Das Indiovolk der Siriano lebt an den Ufern des Flusses Rio Uaupés und seinen Nebenflüssen im Nordwesten Amazoniens. Gegenwärtig leben 17 Ethnien in diesem Gebiet, von denen die 3 Völker Tatuyo, Taiwano und Yuruti übergreifend in Kolumbien Stammesangehörige haben.
Siriano
Andere Namen: nicht bekannt Sprache: aus der Familie Tukano Oriental Population: 71 in Brasilien (2005) Region: Nordwesten Amazoniens (An den Ufern des Rio Uaupés und seiner Nebenflüsse) |
INHALTSVERZEICHNIS Lebensraum und Sprachen Ethnien und Bevölkerung Identität und Verschiedenheiten Gesellschaftliche Organisation Die orientalen Tukano und die Maku Kosmologische Aspekte Der Zyklus des Lebens Personen, Tiere und Objekte Religiöse Spezialisten, Ritual Missionare, Siedler und die Moderne |
ETHNIEN VOM RIO UAUPÉS
Die Indianer, welche an den Ufern des Flusses Rio Uaupés und seinen Nebenflüssen Tiquié, Papuri, Querari und anderen kleineren Gewässern leben, belaufen sich gegenwärtig auf 17 Ethnien, von denen viele auch übergreifend in Kolumbien Stammesangehörige haben, im gleichen hydrografischen Becken, sowie in dem des Rio Apopóris (einem Nebenfluss des Rio Japurá), dessen bedeutendster Nebenfluss der Rio Pira-Paraná darstellt. Diese eingeborenen Gruppen verständigen sich in Sprachen aus der Familie der Tukano Oriental, (lediglich die Tariana sind aus der Aruak-Familie) und alle nehmen an einem weit gespannten Netz von Tauschmärkten teil – die auch Heiraten einbegreifen, Rituale und Handel – so bilden sie eine kulturgesellschaftliche Gemeinschaft, die man allgemein als „Sistema Social do Uaupés/Pira-Paraná“ bezeichnet. Die ist Teil einer grösseren kulturellen Region, welche auch Aruak-Völker und Maku einbegreift. (Informationen die dieses Gebiet betreffen, finden Sie im Text über den „Nordwesten Amazoniens“.
Alle Ethnien
Arapaso, Bará, Barasana, Desana, Karapanã, Kubeo, Makuna, Mirity-tapuya, Pira-tapuya, Siriano, Tariana, Tukano, Tuyuca, Wanana, Tatuyo, Taiwano, Yuruti (die letzten 3 nur in Kolumbien)
Lebensraum und Sprachen
Nordwesten Amazoniens, an den Ufern des Rio Uaupés und seiner Nebenflüsse
Wieviele sind es?
Die letzte Zählung fand 2005 statt. Die geschätzen Mitglieder sehen Sie beim jeweiligen Volk!
Die linguistische Familie Tukano Oriental umfasst mindestens 16 Sprachen, unter denen die einfach als „Tukano“ bezeichnete, die meisten sprechenden Anhänger hat. Sie wird nicht nur von den Tukano selbst benutzt, sondern auch von den anderen Gruppen des brasilianischen Uaupês und an seinen Nebenflüssen Tiquié und Papuri. Auf diese Weise ist das Tukano zur Allgemeinsprache (Língua Franca) geworden und erlaubt damit die Kommunikation zwischen Völkern mit eigenen, unterschiedlichen Muttersprachen, die in vielen Fällen sonst nicht miteinander kommunizieren könnten. In manchen Fällen wird das Tukano sogar häufiger benutzt als die eigene, lokale Sprache. Auch die Maku beherrschen die Tukano-Sprache, denn sie brauchen sie während ihrer häufigen Begegnungen mit den Flussbewohnern. Die Sprachen, welche als „Tukano Ocidental“ klassifiziert werden, sind nur unter Völkern üblich, die den Grenzbereich zwischen Kolumbien und Ekuador bewohnen – zum Beispiel die Siona und die Sekoya.
Wenn man die signifikante Anzahl von Bewohnern des Uaupês-Beckens berücksichtigt, die am Rio Negro und in den Städten São Gabriel und Santa Isabel leben, so kommt man auf zirka 20 Millionen Personen, die wahrscheinlich das Tukano sprechen. Andere Sprachen derselben Familie werden von kleineren Populationen benutzt, und sie setzen sich eher in abgelegeneren Regionen durch. Dies ist der Fall des „Wanana“ und des „Kubeo“ am Rio Uaupês – oberhalb der Ortschaft Iauaretê; oder des „Pira-tapuya“ am Mittleren Rio Papuri; des „Tuyuka“ und des „Barâ“ am Oberen Tiquiê und des „Desana“ in Kommunen am Rio Tiquiê, Papuri und seinen Nebenflüssen.
Der Rio Uaupés ist etwa 1.375 km lang. Von seiner Mündung in den Rio Negro bis zu seiner Aufnahme des Nebenflusses Rio Papuri, am Oberlauf, verläuft der Uaupés in brasilianischem Territorium – etwa 342 km. Zwischen diesem Punkt und der Einmündung des Rio Querari dient er über 188 km als Grenzfluss zwischen Brasilien und Kolumbien. Von der Mündung des Querari bis zu seiner Quelle verläuft er dann 845 km innerhalb Kolumbiens. Als er den Uaupés hinauf fuhr, zählte H. Rice (1910) 30 grössere und 60 kleinere Wasserfälle.
Nach dem Rio Branco ist der Rio Uaupés der zweitgrösste Nebenfluss des Rio Negro. Gegenwärtig ist der Name „Rio Uaupés“ der gebräuchlichere (in Brasilien, während er in Kolumbien Rio Vaupés heisst), aber man kennt ihn auch als Rio Caiari. In seinem Verlauf nimmt er andere grosse Flüsse wie den Tiquié, den Papuri, den Querari und den Cuduiari auf.
Die bedeutendsten Bevölkerungszentren des Rio Uaupés sind die Stadt Mitu – Hauptstadt des kolumbianischen Departements Vaupés – und Iauareté, Sitz eines Distrikts von São Gabriel. Iauareté, Zentrum einer traditionellen Besetzung durch die Tariana-Indianer, beherbergt auch eine grosse Missionsstation der Salesianer und eine Garnison von Grenzsoldaten. Ausserdem existieren zwei weitere Salesianer-Missionen am Uaupés, eine in Taracuá (am Zusammenfluss des Rio Taracuá mit dem Rio Tiquié) und eine andere am Oberen Tiquié, genannt Pari-Cachoeira. Es gibt ebenfalls eine Militärkaserne des brasilianischen Heeres am Zusammenfluss des Rio Querari mit dem Rio Uaupés und eine andere in Pari-Cachoeira.
Ethnien und Bevölkerung
Zu den im Einzugsbereich des Rio Uaupés lebenden Ethnien gehören folgende Gruppen:
1) Arapaso (geschätzte 569 Mitglieder)
Ein Volk aus der Familie der Tukano Oriental, das gegenwärtig nur die Tukano-Sprache spricht. Die Indianer leben am Mittleren Uaupés, unterhalb von Iauareté, in Kommunen wie „Loiro, Paraná, Juca und São Francisco“. Verschiedene Familien wohnen auch am Rio Negro und in São Gabriel.
2) Bará (geschätzte 21 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Waípinõmakã“. Bewohnen besonders den Oberlauf des Rio Tiquié, oberhalb des Ortes Trinidad, schon in Kolumbien – dann den Oberlauf des Flüsschens Inambú (einem Zufluss des Papuri) und den oberen Colorado und Lobo (Nebenflüsse des Pira-Paraná). Sie unterteilen sich in zirka acht SIBs (Gruppen von Nachkommen eines gemeinsamen Vorfahren, die untereinander nicht heiraten dürfen). Sie sind Spezialisten in der Konstruktion von schnellen Kanus und besonders gefragte Kunsthandwerker für Körperschmuck aus Vogelfedern für die grossen Zeremonien.
3) Barasana (geschätzte 34 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Hanera“. Leben an den kleinen Flüsschen Tatu, Komeya, Colorado und Lobo Nebenflüsse des Pira-Paraná, und an letzterem selbst, auf kolumbianischem Territorium. Ausserdem findet man sie verteilt im Uaupés-Becken, auf der brasilianischen Seite. Es sind 36 Untergruppen von ihnen registriert.
4) Desana (geschätzte 1’531 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Umukomasã“. Bewohnen in erster Linie den Rio Tiquié und seine Nebenflüsse Cucura, Umari und Castanha; den Rio Papuri (besonders in Piracuara und Monfort) und seine Nebenflüsse Rio Turi und Rio Urucu; darüber hinaus noch Abschnitte des Rio Uaupés selbst und des Rio Negro (inklusive Städte dieser Region). Es gibt annähernd 30 personelle Stellungen bei den Desana, unter ihnen Häuptlinge, Zeremonienmeister, Gesundbeter und Helfer. Diese Zahl kann, je nach Quelle, variieren. Die Desana sind Meister in der Herstellung bestimmter geflochtener Körbe, wie zum Beispiel ihre grossen Transportkörbe mit inneren Griffen aus Lianen.
5) Karapanã (geschätzte 63 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Muteamasa“ und „Ukopinõpõna“. Sie leben am Caño Tí (Zufluss des Oberen Vaupés) und am Oberen Papuri, in Kolumbien. In Brasilien findet man sie in einigen Siedlungen des Rio Tiquié und des Rio Negro. Sie hatten einst zirka acht Untergruppen, aber wahrscheinlich nur vier haben Nachkommen hinterlassen.
6) Kubeo (geschätzte 381 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Kubéwa“ oder „Pamíwa“. Sie sprechen ein ganz spezielle Mundart aus der Familie Tukano Oriental, wurden deshalb mehrmals als „Tukano Central“ klassifiziert. Ihr grösserer Teil lebt auf kolumbianischem Gebiet, im Einzugsbereich des Rio Uaupés, inklusive seiner Nebenflüsse Querari, Cuduiari und Pirabatón. In Brasilien existieren von ihnen drei Kommunen am Oberen Uaupés, eine kleinere Gruppe hält sich am oberen Rio Aiari auf. Sie sind unterteilt in annähernd 30 SIBs mit eigenen Namen. Diese SIBs sind ihrerseits in drei „Bruderschaften“ ohne Namen zusammengefasst, die als Einheiten zum Tauschen von Frauen funktionieren – in anderen Worten, im Gegensatz zu der Mehrheit der Ethnien vom Uaupés, pflegen die Kubeo unter sich Personen zu ehelichen, welche die gleiche Sprache sprechen. Sie sind Spezialisten in der Herstellung von Masken für die „Tururi-Zeremonie“.
7) Makuna (geschätzte 32 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Yeba-masã“. Leben in erster Linie im Nachbarterritorium in Kolumbien, konzentrieren sich am Caño Komeya, einem Zufluss des Rio Pira-Paraná, am Unterlauf desselben Flusses, sowie am unteren Rio Apapóris. In Brasilien konzentrieren sie sich am oberen Tiquié und seinen Zuflüssen, den Flüsschen Castanha und Onça. Sie unterteilen sich in zirka 12 SIBs, sind Spezialisten in der Anfertigung von Blasrohren und Curare-Gift und geschickte Kanubauer, ausserdem stellen sie gute, leichte Paddel in exzellenter Ausführung für die Indianer des Oberen Tiquié her.
