Mehr als 20 Jahre der Literatur gewidmet
Im Jahr 1989 hatte ich das erste Mal Kontakt mit dem Juristen, Journalisten, Dichter, Schriftsteller Ricardo Alfaya. Schon damals bewunderte ich sein Werk und im Lauf der Jahre hat diese Bewunderung auch den Menschen Ricardo Alfaya eingeschlossen.
Sein Werk umfasst Poesie, Kurzgeschichten, Chroniken, Artikel, Bücherbesprechungen, Essays, Berichte und Visual Poesie. Dieses Interview enthält das Leben und das Werk dieses Künstlers, der im September 2003 in der Anthologie “Rios”, 25 seiner Gedichte Namens “Sujeito a Objetos” veröffentlicht hat. Es ist die grösste Zusammenfassung seiner Gedichte in einem Buch seit 1982, als sein “Através da Vidraça” veröffentlicht wurde.
Interview: Tânia Gabrielli-Pohlmann ©
Deutsche Version: Clemens Maria Pohlmann ©
Obwohl Ricardo Alfaya kein weiteres eigenes Buch veröffentlicht hat, ist sein Werk in mehr als 70 Publikationen präsent, er nahm an brasilianischen und an internationalen Postal-Kunst Ausstellungen teil, gibt Recitals und schreibt für zahlreichende kulturelle Sites. Mit seiner Ehefrau und Journalistin Amelinda Alves gibt Ricardo Alfaya den “NOZARTE INFORMATIVO IMPRESSO E ELETRÔNICO” seit 1995 heraus, die als Zeitung und in elektronischer Version veröffentlicht wird. Sein Werk wurde schon mit 22 Preisen ausgezeichnet und die aktuellste Auszeichnung für die Anthologie “Rios”, die vom Schriftsteller Márcio Catunda als Sponsor konzipiert wurde. In dieser Anthologie sind fünf sehr wichtigen Namen unserer zeitgenössischen Literatur vertreten: Elaine Pauvolid, Márcio Catunda, Tanussi Cardoso, Thereza Cristina Rocque da Motta und mein Interviewgast Ricardo Alfaya. Die Anthologie wurde im Literatur- und Kritik-Metier als einer der besten Neuerscheinungen der Poesie im Jahr 2003 bezeichnet. In diesem Interview erzählt Ricardo Alfaya in einer sehr individuellen Art und Weise, wie er die Poesie erlebt, versteht und spürt.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Ricardo, lass uns ganz von vorn beginnen. Wo und wann bist du geboren?
Ricardo Alfaya
Ich bin in der Stadt Rio de Janeiro am 08. August 1953 geboren. Mein Vater, Ricardo Ambrosio Alfaya Garcia, aus Spanien, und meine Mutter, Maria do Carmo Ingenito Alfaya, aus Minas Gerais, aber mit italienischen Vorfahrern. Mein ganzer Name heisst Ricardo Ingenito Alfaya.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Warum hast du in deinem Künstlernamen den Familienname Ingenito weggelassen?
Ricardo Alfaya
Teilweise, weil mir die Klangfülle von Ricardo Alfaya flüssiger erscheint. Es ist ein Name, den man einfacher im Gedächtnis behält. 1977, bevor ich meine Texte veröffentlichte, hatte ich für eine kurze Zeit eine Arbeit beim Label Continental. Zwei meiner Lieder, in Partnerschaft mit Arthur Linneu, wurden von einem damals neuen Sänger – Rosário – aufgenommen. Auf der Compact Disk stand mein Name als Komponist und zwar nur Ricardo Alfaya. Immer dann, wenn Rosário im Radio war oder Interviews gab, nannte er mich Ricardo Alfaya. Von daher habe ich mich an diesen Künstlernamen gewöhnt.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Na, du hast mir nie darüber erzählt! Ich wusste nicht, dass du auch schon Musik komponiert hattest…
Ricardo Alfaya
Stimmt. Ich rede nicht so häufig darüber. Damals war der wirtschaftliche Zustand des Labels nicht so gut und sie haben nicht im Ernst in uns investiert und kurz danach war es pleite. Als junge Menschen, Idealisten, ohne grosse Erfahrung im Bereich, wir haben die Chance eigentlich nicht so gut ausgenutzt und es wurde vergessen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Und komponierst du immer noch Musik?
Ricardo Alfaya
Eigentlich schreibe ich hin und wieder einen Text und komponiere ich ein Lied, aber wegen der Enttäuschung vom Jahr 1977 habe ich die Motivation dafür verloren. Trotzdem, manchmal fallen mir Melodien ein. Meine Gedanken geniessen es, so zu sagen damit zu spielen, Sinfonien, Chorgesänge und eine Menge Arrangements und Orchestrierungen zu machen, die ich nicht auf das Papier bringen könnte. Ausserdem spiele ich kein Instrument und das macht es noch schwieriger… Es ist einfach so, dass alles in meinen Gedanken beginnt und endet und normalerweise ohne Notizen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Normalerweise bezeichnen deine Biografien das Jahr 1979 als deinen “Karriere-Anfang”, als Journalist…
Ricardo Alfaya
Richtig. Im Allgemeinen lasse ich diese Phase der Platten-Aufnahmen weg und beginne meine Biografie mit dem Jahr 1979, als ich eine der fünf angebotenen Praktikumstellen der Fundação Getúlio Vargas (FGV) nach einer Aufnahmeprüfung bekam. Dort habe ich Rezensionen für Bücher und Reportagen für den “Informativo” geschrieben. Ein kurioser Aspekt ist, dass ich in diesem Praktikum den ersten Kontakt mit einem berühmten Schriftsteller hatte. Es war José J. Veiga, Fiktionsautor, der im gegenüber meinem liegenden Raum arbeitete, und von daher sahen wir uns häufig. Veiga ist schon gestorben, aber der positive Eindruck von ihm bleibt immer noch in mir.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Danach arbeitetest du in der Fundação Mudes. Warum hast du denn die FGV verlassen?
