Javaé

Zuletzt bearbeitet: 3. Dezember 2020

Itya Mahãdu, die Selbstbezeichnung der Javaé bedeutet “Volk der Mitte”. Für sie ist das Leben innerhalb einer Gesellschaft der Preis, den die Menschen für ihre Neugier bezahlen mussten, das “Neue” kennenlernen zu wollen. Die “Vertreibung aus dem Paradies”, welche in ihrem Fall einen “Aufstieg” bedeutet, denn vorher lebten sie auf dem Grund des Araguaia-Flusses, brachte den Männern die Verpflichtung, im Haus ihrer Ehefrauen zu wohnen und für sie an Schwiegerväter und Schwäger zu bezahlen.

Javaé

Andere Namen: Karajá, Itya Mahãdu
Sprache: Karajá, des linguistischen Stammes Macro-Jê
Population: 1.456 (2009)
Region: Bundesstaat Tocantins
INHALTSVERZEICHNIS
Name, Sprache
Lebensraum
Bevölkerung
Geschichte des Erstkontakts
Gesellschaftliche Organisation
Frauen und Männer in den Mythen und Riten
Quellenangaben

Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
Audiência com Lideranças Indígenas Javaé e Karajá
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nach obenName

Die Javaé sind eine der drei Untergruppen in die sich die Nation der Karajá aufteilt. Die anderen zwei sind die Karajá selbst und die Xambioá. Das Wort Javaé, wahrscheinlich aus dem Sprachstamm Tupi-Guarani, gehört nicht zur von ihnen gesprochenen Sprache. Inÿ, die Selbstbezeichnung aller drei Untergruppen, bedeutet “Leute” oder “Menschenwesen”, aber die Javaé und die Karajá nennen sich selbst auch Itya Mahãdu – das “Volk der Mitte”.

nach obenSprache

Die drei Untergruppen ähneln sich von ihrer Kultur her, obwohl es Differenzen gibt, und sie sprechen die Karajá-Sprache, mit ein paar Dialekt-Variationen, welche zum linguistischen Stamm Macro-Jê gehört. Sie ist allerdings sehr verschieden von jeder anderen Sprache desselben linguistischen Stammes. Eine bemerkenswerte Charakteristik ist die unterschiedliche Ausdrucksweise zwischen Männern, Frauen und Kindern – jede dieser Gruppen benutzt eine spezifische Ausdrucksweise, und die ist besonders gebräuchlich unter den Karajá selbst. Sie beweist auch die deutliche Trennung zwischen den männlichen und den weiblichen Rollen. Was den Umgang mit der sie umgebenden nationalen Gesellschaft betrifft, so sprechen und verstehen alle Javaé ein Minimum an Portugiesisch.

nach obenLebensraum

Seit undenklichen Zeiten bewohnt die Nation Karajá schon das Tal des Rio Araguaia, der bis vor kurzem als Brasiliens fischreichster Fluss galt. Er ist der bedeutendste Zufluss des Rio Tocantins und entspringt in der Serra dos Caiapós, welche sich an der Grenze zwischen Goiás und Mato Grosso do Sul erhebt. Mit seinen 2.000 km Länge bildet der Araguaia in seinem Mittelabschnitt die grösste Flussinsel der Welt, die Ilha do Bananal, gelegen im Bundesstaat Tocantins, an der Grenze zu Mato Grosso.

Mit einer einziartigen Biovielfalt gesegnet, ist diese Insel bedeckt von Seen und Flüssen, sie hat eine ungefähre Ausdehnung von 2 Millionen Hektar und wird von den Karajá und Javaé als ein mythologischer Ort angesehen, aus dem sie selbst hervor gegangen sind. Man kann sagen, dass der Rio Araguaia eine Übergangszone zwischen Arealen des “Cerrado des Planalto Central” und des Amazonas-Regenwaldes durchquert – vertreten durch hohe Wälder, welche seinen Verlauf säumen, abgesehen von einer wachsenden Abholzung. Die Ilha do Bananal, und die periodisch überschwemmten Regionen um sie herum, sind von der Vegetation des Cerrado bedeckt – in ihrem grössten Teil, und von Galeriewäldern, von niedrigerer Höhe, welche die Zuflüsse des Araguaia und des Javaés (kleinerer Arm des Araguaia, der die Ostseite der Ilha do Bananal umspült) säumen.