8) Miriti-tapuya oder Buia-tapuya (geschätzte 75 Mitglieder)
Sie sprechen gegenwärtig nur die Tukano-Sprache und sind traditionelle Bewohner des Unteren und Mittleren Tiquié, hervorzuheben die Kommunen von Iraiti, São Tomé, Vila Nova und Micura.
9) Pira-tapuya (geschätzte 1’433 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Waíkana“. Sie sitzen am Mittleren Papuri (im Umkreis des Ortes Teresita) und am Unterlauf des Rio Uaupés. Sie sind gewandert und leben auch an Orten des Rio Negro und in São Gabriel.
10) Siriano (geschätzte 71 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Siria-masã“. Leben an den Flüssen Caño Paca und Caño Viña, Zuflüsse des Oberen Papuri, auf kolumbianischem Boden. In Brasilien findet man sie verteilt auf verschiedene Flüsse des Uaupés-Beckens und am Rio Negro. Es gibt Informationen über 27 Siriano-SIBs.
11) Taiwano, Eduria oder Erulia (geschätzte 0 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Ukohinomasã“. Bewohnen den Caño Piedra und den Tatu, Zuflüsse des Rio Pira-Paraná, und den Rio Cananari, Zufluss des Apapóris. Alle Wohngebiete liegen in Kolumbien. Es gibt Informationen über acht interne Untergruppen.
12) Tariana (geschätzte 1’914 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Taliaseri“. Im Gegensatz zu anderen Ethnien des Uaupés-Beckens, hat die Mehrheit der Tariana die Sprache der Tukano Oriental angenommen – ursprünglich stammen sie von der Familie Aruak ab, aber nur wenige Kommunen sprechen noch Aruak. Gegenwärtig leben sie am Mittleren Uaupés, am Unteren Papuri und dem Oberen Iauari. Das Zentrum ihrer Bevölkerung liegt zwischen den Wasserfällen Iauareté und Periquito. Sie sind Spezialisten in der Anfertigung von Fischfanggerätschaften.
13) Tatuyo (geschätzte 0 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Umerekopinõ“. Bewohnen ein Gebiet in Kolumbien: am Oberen Rio Pira-Paraná, am Oberen Tí und am Caño Japu. In Brasilien werden sie meist nur von Frauen repräsentiert, die mit Männern anderer Ethnien verheiratet sind. Es existieren etwa acht interne Untergruppen.
14) Tukano (geschätzte 6’241 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Ye’pâ-masa“ oder „Daséa“. Dies ist das zahlenmässig grösste Volk der linguistischen Familie Tukano Oriental. Sie konzentrieren sich in erster Linie an den Flüssen Tiquié, Papuri und Uaupés; aber es leben auch Mitglieder am Rio Negro, im Bereich der Mündung des Uaupés, ausserdem in der Stadt São Gabriel. Es ist möglich, dass es mehr als 30 Untergruppen der Tukano gibt, jede mit ihrem Eigennamen und, im Idealfall, unterteilt in einer Hierarchie. Die Tukano sind traditionelle Hersteller eines rituellen Bänkchens aus Holz und auf der Oberseite bemalt mit ihren typischen geometrischen Motiven, die sie auch für ihre Flechtarbeiten verwenden. Dies ist ein wertvoller Gegenstand, obligatorisch bei Zeremonien und Ritualen, auf dem sich Führer, Gesundbeter (Kumua) und Zeremonienmeister (Bayá) niederzulassen pflegen.
15) Tuyuka (geschätzte 825 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Dokapuara“ oder „Utapinõmakãphõná“. Sie sind konzentriert auf den Oberen Tiquié, zwischen dem Wasserfall Caruru und dem kolumbianischen Ort Trinidad, inklusive an den Flüsschen Onça, Cabari und Abiyú. Einige leben auch an einem Abschnitt des Rio Papuri, nahe der Grenze zwischen Brasilien und Kolumbien, sowie an seinem Nebenfluss Rio Inambú. Sie besitzen etwa 15 SIBs mit Eigennamen. Sie sind aussergewöhnlich gute Kanubauer, und früher waren sie Spezialisten in der Anfertigung von Hängematten aus Fasern der Burití-Palme. Ausserdem stellen sie exzellente Körbe her und feinste Geflechte aus Palmfasermaterial, die man als Sieb zum Durchseien von Fruchtsaft einsetzt.
16) Wanana (geschätzte 447 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Kótiria“. Ihr Volk bestreitet die Mehrheit der Bewohner des Mittleren Uaupés, zwischen dem Wasserfall Arara und der Stadt Mitu. Zwischen Arara und Taracuá (am Oberen Uaupés) sind die Wanana weit in der Überzahl; oberhalb dieser Stelle leben sie innerhalb des Kubeo-Territoriums. Es gibt Informationen über 25 Untergruppen der Wanana. Ihre Spezialität im Bereich der interethnischen Tauschgeschäfte ist die Zubereitung von „Carajuru“, einem farbigen Puder aus Blättern einer bestimmten Lianenart, den man oft für die Herstellung ritueller Gegenstände oder zur Bemalung der Tukano-Sitzbänkchen benutzt – auch bei der Körperbemalung wird er verwendet. Ausserdem sind sie geschickte Korb- und Mattenflechter.
17) Yuruti (geschätzte 0 Mitglieder)
Nennen sich selbst „Yutabopinõ“. Ein Volk das Tukano Oriental spricht. Es lebt am Oberen Paca (Nebenfluss des Oberen Papuri) und in den Canyons Yi und Tui sowie benachbarten Gebieten des Vaupés auf kolumbianischem Gebiet. Es gibt Informationen über neun SIBs.
Am Rio Uaupés und seinen Nebenflüssen existieren gegenwärtig mehr als 200 Ansiedlungen und Camps von Eingeborenen. Mitglieder dieser Ethnien sind ebenfalls in den Städten der Region präsent, vor allem in São Gabriel da Cachoeira, Santa Isabel und Barcelos.
Identität und Verschiedenheiten
Zusammen mit ihren Aruak-Nachbarn bilden die Tukano – die in diesem Fall als Gesamt der „Tukano-Völker“ behandelt werden – ein flexibles gesellschaftspolitisches System, dessen Integration sich in einem Netz von reziprokem Tauschhandel niederschlägt, welches Besuche, Tausch von Utensilien, Eheschliessungen und Rituale einbezieht. Die Dynamik dieses regionalen Systems begreift eine Artikulation aller Ähnlichkeiten und Differenzen mit ein – zwischen einem gemeinsamen Repertoire, welches zu den Gruppen gehört, die ihm etwas von ihrer Identität verliehen haben, und jenem, welches die einen von den andern unterscheidet, und jedem seine persönliche Unabhängigkeit offen lässt. Wir wollen uns zuerst einmal mit den Ähnlichkeiten befassen.
Die Tukano teilen sich eine kontinuierliche geografische Fläche und stimmen in ihren Lebensgrundlagen miteinander überein, welche die Jagd und das Sammeln von Waldfrüchten mit einbegreifen, in denen aber der Fischfang und der Ackerbau überwiegen – und die wilde Maniok ist hier ihr bevorzugtes Produkt. In der Vergangenheit lebten sie alle in kommunalen Häusern (Malocas) von relativ gleichem Baustil: eine grosse, rechteckige Konstruktion mit einem dreieckigen, massiven Dach und Eingängen an jeder Schmalseite. Sie alle sprechen Sprachen, die einander im Vokabular und der Grammatik sehr ähneln. Ausserdem stimmen sie auch im Gebrauch dieser Sprachen überein: die Mehrheit spricht wenigstens zwei und versteht eine Reihe anderer, benutzt allerdings die eigene Sprache im täglichen Gebrauch. Darüber hinaus benutzen diese Völker auch eine ähnliche Art und Weise ihren Körper zu bemalen und zu schmücken und, obgleich Worte und Melodien unterschiedlich sein können, gebrauchen sie auch dieselben Musikinstrumente und ihre Musik, Tänze und Gesänge haben ebenfalls eine gemeinsame Basis. Solche Übereinstimmungen in Relation auf die Lebensart, räumliche Organisation, Sprache, Schmuck, Musik und Tanz haben ein verbales und nicht-verbales Kommunikationssystem der Völker vom Uaupés geschaffen, welches sich auch in gemeinsamen intertribalen Ritualen und Zeremonien ausdrückt.
Jede Gruppe hat zwar ihre eigenen Geschichten, jedoch kann man auch hier von einem gemeinsamen mythologischen Korpus sprechen. Ihre Mythen erklären die Schaffung des Kosmos, beschreiben eine gefährliche und gleichgültige Welt, ohne genaue zeitliche oder räumliche Grenzen, ohne Unterschied zwischen Mensch oder Tier. Die mythologischen erklären, wie die ersten Taten der ersten Wesen die Formen der Landschaften schufen, und wie die Welt allmählich sicherer wurde für das Erscheinen der Menschenwesen. Es gibt eine Schlüssel-Erzählung aus dieser Mythologie, die berichtet, wie eine Anakonda die Flüsse Rio Negro und Rio Uaupés hinaufschwamm, in ihrem Leib die Vorfahren aller Menschenwesen. Zu Anfang hatten diese Geister-Vorfahren alle die Form von Federornamenten, wurden jedoch während ihrer Reise zu Menschenwesen. Als sie den Ipanoré-Wasserfall erreicht hatten, das Zentrum des Universums, kamen sie aus dem Bauch der Schlange hervor und verteilten sich auf ihre einzelnen Territorien. Solche Erzählungen, die von den Völkern des Uaupés als ihre Mythologie geteilt werden, drücken ein gemeinsames Verständnis für den Kosmos aus, für den Platz der Menschen in ihm und für die Relationen, die zwischen unterschiedlichen Völkern bestehen sollten, sowie zwischen ihnen und anderen Wesen.
Im Gegensatz dazu hat jede Gruppe auch eine einzigartige Identität und ihren spezifischen Platz innerhalb dieses Systems. Die Bevölkerung ist in ungefähr 17 exogame Gruppen unterteilt, jede von ihnen mit einem Rechtsanspruch auf ein bestimmtes Territorium, bzw. einem Flussabschnitt mit unterschiedlichen Charakteristiken und besonderem Potenzial. Zu diesen unterschiedlichen ökologischen Faktoren kommt noch hinzu, dass jede Gruppe mit der Produktion unterschiedlicher traditioneller Artefakte verbunden ist – so stellen die Tukanos besondere Sitzbänkchen her, die Desana Körbe, die Tuyuka Kanus etc. Diese spezialisierte Produktion stellt einen Aspekt der Identität einer Gruppe dar und mobilisiert die Tauschhandel-Zeremonien (die „Dabukuris“) – sie sind eine der bedeutendsten Komponenten der charakteristischen rituellen Aktivitäten der Region. Bei solchen Anlässen versammeln sich die verschiedenen Völker, um miteinander zu tanzen, Caxiri zu trinken, ihren Schmuck zu präsentieren, Gesänge ihrer Vorfahren zu rezitieren und ihre besonderen Produkte zu tauschen – Keramiktöpfe gegen Transportkörbe, Bänkchen gegen Paddel, Hängematten gegen Kanus, Fisch gegen Fleisch von Wild, Masken gegen Maniokmehl und manchmal auch eine Schwester gegen die andere.