Ricardo Alfaya
Also, die Praktika in solchen Stiftungen waren kurzfristige. Man durfte nicht länger dort bleiben, weil es dafür einen Arbeitsvertrag geben müsste, und das interessierte weder sie noch mich. Damals war ich schon seit dem Jahr 1974 als Beamter bei der Banco do Brasil beschäftigt. Das Praktikum war eine parallele Aktivität, obwohl es gesetzlich war.
Obwohl ich noch die Chance bekam, länger in der FGV zu bleiben, habe ich mich für die Fundação Mudes entschieden, weil sie dort das “Perspectiva Universitária” veröffentlichten, welches zu dem Zeitpunkt von einem Mitteilungsblatt zu einer Zeitung wurde. Diese Zeitung wurde in vielen Universitäten, Bibliotheken und Schulen verteilt. Es war die Chance, “wahre” Reportagen, kurze Essays zu schreiben und über Veranstaltungen zu berichten.
Also, es bedeutete den Journalismus richtig zu praktizieren und das in dem umfassendsten Sinn des Wortes. Ausser dem Schreiben nahm jeder Journalist an der Entscheidung, was veröffentlicht wird, am Umbruch, Vorbereitung der Reportagen-Überschriften, Korrektur usw. teil. Es war ein Team, welches sehr eng miteinander arbeitete, und zwar unter der Leitung von Jorge Arêas, der als Sportredakteur für die Zeitung “O Dia” schrieb. Es war eine sehr gute Erfahrung, welche die Zeit von 1980 bis Ende 1981 umfasst.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
In einem Interview erzähltest du, dass du dort deine Ehefrau kennen gelernt hast?
Ricardo Alfaya
Ja, dort habe ich Amelinda Alves da Silva, also heute meine Ehefrau, kennen gelernt, die dort als Reporterin, Redakteurin und Revisorin arbeitete.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Im Jahr 1982 wurde dein erstes Buch Namens “Através da Vidraça” veröffentlicht. Was hat dich dazu geführt, ein Gedichtbuch zu veröffentlichen? Wie war der Entstehungs-Prozess?
Ricardo Alfaya
Nach dem Jahr 1977 habe ich aufgegeben, Musiktexte zu schreiben. Aber beim Prosa-Schreiben fühlte ich mich nicht so ganz zufrieden. Ich vermisste das Schreiben in Vers, was ein sehr besonderer kreativer Prozess ist, in welchem sich der Schriftsteller intensiver als “Künstler” fühlt, da er dabei mehr Freiheit im Bezug zu den Auferlegungen der grammatikalischen Regeln und der logischen-linearen Rhetorik hat, auch wenn er diskursives Gedicht schreibt. Vor allem in der Poesie, die keine grosse Sorge um Metrik und Reim hat. Darüber hinaus habe ich angefangen, Gedichte zu schreiben, was für mich bedeutete, Freiheit zu probieren und das nächste Gefühl der Gedanken-Freiheit, welches mir schon erlaubt zu erleben wurde. Für jemanden, der seine ganze Jungendzeit unter einem harten diktatorischen Regime verbracht hatte, hatte diese Gewohnheit einen unschätzbaren Wert. Eigentlich hatte ich jedoch nicht vor, meine Gedichte zu veröffentlichen. Ich hatte es vor, nur mit dem Journalismus weiter zu arbeiten, und vielleicht ein Kurzgeschichten-Buch zu veröffentlichen. Übrigens wusste ich damals gar nichts über den so übrigen Prozess, in welchem der Autor die Ausgabe seines eigenen Buches selbst finanzieren konnte. Dann ist es passiert, dass die Poetin Eva Creuza de Oliveira das Buch “Transparência” in Partnerschaft mit zwei anderen Autorinnen – Maria Lygia Faria Rodrigues und Eliana Andreazzi – veröffentlicht hat. Eva war Beamtin in der Abteilung für Entwicklung und Personal-Auswahl der Banco do Brasil in Rio de Janeiro, in welcher ich zufälligerweise gerade einen von der Bank angebotenen Kurs besuchte. In der Pause einer Stunde, las jemand das Buch. Ich habe gefragt, ob ich mir das Buch anschauen dürfte, dann habe ich ein paar Gedichte, und gesagt, sie hätten mir sehr gut gefallen. Der Mensch, der das Buch las, hat mich motiviert, das einer der Autorinnen selbst zu sagen, weil sie sich “darüber sehr freuen würde”. Sehr erstaunt habe ich festgestellt, das Eva Creuza de Oliveira in einem sehr nahen Raum arbeitete. So hatten wir kurz danach unseren ersten Kontakt und, als ich ihr erzählte, dass ich auch schreibe, wollte sie meine Gedichte auch lesen und nach dieser Lektüre hat sich mich sehr dabei gefördert, sie zu veröffentlichen. Das Werk wurde von dem Verlag Poeco – heute João Scortecci Editora – in São Paulo herausgegeben. Der Verlag hatte auch das Buch “Transparência” veröffentlicht. Thereza Christina Rocque da Motta hat an der Bearbeitung des Buches teilgenommen und hat auch eines der Vorworte geschrieben. Das andere Vorwort wurde von Eva Creuza verfasst.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Normalerweise haben Schriftsteller gegenüber ihrem ersten Buch grosse Vorbehalte und viele Autoren werden sogar extrem abtrünnig. Wie ist es bei dir?
Ricardo Alfaya
Hinsichtlich des Solobuches, also nur von mir, war das Buch “Através da Vidraça” das Einzige, welches ich bis heute verwirklichen konnte. Wenn ich es ablehne, dann verliere ich einen bedeutsamen Referenzpunkt. Ausserdem gibt es Teile in diesem Buch, welche mir immer noch sehr gut gefallen und nicht nur mir.