Die besondere klimatische Charakteristik dieser Region liegt in einem deutlich markierten Wechsel zwischen einer Regenzeit und Überschwemmung (von Oktober bis Mai) – wenn der Rio Araguaia und seine Nebenflüsse über ihre Ufer treten und den grössten Teil der Insel, sowie weite Areale um sie herum, überfluten – und dem Fehlen des Regens, mit gradativer Entleerung der Flüsse, der Trockenperiode (von Juni bis September). Die Stadt Gurupi, im Bundesstaat Tocantins, ist das grösste urbane Zentrum dieser Region, 120 km weit weg vom grössten Dorf der Javaé mit Namen “Canoanã”.

Die Karajá selbst wohnten stets an den Ufern des Araguaia, das heisst, im westlichen Teil der Ilha do Bananal und am oberen Verlauf des Flusses – jedoch in letzter Zeit haben sich die Xambioá, auch “Karajá des Nordens” genannt, an seinem Unterlauf, das heisst im Norden des Bundesstaates Tocantins, zusammengetan. Die Javaé ihrerseits haben es vorgezogen – auch aus mündlich überlieferten Berichten und historischen Aufzeichnungen ersichtlich – seit eh un je im Innern der Ilha do Bananal und entlang des Rio Javaés und seiner Zuflüsse zu leben – bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts.

Die legale Situation des Indianer-Territoriums ist folgende: im Jahr 1959 wurde der “Parque Nacional do Araguaia” gegründet, bestimmt zum Schutz des lokalen Ambientes, der die gesamte Inselfläche von 2.000.000 Hektar einbezog. Im Jahr 1979 schuf ein neuer Erlass den “Parque Indígena do Araguaia” (Indianer-Park), der sich dann die Gesamtfläche der Insel mit dem Nationalpark teilte. Nach einigen Ratifizierungen im Jahr 1980, veränderte das Dekret Nr. 84.844 die Grenzen der Parks, sodass die aktuelle Fläche des “Parque Indígena” nunmehr auf 1.395.000 Hektar erweitert wurde.

Allerdings beliess das neue Dekret ein Dorf mit Namen “Boto Velho” der Javaé ausserhalb der Grenzen des Territoriums. Deshalb sperrte die FUNAI provisorisch eine Fläche von 145.080 Hektar rund um jenes Dorf im Jahr 1985 – innerhalb des Geländes des Nationalparks, der jetzt von der IBAMA kontrolliert wurde – solange bis man eine Lösung für das Indianerdorf Boto Velho gefunden hätte. Der “Indianerpark”, ohne das Dorf Boto Velho, wurde dann durch die FUNAI am Anfang des Jahres 1988 demarkiert, anerkannt im April desselben Jahres und gleich darauf registriert. Er hat 1.358.499 Hektar Fläche und einen Umfang von 943 km.

nach obenBevölkerung

Die Javaé waren einmal 650 Personen im Jahr 1939, gezählt von dem amerikanischen Anthropologen William Lipkind, in einer Zeit, die mit einem kontinuierlicheren Kontakt der Javaé mit der sie umgebenden nationalen Gesellschaft zusammenfiel. Vierzig Jahre später, im Jahr 1979, zählte der brasilianische Anthropologe André Toral lediglich noch 350 Personen, eine Zahl, welche den drastischen Bevölkerungsschwund nach dem Kontakt mit der nationalen Bevölkerung deutlich macht. Gegenwärtig ist ihre Bevölkerungsziffer wieder auf 850 Personen angestiegen.

nach obenGeschichte des Erstkontakts

Die mündliche Überlieferung der Javaé erwähnt eine lange Reihe von Konflikten und Kriegen gegen die Xavante und Kayapó, ihre traditionellen Nachbarn, die aber schon seit vielen Jahrzehnten nicht mehr stattfinden – auch gegen die Avá-Canoeiro, die, aus ihrem Stamm-Territorium vertrieben, sich feindlich gegen die Javaé stellten, während sie sich in der Region des mittleren Araguaia herumtrieben. Darüber hinaus mussten die Javaé ihren Lebensraum gegen verschiedene andere eingeborene Invasoren verteidigen, die inzwischen ausgerottet sind und keinerlei Identifikation in der portugiesischen Sprache hinterlassen haben. Die Javaé erzählen auch von interethnischen Eheschliessungen und kulturellem Kulturaustausch in der Vergangenheit – besonders mit den Tapirapé.