Jede Gruppe hat ihre eigene Sprache, ihr privates Häufchen persönlicher Namen, ihre eigenen Gesänge und Tänze und ihre eigene Abstammungs-Mythologie. Jeder von ihnen hat einen Vorfahren, der von der Anakonda hergebracht wurde, zu seinem privaten Territorium. Der Körper dieser Riesenschlange wird vom sich windenden Flussabschnitt, an dem sie wohnen, wie eine Replika reproduziert, von den Hütten in denen sie leben und in der Komposition ihrer Mitbewohner. Die Sprache, ihre Namen, ihr Gesang, ihre Geschichten und andere Formen der Kommunikation wirken als Prägung ihrer Identität – bestätigen ihre territorialen Rechte und rituelle Privilegien, und festigen Aspekte ihres Lebens, ihrer Seele und ihres Gruppengeistes.
Jede dieser Gruppen besitzt auch eine oder mehrere Zusammenstellungen von „Yurupari“ – jenen heiligen Flöten und Trompeten aus dem Stamm der Paxiúba-Palme gefertigt – welche die Knochen ihres Vorfahren verkörpern, und in ihnen enthalten ist sein Atem und sein Gesang. Zusammen mit Festen und zeremoniellem Tauschhandel, bilden die Rituale, für die jene Instrumente eingesetzt werden, eine andere, bedeutende Komponente des rituellen Lebens der Tukano. Während der zeremonielle Tauschmarkt die Gemeinsamkeiten der unterschiedlichen Gruppen und die Abhängigkeit voneinander demonstriert, heben die Yurupari-Rituale die einzigartige Identität einer jeden hervor.
Gesellschaftliche Organisation
Die Tukano-Gruppen sind patrilinear und exogam – das heisst, alle Individuen gehören zur Gruppe ihres Vaters und sprechen seine Sprache, müssen jedoch Mitglieder anderer Gruppen heiraten, im Idealfall Angehörige anderer Sprachen. Nach aussen geben sich die Gruppen anscheinend gleichbedeutend – intern ist jedoch jede von ihnen in eine bestimmte Anzahl von Clans aufgeteilt, die einer hierarchischen Ordnung unterliegen. Die Vorfahren dieser Clans waren die Söhne des ersten Ahnen aus der Anakonda, und die Reihenfolge ihrer Geburt, welche der Reihenfolge des Erscheinens ihres Vaters entspricht, bestimmt ihre Klassifikation: die Clans der obersten Position werden als „Ältere Brüder“ tituliert von denen, die unter ihnen stehen. Die Clan-Position ist an eine Hierarchie gekoppelt, welche noch locker mit der entsprechenden Residenz verbunden ist: die höheren Clans leben in der Regel an bevorzugten Orten, wie zum Beispiel an den unteren Abschnitten der Flüsse, während die niedereren Clans die oberen Abschnitte oder Quellgebiete der Flüsse bewohnen. Die Klassifikation eines Clans findet auch im Ritual ihren Niederschlag: die höher positionierten Clans – die „Köpfe der Anakonda“ – sind „Chefs“, welche die wichtigsten Rituale anordnen und die entsprechenden Vorbereitungen kontrollieren, auch die Yurupari-Spieler. Die Clans der Mitte sind die Spezialisten in Tanz und Gesang – unter ihnen fungieren die Schamanen. Die niedrigste Stellung nehmen die Clans der Diener ein – der „Schwanz der Anakonda“ – zu denen manchmal auch die halbnomadisch lebenden Maku gehören, wenn sie sich gerade in den Flusszonen aufhalten.
Diese Hierarchie besonderer Rollenspiele und ritueller Privilegien wird gut sichtbar während kollektiver Zeremonien, in denen der Stammbaum rezitiert und die hierarchischen Relationen hervorgehoben werden. In subtilerer Form spiegelt sich diese Hierarchie auch im Alltag. Die Bewohner einer „Maloca“ gehören gemeinsam zu einer Gruppe von direkt verwandten Männern, wie die Söhne desselben Vaters oder von zwei oder mehr Brüdern, die zusammen mit ihren Frauen und Kindern in Wohngemeinschaft leben. Wenn eine Frau heiratet, verlässt sie ihr Geburtshaus und lebt fortan bei ihrem Mann.
Symbolisch gesehen, gibt die „Maloca“ das Universum „en miniature“ wieder – und seine Bewohner sind sowohl Replika als auch Vorläufer des oben beschriebenen Clan-Ideals. So wäre in diesem Fall der Vater der Gemeinschaft in der Maloca vergleichbar mit dem Anakonda-Ahn der gesamten Gruppe, und ihre Söhne wären die Vorfahren der Clans, die aus ihm hervorgingen. Wenn man dieser Logik folgt, ist der ältere Sohn und ältere Bruder in der Regel der Chef der Maloka – und nicht selten sind seine jüngeren Brüder dann Tänzer, Sänger oder Schamanen, deren Rollen der Reihenfolge ihrer Geburt entsprechen. Nicht durch verwandtschaftliche Bande oder Reihenfolge der Geburt jedoch sind gesellschaftliche Macht und entsprechende Positionen zu erreichen, die hängen auch bei den Tukano von der persönlichen Energie und Initiative des Einzelnen ab.
Die Mehrheit der Rituale und des religiösen Lebens der Tukano konzentriert sich auf Objekte (wie Federschmuck und die Yurupari-Flöten), heilige Substanzen – wie die rote Farbe „Carayuru“, Bienenwachs, Baumharz, „Epadu“ (aus Coca-Blättern), Tabak und „Ayahuasca“ – sowie auf abstrakte Dinge, wie Namen, Zeremonien, Huldigungen und Gesänge. Solche Inhalte sind Eigentum der Gruppe und Ausdruck ihrer spirituellen Kraft.
In einem kollektiven und strukturellen Niveau können Rituale mit solchen Inhalten als formaler Ausdruck der Identität der einzelnen Gruppe und der intergruppalen Verbindungen betrachtet werden. Gleichzeitig drücken diese Rituale in gewissem Zusammenhang auch politische Relationen aus. Benachbarte Malocas werden zum Beispiel durch charismatische Anführer miteinander verbunden, sie kommandieren die Organisation von Festen und koordinieren die kollektive Arbeit zur Errichtung von grösseren Häusern, die als zeremonielle Zentren genutzt werden. Solche Anführer sind Individuen, die ein umfassendes esoterisches Wissen besitzen, und die sich bewegen, um die heiligen Güter ihrer Maloca zu halten und zu erweitern, und sie verfügen über die nötigen Mittel, um die Rituale zu sponsern. Solche rituellen Kapazitäten stärken dann auch ihre politische Position.
Die orientalen Tukano und die Maku
Die Völker der linguistischen Familien Tukano Oriental und Maku begegnen sich besonders häufig innerhalb des Gebiets zwischen den Flüssen Tiquié und Papuri und, etwas weniger häufig, zwischen dem Rio Papuri und dem Mittleren Uaupés (dem Abschnitt zwischen Iauareté und der Mündung des Rio Querari). Begünstigt durch ihre ganz unterschiedliche Bevorzugung der gegebenen ökologischen Räume und die Nutzung ihrer spezifischen Ressourcen, haben beide Seiten eine komplentäre Überlebensstrategie entwickelt. Im Gegensatz zu den Tukano, die sich an den Ufern der grösseren Ströme angesiedelt haben, bevorzugen die Maku die kleineren, nicht navigierbaren Flüsschen, eher im tiefen Innern des Waldes. Sie sind gute Jäger, Sammler von Waldfrüchten und kennen die Wege im Wald besonders gut. Die Tukano ihrerseits verstehen sich als hingebungsvolle Ackerbauern und Fischer; und selbst wenn sie einmal auf die Jagd gehen, bevorzugen sie das Kanu für den Ausflug, überraschen Wasserschweine und Tapir an den Ufern, wenn sie zum Trinken aus dem Wald treten.
Die Maku unterhalten mit den Tukano Tauschhandelsbeziehungen und solche periodischer Zusammenarbeit. Im Allgemeinen ergreifen Haushaltsgruppen der Maku die Initiative, sich mit solchen Gruppen der Tukano zusammenzutun – und sie sind es auch, die entscheiden, wann sie dieses Verhältnis beenden, um zu ihren Jagdcamps zurück zu kehren oder den Tukano-Patron zu wechseln. Sie können lediglich eine Woche oder mehrere Monate bei den Tukano verbleiben – aber es gibt auch Fälle, in denen dieses Verhältnis dauerhafter ist, und gewisse Maku sich daran gewöhnt haben, ihre Dienste ganz bestimmten Tukano-Gruppen zur Verfügung zu stellen – es gibt sogar Fälle einer solchen Zusammenarbeit über Generationen. Aber selbst in solchen Fällen wird das Zusammenleben plötzlich unterbrochen, wenn die Maku sich entschliessen, ihrer eigenen Wege zu gehen und ihre eigenen Felder zu bearbeiten – dann hat sie plötzlich der Wald wieder verschluckt.
Die Maku suchen Arbeit, wenn sie selbst sich in einer Phase befinden, in der sie sich einschränken müssen, weil ihre Felder nicht genügend Ertrag liefern und die Jahreszeit für die Jagd ebenfalls nicht ideal erscheint. In diesen Situationen bieten sie den Tukano ihre Arbeitskraft an: ihre Frauen arbeiten auf den Feldern und im Herstellungsprozess der Maniok – die Männer jagen oder übernehmen irgend eine Arbeit, wie zum Beispiel den Austausch eines Hüttendaches oder das Fällen von Bäumen für die Anlage eines neuen Feldes, und andere. Als Gegenleistung bezahlen die Tukano mit einem Teil ihrer Küchenproduktion (Maniokmehl, Fladenbrot etc.) – die Männer erhalten Cocablätter zum Kauen, Tabak und gebrauchte Kleidung, Werkzeuge, Hängematten, und andere Utensilien.
Wenn die Maku-Familie besonders zahlreich ist, und dadurch die Kosten hinsichtlich ihrer Bezahlung mit Gütern für die sie empfangende Tukano-Gruppe zu hoch, kann es passieren, das letztere sie ablehnt oder nach einiger Zeit wieder verabschiedet. In den meisten Fällen jedoch bemerken die Maku selbst, wenn sie den Tukano ungelegen kommen oder nach einiger Zeit “auf den Wecker fallen” – dann verschwinden sie plötzlich so schnell, wie sie gekommen sind. In solchen Fällen reklamieren wiederum die Tukano, dass sie einfach so abhauen, ohne jemanden Bescheid zu sagen – so sind sie eben.
Was die Relation zwischen diesen beiden Gruppen am meisten prägt, ist eben jene Autonomie der Maku, welche von den Tukano in keiner Weise beeinflusst werden kann. Die Maku suchen die Tukano auf, in der Absicht, momentane Engpässe auf dem Nahrungssektor zu überwinden – die Tukano akzeptieren die Maku und überlassen ihnen die verschiedensten Hilfsarbeiten. Manchmal nehmen die Maku auch an Kollektivarbeiten teil, bei denen es darum geht, Felder anzulegen oder zu bepflanzen, und bekommen als Gegenleistung Caxiri (alkoholisches Getränk). Aber bei diesen Gelegenheiten bleibt das Verhältnis kühl und man kommt sich kaum näher. In der Regel essen die Maku weder zusammen mit ihren Arbeitgebern, noch setzen sie sich in ihre Nähe – ausgenommen am frühen Morgen beim gemeinsamen Frühstück, wenn ein paar Maku in der Nähe sind. Für die Tukano sind sie eine menschliche Kategorie „sui generis“ – Arbeitskräfte ja, aber noch weit unter ihrer eigenen untersten Gesellschaftsstufe stehend und nicht würdig, durch Einheirat, zum Beispiel, in ihre Verwandtschaft aufgenommen zu werden.