Herausgeber vieler Publikationen und literarischer Beilagen haben schon Gedichte dieses Buches veröffentlicht und es gab sogar Rezensionen und Kommentare darüber. Daher, obwohl es im Buch ein paar Gedichte gibt, welche ich heute als einen “Irrtum” bezeichne, gab es auch wichtige Geschicke. Meine Art und Weise Schreibens hat sich verändert, wurde objektiver und präzis. Andererseits manche Tendenzen und Verfahren, die ich später vertieft habe, sind schon in diesem Werk zu finden, deswegen ist nötig, es zu erwähnen.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Stände einer diese Aspekte in Beziehung zu der Thematik “Sujeito a Objetos”, im vor Kurzem auf den Markt gebrachtem Buch “Rios” präsent? Ich erinnere mich, darüber ein Kommentar von dir in der Site “PD-Literatura” gelesen zu haben…
Ricardo Alfaya
In der Tat, das ist einer der Aspekte. Nach 21 Jahren, in meiner Vorbereitung für die grösste Gedichtes-Zusammenfassung, welche ich seit 1982 schon geschaffen habe, (25 Gedichte in der Anthologie “Rios”), konnte ich viele Elemente wahrnehmen, sowohl was dem ästhetischen Projekt, als auch dem Inhalt selbst meines Werkes anbetrifft. Und was ich faszinierend finde, ist das festzustellen, dass sich vieler dieser Signale schon im “Através da Vidraça” befinden.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Die Frage der Gesamtheit in deinem Werk erwähnst du mit Nachdruck…
Ricardo Alfaya
Ja. Wenn ich im “PD-Literatura” erzähle, was Thereza Christina im Vorwort meines ersten Buches schreibt, erwähne ich die folgenden Abschnitte: a) sie bemerkt, dass das Buch die “unleugbare Gier” des Autors kennzeichnete; b) sie hat noch festgestellt, dass “ …Dichter und Landschaft wechseln, zwischen Beobachter und Objekt, um danach als Fragender am Morgen wiederzuerscheinen”. Das gab es potentiell im “Através da Vidraça”. Wenn es im Buch potentiell gab, würde ich sagen, dass sich die Haltung bestätige und sich ausbreite jenseits der poetischen Genre selbst im Laufe meines Lebens und meines Werkes. Und in “Sujeito a Objetos”, ist das auch im ganzem Buch präsent. Dazu soll ich noch einfügen, dass der Aspekt ebenfalls von der Kritikerin und Literatur Theoretikerin Cecy Barbosa Campos wahrgenommen wurde. Sie schrieb eine hervorragende Rezension über mein zweites Buch. In einem Abschnitt schreibt sie: “Ab “Sujeito a Objetos” werden wir dazu geführt, die Wichtigkeit der Teile gegenüber dem Ganzen zu betrachten, oder des Individuellen gegenüber dem Universalen”.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Man kann dann sagen, dass “Sujeito a Objetos” ein thematisches Buch sei?
Ricardo Alfaya
Genau, “Sujeito a Objetos” ist ein thematisches Buch. Das Buch war die Entwicklung eines Kapitels, welcher sich zu einem vorigem Projekt verknüpfte. Als ich die Stücke sortierte und das Thema des Buches überlegte, habe ich gemerkt, es wäre besser vertreten, wenn ich jenes Kapitel vertiefen könnte und zwar durch seine Auszeichnung. Das war, was ich gemacht habe. Schon “Através da Vidraça” ist kein thematisches Buch, obwohl da eine gewissen Stileinheit gewahrt wurde. “Através da Vidraça” ist eine Zusammenfassung von Gedichten, in welchen eine starke Sozial-Kritik herrscht, sowohl politisch als auch unter der Hinsicht von Sitten und Bräuchen. Das ist in “Sujeito a Objetos” auch festzustellen, aber unter Nachforschungen und Fragen einer mehr als philosophisch und delikat Weise bezeichnet.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Wie war es, an dem Buch “Rios” teilzunehmen und wie welche Wert wird es in deiner Karriere haben?
Ricardo Alfaya
Es war hervorragend neben vier ausdrucksvollen Namen unserer Literatur zu sein und noch wichtiger eingeladen von Márcio Catunda. Das betrachte ich als literarischen Preis. Wie schon erwähnt, das Buch fasst fünf Dichter zusammen: Elaine Pauvolid, Márcio Catunda, Ricardo Alfaya, Tanussi Cardoso e Thereza Christina Rocque da Motta. Es geht um eine Veröffentlichung vom Ibis Libris, Rio de Janeiro, am 5. September 2003 der Öffentlichkeit vorgestellt. Ich denke, das Buch wird wertvoll werden, um das Werk jedes Teilnehmers bekannter zu machen. Ich hoffe auch, dass es dazu beitragen wird, um mein allgemeines Projekt deutlicher zu machen und als Bereicherung meiner Selbstkritik.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Wie wird “Rios” von den Lesern angenommen? Was sagen sie zu “Sujeito a Objetos”?
Ricardo Alfaya
Es ist niemandem unbekannt, dass der Gedicht-Konsument heute in Brasilien in seiner Mehrheit und fast ohne Ausnahmen Menschen sind, die auch Gedichte schreiben. Dazu kann man die Forscher und die Literatur-Kritiker als Interessierte hinzufügen. Das ist eine historische Datei, welches die Ansprüche eines Dichters zur folgender Realität reduziert: entweder überlegt er, eine parallele Aktivität zu entwickeln, die ihm den Zugang zu den so genannten “grossen Medien” ermöglicht, damit er “populärer” wird, oder engagiert er sich dazu, um die Anerkennung seinesgleichen zu erreichen. Wenn die Möglichkeit besteht, kann er auch Beides versuchen. In der heutigen Struktur der “grossen Medien” sehe ich keinen Anlass, den Zugang zu erreichen. Demnach habe ich mich entschieden, die zweite Option zu nehmen. Ich habe “Rios” ein paar Kritikern und berühmten Dichtern geschickt. Andere, ihretwegen, haben sich bei mir gemeldet, um nach dem Werk zu fragen. Die Empfänger habe ich motiviert, ihre Meinung über das Buch und über meinen Teil davon auszudrücken. Im Allgemeinen gab es sehr positive Kommentare über die fünf Autoren. Viele haben über “Sujeito a Objeto” geschrieben.