Im kolonialen Brasilien erreichten verschiedene Söldnertruppen der Bandeirantes die Araguaia-Region auf der Suche nach Indianern, um sie zu versklaven. Der erste schriftliche Bericht, gerichtet an den “General de Goyazes“, stammt aus dem Jahr 1775, vom Fähnrich José Pinto da Fonseca, der in einem Karajá-Dorf gewesen ist. Der Autor erwähnt die Truppe des Paulistaners Pires de Campos, der zirka 25 Jahre zuvor die Bewohner des grössten Karajá-Dorfes abgeschlachtet hätte. Seinerseits stabilisierte der Fähnrich freundschaftliche Kontakte, besuchte ein paar Karajá-Dörfer und begegnete in ihnen einigen Führern der Javaé, denen er ebenfalls seine “Botschaft der Freundschaft” vom General de Goyazes vorlas. Er schloss seinen Bericht mit der Feststellung, dass auf der Insel sechs Karajá-Dörfer und drei der Javaé existierten – mit einer Gesamtzahl von 9.000 Individuen.

Sowohl der Bericht des Fähnrichs als auch andere Dokumente nachher beziehen sich auf einen Söldnertrupp des Vorjahres, mit dem der Auditor Antônio J. C. d’Almeida mit Karajá und Javaé-Indianern Dörfer gegründet haben soll, in der Absicht, die Schifffahrt zu erleichtern und die Ilha do Bananal zu bevölkern. Cunha Mattos enthüllt 1774, dass in dieser Epoche die Schiffseigner vor den Angriffen der Karajá auf dem Araguaia fliehen mussten und deshalb ihre Route auf den kleineren Arm, den Rio Javaés verlegten. Nach dem freundschaftlichen Kontakt mit den Karajá allerdings, stellte man mit der Nutzung des kleineren Arms als alternativen Kanal wieder ein – er fiel in Vergessenheit, zusammen mit den Javaé.

Noch in Zusammenhang jenes Versuchs der Kolonisierung des Araguaia im Jahr 1782 wurden zirka 700 Karajá-Indianer in eine Siedlung in São José de Mossamedes verlegt, nahe der heutigen Stadt Goiás – 1786 gründete man die Siedlung von Carretão, im gegenwärtigen Bundesland Goiás, südlich der Ilha do Bananal, mit Xavante und Javaé-Indianern, deren grösster Teil an Krankheiten, wie zum Beispiel Masern, starb. Die Überlebenden wurden nach Salinas transferiert, im Jahr 1788, einem Ort, der im folgenden Jahrhundert in Dekadenz verfiel.

Die Javaé werden in den Analen der Präsidenten der Provinz von Goiás aus den Jahren 1855, 1861 und 1879 erwähnt. 1888 erhielt der Ethnologe Ehrenreich von den Karajá die Information, dass im nördlichen Abschnitt der Ilha do Bananal drei Dörfer der Javaé existierten. Derselbe Wissenschaftler schätzte die Gesamtbevölkerung der “Javahé. Krajahi und Xambioá” auf 4.000 Individuen. In dem Buch “Entre Sertanejos e Índios do Norte” rekonstruierte der Autor José M. Audrin (1946) den erfolgreichen Versuch des Bischofs von Goiás, die Javaé im Jahr 1896 zu kontaktieren, der angeblich ein Fischer-Camp der Indianer an den Flussstränden des Rio Javaés besucht hatte.

Im Jahr 1908 bereiste der Ethnologe Fritz Krause den Araguaia und besuchte ein Javaé-Dorf im Norden der Ilha do Bananal. Gerade neu gegründet, kam der Serviço de Proteção aos Índios (SPI) zu seinem ersten Kontakt mit den Javaé im Jahr 1911, als seine Beamten sechs Dörfer im Innern der Insel besuchten, dem “exklusiven, entlegenen Reich der Javaé”, dabei schätzte er ihre Bevölkerung auf 600 Personen.

Der Rio Araguaia war stets der bevorzugte Navigationskanal für die Forscher, welche die Region durchquerten, mit Ausnahme des letzten Jahrzehnts des 18. Jahrhunderts. Im Vergleich zu den Karajá und Xambioá hielten sich die Javaé verhältnismässig abseits und isoliert bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts. Ein regelmässigerer Kontakt fand erst nach der Gründung verschiedener kleinerer Orte im Osten der Ilha do Bananal statt, in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, durch Kristall-Schürfer – und danach invadierten kleinere Rinderzüchter ab der 30er Jahre die Insel.

Der Kontakt mit den Invasoren und neuen Nachbarn brachte unbekannte Krankheiten und Tod in die ersten Dörfer der Javaé, die sich im Innern der Insel befanden, die daraufhin in den folgenden Jahrzehnten verlassen wurden. Unter Druck wegen ihres Bevölkerungsschwunds und der wachsenden Invasion der Viehzüchter ins Indianerland, wichen die Javaé nunmehr mit ihren Dörfern an die Ufer des Rio Javaés aus, wo der SPI im Jahr 1952 den ersten Indianerschutz-Posten einrichtete. Im Jahr 1960 wurde dieser Posten ins Dorf Canoanã verlegt, welches dann die Überlebenden anderer Dörfer – Opfer von Epidemien und interner Konflikte – in sich vereinte.