Die gesellschaftliche Distanz wird von der Haltung bestimmt. Wenn ein Tukano mit einem Maku verhandelt, positioniert er sich in einer gewissen Entfernung von jenem und schaut in eine andere Richtung. In einem anderen Beispiel übergibt ein Maku einem Tukano eine Zigarette, die dieser für ein „Gebet“ verlangt (um mit dem Rauch seinem Sohn oder sich selbst Schmerzen zu vertreiben) – aber anstatt sie ihm in die Hand zu geben, bückt er sich in seiner Nähe nieder und wirft die Zigarette vor die Füsse dessen, der sie haben will.
Die Verbindung zwischen Tukano und Maku wird andererseits mit grossen „Dabucuri-Zeremonien“ (Ritual der Gastgeber und der Gäste) gewürdigt, die zur Zeit der Sammlung bestimmter Früchte des Waldes stattfinden. Bei diesen Gelegenheiten bereiten die Tukano grosse Mengen Caxiri zu für den Empfang der Maku, und die kommen im Morgengrauen, noch vor Sonnenaufgang aus dem Wald, spielen Trompeten und schlagen kleine Trommeln – machen einen Heidenspektakel. Mit sich bringen sie grosse Mengen von Waldfrüchten – vorläufig lassen sie sie am Flussufer zurück, um sie dann später in das Festhaus zu bringen, im richtigen Moment, dem Höhepunkt des Rituals (anlässlich eines zeremoniellen Dialogs zwischen zwei Tukano-Männern und zwei Maku). Gruppen von Flötenspielern der Maku wechseln sich mit denen junger Tukano im Verlauf des Festes ab. Man formiert sich zu Tanzpaaren mit den Frauen – in diesem seltenen Fall ist es egal, ob Tukano oder Maku. Dieselbe Zereminie kann auch aus der Darbietung von Fleisch oder gedörrtem Wildfleisch bestehen, anstelle von Waldfrüchten; sie kann aber auch umgedreht werden, sodass die Tukano ihrerseits den Maku Nahrungsmittel anbieten, wie Fladenbrot und Maniokmehl. Der Austragungsort der Zeremonie ist aber stets ein Dorf der Tukano.
Die deutliche Distanz, welche für das Verhältnis zwischen Tukano und Maku charakteristisch ist, wird verständlich, wenn man die Vorurteile der ersteren näher betrachtet: Die Tukano beschreiben die Maku als anders, fremdartig und, in gewissem Sinne, primitiver. Einige Aspekte, die den Tukano besonders ins Auge stechen:
- Die Maku wohnen in primitiven kleinen Unterständen, so wie man sie während einer Jagd oder zur Feldarbeit vorübergehend errichtet.
- Sie lassen sich nie an einer Stelle fest nieder, sondern ziehen herum, sind unruhig.
- Sie sind undisziplinierte Ackerbauer und, vor allem, wissen nicht, wie man eine Pflanzung behandelt, warten nicht einmal ab, bis die Maniok richtig ausgereift ist – reissen alles möglichst bald raus, um Caxiri draus zu machen, und dann fehlt ihnen Maniokmehl. Die Männer machen dasselbe mit den Coca-Pflanzen, reissen alle Blätter unkontrolliert ab und müssen dann bei den Tukano betteln, um „Ipadu“ zu bekommen (das sie tagtäglich kauen).
- Sie werden mit Misstrauen betrachtet und nicht selten beschuldigt, dass sie die Felder der Tukano plündern und über den Diebstahl noch insofern hinweg täuschen wollen, indem sie die Pflanze in den Boden zurückstecken, nachdem sie deren verwertbare Wurzeln herausgerissen haben. Ausserdem sollen sie stehlen, wo sich ihnen eine Gelegenheit bietet.
- Ihre lokale Endogamie und die kontinuierlichen Veränderungen in der Zusammensetzung ihrer lokalen Gruppen wird ebenfalls von den Tukano nicht gern gesehen, die auf bestimmte Inzest-Heiraten aufmerksam machen, als ob es keine definierten Regeln für die Eheschliessung gäbe.
- Die Tukano reklamieren ausserdem, dass die Maku keine Hygiene hätten, sich nicht waschen und ihr Haar nicht kämmen, „zerlumpt“ herumlaufen, mit alten Fetzen und steif vor Dreck.
Diese ablehnende Vision der Maku besitzt für die Tukano einige praktische Vorzüge, zum Beispiel, dass eine Eheschliessung mit ihnen ausdrücklich verboten ist, und eine Person, die in verwandtschaftlicher Beziehung mit den Maku steht (sei es von väterlicher, sei es von mütterlicher Seite her), ist auf immer stygmatisiert. Trotzdem ist die Verbindung eines Tukano-Mannes mit einer Maku-Frau noch eher zu akzeptieren als die Heirat eines Maku-Mannes mit einer Tukano-Frau – die ist inpraktikabel.
Gegenwärtig hat die intensive Abwanderung der Tukano in die Missions- oder urbanen Zentren zu einem Prozess der Leerung einiger Gebiete geführt. Dadurch haben sich nunmehr die Maku in diesen verlassenen Flussufergebieten niedergelassen, wie zum Beispiel in Tiquié.
Kosmologische Aspekte
Das Universum besteht aus drei grundlegenden Lebensbereichen: dem Himmel, der Erde und der „unterirdischen Welt“. Jeder dieser Bereiche ist eine Welt für sich – mit seinen spezifischen Wesen, die sowohl im abstrakten als auch im konkreten Sinne verstanden werden können. In unterschiedlichen Zusammenhängen kann der „Himmel“ einerseits die Welt der Sonne, des Mondes und der Sterne sein, aber auch die Welt der Vögel, die hoch fliegen, oder der flachen Gipfel der Berge, von denen die Gewässer herunterkommen, oder die Welt der Baumspitzen des Waldes, oder selbst ein Kopf, der mit einer Krone aus roten und gelben Federn des Ara geschmückt ist – den Farben der Sonne. Auf dieselbe Weise ist die „unterirdische Welt“ der Fluss der Toten unter der Erde, der gelbe Lehm unter der Schicht fruchtbaren Bodens, in der man die Toten beerdigt, oder die Wasserwelt der unterirdischen Flüsse.
Aber vor allem, was Himmel und unterirdische Welt wirklich ausmacht, hängt nicht nur von Massstab und Zusammenhang ab, sondern auch von der Perspektive: In der Nacht befinden sich Himmel, Sonne und der Tag unter der Erde, und die dunkle, unterirdische Welt befindet sich oben. Es gibt eine Geschichte von einem Mann, der die Leiche einer Sternen-Frau findet, die auf die Erde gefallen war, als sie von ihrer Familie im Himmel begraben worden war: für ihre Anverwandten ist sie tot in der „unteren Welt“ – für den Mann, der sie fand, lebt sie nun auf der Erde. Der Mann heiratet die Sternen-Frau und besucht dann ihre Familie im Himmel. Für den Mann sind die Sterne Geister der Toten, welche in der Nacht leben – für die Sterne ist er ein Geist, und der Tag entspricht für sie ihrer Nacht.
Die verschiedenen Tukano-Gruppen entsprechen ebenfalls diesem Schema. So sind zum Beispiel die Bará das „Volk der Fische“ (oder des Wassers), die Barasana sind das „Volk der Erde“ und die Tatuyo sind das „Volk des Himmels“. Jede dieser Gruppen hat einen Anakonda-Vorfahren, aber Anakondas im Wasser sind eine andere Version der Jaguare auf der Erde oder der Harpyen im Himmel – in einer veränderlichen und perspektivistischen Welt sind die grössten Beutejäger des Himmels, der Erde und des Wassers gleichwertig und ergänzen sich. So, wie Personen desselben „Bereichs“ vom gleichen Typ sind und nicht untereinander heiraten dürfen, besitzen Ehen zwischen unterschiedlichen exogamen Gruppen kosmische Dimensionen. Die Barasana, zum Beispiel, ziehen Eheschliessungen mit den Bará vor, und die Bará pflegen am liebsten Ehen mit den Tatuyo einzugehen. Es ist möglich, dieses System mit einem Barasana-Mythos zu beleuchten, der von seiner Entstehung erzählt: Yeba (Erde), der Urahn der Barasana, in der Gestalt des Jaguars, heiratet Yawira, eine Fisch-Frau, die Tochter der Fisch-Anakonda, Urahne der Bará. Yawira verlässt später ihren Ehemann Yeba und flieht mit Yuka, dem Königsgeier, der ein Sohn des Urahnen Tatuyo ist – und der wird auch als Himmels-Anakonda bezeichnet. Andere Tukano-Gruppen haben unterschiedliche Versionen dieser Legende, mit anderen Namen der Protagonisten, aber die Logik ist die gleiche.
Symbolisch betrachtet ist die Maloca (Wohnhaus) das Universum – oder das Universum gleicht einer Maloca. Das Strohdach ist der Himmel, die Stützen sind die Berge, die Wände sind die Gebirgszüge, welche die Landschaft einzurahmen scheinen, und unter der Erdoberfläche fliesst der Fluss der Toten. Die Maloca hat zwei Ein- und Ausgänge: einen nach Osten, der ist für die Männer, wird auch „Tür zum Wasser“ genannt – der andere in Richtung Westen ist der für die Frauen, mit einem langen Dachfirst, der sich zwischen der einen und anderen „Tür“ erstreckt und „Weg der Sonne“ genannt wird. In dieser äquatorialen Region fliessen die subterranen Flüsse von Westen nach Osten, mit anderen Worten: vom Eingang der Frauen zum Eingang der Männer – der unterirdische Fluss der Toten schliesst den Wasserkreislauf, indem er von Ost nach West fliesst.
Einerseits ist die Maloca ein Universum en miniature, andererseits auch ein Körper – auch der Körper eines Kanus des Anakonda-Vorfahren und der Körper seiner in ihm enthaltenen Söhne. Diese Söhne sind die Bewohner des Hauses, der Maloca, Nachbildungen des ehemaligen Vorfahren, Behälter zukünftiger Generationen und sie selbst, zukünftige Vorfahren. Und wenn die Maloca ein menschlicher Körper ist, dann ist ihre Gestalt ebenfalls eine Frage der Perspektive. Aus maskuliner Sicht entspricht die bemalte Front der Maloca einem Männergesicht – die „Tür der Männer“ ist sein Mund, der Mittelbalken und die lateralen Stützen sind sein Rückgrat und die Rippen, das Zentrum des Hauses ist sein Herz und die „Tür der Frauen“ ist sein Anus. Aus femininer Sicht bleibt es bei dem Rückgrat, den Rippen und dem Herzen, aber der Rest des Körpers wird umgedreht: die „Tür der Frauen“ ist ihr Mund, die „Tür der Männer“ ihre Vagina und das Innere des Hauses ist ihr Schoss.
