Nach ihrem Kontakt mit der nationalen Gesellschaft im Jahr 1979 erlitten die Asurini do Xingu – deren Name ihnen von den Waldläufern der Kontaktfront gegeben worden war – einen drastischen Bevölkerungsrückgang. Trotzdem kontrastierte die permanente Gefahr ihrer physischen Ausrottung stets mit einer extremen kulturellen Vitalität, die sich in der Durchführung ausgedehnter Rituale offenbarte, ihren profunden schamanistischen Kenntnissen und einem hoch entwickelten System grafischer Kunst.
Asurini do Xingu
Andere Namen: Asurini, Asurinikin, Surini, Awaetéu Sprache: Asurini, aus der Sprachfamilie Tupi-Guarani Population: 124 (2006) Region: Bundesstaat Pará (In der Nähe des Flüsschens Ipixuna) |
INHALTSVERZEICHNIS Name, Sprache Name, Sprache Lebensraum, Bevölkerung Geschichte des Erstkontakts Lebensweise, Wirtschaftliche Aktivitäten Materielle Kultur Das System der grafischen Kunst Schamanentum Boaiawas Initiation Gegenwärtige Situation Quellenangaben |
Name
Seit dem 19. Jahrhundert hatte man die Indianer, welche das Gebiet zwischen den Flüssen Xingu und Bacajá beherrschten – heute unter den Namen Araweté, Arara und Parakanã bekannt – mit dem Namen “Asurini” belegt (“Asonéri” in der Juruna-Sprache), was “rot” bedeutet, so berichtet der Ethnologe Curt Nimuendajú (1963c: 225). Das rechte Ufer des Rio Xingu wurde stets als “Terra dos Asurini” (Land der Asurini) von den Bewohnern des Ortes Altamira und den anderen Bewohnern der Ufer desselben Flusses bezeichnet (Lukesch, 1976: 11 und Soares, 1971b: 3). Der ausländische Chronist Condreau (1977:37) zitiert ebenfalls die Asurini als eine der Gruppen, welche den unteren Xingu bewohnten.
Nach Nimuendajú (1963c: 225) war die Bezeichnung, welche die Kayapó für die Asurini gebrauchten, Kub(ẽ)-Kamrég-ti, (es bedeutet Kub(ẽ), „Indianer“; Kamrég, „rot“; und ti, ist eine Steigerungssilbe). Die Xikrin do Bacajé (eine Untergruppe der Kayapó), gaben den Asurini den Namen Krã-akâro (Kopf mit rundem Haarschnitt oder einfach Rundkopf). Nimuendajú erwähnt Asurini und Asurinikin als weitere Namen der Gruppe, ausserdem Surini (in der Sprache der Juruna), Adgí Kaporuri-ri (adji, „wild“, Kaporurí, „rot“, ri, „sehr“), in der Xipáia-Sprache; und Nupánunupag (Nupánu, „Indianer“; pag „rot“), in der Sprache der Kuruaia.
Als der katholische Missionar und Ethnologe A. Lukesch die Gruppe am Flüsschen Ipiaçava besuchte, nannte er sie “Asurini” – als Angehörige der Tupi-Familie, und weil sie aussergewöhnlich viel Urucum (rote Pflanzenfarbe) als Körperbemalung benutzten (1976:42). Der Waldläufer der FUNAI A. Cotrim, der die Arbeit von Lukesch dann fortsetzte, nannte sie ebenfalls “Asurini” (1971b). Diese Bezeichnung wurde von der FUNAI dann allgemein angenommen und wird bis heute benutzt. Die Gruppe wird als “Asurini vom Xingu” bezeichnet, um sie von den “Asurini vom Tocantins” (den Akuáwa Asurini) zu unterscheiden.
Die Selbstbezeichnung der Gruppe ist “Awaeté”, das bedeutet “die wahren Menschen” (Awa=Menschen, eté=Ergänzung, die mit “viel” oder “wahrhaftig” übersetzt werden kann). Gegenüber den “Weissen” nennen sie sich “At(s)urini” – vom Wort Asurini, welches allgemein von den Kontaktfronten eingeführt wurde.
Sprache
Die von den Asurini benutzte Sprache gehört der linguistischen Familie Tupi-Guarani an, klassifiziert, nach Aryon Rodrigues (1984), in der Untergruppe V, zu der auch die Kayabi-Sprache gehört. Velda Nicholson vom SIL (Summer Institute of Linguistics) studierte die Sprache der Asurini do Tocantins und veröffentlichte eine vergleichende Studie mit der Sprache der Asurini do Xingu (1982), in der sie auf Ähnlichkeiten und Unterschiede in der Fonologie, den morphologischen und grammatischen Regeln aufmerksam macht.
1998 veröffentlichte Ruth Montserrat, vom Museu Nacional, unter Mitarbeit der “Irmãzinhas de Jesus” und der Unterstützung des CIMI (Rat für Missionsarbeit bei Eingeborenen), eine Asurini-Grammatik, die heutzutage von den Lehrkörpern in der Schule des Dorfes Koatinemo benutzt wird. Alle Asurini sprechen ihre eigene Sprache, und alle Stammesmitglieder unter vierzig Jahren sind zweisprachig.
Lebensraum
Ihr einziges Dorf befindet sich am rechten Ufer des Rio Xingu, innerhalb des IT (Indianer Territorium) Koatinemo, offiziell anerkannt und registriert im Jahr 1986. Von 1972 bis 1985 befand sich das Dorf noch am Ufer des Flüsschens Ipiaçava, einem rechten Nebenarm des Rio Xingu. Die Felder, Jagd-, Fischfang- und Sammelgebiete befinden sich zwischen den Ufern der Flüsse Xingu, Piranhaquara und dem Igarapé Piaçava. Sporadisch machen die Asurini eine Wanderung zum Oberlauf des Xingu, wo sich noch ihre antiken Dörfer befinden (Mancin, 1979b: 1-20).
Bevölkerung
Nach Informationen, die man unter den Asurini selbst gesammelt hat, zusammen mit Schätzungen der Anthropologin Berta Ribeiro (1982), zählte diese Eingeborenengruppe um das Jahr 1930 etwa 150 Individuen. Von dieser Zeit an bis zur Kontaktaufnahme (1971), wurden viele Asurini durch Schocks mit den Kayapó oder den Araweté getötet – Frauen und Kinder wurden verschleppt.
Nach dem Kontakt mit der “Befriedungsfront” verlor die Asurini-Bevölkerung fast 50% ihrer Restbevölkerung bis zum Jahr 1982, insbesondere wegen der neuen, von den Weissen eingeschleppten Krankheiten, die zu verhindern, jene Waldläufer nicht vorbereitet waren. Im Jahr 1971 bestand das Asurini-Volk noch ungefähr aus 100 Mitgliedern – 1982 waren die auf 52 geschrumpft. 1992 ergab eine Zählung dann einen leichten Anstieg auf 66 Mitglieder – 1994 waren es 72. Gegenwärtig besteht die Asurini-Bevölkerung aus 33 Frauen, 18 Männern und 55 Jugendlichen und Kindern – ein Gesamt von 106 Individuen.
Geschichte des Erstkontakts
Die ersten Nachrichten über die Existenz der Asurini stammen vom Ende des 19. Jahrhunderts. 1894 wurde der Angriff auf einen regionalen Siedler, an einem Platz, der “Praia Grande” genannt wird, oberhalb der Mündung des Rio Bacajá, als die Tat der Asurini-Indianer gewertet (Nimuendajú 1963c: 225). 1896 greifen die Asurini in der Serra do Passahy und an der Praia Grande weitere Eindringlinge an, so berichtet der Chronist Coudreau (1977:37). In derselben Periode wurden diese Indianer allerdings mehrmals von Weissen angegriffen (wahrscheinlich Latex-Sammler), welche die Dörfer der Indianer in Brand steckten (Mancin 1979b: 2).
Von den Ufern des Rio Bacajá wanderten sie dann ab in Richtung des Oberlaufs der Flüsse Ipiaçava und Piranhaquara, wo sie mehrere Dörfer errichteten. Im Jahr 1932 hörte man von einem Angriff der Asurini an der Mündung des Flüsschens Bom Jardim. 1936 wurden sie selbst von den Gorotire angegriffen, einer Untergruppe der Kayapó, die sich in Richtung Norden ausbreiteten (Nimuendajú 1963c: 225). Unter dem Druck der Kayapó wechselten die Asurini zu den Ufern des Rio Ipixuna über, wo sie lange Zeit blieben.
Zwischen 1965 und 1970 wurden die Asurini aus diesem Gebiet von Indianern vertrieben, die sie “Ararawa” nennten (die Araweté vom Tocantins). Es gibt Hinweise, dass die Xikrin do Bacajá 1966 im Gebiet des Rio Branco, einem Nebenfluss des Bacajá, die Asurini angriffen (Cotrim 1971b und Lukesch 1971: 13). In den 60er Jahren führten die Jagd auf Grosskatzen und nach Latex-Gebieten dazu, das regionale Siedler ins Gebiet der rechtsseitigen Nebenflüsse des Rio Xingu vordrangen und sich mit den dort ansässigen Indianern Gefechte lieferten. Nachdem sie in das Gebiet der Flüsschen Ipiaçava und Piranhaquara erneut umgezogen waren, fuhren die Asurini fort, weisse Eindringlinge anzugreifen – ihre Strategie war der überraschende Angriff und eine schnelle Flucht.
Sie überfielen auch Camps der Weissen in der Absicht, sich Gegenstände aus Metall anzueignen (Messer, Äxte etc.). In den 70er Jahren verstärkte sich die Weissen ihre Präsenz im Gebiet der Asurini in der Absicht, alle Indianer der Region zu “befrieden” – eine Massnahme unter dem Druck neuer wirtschaftlicher Vorhaben: wie der Erforschung von Bodenschätzen, der landwirtschaftlichen Erschliessung und anderer Regierungsprojekte, insbesondere dem Bau der Rodovia Transamazônica.
Unter den Veränderungen hebt Cotrim die Perspektive einer Erweiterung der eisenfördernden Provinz Serra dos Carajás hervor – bis zum rechten Ufer des Rio Xingu – und bringt damit “neue Protagonisten auf die Bühne des Disputs über das Stammesterritorium: die Meridional Consórcio United States Steel-CVRD“ (Soares, 1971b: 4). Nach dem Bericht jenes Waldläufers wurden während eines Überfliegens des Gebiets verschiedene Dörfer beobachtet und ein von derselben Gesellschaft finanziertes “Befriedungsprogramm“ entworfen, dessen Verantwortung den beiden katholischen Missionaren Anton und Karl Lukesch übertragen wurde.
Für den Monsignore Anton Lukesch war die Möglichkeit “eine der wenigen noch isolierten und unkultivierten Eingeborenengruppen, welche in unserer modernen Welt überlebt haben, zu kontaktieren und zu studieren, ihren angestammten Lebensstil zu verstehen und kennenzulernen“ der Traum eines jeden Ethnologen. Ausserdem verteidigt Lukesch seine Expedition als einen “Beitrag“ der sich als dringend empfahl um “interethnische, dramatische und tragische Zusammenstösse“ mit der Arbeiterfront zum Bau der Transamazonica zu verhindern (1976: 9). Dazu bemerkt Antonio Cotrim Soares folgendes:
“Teilweise erklärt sich die Respektierung der territorialen Beherrschung der Asurini bis dato eher aus dem Fehlen von wirtschaftlichen Interessen als aus einer vorzugsweisen Vermeidung von Gewaltmassnahmen, denn die Geschichten vom Xingu und den damit verbundenen bewaffneten Expeditionen sind überall bekannt, die von regionalen Potentaten finanziert, sich gegen eingeborene Gruppen richteten, welche die Ausbreitung der Latex-Ausbeutung, und damit die Invasion ihrer Wohngebiete, zu verhindern suchten. Wie man sieht, war das Fehlen von Latex in ihrem Gebiet einer der Hauptgründe, warum die Asurini ihre territoriale Autonomie solange behalten durften“ (1971b : 13).
Im Jahrzehnt 1970 – bedrängt von feindlichen Gruppen auf der einen und “befriedet“ wegen der Interessen eines multinationalen Unternehmens auf der anderen Seite – hatten die Asurini keine andere Wahl als die, den Kontakt zu akzeptieren. Der Padre Lukesch erzählt (1976 : 18), dass im Moment des ersten Zusammentreffens ein Indianer dem andern mit Gesten bedeutete, sich davonzumachen, aber der andere Asurini stellte sich vor ihn und begann sich mit den Weissen anzufreunden.
Zu jener Zeit kamen viele intertribale Zusammenstösse vor und nach der Aussage von Takamui, einem Asurini von mehr als 50 Jahren, musste sein Volk vor den Araweté fliehen – sie wandten sich in Richtung der Flüsse Piranhaquara und Ipiaçava mit dem Ziel, mit den Weissen dort einen Pakt zu schliessen. Nicht nur die Gebrüder Lukesch befanden sich in diesem Gebiet, auch die FUNAI unterhielt dort eine Kontaktfront. Ihr Chef, Cotrim Soares, der die Front bei ihrem zweiten Versuch im Gebiet des Igarapé Ipixuna anführte (Januar/Februar 1971), hat einen Bericht verfasst – hier ein Ausschnitt daraus (1971a : 3): “Die Existenz einer verlassenen Maloca (Indianerdorf) war Beweis dafür, was zwischen diesen Gruppen ablief. Das Vorhandensein von Objekten aus Holz und mit geometrischen Zeichnungen bemalter Keramik, sowie die Einrichtung des verlassenen Hauses deutete zweifelsfrei auf ein Asurini-Dorf hin, dessen Bewohner vor den Araweté nach einem Angriff geflohen waren“.
Im April 1971 kontaktierte die Expedition der Gebrüder Lukesch – die besser gesponsert und so besser ausgerüstet war als die armselige Front der FUNAI – die Indianer vom Ipiaçava, und das führte dazu, dass Cotrim Soares das Programm seiner Expedition änderte und ab sofort die Arbeit der Padres übernahm – denn eigentlich waren die Aktivitäten der Missionare von seiner offiziellen Regierungsstelle verboten worden (Soares 1971b: 5).
Cotrim Soares interpretiert die friedliche Annäherung der Asurini als Lösung für deren verzweifelte Situation: “unter ihnen (den Weissen) hatten sie eine sichere Zuflucht gegenüber den Feindseligkeiten ihrer Antagonisten – vielleicht sogar Verbündete für einen zukünftigen Rachefeldzug”. Jedoch hatten die Asurini nicht mehr Glück mit dieser Befriedungsfront der FUNAI als mit jener der österreichischen Missionare, den Gebrüdern Lukesch. Nach Cotrim Soares wurden die Aktivitäten der Padres verboten “wegen der schweren Schäden, die sie der Kommune unbewusst zufügen” (1971b: 5). Aus Gründen der Nichtbeachtung präventiver Massnahmen durch die Expedition Lukesch resultierte eine “Ansteckung der Gruppe” mit einer violenten Grippe- und Malaria-Epidemie, deren Ergebnis 13 tote Indianer waren.
Cotrim Soares gibt allerdings zu, dass auch von Seiten der FUNAI Unterlassungssünden begangen worden waren. Zum Beispiel hatten die Mitglieder der Invasionsfront vergessen, sich impfen zu lassen. Mit den Worten des Waldläufers: “ein anderer Vorfall, der nicht einfach unter den Tisch gekehrt werden darf, war unser viel zu später Einsatz zur Bekämpfung der Epidemie, denn wir verfügten vor Ort nicht über entsprechende Mittel und der elende Bürokratismus bis wir sie endlich bewilligt bekamen, hat wahrscheinlich viele Leben gekostet”.
Die Schwierigkeiten mit der Fortsetzung der Arbeit unter den Asurini, und die zunehmende Abneigung des Antonio Cotrim Soares gegenüber der “eingeborenen Sache”, wurden zu jener Zeit durch seine Aufsehen erregende Presseerklärung im ganzen Land bekannt, in der er erklärte, dass er sich fürderhin weigere, “Totengräber der Indianer” zu sein – und er denunzierte die prekären Arbeitsbedingungen in der FUNAI:
“Mit dem Erstkontakt werden bereits die ersten Konsequenzen gesät: ansteckende Krankheiten, Entvölkerung, Ernährungskrise und Einleitung ihrer Abhängigkeit von der nationalen Gesellschaft. Eine ganze Reihe von Faktoren tragen zu diesen Konsequenzen bei, aber die eigentliche Schuld liegt bei einer fehlenden Rationalisierung der für die Phase des Erstkontakts entwickelten Methodik – die von den Promotoren “Kathequisierung” genannt wird. Die negativen Folgen ergeben sich aus dem Fehlen von profilactischen Massnahmen, einer inkonsequenten Verteilung von Geschenken, fehlerhafter Auswahl der Arbeitsgruppe und der Kontrolle ihrer Beziehungen zu den Indianern. Die destruktivsten Resultate waren erst einmal biotischer Natur, ausser einer hohen Sterblichkeitsziffer wurden die Indianer organisch auf lange Zeit geschädigt. Die vom “Fatalismus” am meisten betroffenen waren die Alten. Die Auswirkungen der Entvölkerung begannen ihre gesellschaftliche Organisation zu korrumpieren; die Führungen der Hausbewohnergemeinschaften verloren an produktiver Kraft. Das gesamte gesellschaftliche Leben wurde infiziert, insbesondere die wirtschaftlichen Aktivitäten begannen zu stagnieren wegen fehlender Arbeitskräfte. Mehr als zwei Monate gingen im Zustand der allgemeinen Niedergeschlagenheit ins Land. Aus diesem Grund versäumten sie auch den Zeitpunkt der Bearbeitung ihrer Felder und konnten in diesem “Jahr des Kontakts” lediglich einen sehr geringen Prozentsatz von Feldfrüchten aus den Anfängen ihrer Pflanzungsarbeit ernten”.
An anderer Stelle sagt Cotrin: “Ihr Alltag ist von nun ab Qual, und schon tauchen auch die ersten Demonstrationen ihrer Unzufriedenheit auf, obwohl sie nun von den Weisse zusätzlich mit Nahrungsmitteln versorgt werden. Gegenwärtig besteht die Basis ihrer Ernährung aus Mehl, das von der FUNAI geliefert wird, ergänzt von einer reduzierten Menge Süsskartoffeln, Maniok und anderen auf ihren Feldern geernteten Früchten”.
Und er setzt hinzu: “Die Menge der von der FUNAI gelieferten Nahrungsmittel ist unbedeutend im Vergleich zum Kalorien-Minimum, welches auf einer entsprechenden Tabelle empfohlen wird – die mittlere Menge der täglichen Zubilligung von Mehl der FUNAI liegt bei 12 kg für 40 Indianer – zirka 300g pro Person-Tag. Über diesen Faktoren sollten wir aber das psychologische Trauma nicht vergessen: die technologischen Kontraste, den Eingriff in ihre Sitten und Gebräuche, sowie in ihr medizinisch-religiöses Verhalten”.
Aus der FUNAI entlassen, beendete Cotrim seine Karriere als Waldläufer, und die Asurini lernten die Folgen des Kontakts in allen ihren furchtbaren Details kennen. Die Indianer erzählen, dass nach Cotrim ein anderes Mitglied der FUNAI-Front, halb vergessen, unter ihnen weilte, und der hatte eines Tages keinen Zucker mehr. Die Indianer selbst boten sich an, nach Altamira zu gehen, um dort Nachschub aufzutreiben – dem verantwortlichen Beamten des Postens sagten sie etwas von einem Jagdzug. Die Episode wird heute mit viel Humor erzählt, aber sie veranschaulicht die Isolierung, der sie nach ihrer “Befriedung“ ausgeliefert waren.
Lebensweise
Im Asurini-Dorf gibt es verschiedene Arten von Wohnungen, die häufigsten, in denen die verschiedenen Hausbewohnergruppen leben, sind vom regionalen Typ, das heisst, haben Wände aus Lehm, ein Gerüst aus Holz und eine Bedeckung aus Palmstroh. Das grösste Haus des Dorfes (Akaté, Tavywa) – es misst etwa 30m in der Länge, ist 12m breit und 7m hoch – entspricht der Beschreibung einer charakteristischen Tupi-Residenz – in rechteckigem Grundriss. Dieses Haus unterscheidet sich krass von den anderen, besonders wegen seiner besser ausgearbeiteten Konstruktion. Für seine Bedachung werden nur ausgesuchte junge Palmblätter verwendet und in seinem Gerüst nur bestimmte Arten von Bäumen – jede Art für einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Position. Bei seinem Bau hilft die ganze Gruppe mit, unter der Führung derer, die später in dem Haus wohnen werden. In seinem Boden werden die Toten bestattet – und in diesem Haus finden auch die bedeutendsten Zeremonien der Asurini statt.
Traditionell war das “Aketé” oder “Tavywa” die kollektive Wohnung einer lokalen Gruppe. Inzwischen jedoch, gruppiert um den Posten der FUNAI, haben sich die Asurini in einer Kommune reorganisiert, die von Mitgliedern verschiedener lokaler Gruppen gebildet wird – Resultat der durch die geschilderten Unbilden demografisch geschrumpften Bevölkerung. Wie Soares beschreibt (1971b: 23), hat seit dem Kontakt der Tod der meisten Älteren die politische Struktur der Gruppe zerstört, zumal sich unter ihnen die meisten Führer befanden. Die Mehrzahl der Männer übt auch die Funktion eines Schamanen aus, und Zunahme schamanistischer Rituale ist direkt gekoppelt mit ihren Anstrengungen der Reorganisation ihres Volkes.
Die Zusammensetzung der residenziellen Gruppen enthüllt eine typische Gesellschaftsstruktur der Tupi-Stämme – aber eine gewisse Instabilität ausgelöst durch das demografische Ungleichgewicht ist nicht zu übersehen. Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der gesellschaftlichen Organisation der Asurini und jener der Tenetehara, “deren Kern” – so schreiben Galvao und Wagley (1961: 39) – “die Grossfamilie ist, eine Gruppe von untereinander verwandten Frauen unter der Führung eines Mannes”. Es gilt ein “uxorilokales” Reglement, und die Männer, welche einer Hausbewohnergruppe angehören – durch ihre Heirat mit untereinander verwandten Frauen – unterhalten kooperative Verbindungen miteinander hinsichtlich der existenziellen Aktivitäten. In den Kernfamilien gibt es verschiedene Fälle von “Polyandrie”: Eine schon ältere Frau hat bereits ihre fruchtbare Periode überschritten, während die jüngere sich intensiv den rituellen Aktivitäten widmet (dies sind die Sängerinnen, welche beim Ritual den Schamanen zu begleiten pflegen) – dem Erlernen der grafischen Künste (Körperbemalung und Keramik-Dekoration) sowie der Haushaltshilfe ihrer “Mutter”, indem sie dieser bei der Feldarbeit, in der Küche, beim Weben, der Keramikherstellung und bei der Ernte zur Hand geht.
Die Asurini-Frau heiratet bereits in heranwachsendem Alter, und sie bekommt ihr erstes Kind schon als junge Frau (etwa im Alter von 25 Jahren). Bis zu diesem Zeitpunkt lernt und verbessert sie sich in ihren existenziellen Aufgaben, und indem sie an den Ritualen als Sängerin teilnimmt. Die Herstellung von Keramik – eine Arbeit, die bei den Asurini grosses Ansehen geniesst (von esthetischer wie von praktischer Seite) – kann ebenfalls als eine exklusive Aktivität der prokreativen Funktionen der Frau betrachtet werden. Es gibt Frauen der Asurini, welche niemals eigene Kinder hatten (heute in einem Alter von mehr als 45 Jahren), unter denen sich aussergewöhnliche Künstlerinnen befinden.
Eine andere Voraussetzung für die Fortpflanzung ist die Existenz von zwei Ehemännern – einem jungen und einem älteren. Während der Schwangerschaft, bis zum vierten Monat, beteiligen sich verschiedene Männer an der Gestaltung des Fötus, indem sie frequente sexuelle Relationen mit der entsprechenden Frau unterhalten “damit das Kind stark wird”. Am “resguardo”, der Zurückgezogenheit nach der Geburt, beteiligen sich nur die beiden mit der Frau verheirateten Väter. Der ältere ist verantwortlich für die Erziehung des Kindes, wenn es ein Sohn ist. Für den jüngeren Vater bedeutet die Geburt seines ersten Sohnes den Eintritt in eine nächste Alterskategorie (die allerdings bei den Asurini nicht formell durch ein Ritual ausgedrückt wird). Eine der Begründungen von Ehefrauen ohne Kinder ist die, dass der jüngere Vater gefehlt hat (iau n´ative).
Wirtschaftliche Aktivitäten
Neben der Jagd, dem Fischfang und dem Sammeln von Waldfrüchten, gehört die Feldbestellung zur wichtigsten Beschäftigung ihres Lebensunterhalts – und die Maniok stellt das Grundelement ihrer Ernährung dar. Auf ihren Feldern bauen die Asurini verschiedene Spezies von Maniok an, die auf unterschiedliche Art verarbeitet werden – ihr Mehl ist allerdings das wichtigste Produkt. Es wird auf drei traditionelle Weisen hergestellt:
1. ui´eté: indem man die Maniok auf der Wurzel der “Paxiuba” reibt (pat(s*)i iwa), der Brei wird mit den Händen ausgedrückt und auf einem Brett zum Trocknen ausgelegt – nach dem Trocknen wird die Masse in einem Mörser gestampft und man formt aus ihr kleine Kuchen, die später geräuchert werden – danach stampft man sie erneut und siebt sie – das entstandene Mehl wird nun in einer Keramikpfanne (d(*z)apé) geröstet.
2. maniakapyaka: wird aus der Masse gefertigt, welche man auf dem Boden grosser Töpfe mit dem ausgepressten Saft deponiert hat – nach Trocknen an der Sonne wird die Masse gestampft im Mörser und anschliessend geröstet.
3. maniakui: wird aus der Maniok gewonnen, die man über mehrere Tage in Wasser eingelegt hat – dann in der Sonne getrocknet und anschliessend geröstet. Man isst auch “Beijus” (Fladenbrot aus Maniok) und verschiedene Arten von Brei, die mit dem Saft der “süssen Maniok” (maniakawa) zubereitet werden oder eingedickt mit der “wilden Maniok” (maniaka) – eingelegt in Wasser und nach dem Trocknen an der Sonne gestampft und geröstet (maniapywa).
(Anmerkung des Übersetzers: Das Auspressen, anschliessende Stampfen im Mörser und Rösten der “wilden Maniok” ist deshalb so wichtig, weil sie, im Gegensatz zu den anderen Maniok-Arten, einen hohen Grad von Blausäure enthält, der roh genossen, zum Tode führt!)
Die Asurini bauen auch Mais an (für den gibt es Einschränkungen, welche bei der Anpflanzung beachtet werden müssen), Cará, Süsskartoffeln, Tabak, Baumwolle, Urucum (roter Farbstoff zur Körperbemalung), Erdnüsse, Melonen und Bananen. In Übereinstimmung mit der nach Geschlechtern getrennten Arbeit haben die Männer die Vorbereitung des Bodens zu übernehmen (das Bäume fällen, das Abbrennen und das Umgraben), während die Frauen das Pflanzen und Säen sowie die Erntearbeit verrichten.
Die Männer aus einer Hausbewohner-Gruppe unterhalten kooperative Verbindungen und legen ihre Felder in der Regel nebeneinander an. Zum Fällen der Bäume werden sämtliche Männer des Dorfes herangezogen – sie bekommen dann einen Brei als Dankeschön serviert. Die Feldproduktion ist, wie gesagt, Aufgabe der Frauen, welche die Ernte in Nahrungsmittel verwandeln und diese, einem verwandtschaftlichen Reglement folgend, an andere Hausbewohnergruppen verteilen.
Das Sammeln ist eine Beschäftigung von Männern und Frauen – auch die halbwüchsigen Kinder beteiligen sich. Die bedeutendsten Sammel-Produkte sind: Para-Nüsse (nh(ỹ)) – die Nuss der Babaçu-Palme (ú(*z)anúy) und Landschildkröten, eine der bevorzugten Delikatessen bei den Asurini. Die Jagd ist eine männliche Beschäftigung und als Jagdbeute werden bevorzugt: Wildschwein (ta(*z)aho), Cutia (akut(*s)i), Auerhahn (mytum), Zigeunerhuhn (d(*z) aku) und Wildtauben (inabo). Kollektive Fischzüge werden während des Sommers veranstaltet, in den Bächen, Lagunen und kleineren Gewässern, welche die Möglichkeit bieten, traditionelle Fangtechniken anzuwenden – wie zum Beispiel den Gebrauch von “Timbó“ (Lianengift) in natürlich gestauten Gewässern oder den Einsatz von Reusen. Die Fische werden mit Pfeilen erlegt und in Körben gesammelt. Zur Abrundung ihrer Fangtechniken benutzen sie eine Reihe von Fallen und, im Winter, auch Nylonschnur mit Haken.
Materielle Kultur
Die materielle Kultur der Asurini hat die folgenden Einheiten hervorgebracht:
Keramik, Weberei, Korbflechterei, Waffen, Körperdekoration, hölzerne Sitzbänke und Musik-Instrumente (Flöten). Keramik und Weberei (Hängematten, Ponchos, Stirnbänder und andere Sachen aus Baumwolle) gehören in die weibliche Sphäre. Die Keramik-Töpfe dienen als Behälter zum Transportieren und Aufbewahren von Trinkwasser, dem Kochen und servieren der Nahrungsmittel. Nach längerem Gebrauch werden die “Kochtöpfe” aus gebranntem Lehm schwarz. Keramikformen, die nicht zum Kochen bestimmt sind, werden mit interessanten geometrischen Mustern verziert.
Die Keramik wird aus einer Tonerde hergestellt, welche die Indianer an einer Stelle am Ufer des Rio Xingu ausgraben, die etwa ein bis zwei Kilometer von ihrem Dorf entfernt ist. Zur Herstellung der Behälter wendet man eine traditionelle Technik an, die aus dem Übereinanderlegen von handgeformten Tonringen besteht – mit einer Spachtel aus der trockenen Schale des Cabaça-Kürbis (kutiapé) verbindet man die einzelnen Ringe miteinander und erreicht eine erste Glättung ihrer Oberfläche. Während des Trocknungsprozesses benutzt man die Nuss der “Inajá“ (maximiliam regia) zum weiteren Glätten der Oberfläche. Der Rand der Behälter wird in der Regel mit Hilfe der Finger definiert – hier haben die Asurini-Frauen eine unvergleichliche Praxis entwickelt, mit der sie den Rand fein und gleichmässig ausrichten. Nach der Trocknung erfährt der Behälter eine erste Brennung, indem er ans Feuer gestellt wird, bis seine Oberfläche dunkel erscheint. Dann wird er in oxydierender Atmosphäre zusammen mit verschiedenen Arten von Baumrinden gebrannt.
In der Endphase werden die nicht dekorierten Stücke mit der Schicht einer Substanz bestrichen, die man unter der Rinde eines bestimmten Baumes (t(*s)it(*s)i´wa) findet – die verleiht ihnen eine rotbraune Farbe. Zur Bemalung der dekorierten Stücke kommt eine Farbe aus Mineralien zur Anwendung, das heisst, kleine Steine in drei verschiedenen Farben: gelb (itawá), rot (itawapiringi) und schwarz (itawaondi). Man reibt diese Steine an einem grösseren mit ein bisschen Wasser und erhält so die Farbe. Gelb wird als Hintergrundfarbe angelegt – man bemalt mit ihr die gesamte Aussenfläche des Stückes. Schwarz und Rot werden dann für die Anlegung eines geometrischen Musters verwendet. Für die feinen Linien bedient man sich verschiedener Pinsel, die aus feinen Hölzchen mit einem um die Spitze gedrehten Stückchen Rohbaumwolle bestehen (wie unsere Wattestäbchen) oder einem Federkiel von einem Fasan oder wildem Truthahn. Nach Vollendung der Bemalung lässt man die Farbe trocknen. Anschliessend wird sie mit einer Schicht Baumharz vom “Jatobá” (hymenaea) bestrichen – das Asurini-Wort ist “dzotaika” – die gibt dem Stück Glanz und fixiert die Farbe.
Ausser der Keramik werden auch andere Dinge mit jenen geometrischen Mustern versehen: zum Beispiel die “Cuias”, Trinkbehälter aus Kürbisschale, in sie werden die Muster eingraviert. Oder Pfeile und Bogen – in diesem Fall werden die Waffen mit Palmfasern in geometrischen Mustern umflochten. Aus ihrem weit gefächerten grafischen Repertoire bedienen sich die Asurini auch zur Tätowierung und zur Bemalung ihrer Körper – letztere wird mit der blauschwarzen Farbe der Genipapo-Frucht vorgenommen.
Das System der grafischen Kunst
Die zur Dekoration von Körper, Keramik und anderen Gebrauchsartikeln verwendeten geometrischen Zeichnungen und Muster der Asurini-Kultur entstammen einem System grafischer Kunst, dessen Inhalt sich auf unterschiedliche mythologische Begebenheiten stützt und das sogar seine eigene Grammatik hervorgebracht hat. Die Zeichnungen selbst sind Stilisierungen von Elementen der Natur – oder auch von übernatürlichen Wesen oder Symbolen, wie zum Beispiel “Anhynga kwasiat” (ein Wesen aus der Mythologie, von dem die Indianer die grafischen Muster bekamen) und “Taingawa” (eine Puppe, die bei schamanistischen Ritualen eingesetzt wird – ihr Name bedeutet auch “Abbild, Modell, Replika des menschlichen Wesens). Aus der Natur stammen zum Beispiel : die verschlungene Liane im Dschungel (kapuenwi), die grosse Bohne (kumandaoho), Fuss der Schildkröte (dzawotsipa(*p)era), Schwanz des Affen (kaiwarinhyna), die Honigwabe (ehiraimbawa) oder das Fell des gefleckten Jaguars (d(*z)awara(*z)orywa), um nur ein paar zu nennen.
Es gibt Zeichnungsmuster, die nach ihrer besonderen Anwendung auf bestimmten Oberflächen benannt werden: tamaki(*z)oak (Muster des Beins), kuaipei (Zeichnung auf dem Kopf), d(*z)a´ek(~y) (Kopf der d(*z)a´è), Bezeichnung für eine bestimmte Art von Keramik, deren Rand man mit diesem Muster verziert.
Die Körperbemalung vermittelt auch die gesellschaftliche Stellung des jeweiligen Individuums. Die Bemalung als solche ist üblich beiden Geschlechtern. Die Unterteilung des Körpers allerdings, das heisst, die Verteilung der Muster auf diesem, ist je nach Geschlecht unterschiedlich. Bei den Frauen wird die Hüftpartie von einer Zeichnung hervorgehoben, welche den vorderen Teil des Körpers vertikal in zwei Teile trennt. Bei den Männern wird diese Trennung in horizontaler Richtung vorgenommen, das heisst, das Muster (d(*z)etii´iwapawa) verläuft von den Schultern nach unten – die Teile oberhalb bleiben unbemalt. Die Bemalung deutet beim Mann auf seine kriegerischen Aktivitäten hin – bei der Frau auf die beiden Phasen ihrer biologischen und gesellschaftlichen Entwicklung.
Schamanentum
Unter den Asurini finden schamanistische Rituale, bekannt unter der Bezeichnung “pajelança“, recht häufig statt, und sie mobilisieren die gesamte Gruppe. Die Mehrzahl der Männer beteiligt sich als “Pajé” (Schamane) bei diesen Ritualen, unterstützt von Assistenten und den Sängerinnen, deren Aufgabe es ausserdem ist, den rituellen “Mingau” (Nahrungsbrei) vorzubereiten. Die “pajelança“ besteht aus zwei Arten von Ritualen: die “maraká” (Gesang und Tanz) und die “petymwo” (Massage und Beweihräucherung), ausgeführt, um die Geistwesen zu rufen, mit denen die Schamanen in Kontakt treten wollen, und auch um eine eventuelle Ursache einer Krankheit aus dem Körper eines Patienten zu entfernen und ihm ein “Heilmittel” (muyinga) zu verordnen, welches sie innerhalb eines Trance-Zustandes erhalten (therapeutische Rituale). Während dieser Rituale überträgt der Schamane ebenfalls auf den Patienten und die Kinder des Dorfes die “ynga” – etwas wie “Lebenskraft”, was in der Asurini-Sprache als “Herz” bezeichnet wird, das heisst: das, was klopft, was lebendig ist. Das Maraká-Ritual wird zu Ehren von Geistern abgehalten, welche als Tiere des Waldes identifiziert werden, wie das Wildschwein (ta(*z)aho) und der Hirsch (arapoá) zum Beispiel.
Die Schamanen treten mit Geistwesen in Kontakt, welche als eine Kategorie von “Schutzgeistern” bezeichnet werden können, die wiederum unterteilt sind in identifizierbare Wesen mit eigenen Namen. Diese Wesen reproduzieren die Welt der Menschen in einer bestimmten Region des Kosmos. Sie sind die Vermittler zwischen den Schamanen und einer anderen Kategorie von nicht identifizierten Einzelwesen, welche nicht in direkten Kontakt mit den Schamanen zu treten pflegen.
Der Hierarchie entsprechend, die zwischen den Wesen des Asurini-Kosmos besteht, sind die Menschen ihren Schutzgeistern untergeordnet und diese wiederum jenen nicht identifizierbaren Einzelwesen, die sich im “oberen Stockwerk” bewegen. Im “unteren” – auf gleicher Ebene wie die Menschen – agieren noch die “Anhynga”, negative Kräfte repräsentierende Geistwesen, welche den Menschen Schaden zufügen können, wie zum Beispiel die Seele der Toten. Wie die Schamanen, so helfen auch die Schutzgeister ihren menschlichen Wesen beim Kampf gegen das Böse der “Anhynga”.
Um sich mit den Geistern vertraut zu machen und an ihrer Welt teilzuhaben, durchläuft ein Asurini-Schamane eine Initiation, das heisst, eine Art Training für den Eintritt und die Kontrolle – mittels Ausübung des Tanzes und der Inhalierung von Tabakrauch – in den Trance-Zustand, der als “Tod des Schamanen” interpretiert wird, wegen der Angriffe auf seinen Geist. Um jene Angriffe ertragen zu können, manipuliert der Schamane gewisse Substanzen (ka´a), welche in seinen Körper eindringen. Das Training des Schamanen besteht aus der Fähigkeit, sie dem entsprechenden Geist “zu entwenden“. Er muss ausserdem lernen, bestimmte Instrumente zu beherrschen, wie zum Beispiel Pfeifen, die den Ton der Geister imitieren und übernatürlicher Herkunft sind.
Die andere Interpretation einer Krankheit, und die häufigere, ist das Ergebnis einer Reaktion der Geistwesen auf eine Übertretung der “Regeln” hinsichtlich des Übernatürlichen – zum Beispiel: den Namen der “Karowara-Geister” an einem Fluss oder Bach auszusprechen, oder durch einen Kontakt mit “Anhynga”. Eine Krankheit kann allerdings auch als Manifest der Vorbereitung eines Individuums zum Schamanen verstanden werden! Aus der Sicht der westlichen Medizin werden von den Schamanen Grippe, Malaria, Tuberkulose und andere Krankheiten behandelt.
Ausser den Ritualen, welche die Gesundheit der Dorfbewohner betreffen, veranstalten die Schamanen auch solche zur Vorbeugung eventueller Probleme bei der Selbsterhaltung – zum Beispiel das “Tazaho” (Wildschwein), mit dem sie Gruppen dieser begehrten Jagdbeute anlocken und lokalisieren, oder das “Arapoá” (Hirsch) mit derselben Absicht.
Die therapeutischen und vorbeugenden Rituale werden ergänzt von solchen, die den Neugeborenen gewidmet sind, und anderen, dem “Toré” (einem komplexen Flöten-Ritual) zum Beispiel, in dem die Schamanen bestimmte Geistwesen anrufen, wie “Tau” und “Kawara”. Der Asurini-Schamane ist die zentrale Figur innerhalb des gesellschaftlichen Lebens der Gruppe. Seine freie Bewegung durch die verschiedenen Reiche des Kosmos erlauben ihm die Kontrolle von Kräften, welche die Existenz der menschlichen Gesellschaft absichern.
Boaiawas Initiation
Den folgenden Fall hat die Autorin Regina Müller persönlich miterlebt: Nach der Rückkehr von einem ertragreichen Sammelausflug, der den Jabuti-Schildkröten galt, berichtete der junge Boaiwa im Dorf, dass er fünf “Tiwá” (Jaguar-Geistwesen) gesehen habe. Der Schamane Momuma kommentierte dieses Zeichen: wenn man Tiwá erblickt, so bedeutet das, dass man kurz vor einem Krieg mit Feinden steht. Und er fuhr fort: “Wilde Indianer kommen um zu töten. Tiwá ist der Jaguar, aber auch Inambu, Jacu oder Mutum (grosse Vögel) – er ist vollkommen weiss, hat auch einen weissen Bart. Die Schamanen, die ebenfalls Tiwá sind, essen Fleisch vom Hirsch, wie die Jaguare”. Solche Gespräche begleiteten die Vorbereitungen zum grossen rituellen Festessen der Jabutis, sowie dem schamanistischen Ritual zum Anrufen des Jaguar-Geistes, die vom 21. bis 25. Februar 1981 dauerten. Boaiwa war dabei die zentrale Figur. Als Krieger (mboakara) servierte er allen Beteiligten der Gruppe ihr Essen – “damit der Tod des Feindes niemandem Schaden zufüge”.
Anfang März verschlechterte sich der Gesundheitszustand von Boaiwara. Er hustete stark und hatte einen Grippeanfall – dann spuckte er Blut. Die gesamte Kommune versammelte sich zu einem schamanistischen Ritual (des Geistes Karowara). Aber Boaiwa nahm nicht etwa die Position eines Patienten ein, um vom Schamanen eine spirituelle Behandlung zu empfangen – stattdessen sass er in der Runde der Schamanen und teilte mit ihnen die rituelle Mahlzeit sowie die Züge an den dicken Zigarren.
Die Asurini sagten, dass Boaiwa nicht etwa erkrankt sei, vielmehr seien seine Anfälle Zeichen dafür, dass er sich zu einem Schamanen (pazé opotara) entwickle. Deshalb könnte er auch fortan keine Injektionen mehr bekommen, denn das Medikament verhindere den Kontakt mit den “Tiwá”. Für ihn sei es jetzt wichtig, diesen Kontakt beherrschen zu lernen, und dies würde nur geschehen, wenn es ihm gelänge, den “ka´a” einzufangen (jene geistige Substanz, die in den Körper des Schamanen eindringt). Im Moment der anfänglichen Kontakte der Tiwá mit den Schamanen überkam Boaiwa ein Zittern, dann warf er sich auf den Boden, bewegte sich und knurrte wie ein Jaguar. Die Frauen drückten sich an die Wände ihrer Hütten und eilten Boaiwa zu Hilfe, um ihn abzufangen, wenn er sich bei seinem Hinstürzen an spitzen Gegenständen zu verletzen drohte. Die erfahreneren Schamanen bemühten sich währenddessen, den Geist unter Kontrolle zu halten. Ihre Körper lagen in bewusstloser Trance auf dem Boden herum.
Boaiwa hatte gerade mal angefangen mit seinem “Training”. Jetzt musste er viele Zigarren rauchen, tanzen, nichts mehr essen und “Tiwá einfangn”. Verschiedene “Pajelança-Rituale” folgten einander, damit der neue Schamane sich an ihnen üben könne. In dieser Phase wurden auf Ersuchen der Schamanen des Dorfes sämtliche Medikamente abgesetzt, welche Boaiwa bisher vom Sanitäter des FUNAI-Postens verabreicht worden waren. Die Asurini baten mich, dem Assistenten zu erklären, warum Boaiwa keine Injektionen mehr nehmen könne – prompt war dies der Grund einer Auseinandersetzung zwischen den Funktionären des Postens und meiner Wenigkeit.
Die “Marakás des Tiwá” wurden immer intensiver – Medikamente waren abgesetzt und Boaiwa spuckte Blut. Das würde erst aufhören, sagten sie mir, wenn es Boaiwa gelänge, die Aggressivität des Geistes unter Kontrolle zu bekommen, der Pfeile auf seinen Körper abschiesse. Trotz dem Beistand seiner Familienangehörigen war Boaiwa nach einigen tagen völlig ausgepumpt und hatte viele schlimme Verletzungen an seinem Körper von den vielen Bodenstürzen und seinem Rennen gegen die Hauswände. Das Blut, welches immer noch beim Husten zwischen seinen Lippen hervorquoll, wurde von den Asurini den kannibalischen Gewohnheiten des Tiwá zugeschrieben.
Am 6. März betrat ich das Haus, in dem man die Rituale abzuhalten pflegte und traf Boaiwa allein an – er lag in einer Hängematte und versuchte, das Blut wegzuwischen, das aus seinem Mund hervorquoll. Mit verdrehten Augen bat er mich, ihn nach Altamira transportieren zu lassen, weil er sterben würde. Unter diesen Umständen erlaubten die Schamanen, nachdem sie sich allesamt um seine Hängematte geschart hatten, die Injektion eines blutstillenden Medikaments. Aber nur eine! Zwei Tage darauf kam Dr. Frederico Ribeiro im Asurini-Dorf an, ein Arzt, der von der FUNAI in Brasília hergeschickt worden war, um zwei Monate bei den Indianern zu bleiben, den “Indianern, die vom Aussterben bedroht seien”.
Boaiwa ging es besser und das Bluten aus seinem Mund hatte aufgehört. Die “Übungen” für seine Transformation zum Schamanen gingen intensiv weiter – mehr als einen Monat lang – wieder gegen die Empfehlungen des Sanitäters und auch gegen jene des neuen Arztes. Boaiwa war eine lange Zeit der jüngste Schamane der Asurini vom Xingu. Gegenwärtig jedoch, sind seine Enkel Imudi´i (11 Jahre alt) und Parajuá (15 Jahre alt) die jüngsten Initiierten.
Gegenwärtige Situation
In den 80er Jahren begannen die Asurini intensivere Beziehungen zu anderen Indianern aufzunehmen – durch Einheirat und das daraus folgende Zusammenleben mit Mitgliedern anderer ethnischer Gruppen in ihrem eigenen Dorf, zum Beispiel den Arara, den Parakaña und den Kararaô (Untergruppe der Kayapó). Daraus folgte ein beschleunigtes Anwachsen ihrer Geburtenrate – eine signifikante Kinderschar. Zuvor bekamen nicht alle Frauen auch Kinder. Heutzutage bekommen alle Mädchen nach der Pubertät auch Kinder. Zuvor kamen die Kinder nach dem zwanzigsten Lebensjahr der Mutter auf die Welt – nach der zweiten Heirat oder nachdem sie die Voraussetzungen für eine poliandrine Ehe gefunden hatten – mit einem älteren und einem jüngeren Mann. Heutzutage werden die älteren Männer noch Väter, ohne mit jüngeren ihre Vaterschaft teilen zu müssen, wie es bei den früheren Familien Brauch war. Junge Paare haben heute drei Kinder und mehr (6 bis 7 sind häufig), und es gibt sogar ältere Männer mit einer jungen Frau und einer zahlreichen Kinderschar. Das Anwachsen der Kinderzahl, und das daraus folgende Anwachsen der häuslichen Arbeiten, hat jedoch das Ausmass und den Rhythmus der traditionellen weiblichern Aktivitäten – wie Feldarbeit, Weben, Küche und Keramikherstellung – nicht beeinflusst.
Man bemerkt lediglich das Fehlen der Jugend bei den “Marakás” und das ihrer schönen Körper bei der Bemalung mit geometrischen Mustern. Während sie früher eine geraume Zeit den künstlerischen Aktivitäten widmeten (Körperbemalung und Keramikherstellung), widmen sich die jungen Frauen von heute vorzugsweise der Fortpflanzung: in deren Namen verheiraten sie sich auch ausserhalb des Asurini-Dorfes mit Männern, die dann in ihre Gesellschaft aufgenommen werden und in das Netz ihrer wirtschaftlichen Beziehungen. Beim Ritual werden sie von Frauen ohne Kinder ersetzt, oder auch von verheirateten Frauen mit nur einem Kind, denn die Rituale verlangen von den Frauen eine fast integrale Widmung während der Periode ihrer Realisierung (drei aufeinander folgende Tage).
Im letzten Jahrzehnt haben sich die Beziehungen der Asurini zu den weissen Bewohnern der Ufer des Rio Xingu ebenfalls weiter entwickelt und sich auch wieder verschärft – besonders gegen die Holzfäller, die ihr Gebiet kontinuierlich invadieren. Die Asurini sind auch direkten Konflikten mit den regionalen Landbesetzern nicht ausgewichen und verlangen von ihnen, dass sie im Asurini-Land nicht fischen und keine Bäume fällen (die Region ist reich an Edelhölzern).
Seit dem Jahr 2.000 halten sich die “Irmãzinhas de Jesus” (Jesus-Schwestern) nicht mehr unter den Asurini auf. Gegenwärtig – ausser der Assistenz der FUNAI – erhält dieses Volk Unterstützung von der “Foundation Body Shop” (eine Gründung der “Amazoncoop”) eine Kooperative, deren Ziel Projekte zur Selbsterhaltung eingeborener Völker des mittleren Xingu sind. Mit ihrer Unterstützung haben die Asurini einen Handel mit Para-Nüssen und materiellen Gütern, besonders ihrer begehrten Keramik, aufgebaut. Zur selben Zeit betätigt sich das Volk in der Entwicklung von Projekten für den Ökotourismus, finanziert und geleitet von der Amazoncoop und der FUNAI.
Eine neue Art von Beziehung, mit neuen Reden und einer neuen demografischen Politik. Das “Maraká” geht weiter, so wie immer, jetzt aber vereint es die Dorfbewohner zum Schutz und zur Garantie des Lebens rund um ihre neuen “avá (Leute) – die Kinder! Man sieht, wie sich die Gesellschaft reorganisiert, die gesellschaftlichen Rollen neu verteilt, Standards biologischer und sozialer Reproduktion neu definiert. Bis zum gegenwärtigen Moment bieten ihre Ländereien die von ihnen benötigten Existenzgrundlagen, und dies befähigt sie zur Reproduktion ihrer Lebensart mit grosser Vitalität.
Quellenangaben
Wer sich dafür interessiert, mehr über das System grafischer Kunst und den Körperschmuck jenes Volkes zu erfahren – ausserdem weitere allgemeine Informationen – der sollte den Artikel von Berta Ribeiro (1982) “A Oleira e a Tecelã” kosultieren, veröffentlicht in der Nummer 26 der “Revista de Antropologia”. Ausserdem gibt es den Text “Pintura e Adornos Corporais”, von Lux Vidal und Regina Müller, herausgegeben im dritten Band der Sammlung “Etnológica Brasileira” von 1987. Von derselben Regina Müller stammt auch das Buch “Os Asurini do Xingu” (Geschichte und Kunst), von 1990, ausserdem das Buch und den Artikel “Tayngava, a noção de representação na arte gráfica”, der Bestandteil des klassischen Buches “Grafismo Indígena” ist, organisiert von Lux Vidal 1992. Schliesslich hat Fabíola Silva im Jahr 2.000 ihre Doktorarbeit auf dem gebiet der “Antropologia Social” an der USP abgeschlossen, mit dem Thema: “As Tecnologias e seus significados” (Die Technologien und ihre Bedeutung).
Fabíola Andréa Silva, Museum für Archeologie und Etnologie der USP (Uni São Paulo), im Mai 2002.
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung, Klaus D. Günther