Nach dem Anthropologen André Toral hatte die Bevölkerungskonzentration in Canoanã ihren Höhepunkt in den 70er Jahren erreicht, als das Zusammenleben von Führern und Parteien der unterschiedlichsten Herkunft inpraktikabel geworden war. In Konsequenz zogen sich einige Familien wieder in alte Dörfer längs des Rio Javaés zurück – insgesamt waren es wieder sieben Dörfer im Jahr 1999 – denn auch die Bevölkerungszahl hatte sich seit 1960 von Jahr zu Jahr sichtbar erholt.

Parallel war der Invasions-Höhepunkt der Ilha do Bananal in den 80er Jahren erreicht, teilweise sogar legitimiert von der FUNAI selbst, die 1969 eine Steuer für die Besetzer einführte, um die Naturweidender Insel benutzen zu dürfen. So fanden sich im Jahr 1990 zirka 11.000 Nicht-Indianer in diesem Gebiet, die mit 2.400 Karajá und Javaé das Indianerland teilten. Diese Besetzung der Insel durch Viehzüchter und der intensivere Kontakt zwischen Indianern und Bewohnern der kleineren Nachbarorte, mit Karawanen von Anglern, Touristen und Fisch-Aufkäufern, brachten den Indianern Alkoholsucht und Prostitution in verschiedene Dörfer der Karajá und der Javaé. Alkoholsucht ist gegenwärtig ein zentrales Problem in fast allen Dörfern der Karajá und Javaé, er trägt zur Entfaltung von Gewalt zwischen den Indianern bei, dem Selbstmord unter den Jugendlichen und dem Vorurteil von Seiten der die Indianer umgebenden regionalen Gesellschaft.

Die Ankunft von Nicht-Indianern in der Region hat die Javaé ebenfalls stimmuliert, mit der Kommerzialisierung des “Pirarucu” (grösster Süsswasserfisch) zu beginnen, seit der 50er Jahre, für Aufkäufer, die den getrockneten Fisch in ihren Dörfern abholen, auf diese Weise besonders günstige Preise erzielen und ihn mit beträchtlichem Gewinn in den Städten verkaufen. Aber der unkontrollierte Fang von Tonnen des Pirarucu während der Trockenperiode, jedes Jahr, hat der Umwelt substantiellen Schaden gebracht, hat die Reserven dieser Fischart fast erschöpft, ausserdem eine zunehmende Abhängigkeit der Javaé vom Geld provoziert, was zunehmend auch ihre eigene existenzielle Wirtschaft zum Erliegen bringt, die von der Feldbestellung während der Regenzeit und dem täglichen Fischfang zum Eigenbedarf abhängt.

Die regionale Administration der FUNAI in Gurupi (Goiás) unterhält Indianerschutz-Posten in den Dörfern Canoanã und Barreira Branca, die auch regelmässig von Medizinern und Sanitätern betreut werden – ausserdem gibt es das “Casa do Índio” in Gurupi, in dem auch Kranke anderer Dörfer behandelt werden. Alle Dörfer der Javaé besitzen indianische Lehrer, die zwei Sprachen sprechen und von der FUNAI oder lokalen Distrikten unterhalten werden – sie unterrichten in Schulen des einfachsten Niveaus (Volksschulen). Man muss trotz allem bemerken, dass sowohl Gesundheit wie Erziehung durch die Schule immer noch viel zu wünschen übrig lassen.

Die Verbindung mit der regionalen Gesellschaft hat zwischen den Karajá und Javaé eine politischen Union geschaffen, die es vorher nicht gab. Angeregt von den Indianern, hat das “Ministério Público Federal” in Brasília eine “Öffentliche Zivile Aktion” vorgeschlagen, deren Resultat die FUNAI dazu verurteilte, jene Erhebung der “Steuer für die Nutzung der Weideflächen” einzustellen und nunmehr einen notwendigen Prozess der “Reintegration in den Besitz der Indianer (…) aller illegal durch Dritte besetzten Areale”. In den letzten Jahren begann der Prozess – noch unvollendet – der Abschiebung aller Invasoren des Indianer-Territoriums. Noch am Anfang der 90er Jahre gelang einigen Karajá-Familien die Wiederinbesitznahme eines kleinen Gebiets, das von Nicht-Indianern bewohnt war, dem antiken Hafen Piauí, auf der Ilha do Bananal – dort haben sie ihr neues Dorf Txuiri hingebaut.