Es waren von kurzen aber ausdruckvollen Aufsätzen bis zu längeren Analysen. Manche haben es bevorzugt, Gedichte des Buches zu fokussieren und in ihren Publikationen zu veröffentlichen. Eine Dankesliste wurde im Nozarte Nr. 12 veröffentlicht, und zwar auch mit deinem Kommentar, Tânia. Die weiteren Namen: Adriana Zapparoli, Alcides Buss, Almandrade, Ana Luísa Peluso, Anderson Braga Horta, Antonio Carlos Secchin, Antonio Junior, Antonio Luiz Lopes (Touché), Aricy Curvello, Avelino de Araújo, Branca Bakaj, Carlos Furlan, Cecy Barbosa Campos, Cláudio Feldman, Cynthia Dorneles, Dalila Teles Veras, Denise Teixeira Viana, Djanira Pio, Douglas Lara, Edgard Guimarães, Eduardo Waack, Enéas Athanázio, Eunice Mendes, Fabio Rocha, Fernando Fábio Fiorese Furtado, Glenda Maier, Goulart Gomes, Greta Benitez, Hugo Pontes, Izacyl Guimarães Ferreira, Jairo Pereira, Jayro Luna, João de Abreu Borges, Joaquim Branco, Jorge Domingos, José Geraldo Neres, José Antonio Martino, Jurema Barreto de Sousa, Karla Barros Leite, Leila Míccolis, Luiz Alberto Machado, Luiz Otávio Oliani, Maurício Carneiro, Moacy Cirne, Mônica Montone, Nina de Almeida, Nilto Maciel, Olga Savary, P.J. Ribeiro, Reynaldo Valinho Álvarez, Ricardo Mainieri, Rogério Salgado, Rosa Born, Sammis Reachers, Selmo Vasconcellos, Sérgio Gerônimo, Sérgio Vale, Soares Feitosa, Tânia Gabrielli-Pohlmann, Tuca Ribeiro, Vânia Moreira Diniz, Zanoto.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Manche Dichter und sogar Kritiker bezeichnen die ausführliche Analyse der Poesie als ungeeignete Haltung, da sich das gute Gedicht per se schon beantworte und keinen Führer braucht. Welche ist deine Meinung dazu?
Ricardo Alfaya
Tatsächlich habe ich verschiedene Meinungen gelesen, in welchen sich mal die Dichter mal die Kritiker selber gegen die ausführliche Analyse von Gedichten oder Gedichtbücher ausdrücken. Es wird gesagt, dass diese Art Analyse das Gedicht kaputt mache, dass die Analyse, welche “die Eingeweide” des Gedichtes verdeutliche, das Gedicht vernichte usw. Es stimmt, dass ich in einem bestimmten Moment diese Idee teilweise sogar übertrug (zum Beispiel: die Einleitung meiner Rezension der “poemínimos”, von José Geraldo Neves).
Unterdessen reflektierte ich sehr intensiv darüber und heute denke ich in einer anderen Art und Weise. Wenn jemandem das Gedicht als “vernichtet” betrachtet, weil ein Leser oder Kritik eine tiefe Analyse darüber machte, dann besitzt das keine künstlerische Qualität. Die umgekehrte Idee zu fördern, bedeutet es, das Konzept der Notwendigkeit der Rätsel in der Kunst zur extremen Konsequenz zu führen und zwar in einer Ebene, die ganz dicht an dem Absurden steht. Deswegen sollte das Werk nicht ausführlich kommentiert werden, oder sollte es rein, unberührt, geschlossen, versteckt bleiben? Andererseits: welche kritische Analyse, je tiefer sie sei, erreicht es, ein wirklich wertvolles Werk komplett zu erschöpfen? Es ist mehr als genug, wenn der Leser an seine Lieblingsgedichte denkt, besonders an jene, die er auswendig weiss, an jene, wie Borges sagt, “ihn bis zum Ende begleiten werden”. Liebe der Leser diese Gedichte, weil er von ihnen nicht erreicht, ihre verborgene Bedeutung herauszuziehen, oder ganz im Gegenteil, liebe er sie genau deswegen, weil die in den Gedichten befundenen Wörter einen besonderen Sinn wirken?
Werden die berühmten Verse, wie “em que espelho ficou perdida a minha face?”, von Cecília Meireles, von ihren Lesern geliebt, weil ihre Bedeutungen abstrus sind oder weil sie einen universal Schmerz ganz deutlich ausdrücken? Und mehr, wäre es auch nicht, weil sie es mit einer einzigartigen Schönheit, Eleganz, Rhythmus und Harmonie machen, was ein unermüdliches Vergnügen produziert, wenn man sie liest und ausdrückt? Es gibt noch einen anderen sehr interessanten Aspekt: Wenn das Werk reich, komplex ist, tendiert jeder Leser, der ihm gegenübersteht, unterschiedliche Aspekte hervorzuheben. Es geschieht hier eine dynamische und dialektische Interaktion zwischen der Kenntnis des Lesers und dem eingeschätzten Werk. Ich habe die Gewohnheit, jedes Vorwort und jeden Kommentar zu lesen. Manchmal lese ich es bevor ich den Text des Autors lese, je nach dem Fall. Was ich dabei beobachte ist, dass je reicher das Werk ist, desto grösser sind die Vielfältigkeit und der Reichtum, die auch in den Vorwörtern erscheinen. Und, je ausführlich sie sind, erschöpfen sie nicht die Vergnügen und die Geheimnisse eines guten Textes.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Nur ein Autor, der eine poetische Reife-Phase erlebt, wäre fähig, “Sujeito a Objetos” zu schreiben. Andererseits, bis heute entwickeltest du poetische Genre, die sich sehr unterscheiden, von den in dem Werk erschienen Gedichten. Befürchtest du nicht, dass es dich beschädigen könnte, in dem Sinn, dass die Kritik solche Haltung so interpretiert, als eine typische Suche von einem, welcher die Reife als Dichter noch nicht erreicht habe?
