Jährlich werden rund 1.600.000 Hektar Regenwald abgeholzt. Um diese Situation in den Griff zu kriegen, startete die Landesregierung ein „Programm zur Erhaltung Amazoniens“. Auf 5 Millionen Quadratkilometern leben rund 20 Millionen Menschen, denen ein Fünftel des gesamten Süsswasservolumens unseres Planeten zur Verfügung steht. Man weiss, dass wenigstens ein Drittel aller bekannten Fauna-Spezies und etwa 10 Millionen aller weltweit registrierten Pflanzenspezies ebenfalls in diesem Raum leben.
Was man nicht weiss: wieviele bisher unbekannte Pflanzen und Tiere man in Amazonien noch entdecken wird – aber alles deutet darauf hin, dass hier noch viele Überraschungen zu erwarten sind. Wir sprechen vom Amazonas-Regenwald, einer scheinbar immensen immergrünen Unendlichkeit, die hauptverantwortlich ist für den hydrologischen Zyklus und den Kohlenstoff-Austausch – Amazonien beeinflusst das klimatische Gleichgewicht unseres Planeten.
Alles in dieser Region ist gigantisch – sowohl ihre natürlichen Schätze als auch ihre Probleme – aber auch eine Herausforderung für Lösungen. Es gibt in Amazonien 380.000 kleine landwirtschaftliche Betriebe, und um den Boden für die Bepflanzung vorzubereiten, brennen deren Besitzer, in der Regel, das niedere Buschwerk ab und die grösseren Bäume werden gefällt – eine Fläche von insgesamt 1.600.000 Fussballfeldern Regenwald wird so jedes Jahr vernichtet. Diese Brandrodungen sind seit eh und je das schlimmste Problem gegen die Erhaltung des Regenwaldes.
EINE UNTERSTÜTZENDE ENTWICKLUNG
Die grosse Herausforderung unserer Tage ist eine Modernisierung mit Garantie eines Schutzes der Umwelt. Das magische Wort, welches die Verbindung von wirtschaftlichem und sozialen Wachstum mit dem Schutz der Natur möglich machen soll, heisst: „unterstützende Entwicklung“ (desenvolvimento sustentável). Der Sekretär für diese unterstützende Entwicklung aus dem Ministerium für Umwelt, Gilney Viana, erklärt, dass Amazonien nicht nur auf die Ausfuhr von Rohstoffen begrenzt werden darf. „Eine der Alternativen wäre, die Produktion mit Hilfe von neuen Technologien zu vervielfältigen und Wege zu nationalen und internationalen Märkten zu öffnen“, schlägt der Sekretär vor. Eine Alternative, die, wie er erklärt, im Verein mit neuen Arbeitsplätzen daherkommen muss und einer besseren Verteilung der Löhne, sowie einer deutlichen Verringerung der Umweltschädigung.
„Desenvolvimento sustentavel“ bedeutet, dass die Entwicklung Amazoniens und sein wirtschaftliches Wachstum sich mit entsprechenden Umweltschutzmassnahmen vertragen müssen. Das Wichtigste ist eine korrekte Nutzung der natürlichen Ressourcen – damit sie nicht zu Ende gehen, sondern, sich erneuernd, immer wieder dem Menschen zur Verfügung stehen, und damit eine gewisse Lebensqualität sichern.
AMAZONIEN ERSTRECKT SICH ÜBER 61% DER FLÄCHE BRASILIENS
Und Amazonien ist von einem Drittel des Regenwaldes unseres Planeten bedeckt. Das politische Amazonien besteht aus den Bundesstaaten Acre, Amapá, Amazonas, Maranhão, Mato Grosso, Pará, Rondônia, Roraima und Tocantins, auf einer Fläche von 5 Millionen Quadratkilometern.
Die Wirtschaft dieses Riesengebietes basiert auf Bodenschätzen und Industrie (Eisen- und Bauxit-Gewinnung und der Freihandelszone von Manaus), der Viehzucht, Extraktion von Holz und landwirtschaftlichen Exporten – besonders Soja und Baumwolle. Im Jahr 2000 belief sich das Bruttosozialprodukt auf R$ 73 Mrd. (zirka 25 Mrd. Euro) – 6,5% des Bruttosozialprodukts von Brasilien.