Die neueste Bedrohung der physischen und kulturellen Existenz der Karajá ist die Konstruktion der “Wasserstrasse Araguaia-Tocantins” durch die Landesregierung, welche in verschiedenen Abschnitten eine Vertiefung des Flussbettes vorsieht, eine Reduzierung des Levels seiner Nebenflüsse, Explosionen von Bomben im Fluss, Begradigung der Flussufer und tägliche Navigation von grossen Schiffen.

Ein bemerkenswerter Fakt, auf den schon von Anthropologen hingewiesen wurde, die mit den Karajá arbeiten, ist, dass sie trotz ernstester Probleme und Bedrohungen, die ihnen durch den Kontakt mit der nationalen Gesellschaft erwachsen, eine erstaunliche Kapazität beweisen, mit diesen Neuheiten fertig zu werden, indem sie sich alle fundamentalen Aspekte ihrer traditionellen Kultur bewahren – sie sind flexibel genug, um mit dem Neuen in Dialog zu treten, ohne sich selbst deshalb aufzulösen. Und aus den Dörfern des intensivsten Kontakts, wie Santa Izabel der Karajá und Canoanã der Javaé, sind auch ihre bedeutendsten Führer gegenüber der nationalen Gesellschaft hervor gegangen.

nach obenGesellschaftliche Organisation

Vor dem Kontakt mit den Weissen (und gegenwärtig immer noch in kleineren Javaé-Dörfern), bestanden die Bewohner an der Basis aus extensiven Familien, die sich um den Gründer des Dorfes (den “Hawa wedu”) gruppierten und um seine Nachkommen, welchen das unabdingbare Recht gebürte, dieses Dorf als das ihre zu betrachten, unliebsame Bewohner zu verjagen und zu entscheiden, wen sie als Neubewohner akzeptierten und wen nicht.

Die lokale Führung wurde lediglich mit den rituellen Chefs geteilt, wie zum Beispiel dem “Ixÿtyby” (Vater des Volkes) oder dem “Ixÿwedu” (Herrn des Volkes), den rituellen Führern und dem “Iòlò” – dem Träger eines Ehrentitels, den der (oder die) Erstgeborene vom Vater oder der Mutter erbt, der (oder die) vorher “Iòlò” gewesen ist und dem (der) Nachfolger(in) eine Serie von übertragbaren Vorrechten vermittelt. Den Iòlò kam unter anderem auch die Aufgabe zu, bei familiären Konflikten zu vermitteln, ihr Wort wurde von allen Mitgliedern der Kommune respektiert. Nach dem Kontakt bildete sich eine neue Art von Führer, der Spezialist für die Verhandlungen mit den Nicht-Indianern, der der portugiesischen Sprache mächtig war und die Mechanismen der unterschiedlichen Sphären der nationalen Gesellschaft kennen musste. In vielen Fällen ist jener neue Führer aber der Nachkomme eines “Iòlò” oder “Hawa wedu”.

Die Mehrheit der Javaé-Dörfer halten sich noch an die traditionelle Raumaufteilung, welche auf einer assimetrischen Gegenüberstellung zwischen einer oder mehreren Häuserreihen entlang des Flusses beruht, der femininen Welt zugeordnet und ihren Grossfamilien, sowie das “Männerhaus”, der maskulinen Welt und dem Ritual gewidmet. Obwohl heutzutage viele junge Paare es vorziehen, in kleineren, getrennten Häusern zu wohnen, gilt die Regel der “uxorilokalen Residenz” und des “Bezahlens für die Ehefrau” (Tykòwy) immer noch und bildet die Basis der gesellschaftlichen Organisation.

Wenn er heiratet, muss der Mann zusammen mit seiner Frau leben, und zwar fast wie ein Fremder im Haus seiner Schwiegereltern. Dort unterwirft er sich ihrer Autorität und hat seinen Schwiegereltern und Schwägern während einer langen Zeit seines Lebens seine Dienste als Bezahlung für die Frau zur Verfügung zu stellen. Die traditionelle Heiratszeremonie, arrangiert von den Grosseltern, existiert heutzutage fast nicht mehr – sie dramatisierte das Zögern des Mannes vor diesem Schritt, mit theatralischer Gestik drückte dieser seine (getanzte) Heausforderung aus.