Ricardo Alfayal
Literatur Machen ist für mich die körperliche Aktivität, die am nächstem den Gedanken und der Meditation ist. Und nur wenn ich nachdenke und meditiere, fühle ich mich in der vollständigen Ausübung meiner Freiheit. Für mich ist das Praktizieren der Literatur die einzige materielle Tat in der körperlichen Welt, die irgendeinen Sinn hat. Andererseits erkenne ich, dass die Literatur, wie alles, was es in der Zivilisation gibt, in einem sozialen Spiel inseriert.
Das bedeutet, sie hat auch Regeln. Also, wenn die Regeln begrenzen, es sind auch sie, die das Spiel dulden. Das sind für mich die Genres: verschiedene Spiele in einem grösseren Spiel der Literatur. Wenn ich mich in mehreren Genres vertiefe, je mehr Raum für die Freiheit werde ich haben. Obwohl ich weiss, dass ich das Risiko eingehe, falsch interpretiert zu werden, verharre ich im vielfältigen Praktizieren, damit mir das Gedichtmachen weiter eine Ausübung der Freiheit bedeuten kann. So habe ich im Jahr 1982 angefangen, diskursive geschriebene Poesie zu machen. Heute mache ich sie immer noch. In den 80er Jahren habe ich neokonkrete Prozeduren begonnen, mich auch für Visuell-Poem und für Prozess-Poem interessiert und auch angefangen solche zu machen. Noch dazu habe ich das Kurz-Gedicht, also die schriftlich minimalistische Poesie, in ihren verschiedenen Formen eingeführt. In diesem Sinn möchte ich darauf hinweisen, dass ich keine isolierte “Phase” gehabt habe, wie auf einmal eine diskursive, dann eine konkrete, von einer neokonkreten verfolgt und noch eine visuell, sondern, wie ich bis heute immer noch arbeite, wird jede Richtung geachtet und solchen Prozess verstehe ich nicht als ein Prozess der Fragmentierung, sondern als einen der Eingliederung.
Diese oben schon erwähnte “Gier” äussert eigentlich eine Tendenz der Ausdehnung des Bewussten in der Suche nach einem Sinn der Gesamtheit. Meine so zu sagen “epische Bestrebung” existiert grundsächlich in dem Sinn, mit jeder dieser so unterschiedlichen Formen umzugehen, und dabei in jeder von dieser Formen meines Bestes zu entwickeln. Es geht weder um verschiedenen “Ich” noch um die Suche nach “einem” endgültigen Stil nach vielen Experimenten, sondern es geht darum, das “Ich”, welches sich ausdehnt und sich eingliedert und dadurch seine Markierung hinterlässt. Gleichzeitig dazu geht es auch darum, von dem intimen Kontakt mit jedem der Stile geprägt zu werden. Ob es begriffen wird oder, ob davon ein ewiges Werk herauskommen wird, das kann ich nicht sagen. Aber ich bevorzuge die befreiende Ehrlichkeit dieser Prozedur, als das belletristische Gefängnis der wiederholten Manierismuspraxis, welche einen Stil zu Kosten des Künstlerischen und der Schichtung konsolidiert. Vielfältig sein und das Paradoxe kultivieren – das ist mein Stil.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Und innerhalb dieses Konzeptes, welcher ist der in “Alfayeus” existierende Sinn? Wie ist er entstanden, was bedeutet er und integriert er sich zu dieser Hinsicht der Gesamtheit, oder bildet er ihre Verneigung?
Ricardo Alfaya
Das Alterego Alfayeus tritt in der Öffentlichkeit im “Nozarte” Nr. 8 (1999/2000) auf, und zwar mit einer relativ absurden Bemerkung zu einem dort übertragenen Gedanken von mir. Der Charakterzug seiner Teilnahme besteht aus: flüchtige Konzepte ausdrücken, falsche Inschriften schreiben, Fussnoten, in die Gedichte einspringen und sie verlassen oder noch in den Gedichten erwähnt zu werden. Im Gegenteil zu Heteronamen und anderen Persönlichkeiten, Alfayeus zeigt sich weder als eine feste Form, noch befindet er sich nicht immer in gleicher Zeit oder Platz. Sein Kennzeichen ist es, mutierend zu sein und so auszusehen, als ob er gleichzeitig an verschiedenen Orten wäre. Ich glaube, er integriert sich ohne Widerspruch auch in meinem holistischen Projekt. Meine Poesie beharrt sich auf dem Sein zu bestätigen und auf dem Materialismus und den Nihilismus abzulehnen. So ist es schon seit dem Eröffnungsgedicht von “Através da Vidraça”, welches einen merkwürdigen Titel hat: “Sob os Efeitos da Notícia da Bomba de Nêutrons” (“Unter der Wirkung der Nachricht über die Neutronenbombe”). Damals wurde es in den Zeitungen berichtet, dass diese Bombe Menschen toten könnte, ohne Objekte zu vernichten. Das heisst der nordamerikanische Pragmatismus bis zum Delirium geführt. In diesem Gedicht sage ich: “Desprezo à higiene inumana / Que deseja matar sem verter sangue / Desprezo aos edifícios, a toda tralha / Materialista que permanecerá de pé / Entre cadáveres”. (1) Hier gibt es ein interessantes Detail, denn der “materielle Kram” wird nicht verachtet, sondern der “materialistische Kram” und zwar in einer künstlerischen Freiheit, die den Sinn des Wortes in Richtung der materialistischen Ideologien und Systeme erweitert.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Welche wird die Zukunft solcher Prozeduren?