Seit Jahrzehnten schon fordern Umweltexperten eine unterstützende Entwicklung der Amazonas-Region. Und sie schätzen es gar nicht, dass die Landesregierung in den letzten Jahren politische Initiativen gebilligt hat, die besonders den Vormarsch der Viehzucht in der Region zur Folge hatten, und dieser Initiative fielen ungezählte Bäume zum Opfer. Die Kritik der Umweltschützer richtet sich auch gegen die Extraktion der Edelhölzer im Besonderen, gegen die Extraktion von Bodenschätzen und die illegalen Goldschürfer-Camps, gegen die Konstruktion von Strassen durch den Regenwald und gegen Wasserkraftwerke und die dazu nötigen Stauanlagen – Massnahmen, die der gesamten Natur und dem Regenwald irreparablen Schaden zufügen.
Roberto Smeraldi, von der privaten Organisation „Amigos da Terra“ (Freunde der Erde): „Wenn die Regierung einfach so die Tür zur Erschliessung des Landes öffnet, ist klar, dass sich die „nicht Natur unterstützenden“ Aktivitäten über den Umweltschutz hinwegsetzen, wie das zum Beispiel im Fall der Soja-Pflanzungen geschehen ist. Der steigende Index der Abholzung ist ein Ergebnis jener in den letzten Jahren entwickelten Politik, welche den Ansporn zu neuen Pflanzungen, besonders in den Grenzregionen, gibt – und die ist Teil der sogenannten „Agrar-Reform“, die lediglich Land, aber weder Technologie noch entsprechendes Arbeitsgerät zur Verfügung stellt“.
PROGRAMM ZUR ERHALTUNG AMAZONIENS
Die Regierung, inzwischen sehr besorgt um die Erhaltung Amazoniens, hat verschiedene Ministerien und Exekutivorgane zur Diskussion über entsprechende Massnahmen zur unterstützenden Entwicklung der Region engagiert. Das offizielle Programm „Amazônia Sustentável“ wurde im Mai 2003 von Präsident Lula, anlässlich seines Aufenthaltes in der Hauptstadt Rio Branco (RO), gestartet. Das Programm sieht ein grosses Engagement von seiten der Anliegerstaaten vor, sowie ihre Vereinigung aller politischer Massnahmen zur Entwicklung der Region. Eine Massnahme, welch auch zur Optimierung aller Aktionen und Mittel studiert wird. Übereinstimmend mit der Sekretärin für Koordination des Umwelt-Ministeriums in Amazonien, Mary Alegretti, sind praktisch alle Ministerien und Unternehmen der Regierung an der Entwicklung der einen oder anderen Aktion in der Amazonas-Region beteiligt – „oft leider in konfliktartiger, widersprüchlicher und auch überflüssiger Art und Weise“, gibt sie zu.
Die Vertreter verschiedener Ministerien, Unternehmen und anderer Organe haben sich bereits zusammengesetzt, um ihre Aktionen und Programme vorzustellen, die in den „Plano Plurianual“ (PPA) für die Region eingebunden werden sollen. Nun, mit dem „Röntgenbild“ der Initiativen und Aktionen für Amazonien in der Hand, bereitet das Umwelt-Ministerium die Endfassung des Programms für die unterstützende Entwicklung Amazoniens vor, welches eine Plattform bekommen soll, auf der sämtliche Aktionen aller beteiligten Organe aufeinander abgestimmt werden sollen. Der Plan sucht nach einer harmonischen Neuorientierung der Regierungsaktivitäten im Sinne einer zentralen regierungseigenen Strategie – und nicht der Strategie einzelner Regierungssektoren.
Das vorläufige Dokument stützt sich auf Entwicklungsvorschläge ohne schädliche Auswirkungen auf die Umwelt, von denen fünf besonders hervorzuheben sind: eine erhaltende Produktion mit modernen Technologien, eine neue Art von Finanzierung, eine Verwaltung der Umwelt mit territorialen Verordnungen, die gesellschaftliche und bürgerliche Einbindung, sowie eine Infrastruktur zur Entwicklung.