Aber eine Heirat ist tatsächlich ein bedeutender Moment im Leben eines Javaé. Für die Frauen ist er der Anfang einer konfortablen Situation mit wachsendem Prestige. Sie bleiben im Elternhaus nach der Heirat und werden von Brüdern und Cousins beschützt, werden zu “Hausfrauen” im Lauf der Zeit und zu grossen Beraterinnen der Söhne und Enkel. Die älteren Frauen werden bewundert ob ihrer Zungenfertigkeit, die sich besonders in den rituellen Klagen ausdrückt, bei denen sie sogar Schamanen beschuldigen können. Sie sind die Geschichtenerzählerinnen der antiken Mythologie, denen die neuen Generationen lauschen, sie waren verantwortlich für die antiken Heirats-Arrangements und sind noch heute die wichtigsten Autoritäten innerhalb der Familien, und sie haben die Macht, sämtliche häusliche Konflikte zu schlichten.

Für den Mann dagegen, ist eine Ehe beladen mit einer gewissen Zweideutigkeit. Auf der einen Seite ist es ein typisch maskuliner Wunsch, eine Ehefrau sein eigen nennen zu können, auf der anderen Seite aber wird der Mann mit dieser Heirat zum Schuldner seiner Schwiegereltern und Schwäger und zieht um in ein ihm fremdes Haus. Erst nachdem er Vater von mehreren Kindern geworden ist, erreicht er einen komfotableren Zustand und, mit der Zeit, kehrt sich die Situation für ihn um: er wird der Schwiegervater anderer Männer.

Die unangenehme Position der Männer im häuslichen Umfeld wird aber teilweise wieder ausgeglichen durch ihre Herrschaft über das rituelle und das öffentliche Leben. Den Frauen sind eine Reihe von Dingen im täglichen Leben untersagt – sie dürfen das Männerhaus nicht betreten, nicht bestimmte Musikinstrumente sehen oder gar spielen, niemals über maskuline Rituale sprechen etc. sonst könnten sie mit einer kollektiven Vergewaltigung im Männerhaus bestraft werden (es gibt viele Geschichten über solche Bestrafungen in der Vergangenheit) oder gar mit dem Tod (durch Hexerei).

nach obenFrauen und Männer in den Mythen und Riten

Nach der Mythologie der Javaé lebten die Menschenwesen vor sehr langer Zeit unter dem Bett der Flüsse (berahatxi), einem magischen und feuchten Ort, wo die Personen nicht starben und auch nicht arbeiteten, die Zeit verging nicht, Nahrung gab’s im Überfluss, die Fortpflanzung geschah durch Magie, ohne sexuelle Kontakte, und die Menschenwesen heirateten nicht untereinander. Die Menschen lebten im Kollektiv, aber nicht in einer Gesellschaft – es waren assoziale Menschenwesen. Dann, in einem bestimmten Moment, entdeckten einige dieser Menschen einen Ausgang zu der Welt, in der wir jetzt leben und, angelockt von der Faszination der Weite der Landschaft und durch die neuen Nahrungsmittel, die sie vorfanden, entschieden sie sich, den Untergrund der Flüsse zu verlassen und diesen neuen Ort zu bewohnen – den ”Ahana obira”. Dort entdeckten sie, dass ihre Welt sich nun verändert hatte: die Zeit verging, die Menschen starben, es war erforderlich zu arbeiten, um zu essen, und vor allem musste man heiraten und sich sexuell betätigen, um die Reproduktion der Gruppe zu garantieren.

Der einzige Ausweg war das Leben in einer Gesellschaft mittels eines Verbunds zwischen Familien, dadurch entstand die Uxorilokalität und die Bezahlung für die Frau, Praktiken, die bis dato unbekannt gewesen waren. Jene Menschenwesen, die es vorzogen auf dem Grund des Flusses zu bleiben, verwandelten sich in die ”Aruanãs” – maskierte, magische Menschenwesen, die dort bis zum heutigen Tag leben. Noch während jener Periode der Verwandlungen, hier in dieser Welt des weiten Raums, enthüllt die Mythologie, dass es keine Unterschiede in der Macht zwischen Männern und Frauen gegeben habe. Aus der Sicht der Männer, und das ist in der Regel der Gesichtspunkt aller Mythen, erzählt man, dass impulsive und sexbesessene Frauen eine Reihe von individuellen und assozialen Handlungen in der neuen Welt begingen. Die Mythologie dient in diesem Fall als eine Art Begründung für das Recht der Männer, die Frauen der Neuzeit zu unterwerfen und zu kontrollieren, auch in aller Öffentlichkeit, denn diese besässen eine destruktive Macht, unvereinbar mit dem Leben in der Gesellschaft.