Ricardo Alfaya
Das ist schwer zu sagen. In “Através da Vidraça” habe ich ein Gedicht unter dem Titel “Fragmentado” (“Fragmentiert”) geschrieben. Die Verleger haben mir vorgeschlagen, dieses Gedicht weg zu lassen, denn es passe nicht zu dem Ganzem und die Einheit bräche. Letzten Endes war es ein diskursiv Gedichts-Buch und dieses Gedicht war ein diskursives Stück, welches am Ende Elemente der Konkret-Poesie verwendete. Ich habe mich entschieden, dieses Gedicht nicht weg zu lassen, und heute denke ich, es war die richtige Entscheidung. Nicht weil es ein grosses literarisches Stück ist, sondern ein Register meiner Neigungen. Dieses Gedicht kündigt offiziell mein Interesse für eine Art Weg an, der sich der Möglichkeiten der diskursiven Poesie begrenzen lässt. Und in vielen Gedichten nehme ich die Praxis der Fusion mehrerer Genres wieder auf. Jedoch wenn ich heute es mache, suche ich nach einem allgemeinen Gleichgewicht in der Struktur. Dass ich einen einsamen und schwierigen Weg in der Poesie gewählt habe, das erkenne ich wohl…
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Im Jahr 2003 nahmst du auch an der Anthologie “Onze Autores da Web” (“Elf Autoren der Web”), die von Douglas Lara aus Sorocaba (Bundesstaat São Paulo) koordiniert wurde, teil. In dieser Anthologie sind 19 Stücke von dir. Sind sie eine Kontinuität zu “Sujeitos a Objetos”?
Ricardo Alfaya
An der Anthologie “Onze Autores da Web” nahm ich mit einem neuen Ensemble teil. “Dez em Cantos Sedutores e Nove Poemas ao Mar”, fasst 19 bis dato unveröffentlichte Gedichte zusammen. Manche wurden speziell für das Buch geschrieben. Es sind kurze Gedichte, die eine lyrischere Sprachweise haben. Obwohl sie als viel leichter als die vom “Sujeitos a Objetos” sind, fehlt es nicht in manchen die sozial Kritik und der existentiellen Verlegenheit, die meiner Meinung nach, einen guten Teil meiner Produktion zeichnet. Meine Teilnahme in diesem Buch kam als Folge meiner Präsenz in dem anderen Buch, als Gegenleistung für 15 Exemplare von “Rios”, denn “Onze Autores da Web” war eine unter Kooperativsystem entstandene Anthologie. Das war für mich ein sehr wichtiger Moment, denn ausser der Ausbreitung meines Werkes, hat es mir ermöglicht, Gedichte zu registrieren, die ich als bedeutsame in meiner Produktion bezeichne.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Und im Bereich Prosa, was hast du in der letzten Zeiten gemacht?
Ricardo Alfaya
Ich habe viele Essays und Chroniken geschrieben. Die drei im Web veröffentlichten Kurzgeschichten wurden auch sehr positiv angenommen, aber mein umgehendstes Prosa Projekt ist dem Bereich des Essays und der Chronik zugewandt. Ich bin sicher, ich habe sowohl in einem Genre als auch im anderen genug Material für ein Buch. Es wären dann mindestens zwei Bücher und dazu noch eines mit Kurzgeschichten. Eigentlich könnte ich genug Material selektieren und so sortieren: ein Buch für Visuell-Poesie, eines für Neokonkret-Poesie, eines für Minimalistisch-Poesie und zwei für Diskursiv-Poesie. Ich meine damit Bücher, die jeweils ca. 150 Seiten hätten.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Ricardo, unser gegenseitiger Kontakt entstand durch den “Nozarte”, welcher einen sehr bedeutsamen Platz für die Kultur-Ausbreitung angeboten hat und zwar immer mit Glaubwürdigkeit. Erzähle über “Nozarte” und wann das Publikum ihn wieder haben wird…
Ricardo Alfaya
Die Geschichte des “Nozarte Informativo Impresso e Eletrônico” ist eine Frage für sich. Die elektronische Version wurde im Intermega, von Globo, veröffentlicht, aber es gab dabei immer viele Probleme. Das letzte Mal war der Host verschwunden und damit viele Seiten, deren Herausgeber fassungslos wurden. Also recherchiere ich noch eine neue Möglichkeit für den “Nozarte” und sobald es möglich wird, veröffentliche ich ihn wieder. Da ich das Archiv der ehemaligen Ausgabe durch dieses Problem verloren habe, muss ich eine neue Site dazu aufbauen und von Null wieder anfangen. Glücklicherweise habe ich mindestens die Textarchive, die in dem verlorenen “Nozarte” veröffentlicht wurden. Dieses Informativ existiert seit dem Jahr 1995 und damals habe ich mit dem so genannten gedruckten Circuit begonnen. Ins Web wurde es im Dezember 2001 eingestellt. Damals erschien es durchschnittlich bis zu zwei Mal im Jahr und wurde an ca. 400 Schriftsteller oder Interessenten versandt. Es wurde insgesamt 12 Ausgaben veröffentlicht. Es werden aber tiefe Änderungen gemacht werden und u.a. wird die gedruckte Publikation weniger Seiten haben und nur an die Erwähnten geschickt. Im Ausgleich dafür wird “Notzarte” häufiger erscheinen. Es geht um eine “Überlebens-Strategie”.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Hier in Deutschland wird die aktuelle Tendenz der Literatur häufig diskutiert und besonders im Bereich der historischen Register, die sich auf die Frage der Vielheit der miteinander lebenden Kulturen beziehen.
Als wir deinen Bericht über den 11. September 2000 in der Sendung “Revista Viva” gelesen haben, wurden die Zuhörer von einem so zu sagen unerwarteten Sicht der brasilianischen Literatur überrascht. Die soziale Thematik in der brasilianischen Literatur kann auch als historisches Register betrachtet werden. Wie interpretierst du dieses thematische Bedürfnis in Konfrontation mit der Form?