Nach Aussage von Vanessa Fleischeresser, eine der beteiligten technischen Beraterinnen für die Entwicklung des Programms, „Amazônia Sustentável“ gründet seine Strategie auf der Weite des Territoriums, auf seiner kulturellen Identität, auf dem Potential und den Möglichkeiten für den Rest der Welt hinsichtlich seiner natürlichen Ressourcen, dem Austausch von Informationen, finanziellen Mitteln und Geschäftsgelegenheiten.
Auf der anderen Seite, erklärt Vanessa, weiss die Regierung um die Schwierigkeiten, die durch das defiziente System der Territoriumsverwaltung auftreten werden, insbesondere hinsichtlich der Kontrolle der Landesgrenzen und der Natur-Ressourcen. Das vorläufige Dokument des Programms bestätigt, dass Amazonien, trotz seines enormen Potentials, nur über eine begrenzte Kapazität an wissenschaftlichen und technologischen Einrichtungen verfügt, sowie eine wirtschaftliche Infrastruktur fehlt – eine Tatsache, die wiederum eine regionale Integration verhindert. Ausserdem krankt die Region an einem niedrigen Erziehungslevel, an einer schwer wiegenden grundbesitzerischen Desorganisation und einem wachsenden, unkontrollierten Urbanisationsprozess.
SCHÜTZEN – MIT EINKOMMEN UND ANSTELLUNG
Dies ist die Basis, auf der das „Programm Unterstützendes Amazonien“ durchdacht werden muss. Und in diesem Sinne betrachtet die Regierung das Projekt auch als „speziell und mit anderen Entwicklungs-Projekten unvergleichbar“. Im skizzierten Dokument finden sich, unter anderem, auch Alternativen zur Veränderung des Entwicklungs-Grundkonzepts Amazoniens:
Ausgehend vom Grundmuster einer unterstützenden Entwicklung, könnte zum Beispiel die Extraktion von Edelhölzern auf eine Umwelt schonende Art und Weise vorgenommen werden, ausserdem das extrahierte Holz durch Wiederaufforstungsmassnahmen ersetzt werden. Ähnlich mit der Viehwirtschaft: Das die umweltverträgliche Modell schliesst Aktionen von Viehzüchtern aus, die sich Brandrodungen und dem Fällen von Bäumen bedienen, um Weideflächen zu gewinnen. Das Dokument verteidigt vielmehr neuentwickelte Technologien, die die Nutzung des Bodens unter Berücksichtigung des Naturschutzes garantieren. Und eine Massnahme für eine unterstützende Haltung wäre die Förderung der Produktion von Saatgut in schon abgeholzten Arealen, sowie deren Produktionserhöhung.
Eine Alternative für die Selbsterhaltung der privaten Produktion wäre die Einführung neuer Technologien. Zur Frage einer entsprechenden Infrastruktur sollte man in die Entwicklung umweltverträglicher Energie-Konzepte investieren und hinsichtlich Transports den natürlichen Wasserstrassen den Vorzug geben, anstatt den Regenwald mit neuen Überlandstrassen zu schädigen.
Andere Segmente, die finanzielle Einnahmen schaffen, ohne die Umwelt zu schädigen, sind der unterstützende Tourismus, die Bio-Technologie und die Honorierung der umwelt-schützenden Dienstleistungen. Die unterstützende Nutzung der natürlichen Ressourcen in vorgeschriebener Form könnte sich zum Segen für Brasilien auswirken – und viele neue Möglichkeiten eröffnen. Wer weiss, erreicht das Land durch sein „Unterstützendes Entwicklungsprogramm Amazonien“ endlich die Anerkennung einer Grossartigkeit, die der ausländische Besucher bis heute lediglich der Natur Amazoniens zugesteht. Die Regierung dürfte dieses Programm noch in diesem Jahr starten.
„DESENVOLVIMENTO SUSTENTÁVEL“ – AUCH FÜR ANDERE LANDESTEILE
Nun denkt man auch über die unterstützende Entwicklung anderer Landesteile nach, welche in ihren Grundzügen ähnlich behandelt werden könnten. Laut dem Programm-Direktor des Sekretariats für die Umwelt-Koordination Amazoniens, Alberto Lourenço, hat man erst einmal, aufgrund verschiedener Initiativen der entsprechenden Staatsgoverneure, Amazonien in dieser Entwicklung Priorität eingeräumt. „Unserer Vorstellung nach tendieren wir zu einer erneuten Regional-Planung in Brasilien, in der die Bundesstaaten angehört werden und ihre einzelnen Sektoren – und wir zählen ebenfalls stets auf die Mitarbeit der zivilen Gesellschaft“.