Das gespannte Verhältnis zwischen Männern und Frauen – sowohl im häuslichen als auch im öffentlichen Leben – wird von einem Ritual der Javaé dramatisiert, dem ”Tanz der Aruanãs”, dessen Anfang und Ende in etwa mit der Regenperiode zusammenfällt, der Erntezeit und einer grösseren Konzentration der Bevölkerung in den Dörfern. In den 90er Jahren liessen die Javaé das ”Hetohokÿ” (Grosses Haus) wieder aufleben, das Ritual der männlichen Initiation, das eine Art Ergänzung des Aruanã-Tanzes darstellt und den Eintritt der jungen Männer in den Kreis der erwachsenen Krieger markiert.

Die Javaé sagen, dass die Aruanãs vom Grund des Flussbetts die Schamanen bitten, in diese Welt der Weite (Ahana obira) heraufkommen zu dürfen, dass sie sie kennenlernen und auch von den Speisen der hiesigen Völker versuchen wollen. Und wenn sie da sind, verlangen sie von den Schamanen eine komplexe Reihe von rituellen Spielen zwischen Männern und Frauen und zwischen den Aruanãs selbst, dabei folgen sie einem Kalender, der die Menschen mehr als die Hälfte eines Jahres mit ihnen beschäftigt. Während des Jahreszyklus tanzen und singen die Aruanãs – jede von ihnen charakterisiert durch ein identisches Paar von maskierten Tänzern – fast jeden Tag, auf Wegen, welche das Männerhaus mit den Häusern der Grossfamilien verbinden. Jedes Aruanã-Paar kommt zum Essen zu einer bestimmten Familie ins Haus – die ist ”Besitzerin” der Aruanã und hat das Recht, sie von Generation zu Generation weiter zu reichen.

Die Aruanãs kommen aus dem Fluss, um das “Tykòwy” zu essen, das ist die von den Menschen zubereitete Nahrung, (Fisch, Feldfrüchte, Honig etc.) als Bezahlung für die Ehefrau an ihre Schwiegerväter und Schwäger. Die Verpflegung der Aruanãs ist Ehrensache für die entsprechenden Familien, ein Teil der Kommune ist deshalb damit beschäftigt, diese zusätzliche rituelle Nahrung während des Jahres zu produzieren. Mittels des Rituals macht man den Versuch, eine symbolische Verbindung mit dem mythologischen Ort herzustellen, an dem weder die Zeit vergeht noch der Tod Gewalt über die Menschen hat – und wo die Männer nicht für die Bezahlung ihrer Frauen arbeiten müssen.

Das Schamanentum ist unter den Javaé hoch entwickelt. Der ”Hyri” ist jene Person, welche Krankheiten heilt und die Macht besitzt, die verschiedensten magischen Wesen auf diese Welt zu bringen, ausserdem sieht und reist ein Schamane durch andere Dimensionen. Gleichzeitig belegt er aber auch andere Individuen mit Zauberei, die Krankheiten und Tod bringen kann, und wird deshalb von der Gesellschaft gemieden. Dörfer, welche keinen ”Hyri” haben, haben auch kein Männerhaus und keinen Tanz der Aruanãs, denn der Schamane ist der wichtigste Vermittler zwischen der realen und der unsichtbaren Welt. Ausser den Aruanãs leben in der unsichtbaren Welt auch die Aõni – magische Wesen, assozialer und sexbesessener Natur, Individualisten, impulsiv, schwer zu kontrollieren, in ihrem Wesen dem Charakter der Frauen ähnlich, die von den Schamanen auf diese Welt gebracht werden, um an den Tänzen der Aruanãs teilzunehmen. Der Tanz dramatisiert das gespannte Verhältnis zwischen den Aruanãs – deren kontrolliertes und rhythmisches Verhalten der Maskulinität zugeschrieben wird – und den Aõni – und endet mit der Kontrolle der ersten über die zweiten.

Einige Mythen stellen eine deutliche Verbindung zwischen der immensen Macht der “Tori” (Brasilianer) und der destruktiven Macht der Frauen her. Auch sie gehören zu “den Anderen”, sind schwierig zu kontrollieren, aber sind auf der anderen Seite das notwendige Übel, ohne das die Gesellschaft nicht existieren kann. Auch der Kapitalismus ist potentiell destruktiv, und die Javaé sind inzwischen abhängig von industrialisierten Waren, aber sie haben sich entschieden, mit ihren Ritualen und ihrer Lebensart weiterzumachen – Seite an Seite mit dem Alkoholismus und der Invasion ihrer Ländereien, so wie die Männer in der Vergangenheit sich entschlossen, die Frauen zu kontrollieren, um in dieser Welt zu überleben.