Aus diesen Prinzipien der Replikation und Transformation ergeben sich eine Reihe von Auslegungen. Wenn die Flüsse durch das „Haus des Universums“ fliessen und der Körper mit einem Haus vergleichbar ist, kann man folgern, dass Arterien und Venen die Flüsse sind – und die Würmer in diesem Fall die „Anakondas“. Und da gibt es eine Geschichte, welche das Universum aus der Sicht eines solchen Wurms beschreibt: Wenn sein menschlicher Wirt „Caxiri“ (Bier aus Maniok) trinkt, wird der Regen dickflüssig und klebrig; wenn er Maniokmehl zu sich nimmt, regnet es Steine, und wenn er Beiju-Fladenbrot isst, dann regnet es Felsbrocken. Diese Geschichte illustriert eine wichtige Tatsache: Die Mythen verdeutlichen die Mythologie, aber viel häufiger wird die Kosmologie einfach als selbstverständlich hingenommen – jedoch sollten die Menschen die Mythen auf eigene Faust in die Tat umsetzen. Religiöse Spezialisten sind diejenigen, welche ein gewisses Talent besitzen, zu „lesen“, was hinter diesen heiligen Geschichten steckt.
Der Zyklus des Lebens
Mit dieser Synthese kosmologischer Prinzipien des vorhergehenden Kapitels im Kopf, können wir vielleicht anfangen zu verstehen, wie einige lebenswichtige Prozesse in kosmologischen Themen gründen, und wie sie sich mit rituellen Praktiken im Zyklus des Lebens verbinden.
Die Verdauung, Stuhlgang, Dekompostierung und der Tod involvieren einen passiven Fluss der Dinge von oben nach unten – von der Quelle eines Flusses zu seiner Mündung – von Westen nach Osten. Das Leben selbst ist eine Bewegung, manchmal im Kampf, in Übereinstimmung mit diesem Fluss: wachsen die Pflanzen in Richtung der Sonne und auch die Menschen wachsen nach oben solange sie reifen. Die Sonne (Yeba Hakü,in der Sprache der Barasana) – der „Vater des Universums“ (Sonne ist bei ihnen maskulin) – Quelle des Lichts und des Lebens, sie bewegt sich kontinuierlich gegen den Strom, steigt die Flüsse der Erde von Osten nach Westen empor, während des Tages, und steigt dann während der Nacht wieder gegen den Strom des Flusses der Unterwelt empor, um am nächsten Morgen wieder im Osten aufsteigen zu können. Der Anakonda-Urahn, welcher die Menschheit auf diese Welt brachte, schwamm ebenfalls mit der Sonne, von Osten nach Westen, um dann im Zentrum der Welt anzuhalten.
Der Anakonda-Urahn, ein Wassergeist, ist der Fluss selbst, durch den er einst schwamm, und die Wesen in seinem Innern haben erst ihre menschliche Form angenommen, als sie sich aufs Festland begaben. Davor waren sie „Fisch-Leute“ – Geistwesen in Form von Federornamenten. Tiere allgemein heissen „Wai-bükürã“ (erwachsene, oder reife, Fische) und unter ihnen sind auch die „Menschenwesen“ – Wesen, die sich auf halbem Weg zwischen „Fisch-Geistern“, die sie vorher waren, und „Vogel-Geistern“, in die sie sich einst verwandeln werden.
Die Geschichte des Anakonda-Vorfahren ist eine heilige Erzählung über die Anfänge der Welt und wahrscheinlich eine Version von der historischen Wanderung der Tukano-Völker. Sie kann auch als eine Geschichte über die Ökologie verstanden werden, über die jährlichen Wanderungen der Fische Amazoniens stromauf, die ihre Eier an den Oberläufen der Ströme und Flüsse ablegen. Und sie ist eine Geschichte über die menschliche Reproduktion, der ebenfalls eine zunehmende Durchdringung in ost-westlicher Richtung zugrunde liegt – in Richtung auf eine “Wassertür”, unter einem zunehmenden Samenerguss, und einem Übergang aus dem Schoss der Wasserwelt zur trockenen Welt menschlicher Existenz auf der Erde. Man muss sich also nicht wundern, dass “geboren werden” in der Sprache der Barasana mit “hoe-hea” ausgedrückt wird – “übersetzen in Richtung auf ein höheres Niveau”. Andererseits beinhaltet die Geburt aber auch eine “Bewegung nach unten” durch den Kanal des weiblichen Körpers – kosmologisch gesehen eine Bewegung von Westen nach Osten und, gesellschaftlich gesehen, eine Bewegung von der Mutter zum Vater oder von den Frauen zu den Männern.
Um diese Bewegungen richtig zu verstehen, ist es nötig, mit dem Tod zu beginnen. Einige Indianer des Uaupés, besonders die Kubeo, inszenieren Trauerrituale, in denen Tänzer mit bemalten Masken aus Baumrinde sich als Fische verkleiden, als Tiere und andere Wesen des Waldes, um die Seele des Toten in der Welt der Geister willkommen zu heissen. Das Begräbnis der Tukano selbst ist eigentlich ein einfacher Vorgang: das Grab wird im Boden der Maloca angelegt und als Sarg wird ein in der Mitte geteiltes Kanu verwendet. Diese einfache Beisetzung ist das Vorspiel zu einer zukünftigen Wiedergeburt.
Die Tukano-Völker teilen miteinander den Glauben an eine Wiedergeburt, nach der ein Aspekt seiner Seele in das „Haus der Veränderung“ zurückkehrt – dem Ort ihrer Herkunft und der ihrer Gruppe. Danach kehrt die Seele in die Welt der Lebenden zurück, als Inkarnation in einem neugeborenen Menschenwesen, das ihren Namen erhält. Die Kinder erhalten den Namen eines Verwandten väterlicherseits, der kürzlich gestorben ist – den des Grossvaters väterlicherseits für einen Knaben, und den der Grossmutter väterlicherseits für ein Mädchen. Jede Gruppe verfügt über eine begrenzte Anzahl persönlicher Namen, die jeder neuen Generation überliefert werden. Der sichtbare Aspekt jener „Seelen-Namen“ sind die Federkronen, die von den Tänzern benutzt werden, und die dann später mit den Toten begraben werden. Der Fluss in der Unterwelt wird als „überfüllt mit Schmuck“ beschrieben – erinnern Sie sich an die Geschichte der Herkunft, in der die Geistwesen in der Anakonda die Form von „Federornamenten“ haben.
In Kanus begraben, fallen die Seelen der Toten in den Fluss der Unterwelt. Dort werden sie von der Strömung des unterirdischen Flusses gegen Westen gerissen und betreten die Regionen ausserhalb unserer Welt. Die Frauen gebären nicht innerhalb des Hauses (der Maloca) sondern auf einem Feld innerhalb des Waldes – hinter dem Haus und am oberen Teil des Flussabschnitts – und damit ebenfalls gegen Westen. Das Neugeborene wird erst einmal im Fluss gewaschen und wird dann ins Haus gebracht – durch die Hintertür, die “Tür der Frauen“. Verborgen im Haus, etwa eine Woche lang, bei Vater und Mutter, wird das Baby erneut im Fluss gebadet und erhält einen Namen. Und so kommen die Babys, aus kosmologischer Sicht, tatsächlich von den Frauen, aus dem Wasser und aus Westen.
Personen, Tiere und Objekte
Eine Schlüsselkomponente der religiösen Ideen der Tukano sind die Relationen zwischen den Menschen, den Tieren und dem Wald.
“Masa“ (in Barasana), das Wort für “Leute“, ist ein sehr relativer Begriff. Er kann sich auf eine Gruppe in Opposition zur anderen beziehen, auf alle Tukano im Gegensatz zu ihren Nachbarn, auf Indianer gegen Weisse, auf Menschenwesen gegen Tiere und auch auf lebende Dinge, wie zum Beispiel Bäume gegen unbeseelte Objekte. In mythologischen Erzählungen und schamanistischen Diskursen sind Tiere ebenfalls “Leute“ und bewohnen Welten, die denen der Menschenwesen ähnlich sind: sie leben in organisierten Kommunen innerhalb ihrer Behausungen, jagen und fischen, trinken Caxiri, benutzen Schmuck, nehmen an interkomunitären Festen teil und spielen ihre eigenen “Yurupari“ (heiligen Flöten ihrer Vorfahren). Alle Kreaturen, die sehen und hören können, die sich mit den Ihren und ihrer Gruppe und die intentional agieren, sind “Leute“ – lediglich Leute einer anderen Spezies. Sie sind anders, weil sie andere Körper, Gebräuche und Verhalten an den Tag legen, und weil sie die Dinge aus einer unterschiedlichen körperlichen Perspektive betrachten. So wie die Sterne auf die Menschen als tote Geister herabblicken, sehen sich die Tiere selbst als Menschen und betrachten die Menschen ihrerseits als Tiere. In den Augen des Geiers sind die Menschen, wenn sie auf Fischfang gehen, Leute, die verwesende Kadaver fangen – in den Augen des Jaguars sind die Menschen gefährliche Beutejäger, die Blut trinken, als wäre es Caxiri – und für die Fische, die im Wasser atmen, ist es einfach unverständlich, dass die Menschenwesen nicht unter Wasser atmen können. Die Menschen wiederum, sehen dies alles aus einer ganz anderen, nämlich ihrer Perspektive.
Wenn die gemeinsame Bezeichnung aller dieser “Leute“ in ihrer Subjektivität begründet ist, und das Leben dieser Subjekte sogar dem der menschlichen Kultur gleicht, so sind die Unterschiede zwischen diesen “Leuten“ in ihren verschiedenen Körpern zu suchen: ihrer Form, ihrer Farbe, ihren Stimmen, ihren Gewohnheiten und ihrer Nahrung.
Solche Unterschiede werden von den Indianern symbolisch in ihren Ritualen umgesetzt – zum Beispiel durch unterschiedliche Nahrung während eines Rituals, durch unterschiedliche Bemalung der Körper der Tänzer, durch den verschiedenen Schmuck und die Masken, durch unterschiedliche Waffen und andere rituelle Ausrüstung. Die Indianer bezeichnen alle diese Utensilien mit “Küni-oka“ – Waffen oder Schilde – eine Bezeichnung, die unwillkürlich an Militäruniformen mit ihren Abzeichen erinnert – Identität, Kleidung und Verteidigungswaffe zugleich. Mit dieser Logik werden die Unterschiede zwischen den menschlichen “Leuten“ als natürlich und unwesentlich dargestellt. Und nach ihrer Auffassung bilden die verschiedenen Gruppen der Tukano so viele unterschiedliche “Spezies“ wie die vielen Tier-Spezies aus unterschiedlichen “Völkern“ bestehen.
Im Alltag unterstreichen die Menschen ihren Unterschied zu den Tieren, aber in der Geisterwelt, zu der man Zutritt hat mittels der Rituale, durch die Schamanen, durch die Träume und durch die Visionen des “Ayahuasca“ (Halluzinogen), verschmelzen die Perspektiven, die Unterschiede verschwimmen, die Vergangenheit wird zur Gegenwart, Menschen und Tiere werden wieder eins. Und dies führt zu wichtigen, praktischen Auswirkungen, denn dort, wo die Tiere wieder gleich dem Menschen sind, bedeutet die Jagd auf sie und ihr Fleisch zu essen, dasselbe wie Krieg und Kannibalismus. Viele Krankheiten werden deshalb als Rache der Tiere angesehen, welche von den Menschen getötet und gegessen werden. Und dieses Krankheitsrisiko, welches von den getöteten Tieren ausgeht, verhält sich proportional zu ihrer Grösse und ihrem Habitat: die Tapire sind deshalb gefährlicher als die Affen, die Landtiere gefährlicher als die Fische, die grossen Fische gefährlicher als die Kleinen.