Ricardo Alfaya
Unter ihrem umfassenden Sinn schliesst die Literatur Vers und Prosa ein. In den literarischen Prosa-Genres wie Chronik, Essay, Bekenntnis, Artikel u.a. denke ich, wird die Präsenz des Politischen und des Sozialen weniger Konflikt oder Form-Schwierigkeiten verursachen, es sei denn das Stück exzessiv pamphlet-eingerichtet ist, wenn sich Unwahrheiten in seinem Inhalt befinden, und falls es inkonsequente oder tendenziöse Argumentierungen vermittelt. Nie zuvor habe ich erlebt, dass ein Schriftsteller verurteilt wird, weil er häufig inhaltlich politische oder soziale Chroniken produziert. Letztes Ende wäre solche Kritik irgendwie widersprüchlich. Obwohl die Fiktion in der Chronik angenommen wird, und auch wenn sie in einem Thema spezialisiert ist, sie ist durch die alltäglichen Fakten charakterisiert, was sie jedoch wesentlich mit der Realität verbindet. Mein von dir erwähnter Text, zum Beispiel, gehört zu diesem Genre. Andererseits, und besonders wenn man an Prosa- Poesie und –Fiktion denkt, dann gibt es eine heisse Polemik über die Gültigkeit der Sozial-Beteiligungskunst. Insbesondere, wenn sie ihre Thematik auf das Soziale konzentriert. Dieses ist eine sehr komplexe Frage und darüber habe ich ein paar Artikel geschrieben, die in der elektronischen Zeitschrift von José Geraldo Neres und seiner Gruppe veröffentlicht wurden.
Meinerseits, versuche ich in meinem Werk die folgende Idee zu vereinigen, dass die Kunst nur zu sich selbst dienen solle, mit der Idee dem Bedarf des Ausdrucks der inneren Wahrheit seines Autors. Unter solcher Hinsicht nehme ich an der “gestalterischen” Sicht teil, wie Carl Rogers. Das heisst, es gibt ein Ganzes, welches das Sein formiert, und welches auch sowohl was sich “drinnen” befindet, als auch “ausserhalb” des Individuums umfasst. Jede Person ist auch die Stadt, in welcher sie geboren war, die Menschen, mit welchen sie sehr nah lebt, die von ihr häufig besucht werden, die Lesungen, die sie macht. Wenn ich über die Politik meines Landes spreche, über die ökologischen Fragen, welche die Welt betreffen, über die von mir geliebten Stücke Mozarts, spreche ich auch von mir. Dann spreche ich von mir und von der Welt. Es wird erzählt, dass Ramakrishna einen Mann gesehen habe, der in der Nähe eines Flusses geprügelt wurde. Der Heilige hat in seinen Rücken nicht nur die Schmerzen von den Peitschenhieben gefühlt, die den Mann betroffen haben, sondern bekam sein Rücken auch die gleichen Prellungen. Natürlich habe ich die gleiche Bewusstseinsebene der Gesamtheit wie Ramakrishna nicht, aber ich habe genügend davon, um wahrzunehmen, dass wir uns sowohl mit Wesen als auch mit Sachen liebvoll verbinden, und dass diese Elemente bekommen für uns Bedeutungen; Bedeutungen, die ihrerseits uns erklären, uns über uns selber erzählen. Je präsenter das Verständnis dieses Faktes wird, tendiert meine Poesie dazu, “Subjekte und Objekte” in einer kritischen Art und Weise zu verhandeln, aber immer erforschlich und multieingerichtet als je. Andererseits, obwohl die Entscheidung für diesen Weg mit der Unterstützung der Verstand bekommt, folgt sie einer Tendenz, welche ab einem Bedarf existentieller Natur geht. Andere Art und Weise Kunst zu produzieren hätte für mich keinen Sinn. Natürlich sage ich es nur in Bezug zu mir. Ich habe damit nicht vor, eine Regel oder Norm vorzuschreiben. Ich denke, es gibt Platz für alles und für alle und die verschiedenen Praxen hegen die Schönheit, die sich in der Vielfältigkeit des Ganzen befindet.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
Schon seit lange lege ich viel Wert auf die Frage der sozialen Rolle des Schriftstellers. Und in unseren “virtuellen Gesprächen” haben wir auch sehr häufig Meinungen darüber ausgetauscht. Du hast mir sogar das Gedicht “Cartilha em Pó” (“Fibel in Pulver”) geschickt, welches eine gewisse Enttäuschung über unser literarisches Schaffen gegenüber unserer Realität spiegelt. Wie kann in dieser Art und Weise ein Schriftsteller einen Gleichgewichtspunkt gegenüber diesem Paradox, in welchem wir leben, finden? Welche ist – unter deinem Gesichtspunkt – die soziale Rolle des Schriftstellers, besonders aus Brasilien?
Ricardo Alfaya
In einem umfassenden Sinn heisst eines der Kennzeichen meiner Poesie, in der Öffentlichkeit die Herausforderung der widerspruchsvollen Aspekte, der Paradoxen meiner Persönlichkeit selber und der menschlichen Existenz in sich anzunehmen. In vielen meiner Gedichten wird die Frage der Poesie diskutiert. In “Cartilha em Pó” stelle ich eines der schrecklichsten Aspekte der Situation vor.
So sagt das Gedicht:
CARTILHA EM PÓ (2)
(um pó ema de Ricardo Alfaya)
Cada poema que nasce
Já nasce tão velho
Que no primeiro verso
Já disse o bastante
Cada palavra por escrever
Já se acha pronta
Completamente pronta
Para morrer
Ó Vindouros!
Que farão de nós
Dos ossos frágeis
De nosso magro tesouro?
