste ich an einer bestimmten Stelle positionieren und tagelang abwarten, bis ich endlich von den Vögeln ignoriert wurde. Aber selbst dann, bei jedweder brüsken Bewegung wurde ich von den Wachen sofort verraten und musste wiederum Stunden warten – unter entsetzlichen Attacken der Mosquitos – bis der Schwarm auf den Boden zurückkehrte. “In meinen fünfzehn Jahren Erfahrung gelang es mir nur ganz selten, mich auf mehr als zehn Meter Entfernung einem Schwarm zu nähern“, erzählt die Biologin.
Während der reproduktiven Phase der Spezies, zwischen Juli bis März – verlässt die Biologin die Stadt Campo Grande an Bord ihres Toyotas und unternimmt lange Touren auf den prekären Pisten des Pantanals, um zirka 228 von 560 natürlichen und künstlichen Nistplätzen zu kontrollieren, die auf einer Fläche von 300.000 Hektar verteilt sind – in den Bundesstaaten Mato Grosso und Mato Grosso do Sul. An einem typischen Arbeitstag gelingt ihr und ihren Helfern das Erklettern von zirka zehn Bäumen, einige mehr als 20 Meter hoch, um den allgemeinen Zustand eines oder zwei Jungvögeln pro Nest zu checken.
Jedes Jahr registriert die Biologin mit zunehmender Freude den Flug von neuen, gesunden Jungvögeln. Die gegenwärtige Population im Pantanal wird auf 5.000 Hyazinth-Aras geschätzt, sie hat sich in fünfzehn Jahren mehr als verdoppelt. Auf der anderen Seite glaubt die Forscherin, dass die definitive Erholung der Spezies sich nicht mit einer zunehmenden Waldabholzung verträgt. “Der Weg zur Erhaltung der Vögel führt zu einer Wiederaufnahme des traditionellen Konzepts einer Viehzucht im Pantanal“, sagt sie, “auf schon existierenden Naturweiden, ohne neue Abholzungen“. Und zu wirtschaftlichen Alternativen, wie dem Tourismus zur Beobachtung der Vögel – der Hyazinth-Ara, einer der brasilianischen Ikonen, wird auch bei den internationalen Vogelbeobachtern stets die grösste Attraktion bleiben.