Gefahr ist auch durch den Kontakt mit dem Reich des Übersinnlichen stets gegeben. Eine Geburt in dieser Welt provoziert einen Groll unter den Tier-Geistern – für sie bedeutet jede menschliche Geburt einen Tod der Ihren. Die menschlichen Neugeborenen, gerade aus der Geisterwelt abgewandert, sind noch nicht fest in ihrem Körper verankert, und deshalb müssen sie vor den eifersüchtigen Tapiren geschützt werden, welche sie bedrohen und durch ihren Anus verschlingen wollen – in Gegenrichtung der Geburt. Als Besucher der Geisterwelt – Frauen während ihrer Menstruation und Männer, die an einem Ritual teilnehmen – werden diese eine bestimmte Zeit lang wie Kinder behandelt, die ihre Nahrungsaufnahme verringern müssen und “gefährliche Nahrung“ vermeiden. Um Fisch und Fleisch “sicher“ zu kochen, muss ein Schamane zuerst Tabakrauch über die toten Tiere blasen, um ihren Geist gütlich zu stimmen und ihre “Schutzschilde“ oder “Waffen“ unschädlich zu machen (Farben, Haut, Zähne, Gräten, Schuppen und andere physische Attribute), welche die besondere menschliche Identität des Konsumenten kompromittieren könnten.
Die Qualitäten der Personifizierung, der Subjektivität und Intention, welche die Indianer den Tieren zuschreiben, beziehen sie auch auf den Kosmos als Ganzes. Die Mythen der Völker vom Uaupés erzählen auch von der Landschaft, deren unterschiedliche Formen – Gebirgszüge, Berggipfel, Flüsse, Felsen und Wasserfälle – Namen besitzen, welche an die Erzählungen der Schöpfung ihrer Vorfahren erinnern. Zu Land oder im Kanu die Landschaft “bereisen“ heisst jene Erzählungen verfolgen und teilzunehmen, an den von ihnen beschriebenen Geschichten. Viele dieser Geschichten erzählen von antiken Wanderungen, geben der Landschaft eine doppelte Dimension – die der ehemaligen Schöpfungsgeschichte und die der jüngeren Geschehnisse, wie zum Beispiel eines Hausbaus oder der Einrichtung eines Komplexes von Feldern für die Gemeinschaft.
Die Mächte urzeitlicher Schöpfung innerhalb der Landschaft betreffen die Pflanzen, Fische, Tiere und Menschenwesen, welche sie bewohnen und erstrecken sich ebenfalls auf jene aus ihren Materialien hergestellten Objekte und Utensilien. In den Mythen erscheinen die alltäglichen Objekte, wie Kanus, Hängematten, Körbe und Keramikbehälter, als animierte, autonome Wesen – und so wie die Tiere als “Leute“ gesehen werden, können die Malocas zu Körpern der Vorfahren oder denen werden, die sie konstruiert haben. Die konfektionierten Objekte tragen in sich zwei Arten von Kräften: die ihres Rohstoffes und die der Geschicklichkeit und Intention ihrer Hersteller. Deshalb hat auch die Herstellung dieser Objekte einen entsprechend bedeutenden religiösen Hintergrund. Während der Initiationsriten werden Knaben und Mädchen systematisch in der Herstellung von Kunsthandwerk trainiert – und dieses Training ist gleichzeitig intellektueller, spiritueller und technischer Art. Kunsthandwerk zu fertigen bedeutet, symbolisch gesehen, sich selbst und die entsprechende Welt zu “konfektionieren“, in einer Art von Meditation, welche die Verbindungen zwischen Objekten, Körper, Wohnung und Universum deutlich macht.
Religiöse Spezialisten
Unter den Tukano wird die Religion nicht als eine diskrete Glaubenssache betrachtet, sondern vielmehr als eine Dimension, von der alle Kenntnis haben, mit der sie alle Erfahrung sammeln und die von allen praktiziert wird. Das erklärt auch, warum das Leben in einer Landschaft, geprägt von der Macht der Vorfahren und einem Alltag von aussergewöhnlichen metaphysischen Dimensionen, potentiell gefährlich sein kann. Um zu überleben und sich weiter zu entwickeln, das eigene Wohlbefinden wie das seiner Familie zu sichern, brauchen alle Erwachsenen eine gewisse Fertigkeit im Umgang und zur Kontrolle der Mächte der Schöpfung und der Zerstörung, von denen sie umgeben sind. Die technischen und metaphysischen Kenntnisse sind an keine bestimmten Grenzen gebunden. Die erwachsenen Männer müssen sowohl die natürlichen Ressourcen ihres Territoriums als auch ihre spirituellen Eigenschaften kennen, und sie kombinieren handwerkliche Routinearbeiten mit rituellen Handlungen – ihre Kompetenz für die Jagd und den Fischfang ebenso, wie die Segnung des Fleisches und des Fisches mit Tabakrauch, damit sie gefahrlos verzehrt werden können. Auf ähnliche Art und Weise müssen die Frauen – die “Mütter der Ernährung“ – deren Maniokwurzeln als ihre “Kinder“ bezeichnet werden, die materielle und spirituelle Sphäre der Produktion und Reproduktion ihrer Felder, der Küche und auch ihrer Körper mit Sorgfalt und Hingabe kontrollieren.
In Amazonien spricht man häufig von den rituellen Spezialisten, als mit besonderen Kräften ausgestatteten Personen, die Zugang zu ganz besonderen esoterischen Kenntnissen besitzen, und die man als “Schamanen“ bezeichnet – ein Etikett, welches sowohl Verwirrung als auch Enthüllung bereithält. Wie schon gesagt, um ihr Leben erfolgreich zu gestalten, müssen alle erwachsenen Männer etwas von einem Schamanen in sich tragen. Diejenigen allerdings, welche öffentlich als Schamanen bestätigt werden, haben ein umfangreicheres rituelles Wissen und besitzen eine spezielle Fähigkeit der Deutung der sakralen Erzählungen, und sie bemühen sich Fähigkeiten und Kenntnisse zum Wohl der anderen zu entwickeln, von denen sie als Spezialisten in religiösen Dingen anerkannt werden. So sind die “Schamanen“ Menschen, die sich von den anderen abheben – aber es gibt auch immer solche, die hinter den Kulissen agieren und auf ihren Auftritt in der Öffentlichkeit warten.
In der Regel sind die Schamanen, mit seltenen Ausnahmen, männlichen Geschlechts – aber die Kapazität der Frauen zu menstruieren und Kinder zu gebären, wird als feminines Equivalent gegenüber der Macht der Männer über die “Yuruparis“ (Flöten) betrachtet. So kann man sagen, dass die Männer ihre schamanistischen Fähigkeiten durch die Kultur erlangt haben – aber die Frauen sind schon “Schamanen“ (Zauberinnen) von Natur aus. Und so muss man sich auch nicht wundern, dass in der Mythologie der Tukano, dem “Volk des Universums“, jene heldenhaften Vorfahren, die den Weg für die Schaffung der Menschheit bereitet haben, von einem femininen Wesen hervorgebracht wurden, welches die Barasana “Romi Kumu“ nennen – Schamanenfrau. Sie ist auch bekannt als “die Alte aus der Erde“ (Ye’pa Büküo, Yeba Büro) in Tukano und Desana.
Schliesslich verbirgt das Etikett “Schamane“ einen bedeutenden Unterschied zwischen zwei rituellen Spezialisten – den “Yai“ und den “Kumu“. Erstere entsprechen dem typischen “Medizinmann“ Amazoniens. Seine wichtigste Aufgabe besteht aus der Vermittlung zwischen den Menschen, der Tierwelt und dem Wald. Es kommt ihm eine bedeutende Rolle während der Jagd zu, indem er die Tiergeister aus ihren Behausungen am Rand der Gebirge herbeiruft, eine gefährliche Aktivität, welche eine Kompensation aus der Menschenwelt erforderlich machen kann, wie zum Beispiel die Umkehr eines Lebens in Tod. Der Medizinmann ist ein Spezialist in der Heilung von Leiden, die durch Hexerei von rachsüchtigen Kreaturen und eifersüchtigen Menschenwesen entstehen können, Krankheiten, die sich als Pickel, Haarwuchs und andere Lästigkeiten auf der Körperoberfläche manifestieren können. Geheilt werden solche Patienten, indem man Wasser über ihren Körper giesst und Tabakrauch darüber bläst – und stets Objekte oder Substanzen aus dem kranken Körper saugt.
“Yai“ bedeutet “Jaguar“ – ein Terminus, der bereits eine Idee vom Status des Medizinmanns in der Tukano-Gesellschaft andeutet. Der Jaguar ist ein mächtiges und potentiell gefährliches Tier – so wie diejenigen, welche die Macht und das Wissen haben, gegen Hexerei und Zauberei vorzugehen – und die sie auch selbst in der Lage sind, sie zu praktizieren. Ein Medizinmann wird für “gut“ oder “böse“ gehalten, je nachdem ob er ein Verwandter oder Nachbar ist, dem man vertraut. Der Terminus “Yai“ kann sich auch auf Wildheit und Unkontrollierbarkeit beziehen, was die Abseitsposition vieler Medizinmänner, sowie den individuellen und unberechenbaren Charakter seiner Kräfte, die häufig im Zusammenhang mit dem Einsatz von Halluzinogenen stehen.
Sowohl der “Yai“ als auch der “Kumu“ sind Spezialisten – aber der “Kumu“ ist eher ein Weiser und Priester als ein Schamane im eigentlichen Sinn. Seine Kräfte und Autorität basieren auf der gründlichen Kenntnis der Mythologie und der rituellen Vorgänge, Ergebnis eines jahrelangen Trainings und entsprechender Praxis. In Konsequenz sind die Männer, die als “Kumu“ agieren, in der Regel die Älteren der Dorfgemeinschaft, deren Väter oder Onkel väterlicherseits oft dieselbe Funktion innehatten.
Als erfahrener und weiser Mann ist der “Kumu” häufig auch als politischer Führer seiner Gruppe tätig, und er besitzt ausserdem eine beachtliche Autorität über seine Gruppe hinaus. Im Vergleich mit dem “Yai“ – einer moralisch manchmal etwas zwiespältigen Figur – erfreut sich der “Kumu“ eines höheren Status und eines grösseren Vertrauens, das vor allem auf seiner bedeutenden rituellen Rolle beruht.
Der “Kumu“ spielt eine wichtige Rolle in der Vorbeugung von Krankheiten und Unglück im Leben seiner Gruppe. Er ist ein Spezialist in der Kunst, verzaubernden Rauch über Fleisch und Fisch zu blasen, mit dem er ihre Substanz in eine pflanzenähnliche Form verändert. Ihm kommt die Hauptrolle bei den “Riten der Veränderung“ zu, er leitet die bedeutendsten Zeremonien anlässlich Geburt, Initiation und Tod, Übergänge, welche die gesellschaftliche Eingliederung des Individuums und seinen Generationswechsel sichern, und damit auch die Verbindung zwischen den Vorfahren und seinen lebenden Nachkommen ordnet. Es ist der “Kumu“, der den Neugeborenen ihre Namen gibt und die Initiationsriten der Jugend leitet, in der Öffentlichkeit und im Kollektiv, sowie auch die privaten der Mädchen in der Pubertät. Solche Übergänge sind abhängig vom wohlwollenden Kontakt zwischen den Lebenden, den Geistern und den Toten. Dieser Kontakt kann gefährlich sein, deshalb ist es der “Kumu“, der die Verantwortung zum Schutz der Personen übernimmt. Für diejenigen, welche sich der Protektion eines “Kumu“ während ihrer Geburt oder ihrer Initiation erfreuten, ist er fortan ihr “Guu“ (Schildkröte) in Anspielung an den dicken, schützenden Panzer dieses Reptils.