In diesem Sinne fehlt es nicht an Herausforderungen der Regierung, wie zum Beispiel die der Entwicklung des zentralen Südens, des Nordostens, der Region des „Cerrado“, des „Pantanal“ oder der „Caatinga“. Letztere ist übrigens der einzige, exklusiv brasilianische, Biotop. Die „Caatinga“ erfasst eine Fläche von zirka 730.000 Quadratkilometer, von denen noch 31% in ihrem Originalzustand erhalten sind. Innerhalb dieser Region befinden sich auch Brasiliens grösste Areale, die sich langsam in Wüsten verwandeln. Obwohl es sich hier um ein recht fragiles Ambiente handelt, präsentiert diese Region auch Areale, die man als potentiell produktiv bezeichnet. Eine Publikation des Ministeriums für Umwelt, mit dem Titel „Brasilianische Biodiversität“, zeigt Alternativen auf, die von den Regierungen bereits implantiert worden sind, oder deren Implantierung geplant ist – wie zum Beispiel eine Politik der Bewässerung, die Schaffung von Mineralien-Polen, die Verlegung des Rio São Francisco und die Ausweitung der Ziegenzucht, unter anderen.
Eine Arbeitsgemeinschaft, die sich aus Mitgliedern des Ministeriums zusammensetzt, hat die „Caatinga“ studiert, hat Aktivitäten festgestellt, welche die Biodiversifikation der „Caatinga“ verändern und hat Massnahmen zu ihrer „unterstützenden Erhaltung“ vorgeschlagen. Die am stärksten gefährdeten Caatinga-Regionen liegen im sogenannten „Agreste“ – entlang des Rio São Francisco und rund um das Gebirge der „Chapada de Araripe“. Diese Gebiete stehen vor dem Dilemma: Entwicklung gegen Erhaltung. Für die Experten kann dieser Konflikt durch die Übernahme der „unterstützenden Nutzung“ der natürlichen Ressourcen gelöst werden. Die Veränderungen in der „Caatinga“ werden durch extensive (nicht unterstützende) Viehzucht verursacht und durch das Schneiden von Brennholz.
Hinsichtlich der Abholzung und dem Schneiden von Brennholz aus der „Caatinga“ weist das Dokument auf die mögliche Nutzung alternativer Energien hin – wie zum Beispiel die Wind- oder Sonnenenergie. Zur Rückgewinnung der geschädigten Gebiete wäre eine Alternative die Erweiterung aller bereits geschützten Gebiete um 10% innerhalb von 10 Jahren. Die Studie der Regierung stellte 82 prioritär zu schützende „Caatinga-Gebiete“ fest – rund 54% der Gesamtregion. Unter den Gebieten von extremer Wichtigkeit befinden sich der Nationalpark „Serra da Capivara“ und das Gebiet um den Mittellauf des Rio São Francisco.
Der erwähnte Nationalpark „Serra da Capivara“ besitzt eine unvergleichliche Vielfalt an Vögeln – einige stark gefährdete Spezies sind darunter – ausserdem eine Vielfalt an Säugetieren und Reptilien. Die unterstützende Entwicklung der „Caatinga“ bedeutet mehr Lebensqualität vor ein Volk von „Sertanejos“, die bisher auf Kosten der kontinuierlichen schädigenden Nutzung ihrer natürlichen Ressourcen überleben mussten.
Brasilien scheint endlich aufgewacht und ist bereit, seine Umwelt zu schützen und zu bewahren. Und es gibt auch ein Bewusstsein und das nötige Verständnis dafür, dass man eine entsprechende wirtschaftliche Entwicklung, die Devisen und Einkommen verspricht, nicht mehr abwenden kann. Die Herausforderung, welche von der Regierung nun angenommen worden ist, angefangen mit Amazonien, bedeutet gleichermassen auch eine Herausforderung für jeden einzelnen Bürger, zum Wohlbefinden und zum Schutz eines natürlichen Reichtums beizutragen, der nur wenigen Menschen auf unserem Planeten gegönnt ist.