Vocês
Que com Razão
Nunca rezarão por nós
Predadores
Ricardo Alfaya
Ein Fan vom “Es wurde schon alles gesagt” bin ich nicht, obwohl ich erkenne, dass das oben erwähnte Gedicht diesen Eindruck hinterlässt. Trotzdem, kann ich unter anderen, ein Gedicht erwähnen, wie “Ainda sobre Nuvens” (“Immer noch auf Wolken”), ein in meiner persönlichen Geschichte sehr wichtiges Gedicht, in welchem ich die Gültigkeit des Sagens über irgendwelches Thema verteidige. So soll die Ausgangserklärung des Gedichtes zu der Abwesenheit des deutlicheren und sofortigen sozialen Bewussten in Bezug zu was wir schreiben wirklich verknüpft sein. In gewisser Weise veraltet das den Text und wandelt ihn frühzeitig zu einem Museumsstück, zu einem Belletrismus. Um die komplette Mutlosigkeit zu verhindern, könnten wir in der Idee Zuflucht suchen, dass uns vielleicht die “Nachwelt” loskauft, uns von der Stagnation oder der Vergessenheit retten. Das Problem aber heisst: In wie fern wird die heute gemachte Poesie die Nachwelt interessieren? In jeder Epoche gibt es viele, die sich als “Berufene” bezeichnen, aber diejenigen, die solche Aussage bestätigen, diese sind wenige, wirklich wenige. Trotzdem, selbst das, was bedeutet das genau? Welch’ zusätzliche Illusion? Das ist ein komplexes Thema und ich müsste ein Essay schreiben, um meine Meinung darüber ausführlich darzulegen. Andererseits gibt es einen relevanten Aspekt in dem Hauptpunkt der “sozialen Wichtigkeit” des Schriftstellers, den ich erwähnen möchte: Der Herausgeber des elektronischen Informativ “Balacobaco” fragt auch ziemlich häufig seine vielen Interviewten, welche die “soziale Rolle des Schriftstellers” ist und eine grosse Anzahl dieser Schriftsteller antworten nur: “Schreiben”.
So denke ich auch, also, wenn die Rolle des Schriftstellers selbst als sozial wichtig bezeichnet wird, das heisst, wenn er schreibt, dann macht er schon seinen Teil. Und nach allem, was ich schon gesagt habe, bedeutet es nicht, er müsse über diese oder jene Thematik schreiben. Trotzdem, bezeichne ich als beklagenswert die isolierende Übersicht, welche wir heute erreicht haben, insbesondere im Bereich der Poesie. Dichter schreiben für Dichter und praktisch für niemanden mehr. Ich habe schon manche Menschen kennen gelernt, die sagen, das sei ganz und gar annehmbar, oder sogar erwünscht. Sie fügen noch dazu, dass es laut der Geschichte immer so gewesen sei, das heisst, das belesene Publikum sei immer als Minderheit bezeichnet worden, dass Schriftsteller immer für intellektuelle Eliten produziert hätten. Tja, dass kann sogar wahr sein. Aber was sehr frustrierend ist, dass das Interesse für die Literatur und für die Poesie einschliesslich, durch die Demokratisierung des Lehrsystems und durch die technologischen Möglichkeiten, die uns heute zur Verfügung gestellt werden, könnte viel grösser sein. Es wird gemerkt, dass es ein “Betrug” unterwegs war, vor allem in Ländern wie in Brasilien, in welchen wurde die mündlich überlieferte Kultur teilweise durch die audiovisuelle Kultur ersetzt, ohne das die Bevölkerung die akademische oder die schriftliche Kultur vollständig assimiliert hätte, wie der Kommunikations-wissenschaftler Luís Costa Lima feststellt. Daher bleiben wir auf dieser Ebene, dass heisst: Poesie für Dichter: Ein Teufelskreis. Als ich im Interview für die Site VMD/Nascente von Vânia Moreira Diniz und Luiz Alberto Machado schon gesagt habe, bieten wir das Bankettes dem, der keinen Hunger hat. Wir bieten Getränke denjenigen, die schon betrunken sind so jeder von uns tarnet die Sprachenweise, entwickelt Schriftstücke, die immer grössere Exegesefähigkeit, analytische Neigung linguistische Kenntnis, Gelehrsamkeit und parallele Lesungen fordern. Um die zeitgenössische Poesie zu begreifen, muss der Mensch ein Eingeweihter sein. Und er muss auch noch Kenntnisse von Psychoanalyse, Strukturalismus, Linguistik, Semiologie, Mythologie, Griechisch-Römischer Kultur, Okkultismus, Taoismus, Zen-Buddhismus, Quanten Physik, bildender Kunst, Geschichte, Wissenschaft und sogar Literatur mit ihren Hunderten Schulen, Bewegungen und Hauptautoren, seien sie die Unabhängigen, die Verstorbenen oder die noch Lebenden haben. Heutzutage bedeutet das Streben nach dem Schreiben die Herausforderung anzunehmen, eine Sonne in einer Welt voll mit Sonnen zu haben. Die Helligkeit ist so reichlich, dass alle geblendet werden. Und das Volk hält sich davon entfernt.
Tânia Gabrielli-Pohlmann
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Ricardo Alfaya
Ich möchte mich einfach bei dir und bei allen für diese Gelegenheit bedanken, über mein Werk zu sprechen. Und für das Übermass bitte ich um Verzeihung. Es ist schwierig, über sich selbst zu reden ohne irgendeine Art Übermass zu begehen, sei es mehr oder minder.
(1) In einer freien Übersetzung:
Ich verachte die unmenschliche Hygiene,
die ohne fliessendes Blut zu töten wünscht
Ich verachte die Gebäude, den ganzen materialistischen Kram
der stehend bleiben wird
Unter Leichen
Mit dem Wort “tralha” spiegelt der Autor die Klangfülle eines Maschinengewehres.
(2) In diesem Gedicht sind die Wortspiele in die deutsche Sprache nicht ohne semantische Schäden zu übertragen.
In einer wörtlichen Übersetzung:
Jedes Gedicht, welches geboren wird,
Wird schon so alt geboren
Dass in dem ersten Versen
Schon genug gesagt hat
Jedes noch schreiben werdendes Wort
befindet sich schon bereit
Vollständig bereit
Zu sterben
O, Nachwelt!
Was werdet ihr aus uns
Aus unseren zerbrechlichen Knochen
Aus unserem mageren Schatz machen?
Ihr
Die mit der Vernunft
Nie für uns beten werdet
Für uns die Plünderer.
Hier sind doppelte Bedeutungen durch viele Wortspiele zu erkennen, wie im Fall des Wortes “pronta”, welches entweder “fertig” oder “bereit” bedeuten kann. Mit dem Wort “Razão” hinterlässt der Autor dem Leser die Interpretationsfreiheit, da das Wort sowohl “Vernunft” als auch “Recht” bedeutet.