Eine andere wichtige Funktion des “Kumu“ besteht aus seinem Vorsitz bei den Tanzfesten, den Caxiri-Festen und zeremoniellen Intercambios, sowie der Leitung und Kontrolle von Ritualen, in denen die Yurupari-Flöten zum Einsatz kommen, die einen direkten Kontakt mit den toten Vorfahren herstellen. Jene, die an solchen Ritualen teilnehmen, geben ihr Leben in die Hände des “Kumu“, deshalb können auch nur die weisesten und meist respektierten Männer diese Funktion ausüben.
Als “Leute“ und integrierter Teil eines lebenden Kosmos, sind die Menschenwesen, die Tiere, die Pflanzen und die Fische im gleichen System vereint, welches während der Yurupari-Rituale mit neuem Leben erfüllt wird. Diese Rituale fördern die Reproduktion der Pflanzen und der Tiere, sichern die normale Ordnung der Jahreszeiten und die kontinuierliche Fruchtbarkeit der Natur. Durch Kontrolle und Promotion dieser Rituale gelingt es den bedeutendsten “Kumus“ die Macht und die Identität des “Yeba Hakü“ (Vater des Universums), der “Romi Kumu“ (Kumu-Frau) und der “Yurupari“ (geistige Quelle des pflanzlichen Lebens) zu verkörpern. Als Meister des Rituals werden sie selbst zu Schöpfern.
Ritual
Der Jahreszyklus wird mit einer Reihe von kollektiven Festen bestückt, jedes mit seinen adäquaten Gesängen, Tänzen und Musikinstrumenten, welche bedeutende Begebenheiten des menschlichen Lebens und der Natur akzentuieren – Geburten, Initiationen, Hochzeiten und Tod, die Rodung und Bepflanzung der Felder, die Konstruktion von Häusern, die Wanderungen der Fische und der Vögel, sowie die Reife von Waldfrüchten und anderen gesammelten Nahrungsmitteln. Solche rituelle Versammlungen werden “Häuser“ genannt, ein Terminus, welcher gleichzeitig ein Ritual, eine Gruppe von Personen und eine symbolische Welt bezeichnet.
Feste gibt es in drei Grundformen: “Caxiris“ (Bierfeste), “Dabukuris“ (zeremonieller Austausch) und die “Yurupari“ (Feste der heiligen Flöten). Die Caxiris sind Gelegenheiten gesellschaftlichen Zusammenfindens – wenn zum Beispiel eine Kommune die andere zu Tanz und Caxiri einlädt, als Dank für ihre Hilfe bei der Rodung der Felder oder bei der Errichtung eines neuen Hauses, manchmal anlässlich der Namensgebung eines Kindes, oder einfach nur zum Vergnügen und zur Erneuerung der nachbarlichen Bande. In diesem Fall sind die Gäste die Tänzer, und die Gastgeber offerieren ihnen grosse Mengen Maniok-Bier, das von ihren Frauen für diese Gelegenheit zubereitet wurde.
Mit Federkronen und anderem Schmuck ausgestattet, sind die Tänzer eine ganze Nacht hindurch in Bewegung, sie tanzen um den Behälter mit Caxiri herum, (der die Form eines Kanus hat), er ist der Mittelpunkt der Zeremonie in diesem Fall, und es ist eine Frage der Ehre, dass der gesamte Caxiri ausgetrunken ist, bevor sich die Gäste am folgenden Morgen verabschieden.
An den Caxiris können Kommunen von Brüdern und Schwägern teilnehmen – dagegen sind die Dabukuris vor allem der Pflege von ehelichen und verwandtschaftlichen Beziehungen gewidmet. Geschenke werden im Namen eines Mannes an seinen Schwager oder seinen Schwiegervater gegeben: in der Mythologie der Barasana – von denen der Dabukuri stammt – sind die beiden bedeutenden Persönlichkeiten Yeba und Yawira (siehe Kapitel “Kosmologische Aspekte“) – das Geschenk wird von Yeba an seinen Schwiegervater Anakonda-Fisch gegeben. Das Ritual beginnt mit der Ankunft der Gäste gegen Abend. Sie werden von ihren Gastgebern als Fremde und potentielle Feinde behandelt – sie bleiben ausserhalb des Dorfes und fangen dort aus eigener Initiative an zu singen und zu tanzen. Erst in der Frühe des folgenden Morgens marschieren sie, elegant zurecht gemacht und Trompeten aus Keramik oder Embauba-Holz blasend, in das Dorf ihrer Gastgeber ein. Sie präsentieren den Gastgebern ihre Geschenke und dann initiieren sie einen Tanz, der den ganzen Tag und die folgende Nacht andauert. Die Gastgeber halten Abstand, bedienen sie mit Caxiri, und während der Tag zur Neige geht, nähern sie sich ihnen immer mehr, um sich schliesslich unter sie zu mischen und die Nacht über in ihre Gesänge mit einzustimmen und mit ihnen zu tanzen. Die anfängliche Barriere – als Teil dieses Rituals – ist nun definitiv überwunden. Wenn dann am nächsten Morgen der Tanz verebbt, setzen sich Gäste und Gastgeber zu einem riesigen, kommunalen Mahl zusammen – als ob sie eine einzige grosse Gemeinschaft seien.
Solche “Intercambios“ zwischen den verschiedenen Gruppen besitzen eine doppelte Logik – kurzfristig: die Gäste tanzen und bieten Fisch oder Fleisch gegen den Caxiri der Gastgeber. Langfristig: die Gruppen tauschen eine Art von Produkt gegen das andere – entweder Fisch gegen Fleisch oder Fleisch gegen Fisch – und sie tauschen die Rollen der Gastgeber und der Gäste. Beide Fälle haben mit der ehelichen Verbindung zutun – der erste versinnbildlicht den Tausch von Fleisch oder Fisch gegen Maniok-Produkte (Fladenbrot oder Caxiri) zwischen Ehemann und Ehefrau; der zweite steht für den Tausch von verschiedenen Frauentypen zwischen den durch Einheiraten verbundenen Gruppen. In kosmologischer Hinsicht sind diese “Tauschgeschäfte“ innig verbunden mit den Zyklen der Fortpflanzung und den von den Jahreszeiten abhängigen Beständen von Fischen und jagdbaren Tieren. Die Tänze stellen deshalb nicht nur eine Dramatisierung der relativen Bewegungen von wandernden Fischen und Vögeln dar, sondern beeinflussen auch die kontinuierliche Fruchtbarkeit der Natur und die Bestände der Arten von denen ihre Existenz abhängt.
Rituale, die sich der heiligen Musikinstrumente “Yurupari“ bedienen, sind Ausdruck tief empfundener Religiosität der Indianer, denn sie erfassen und vereinen verschiedene gesellschaftliche Schlüssel-Themen, wie die Herkunft der Gruppe und ihre Identität, Sexualität und Fortpflanzung, Verhältnis Mann zu Frau, Wachstum und Reife, Sterben und Tod, Regenerierung und Integration des menschlichen Lebenszyklus in die kosmische Zeit. Als Ergänzung zu den “Dabukuris“ beziehen sich diese Rituale auf die männliche Identität und die intragruppalen Beziehungen, im Gegensatz zur Heirat und und den intergruppalen Beziehungen – in gleicher Art und Weise auf die Fruchtbarkeit der Pflanzen und Bäume im Gegensatz zu den Lebenszyklen der Tiere.
Die Flöten und Trompeten aus dem Stamm von Palmen, welche zu jeder Gruppe gehören, stellen eine einzigartige und gleichzeitig multiple Wesenheit dar: den Vorfahr der Gruppe und seine Paarweisen Knochen, die auch seine Söhne sind; und die Vorfahren der Clans, aus denen die Gruppe besteht. Wenn die Instrumente zusammen sind und gespielt werden, kehrt der Vorfahr ins Leben zurück – das heisst, diejenigen, welche die Instrumente spielen, übernehmen die Identitäten der Clan-Vorfahren und treten in direkten Kontakt mit ihren entsprechenden Vorvätern. Dieser Prozess annulliert die gegebene Trennung zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Toten und Lebenden, Vorfahren und Nachkommen, und stellt die ursprüngliche Ordnung der Original-Mythen wieder her.
Die Yurupari-Instrumente dürfen nur von den erwachsenen Männern gesehen und gespielt werden. Nach mythologischer Überlieferung waren es zuerst die Frauen, die jene Flöten besassen, während die Männer sich mit der Maniok-Verarbeitung und anderen “femininen“ Aufgaben befassten. Und die Mythologie ergänzt noch ein wichtiges Detail: Als die Frauen im Besitz der Flöten waren, menstruierten die Männer, und als sie schliesslich den Frauen die Flöten abnahmen, fingen die Frauen an zu menstruieren. Solche Mythen, und die Rituale, welche sie dramatisieren, können als ein komplexer und zwiespaltiger Diskurs über die entsprechenden Kräfte und Fähigkeiten von Männern und Frauen verstanden werden, so wie jener, der sich auf die schamanistische Kapazität der Frauen bezieht, (schon erwähnt im Kapitel “Religiöse Spezialisten“). Dies bedeutet, dass die reproduktiven Organe, sowie die komplementäre, reproduktive Kapazität von Männern und Frauen – ihre “Flöten“ – gleichzeitig identisch und gegensätzlich, gleich und ungleich, umgekehrt und ebenbürtig, sind.
Es gibt zwei Arten von Yurupari-Ritualen: einen jährlichen Event, der besonders heilig und minutiös erarbeitet am Anfang des Jahres stattfindet, und einen andern, der periodisch während des Jahres stattfindet und die Reife unterschiedlicher Arten von Baumfrüchten begleitet. Bei letzterem präsentieren die Männer einer Kommune die Männer einer anderen – in der Regel ihre Brüder – mit grossen Mengen von Waldfrüchten, die sie in die Häuser tragen, begleitet von schrillen Tönen der Trompeten, während Frauen und Kinder hinter Wandschirmen, im hinteren Bereich des Hauses, verborgen bleiben. Wenn es Nacht wird, werden die Wandschirme beiseite geschoben, und die Frauen kehren an die Seite ihrer Männer zurück. Sie tanzen die ganze Nacht durch und in der Frühe des folgenden Morgens verteilen sie die Waldfrüchte auf die Anwesenden.
Die grossartigsten Yurupari-Rituale sind abhängig von der Bahn der Sonne und der Konstellation der Pleiaden (Siebengestirn) und finden deshalb gegen Ende des Sommers und zum Anfang der Regenzeit statt – der Zeit, in der Waldfrüchte aller Spezies im Überfluss vorhanden sind geerntet werden können. Diese Rituale vertiefen noch mehr die Themen des Wachstums, der Reife und die Integration der menschlichen temporären Zyklen in die kosmischen – und in diesem Fall steht das Wachstum und die Reife der Jugend im Mittelpunkt, die durch einen Prozess der Initiation gehen muss, welcher sie als Erwachsene innerhalb ihrer Gesellschaft bestätigt.