Nach dem Tod erwarten die Javaé in den ”Biu” einzugehen, einen ebenfalls geschlossenen und magischen Raum, der sich im Himmel befindet, und wo das Leben ewig währt. Die Menschen bleiben ewig jung, Essen gibt es im Überfluss, keine Konflikte, die Toten treffen sich mit ihren zuvor verstorbenen Verwandten, und die Männer sind endlich frei von ihrer Verpflichtung, für die Frauen zu bezahlen, denn dort gibt es keine Heiraten mehr, keine Uxorilokalität, keine Schwiegerväter oder Schwager. Die Fortpflanzung ist Teil der Magie und man lebt nur unter den Seinen.

Die Javaé nennen sich “Itya Mahãdu” das Volk der Mitte, denn sie glauben, dass ihre sichtbare und gesellschaftlich geprägte Dimension zwischen dem ”Grund des Flusses” und dem ”Himmel” liegt – beides Orte, die frei von Leid, welches sie vom Leben innerhalb der Gesellschaft erfahren haben.

nach obenQuellenangaben

Es gibt eine grosse Zahl von ethnografischen Aufzeichnungen über die Karajá im Allgemeinen, die den Javaé kulturell sehr ähnlich sind. Sie reichen von Informationen der ersten Forscher bis zu akademischen Arbeiten von Anthropologen aus jüngerer Zeit und anderen Wissenschaftlern. Spezifisch über die Javaé hat der Ethnologe Fritz Krause im Bericht über seine Reise auf dem Araguaia 1908 geschrieben, er besuchte ein Dorf der Javaé und war der erste mit konkreteren Informationen – obgleich immer noch relativ wenig – über Aspekte ihrer gesellschaftlichen Organisation und die Kosmologie dieses Volkes.

Die erste, vertiefte anthropologische Arbeit über die Javaé erschien erst viele Jahre später nach der Untersuchung des Anthropologen André Amaral de Toral – in den 70er Jahren unter den Javaé angefangen. Zwischen 1979 und 1985 – innerhalb von eingeschobenen Perioden – befand sich Toral länger als fünf Monate unter den Javaé verschiedener Dörfer. André Toral hat auch unter den Karajá und Xambioá eine noch längere Feldarbeit geleistet, bei denen er sich zwischen 1980 und 1991 aufhielt. Seine Forschung ergab einige Artikel über das rituelle Leben, das Landproblem und die politische Situation zwischen den Javaé und den Krajá. Sein bedeutendstes Werk jedoch war seine Doktorarbeit 1992 für das ”Museu Nacional (UFRJ)” über die Kosmologie und gesellschaftliche rganisation der Karajá insgesamt.

Im Jahr 1990 betrieb Patrícia de Mendonça Rodrigues sechs Monate Feldforschung unter den Javaé des Dorfes Canoanã, eine Arbeit, die in ihrer Doktorarbeit für die Universität von Brasília resultierte (1993) betreffs Kosmologie und Ritual. Später publizierte sie einen Artikel über die Frage der Herkunft der Javaé. In den Jahren 1997 und 98 betrieb dieselbe Autorin ein Jahr Feldarbeit unter den Javaé – schon als Doktorantin der Chicago University – gegenwärtig erarbeitet sie eine Doktorarbeit über die gesellschaftliche Organisation und Mythologie der Javaé.

Kürzlich, 1997, schrieb Oiara Bonilla ihre Magisterarbeit für die Universität von Paris X – Nanterre, nachdem sie sich einundeinhalb Monate im gegenwärtigen Dorf Txuiri aufgehalten hatte, über den Prozess der Rückgewinnung des alten Bootshafens Piauí durch die Javaé und die Konstruktion ihres neuen Dorfes. Ihre Forschungen unter den Javaé sind noch im Gange – jetzt als Doktorantin des “Museu Nacional” (UFRJ).

Die Professoren der ”Universidade de Brasília”, David Fortune und Gretchen Fortune, studierten die Dialekte der Karajá und Javaé während vieler Jahre – seit dem Jahr 1950, als sie dem Summer Institute of Linguistics (SIL) angehörten. Ihre Arbeit brachte ein Programm zur Schulung zweisprachiger Lehrer hervor, unter Karajá und Javaé, sowie diverse Publikationen über die Karajá-Sprache. Im Jahr 1986 präsentierte A.R. Maia seine Doktorarbeit über Aspekte des Javaé-Dialekts an der “Universidade Federal do Rio de Janeiro”.

© Patrícia de Mendonça Rodrigues, Stipendiatin der CNPQ an der Chicago University, Februar 1999
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther
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