Samba de Roda

Zuletzt bearbeitet: 31. Dezember 2014

Der Samba de Roda ist eine Mischung aus Musik, Tanz, Poesie und Geschichte, stammt aus dem ”Recôncavo Baiano” – dem Gebiet rund um die Allerheiligenbucht, an der die bahianische Hauptstadt Salvador liegt – und wurde von den afrikanischen Sklaven zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Brasilien eingeführt. Der ”Samba de Roda“ ist Ausdruck der Kultur und Tradition eines afrikanischen Volkes, dessen Leidensgeschichte er erzählt. Zum Beispiel die Geschichte jener Nachkommen von Sklaven, die sich vor den Verfolgungen der Polizei verstecken mussten und von der Gesellschaft wegen ihrer kulturellen Manifeste abgelehnt wurden. Diese kulturellen Ausdrucksformen der Afrikaner wurden als eine Lockerung der Moral, als Lärmbelästigung und sogar als satanische Zeremonien betrachtet. Verzerrte Darstellungen, die von den Rassisten dem ”Candomblé“ zugeordnet wurden, in dem sie eine Art ”Hexensabbat“ vermuteten, während es sich in Wirklichkeit um den Ausdruck der Religiosität der Afrikaner handelte.

Der ”Samba de Roda“ hat seine Wurzeln vor allem in einem afrikanischen Rhythmus, den man ”Semba“ nennt, wurde jedoch zusätzlich geformt von verschiedenen anderen Rhythmen unterschiedlicher afrikanischer Volksstämme. Denn jene portugiesischen Plantagenbesitzer wählten ihre jeweiligen Sklaven sehr sorgfältig und vorsichtig aus, wobei sie vor allen darauf achteten, nicht zu viele Mitglieder desselben Volkes auf ihrer Plantage zu vereinen, um eventuelle Zusammenschlüsse zu Revolten Gleichgesinnter zu verhindern. Auf diese Weise arbeiteten Angehörige ganz unterschiedlicher afrikanischer Völker plötzlich zusammen – sogar ehemalige Feinde mussten sich vertragen, zusammen leben. Und diese Situation veränderte die Gesellschaft der Afrikaner in Brasilien von Grund auf. Aus ihren multiplen musikalischen Wurzeln entwickelten sie neue Formen ihrer angestammten Musikalität, innerhalb eines anderen, einem angepassten gesellschaftlichen Kontext schufen sie, unter anderen, den afro-brasilianischen Samba.

Eine kreisförmige Runde, manchmal auch nur ein Halbrund, gehört zur Struktur einer Zusammenkunft, die nach ihr benannt ist: ”Samba de Roda“ (Samba im Rad – oder in der Runde). Die Musikbegleitung besteht original aus dem ”Pandeiro“ (Tamburin), aus ”Prato-e-Faca“ (Teller und Messer – der Teller wird umgedreht und mit dem Messer auf dem unteren, rauhen Stellrand rhythmisch bearbeitet) und aus der ”Viola“ (Bratsche – ein Violineninstrument in Altlage). Die übrigen Mitglieder begleiten Melodie und Rhythmus mit Händeklatschen. Der Tanz findet in der Kreismitte statt. Die typische Choreografie nennt sich “Miudinho“, ein kaum wahrnehmbares Steppen mit den Schuhsohlen, nach vorn und nach hinten – die Füsse dicht am Boden – dazu eine korrespondierende Bewegung der Hüften. Dieser Tanz wird von Frauen und Mädchen bevorzugt, während die Männer in der Regel die Musikinstrumente spielen. Die Tänzerinnen im Zentrum der “Roda“ wechseln sich ab, traditionell mit einer so genannten “Umbigada“ (Umbigo = Nabel – die Tänzerinnen in der Kreismitte fordern zum Wechsel auf mit einem Vorstrecken des Nabels). Jede anwesende Person kann mitmachen, und es gibt auch keinen exklusiven Ort für die Veranstaltung eines “Samba de Roda“ – die Runde kann in einer Bar stattfinden, auf einem Platz oder auch innerhalb des Hauses.

Und so wie es dafür keinen bestimmten Platz gibt, so gibt es auch keinen spezifischen Anlass für einen “Samba de Roda“. Obwohl er stets im zivilen wie im religiösen Festkalender präsent ist, gibt es für ihn doch kein bestimmtes Datum – jeder Tag und jeder Moment ist für eine “Roda“ geeignet. Alles in allem ist der “Samba de Roda“ unzertrennbar verbunden mit den Festen des populären Katholizismus, zum Beispiel mit dem Fest “Cosme e Damião“, der “Folia dos Reis“ und als Schlussakord der Candomblé-Feste “Nagô“ oder “Angola“.

Die Basis des “Samba de Roda“ setzt sich aus einer Kombination von traditioneller Kultur der versklavten Afrikaner und der Portugiesen zusammen – vor allem hinsichtlich der Instrumente und der Sprache – und hat heute als kulturelle Ausdrucksform der Afrobrasilianer einen festen Platz in der multikulturellen Folklore Brasiliens.

Die charakteristischen Prinzipien des “Samba de Roda“, wie die “Umbigada“ und der Gebrauch der “Viola“, kann man bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgen. Die ersten Aufzeichnungen von etwas Ähnlichem wie der “Samba de Roda stammen aus dem Jahr 1803. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts, und Anfang des 20. Jahrhunderts, wurden Intellektuelle auf die Darbietungen aufmerksam, und von da an wurden sie zu Objekten der Forschung, Dissertationen und Thesen.

Heute unterteilt man den “Samba de Roda“ in zwei unterschiedliche Arten: Den “Samba corrido“ (den schnellen Samba) und den “Samba chula“ (Scherz-Samba) – letzterer wird auch “Samba de Parada“ (verhaltener Samba), “Samba amarrado“ (gefesselter Samba) oder “Samba de Viola“ (Bratschen-Samba) genannt. Der Unterschied zwischen den beiden liegt in der spezifischen Art ihn zu tanzen und in der Art des Rhythmus, den die begleitenden Musikinstrumente vorgeben. Beim “Samba corrido“ bilden Tanz, Rhythmus und Gesang eine Einheit, und eine oder auch mehrere Personen können im Zentrum der Runde dazu tanzen. Beim “Samba chula“, findet der Tanz niemals gleichzeitig mit dem Gesang statt, und nur eine einzige Person darf in der Mitte tanzen (die Instrumente begleiten jeweils den Tanz und den Gesang).

Der Tanz wird gewürzt von Erotik – sie ist sowohl in den Bewegungen der Tänzerinnen als auch in den Zwischenrufen der Sänger präsent. Der Mann stimuliert die Frau durch das Spiel seines Instruments, und sie treibt durch ihren Tanz sein Spielen an. Wer sich zum Tanzen entschliesst, muss die “Roda umrunden“ – das heisst: Jedem einzelnen Musiker und jedem Zuschauer in der Runde seine Referenz erweisen und das Publikum begeistern.

Es gibt keine vorgeschriebene Kleidung beim Samba, jedoch bei den Frauen gibt man langen Reifröcken den Vorzug. Die Männer tragen einfach ihre Alltagskleidung. Bei Gruppen, die für Präsentationen unter Vertrag stehen, kleiden sich die Frauen in die typische traditionelle Tracht der Bahianerinnen, mit Halsketten, Armreifen und Sandalen (manche präsentieren sich auch barfuss).

Für den Fall, dass die adäquaten Instrumente fehlen – wie Pandeiros, Atabaques, Violas, Violões, Cavaquinho oder Prato-e-faca (das nobelste Instrument von allen), muss das nicht heissen, dass man keinen Samba-de-Roda veranstalten kann – es reichen dazu auch rhythmisches Händeklatschen und das Trommeln auf verschiedene andere Objekte. Der gesungene Teil des Samba, beziehungsweise die Hauptstrophe, nennt man “Chula“, und man nennt die “Antwort“ auf die Hauptstrophe “Relativo“. Und man bezeichnet das Singen der Hauptstrophe als “tirar samba“ (den Samba befreien) – die bedeutendste Rolle in der Samba-Hierarchie.

Seit mehr als zweihundert Jahren ist der “Samba de Roda“ präsent im Alltag der Bevölkerung des Recôncavo Baiano – der Wiege des Samba. Er ist die populärste Form zu feiern, und er vereint Jung und Alt. In frühester Kindheit lernt man, den Rhythmus auf dem Tamburin zu schlagen, die “Chula“ zu begleiten und der Musik zu lauschen und sie zu imitieren, bis man beginnt, im Alter von acht bis zehn Jahren, aktiv an den Rodas teilzunehmen.

In ganz Bahia ist Dona Balbina Preta als berühmteste “Sambadeira“ des Recôncavo, aus dem Ort Acupe, bekannt. Der “Samba de Roda“ im Distrikt von Acupe ist ein unvergleichlicher kultureller Schatz den man unbedingt bewahren sollte. Es ist eine Region, in der es einst, während der Sklavenzeit, zahlreiche “Engenhos“ (Zuckerfabriken mit Plantagen) und “Senzalas“ (Sklavenquartiere) gab.

Im Jahr 2004 wurde der “Samba de Roda“ von der nationalen IPHAN zum “Kulturerbe Brasiliens“ erklärt und 2005 zum “Kulturerbe der Menschheit“, durch die UNESCO.

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AutorIn: Klaus D. Günther

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