Zu Beginn des Rituals werden die Knaben von ihren Müttern getrennt und in den maskulinen Teil des Hauses gebracht, weg von den Blicken ihrer Mütter, die sich im hinteren Teil zusammenhocken. Unter der Aufsicht von rituellen Wächtern und einem offiziell bestellten “Kumu“, erhalten die Knaben Ayahuasca zu trinken, und zum ersten Mal dürfen sie die heiligen Instrumente sehen – sie bleiben dabei unbeweglich, und wie Föten auf den Boden geduckt, sitzen. Im Verlauf der Zeremonie werden die heiligen Flöten über ihre Köpfe, Körper und Genitalien geblasen, während der Kumu-Schamane mit einer Peitsche auf ihre Körper und Beine einschlägt – dadurch sollen die spirituellen Kräfte und die physische Vitalität der Vorfahren auf sie übergehen, damit die Knaben widerstandsfähig, stark und fruchtbar wachsen mögen. Die Männer geleiten die Knaben dann zum Fluss, um ihnen dort, zusammen mit den Flöten, ein Bad zu verpassen – sie schütten das Wasser aus den Flöten über ihren Köpfen aus. Diese Aktion symbolisiert den Moment des Anaconda-Vorfahren, als er die ersten Menschen aus seinem Rachen ausspuckte – und erinnert auch an das erste Bad der Neugeborenen, wie schon zuvor beschrieben. Diesmal ist es eine Wiedergeburt, orchestriert von den Ältesten, und wie der Anakonda-Vorfahr die Welt durch die “Wassertür“ im Osten betrat, so betreten jetzt die Neuinitianten das Haus durch die “Männertür“ aus derselben Richtung. Nach dem Ritual verbleiben die neu Initiierten einen Monat lang in Reklusion – in einem speziellen, durch Wandschirme abgeteilten Separé, ausser Sicht jedweder weiblicher Blicke. Rigoros überwacht vom Kumu, nehmen sie jeden Tag ein Bad im Fluss, halten sich an eine vorgeschriebene Diät und lernen Körbe zu flechten. Die Reklusion endet dann mit einem grossen Tanz. Zum Zeichen, dass sie nun bereit sind, Ehemänner und Väter zu werden, überreichen die Initianten ihre Körbe ihren weiblichen Partnerinnen, die im Gegenzug die Körper ihrer Auserwählten mit roter Farbe bemalen.
Wie viele andere Initiationsrituale ist auch dieses angefüllt von Symbolen des Todes, der Wiedergeburt und der Regeneration. Am Anfang des Rituals werden die Knaben schwarz bemalt und sind damit symbolisch “tot“, was mit Gaben von Schnupftabak bestätigt wird. Nach ihrer Wiedergeburt im Fluss, werden sie in Reklusion gehalten, wie neugeborene Babys – danach tauchen sie wieder auf und werden rot (Farbe des Lebens) bemalt. In dem Mythos, welcher dem Ritual zugrunde liegt, verschluckt Yurupari in Gestalt der Anakonda die Initianten – verdaut sie in seinem Bauch (das Equivalent dafür im Ritual ist ihre Reklusion), um sie schliesslich ihren Eltern zurück zu geben, indem er sie hervorwürgt wie Knochen. Um ihn zu bestrafen, zünden die Väter Yurupari an, damit er stirbt. Aber er ist unsterblich: seine Seele steigt gegen Himmel und aus seiner Asche knospt eine Palme, Prototyp einer Waldfrucht und Rohmaterial für die Yurupari-Flöten.
Wie in der Landwirtschaft, in der die Fruchtbarkeit, und mit ihr die menschliche Existenz, vom jährlichen Abbrennen des Waldes abhängen, bedeutet diese Gemeinsamkeit von Mythos und Ritual Leben und Tod, die einander folgen, wie die Jahreszeiten – und, dass die Menschenwesen die Unsterblichkeit durch ihre Söhne erlangen, dass die Periode der Frauen jener der Jahreszeiten entspricht, dass das Wachstum der Männer und der Bäume aus einem einzigen Prozess resultieren, und dass, schliesslich und endlich, die Fruchtbarkeit der Menschenwesen und die des Kosmos durch ein göttliches System miteinander verbunden sind. Indem sie die Maloca auf kosmische Proportionen erweitern, die Spaltung zwischen den Menschenwesen und der Geisterwelt aufheben und die reproduktiven Kapazitäten von Männern und Frauen artikulieren, erfassen die Yurupari-Rituale einen grossen Teil der erläuterten Kosmologie und bringen sie in Bewegung.
Missionare, Siedler und die Moderne
Die Geschichte des Erstkontakts zwischen den Völkern der Uaupés-Region und den Nichtindianern ist relativ alt, sie datiert lange vor dem grossen Gummi-Boom um die Wende des 19. Jahrhunderts, beginnt praktisch mit dem zügellosen Eindringen der Portugiesen auf der Suche nach Sklaven, in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Diese Menschenhändler hinterliessen einen ebenso traumatischen Schock wie später die “Seringalistas” (Latexsammler) – diese Geschäftemacher waren an der Arbeitskraft der Indianer interessiert, also nur an ihrem Körper – während die Missionare, die ihnen auf dem Fusse folgten, ihnen auch noch die Seele nahmen und damit die bedeutendsten Transformationen bewirkten.
Das Eindringen der Missionare in die Region begann gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit der Ankunft der Franziskaner. Diese, und die Salesianer, welche ihnen folgten, betrachteten die Kultur der Uaupés-Völker einzig und allein von ihrer persönlichen Perspektive und der ihr zugrunde liegenden religiösen Kategorie: Die Malocas der Indianer wurden von ihnen als “Höhlen der Ausschweifung und der Promiskuität” betrachtet, ihre Tanzfeste als Gelegenheiten zu “indezenten und besoffenen Gelagen” verurteilt, die Schamanen als “Scharlatane” hingestellt, die das Volk hintergingen, und das Yurupari-Ritual sei nichts weiter als ein “Kult zu Ehren des Teufels in Person”. Ohne Näheres zu wissen und ohne das mindeste Interesse an der Bedeutung dieser Dinge, begannen die Missionare eine Zivilisation im Namen der anderen zu zerstören, sie legten Feuer an die Malocas der Indianer, zerstörten ihre Federornamente, zerbrachen ihre Caxiri-Behälter, verfolgten ihre Schamanen und exponierten die Yurupari-Flöten den Frauen und Kindern anlässlich deren Versammlung in der Kirche.
Und während die “Padres” die Fundamente der eingeborenen Kulturen erschütterten, veränderten sie auch ihre Gesellschaft, indem sie die Menschen in Dörfern einpferchten, die aus kleinen Reihenhäuschen bestanden – eins für jede Familie – und sie nahmen ihnen mit Gewalt ihre Kinder weg, damit diese in den Missionsschulen und Internaten erzogen würden. Unter dem rigorosen Regime der Internate wurden die Kinder angehalten, sämtliche Werte, sowie die Sitten und Gebräuche ihrer Eltern abzulehnen, und sie wurden sogar dazu bestärkt, innerhalb ihrer eigenen Gruppe zu heiraten. Darüber hinaus war ihnen untersagt, eine andere Sprache als die portugiesische zu sprechen, geschweige denn die Sprache ihrer Nachbarn und mit ihrem Heimatdorf liierten Gruppen. Für die Missionare gab es nur eine Identität, die der “indianischen Herkunft” – und die verhinderte den Fortschritt der “Zivilisation”.
Als Reaktion gegen die Ausbeutung von Geschäftemachern, gegen den Druck der Missionare und gegen die Epidemien, welche die indianische Bevölkerung schrecklich dezimierten, entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Reihe von Protest-Bewegungen in der Region von Uaupés. So genannte “Pajés-Profetas“ (Schamanen-Propheten), die sich mit Christus und den katholischen Heiligen identifizierten, führten das Volk zum “Tanz unter dem Kreuz“ – einer Mischung aus traditionellen Caxiri- und Dabukuri-Ritualen mit katholischen Elementen – und sie versprachen die Befreiung aus dem Joch der Weissen und die Erlösung aus allen “Sünden“, von denen sie glaubten, dass sie die Ursache für die Krankheitsepidemien waren.
Von den Einen wurden die Missionare gemieden wegen ihrer Angriffe auf die indianische Kultur, andere begrüssten sie als Quelle für Industriegüter, als Verteidiger der Indianer gegen die schwere Ausbeutung durch die Gummisammler und als Vermittler einer Erziehung, welche die indianischen Kinder brauchen würden, um mit den neuen Umständen besser zurecht zu kommen. Vom Jahr 1920 an errichteten die Salesianer eine Kette von Missionen auf der brasilianischen Seite der Grenze – sie erreichten den Oberen Tiquié Anfang der 40er Jahre und zerstörten die letzte indianische Maloca in den 60er Jahren. Heute, abgesehen von einer wachsenden Zahl evangelischer Anhänger, bezeichnet sich die Mehrzahl der Indianer der Uaupés-Region als katholisch. Während die Zahl derer wächst, die ihr Dorf verlassen, um in São Gabriel Erziehung und Anstellung zu finden, existiert das Leben in den Malocas und die reiche rituelle Vielfalt, die damals ihrer aller Leben begleitete, nur noch in der Erinnerung ihrer ältesten Mitbewohner.
In den jetzigen Dörfern ersetzt ein “Kommunales Zentrum“ die Maloca als Einheit für kollektive Aktivitäten. Das Zentrum dient gleichzeitig auch den gemeinsamen Gebeten, welche von einem Häuptling und Katecheten geleitet werden, sowie für die gemeinsamen Mahlzeiten, Caxiris und Dabukuris, die immer noch bedeutende Ereignisse im Leben der Dorfgemeinschaft begleiten: Fischfang-Expeditionen, kollektive Arbeiten an gemeinsamen Projekten, die Feiertage auf dem katholischen Kalender, Schulabschlüsse, Sportereignisse, politische Versammlungen etc. Als Umgestaltungen antiker Feste, beinhalten diese Caxiris und Dabukuris von heute zwar Tanz und Trunk, aber sie werden nicht mehr von der nativen Musik und ihren Panflöten begleitet, sondern vom landesüblichen “Forró“ – und anstelle der relativen moderaten Feiern der Vergangenheit, wird heute der “Cachaça“ (Zuckerrohrschnaps) freizügig verkonsumiert, und das führt zu Streit und Prügeleien. Der Alkoholismus wächst rapide – die “Betrunkenheit“, die sich einst die Missionare bei den traditionellen Festen der Indianer einbildeten, ist heute zur grausamen Realität einer Zivilisation geworden, welche dieselben Missionare mit sich brachten und den Indianern aufgezwungen haben.
Auf kolumbianischer Seite, unter der Herrschaft der Montfortianer, fand eine ähnliche “Missionierung“ und deren Kontrolle statt, wie unter den Salesianern, aber gegen Ende der 50er Jahre wurden die Montfortianer durch die liberaleren Javerianer abgelöst. Diese zeichneten sich aus durch eine neue “Befreiungs-Theologie“, die Toleranz mit den Eingeborenenkulturen predigte, und Anpassung an ihre Werte und ihren Glauben. Dies, zusammen mit der Isolation der Region, erklärt, warum die Bewohner des Rio Pira-Paraná heute noch einen grossen Teil ihrer traditionellen Religion und ihrer Lebensweise beibehalten konnten. Auf brasilianischer Seite waren die Veränderungen gezwungener Massen schneller, aber, nachdem die Salesianer auf dem “Russel Tribunal“ von 1980 als Ethnozid-Verbrecher denunziert wurden, haben sie endlich eine tolerantere und liberalere Linie eingeschlagen.
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther