Rekord bei illegalen Rodungen des Amazonas-Regenwaldes – Landwirtschaft und Bevölkerung fordern Schutz

Was Forscher und Umweltschützer befürchtet haben, ist vom Raumforschungsinstitut Inpe bestätigt worden: Die Kahlschläge im Amazonas-Regenwald haben einen neuen traurigen Rekord erreicht. 11.088 Quadratkilometer Regenwald wurden in nur einem Jahr vernichtet und damit so viel wie seit zwölf Jahren nicht mehr.

Regenwald Abholzung – Foto: Ascom/Semas

Eigentlich hatte sich Brasilien in Paris freiwillig dazu verpflichtet bis 2030 die illegalen Abholzungen auf Null zu bringen. Davon ist das Land weit entfernt. Das gleiche gilt für das Ziel des Nationalen Klimaplanes Brasiliens. Für 2020 war darin eine Obergrenze der Kahlschläge von 3.925 Quadratkilometern vorgesehen. Die wurde um 180 Prozent überstiegen.

Das Ergebnis ist indes nicht überraschend. Auf ein Hoch der Kahlschläge haben schon die Daten des Inpe-Warnsystems Deter hingewiesen. Mit diesem werden nahezu in Echtzeit mögliche Kahlschlagsflächen ermittelt und die Daten darüber an die Umweltbehörden weitergeleitet, um Kontrollen und Maßnahmen dagegen vorzunehmen.

Die nun kürzlich bei einer Pressekonferenz von Vize-Präsident Hamilton Mourão vorgelegten Daten stammen vom genaueren System Prodes, dem eine Treffsicherheit von über 95 Prozent eingeräumt wird. Sie gelten dennoch als vorläufig. Die exakte Auswertung wird erst für Anfang 2021 erwartet.

Nach den bisherigen Prodes-Daten sind zwischen August 2019 und Juli 2020 11.088 Quadratkilometer Regenwald abgeholzt worden, 9,5 Prozent mehr als im gleichen Zeitraum 2018/2019. Allerdings war im Vorjahr bereits eine Steigerung von 34 Prozent im Vergleich zu 2017/2018 registriert worden.

Die Abholzung im Amazonasgebiet nimmt seit Jahren wieder zu (Grafik: Dietmar Lang/Amazonasportal)

Angesichts der Zahlen hat nun auch Brasiliens Vize-Präsident Hamilton Mourão erstmals eingeräumt, dass die Bekämpfung der illegalen Kahlschläge dieses Jahr zu spät begonnen habe. Ein Plan mit konkreten Maßnahmen gegen die Regenwaldzerstörung fehlt hingegen nach wie vor.

Das wurde auch von Botschaftern und Diplomaten acht verschiedener Länder (darunter Deutschland) bemängelt, die mit Mourão und verschiedenen Ministern Brasiliens bei einem unlängst durchgeführten Überflug des Amazonas-Regenwaldes dabei waren.

Nach den Vorstellungen der Regierung, sollte der Überflug dazu dienen, das schlechte Image Brasiliens in Sachen Umweltschutz zu verbessern. Gezeigt werden sollte, dass immense Flächen des Regenwaldes intakt sind, während sich Kahlschläge, Brände und Zerstörung auf kleinere Teilbereiche beziehen, wie Mourão in der Vergangenheit mehrfach betont hat.

Zerstörung des Regenwaldes durch Goldschürfer – Foto: SurvivalInternational

Um die Narben des Regenwaldes und gigantische zerstörte Flächen wurde bei dem Überflug ein Bogen gemacht. Einige der Botschafter und Diplomaten hatten sich allerdings im Vorfeld der Reise auch mit Umweltorganisationen und indigenen Vertretern getroffen, um sich ein umfassenderes Bild zu machen.

Das ist erschreckend. Zugenommen haben nicht nur die Kahlschläge, sondern ebenso die Zahl der Brände. Von Januar bis zum 4. November sind laut Raumforschungsinstitut Inpe in der Amazonasregion 94.437 Brandherde registriert worden und damit bereits mehr als im gesamten Jahr 2019, das international wegen seiner hohen Zahl an Bränden in der Amazonasregion für Aufsehen gesorgt hat.

Während Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro versucht, die Kleinlandwirte und Indios für die Brände verantwortlich zu machen, weil sie laut Bolsonaro auf diese Weise ihre Felder bestellten, zeigen Studien das Gegenteil. Vom Raumforschungsinstitut Inpe wurde im November die Online-Plattform “TerraBrasilies“ mit einem Vergleichssystem erweitert, aus dem der Zusammenhang zwischen Kahlschlägen und Bränden hervorgeht.

Danach sind zwischen August 2019 und Oktober 2020 etwa 45 Prozent der Brände auf kürzlich entforsteten Regenwaldflächen verzeichnet worden und weitere 40,8 Prozent auf Flächen, die vor mehr als zwei Jahren gerodet wurden. Auf den intakten Regenwald entfallen hingegen nur 8,2 Prozent.

Bestätigt wird das Szenario vom Amazonasforschungsinstitut Ipam und von der Nasa. Nach einer Nasa-Veröffentlichung sind in den ersten acht Monaten dieses Jahres 54 Prozent der Brände auf erst kürzlich gerodeten Flächen registriert worden.

Warum steigen die Rodungszahlen wieder?

Durch die Verstärkung des Kontrollsystems und den Einsatz von Satellitensystemen zur Überwachung des Regenwaldes konnte Brasilien zwischen 2004 und 2012 die Kahlschlagsrate um stattliche 80 Prozent reduzieren, was dem Land internationale Anerkennung eingebracht hat. Seit 2012 ist die Rodungstendenz jedoch wieder steigend.

Begonnen hat der Anstieg bereits unter den Regierungen der Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, Dilma Rousseff und Michel Temer. In den vergangenen zwei Jahren, unter der Regierung Jair Bolsonaros, hat es allerdings einen sprunghaften Anstieg gegeben.

Forscher und Umweltorganisationen führen das auf verschiedene Faktoren zurück, wie den seit Jahren erfolgenden Personalabbau bei den Umweltbehörden und dem Gefühl der Straffreiheit.

Tatsächlich verfügt die Umweltbehörde Ibama nur noch über 694 Kontrolleure. Die sind nicht nur für Amazonien zuständig, sondern für ganz Brasilien mit seinen kontinentalen Ausmaßen.

Ein weiteres Problem ist das Gefühl der Straffreiheit, das unter der Bolsonaro-Regierung noch verstärkt wurde. Nur in wenigen Fällen werden diejenigen, die illegal abholzen tatsächlich zur Rechenschaft gezogen.

Das gilt auch dann, wenn die Umweltbehörden Bußgeldbescheide ausstellen. Schon in der Vergangenheit wurden nur etwa fünf Prozent der Bescheide getilgt. Laut Rômulo Batista von Greenpeace sind es mittlerweile nur noch drei Prozent.

Regenwald Abholzung – Foto: Ascom/Semas

Dass das Strafsystem nicht mehr funktioniert, wird von der staatlichen Kontrollbehörde CGU bestätigt. Nach dieser sind zwischen 2013 und 2017 jährlich im Durchschnitt 21.000 Prozesse wegen Umweltvergehen abgeschlossen worden. 2019 waren es lediglich 18.000 und von Januar bis August 2020 nur noch 1.600.

Der Absturz der Zahlen der abgeschlossenen Prozesse wird von der Kontrollbehörde CGU unter anderem auf die von Bolsonaros Regierung eingeführten Schlichtungsverhandlungen zurückgeführt. Mit denen sollten nach Regierungsangaben die Verfahren beschleunigt werden. Tatsächlich sind von den 7.000 von der Umweltbehörde Ibama ausgestellten Bescheiden aber nur etwas mehr als tausend analysiert worden.

Zu nur fünf von ihnen hat es indes ein Schlichtungsverfahren gegeben. Statt die Verfahren zu beschleunigen, verlangsamt die Regelung der vorgeschalteten Schlichtungsverfahren die ohnehin schon schleppend verlaufenden Prozesse und stärkt somit das Gefühl der Straffreiheit.

Veränderungen hat es auch beim Amazonienrat gegeben. Der ist vom Umweltministerium abgezogen worden. Stattdessen hat nun Reserve-General und Vize-Präsident Hamilton Mourão den Vorsitz. Der Rat wurde von der brasilianischen

Regierung im Februar 2020 zudem umstrukturiert und mit Vertretern verschiedener Ministerien, wie dem Landwirtschaftsministerium, ausgestattet, während die Gouverneure der Bundesstaaten Amazoniens, Vertreter der indigenen und traditionellen Völker und selbst die Umweltbehörden ausgeschlossen wurden.

Wer steckt hinter den illegalen Abholzungen?

Illegaler Bergbau, Holzindustrie, Landraub und Landwirtschaft gelten als Hauptverantwortliche für die Rodungen. Verschiedene Studien belegen, dass ein Großteil der abgeholzten Flächen in Acker und Rinderweide umgewandelt werden. Das heißt nicht, dass alle Landwirte und Fazendeiros Amazoniens an der Regenwald-Zerstörung beteiligt sind.

Nach einer im Juli im Magazin “Science“ veröffentlichten Artikel sind vielmehr lediglich zwei Prozent der Grundbesitzer für 60 Prozent der illegalen Rodungen im Amazonas-Regenwald und Cerrado verantwortlich.

Mittlerweile wird Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes nicht nur von Umweltorganisationen, Klimaschützern und Wissenschaftlern kritisiert. Selbst aus den Reihen des Agrobusiness gibt es bereits Kritik.

Im September und November hat sich die “Coalizão Brasil Clima, Floresta e Agricultura” mit offenen Schreiben an Politiker und die Öffentlichkeit gewandt. Dahinter steckt ein Zusammenschluss von mehr als 250 Vertretern aus der Agrobranche, Nichtregierungsorganisationen, dem Finanzsektor und der Wissenschaft.

Sie fordern unter anderem verstärkte Kontrollen und, dass die Verantwortlichen für die Umweltvergehen schnell zur Rechenschaft gezogen werden. Darüber hinaus haben sie sich für die Einstellung der Landregelungsprozesse ausgesprochen, die Flächen betreffen, die nach 2008 abgeholzt wurden.

Auch eine internationale Gruppe von Investoren hat sich mit einem Schreiben ähnlichen Inhaltes an die Botschafter verschiedener Länder gewandt, mit dem Ziel, den Schutz des Regenwaldes einzufordern.

Klima, Wirtschaft und die Rolle Europas

Für Brasilien steht viel auf dem Spiel. Die Zerstörung des Regenwaldes beeinträchtigt das Niederschlagsverhalten verschiedener Regionen des Landes, wie Wissenschaftler in Studien aufzeigen. Dürren und Starkregen mit Überschwemmungen werden zum Teil mit der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes in Verbindung gebracht.

Es geht aber auch um die Wirtschaft. Druck kommt vor allem aus der Europäischen Union. Die will das Handelsabkommen zwischen EU und dem südamerikanischen Staatenverband Mercosul an stärkere Umweltauflagen koppeln.

Geplant ist, dass Unternehmen, die Soja, Fleisch, Holz und andere Produkte in EU-Länder verkaufen, einen Nachweis erbringen müssen, dass ihre Waren ohne die Zerstörung von Regenwald und anderen Biomen produziert wurden.

Allein 2019 hat Brasilien Rinderfleisch im Wert von 560 Millionen US-Dollar in europäische Länder exportiert sowie Soja im Wert von über sechs Milliarden US-Dollar. Der Großteil stammt von legalisierten Flächen, ein Teil aber eben auch von Flächen, auf denen vor wenigen Jahren noch Regenwald stand.

Auch illegal geschlagenes Holz erreicht die europäischen Märkte. Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat unlängst in dem Zusammenhang versucht, anderen Ländern eine Mitschuld in die Schuhe zu schieben. Wer illegal geschlagenes Holz kaufe, sei für die Zerstörung des Regenwaldes mitverantwortlich, so seine Begründung.

Allerdings bietet selbst eine Zertifikat keinen Schutz, weil diese teilweise gefälscht werden, wie sich bei Kontrollen herausgestellt hat.

Die Regierung Bolsonaros hat darüber hinaus den Export von Holz erleichtert. Inzwischen muss nur noch ein Dokument zum Holztransport vorgelegt werden. Das wird zudem von den Händlern selbst ausgestellt. Die bisherigen Kontrollen vor dem Export durch die Umweltbehörden entfallen. Der Großteil des Holzes bleibt mit 80 Prozent hingegen im eigenen Land.

Was sagt die Bevölkerung Brasiliens?

Während die Regierung Brasiliens den Amazonas-Regenwald weiterhin als wirtschaftliches Potential sieht, Schürfungen und intensive Landwirtschaft in Indio-Territorien zulassen will und den Umweltschutz als Hindernis einstuft, spricht sich die Bevölkerung immer stärker für den Schutz des Amazonas-Regenwaldes und anderer Biome des Landes aus.

Nach einer Ende August veröffentlichten Umfrage des Bankenverbandes Febraban sind 83 Prozent der Befragten unzufrieden damit, wie mit dem Amazonas-Regenwald umgegangen wird. 83 Prozent haben sich zudem für schärfere Strafen für illegale Abholzungen ausgesprochen und 86 Prozent sind gegen die Öffnung der Indiogebiete für den Bergbau.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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