Manchmal hat die Schweiz Brasilien doch etwas voraus

Keine Frage, Brasilien ist wunderschön. Es steckt voller lebensfroher Menschen, ist unheimlich weitläufig, hat eine beeindruckende Natur und nicht zuletzt Traumstrände, die einen sehnsuchtsvoll seufzen lassen, wenn man als helvetischer Fan an sie denkt.

Doch gerade jene von uns, die gerade erst wieder (meist unwillig) den langen Weg zurück aus dem Urlaub absolviert haben, neigen häufig dazu, der Schweiz vorschnell nur Nachteile im Vergleich mit Brasilien zu attestieren – keine Copacabana, kein Samba und selbst der Caipirinha schmeckt in der heimischen Cocktailbar nur nach Wehmut, weil Strandbrise, die herrlich verwitterte Cocktailbude und die lebensfrohen Strandschönheiten als wichtigste Nebenzutaten fehlen.

Im folgenden Artikel wollen wir deshalb all jenen, die das brasilianische Fernweh mächtig plagt, etwas Trost spenden. Denn in manchen, oft unbemerkt liebgewonnenen Dingen können wir auch froh sein, in der Schweiz zu sein.

1. Die Alpen

Es ist eigentlich ganz gleich, wo genau man in der Schweiz heimisch ist, irgendwie sind die Berge doch immer präsent. Und man sollte selbst als jemand, den es in der Freizeit nicht auf die Gipfel zieht, nicht unterschätzen, wie sehr einen diese Tatsache prägen kann.

Natürlich, auch Brasilien hat seine Höhenzüge, sogar einige imposante Gipfel. Aber der Begriff „Alpin“ kommt nicht von ungefähr, der ist bei uns beheimatet. Und gerade diejenigen, die wirklich mitten in den Bergen leben, sollten beim nächsten Urlaub mal in sich hineinhorchen, ob sie da nicht etwas vermissen.

2. Die „normale“ Jahreszeitverteilung

Dieser Punkt ist weniger brasilienspezifisch wie er ein generelles Phänomen aller Länder der südlichen Hemisphäre ist. Aber als Mitteleuropäer sollte man bloss nicht unterschätzen, wie sehr man sich daran gewöhnt hat, dass es zwischen April und Oktober warm und zwischen November und März kalt ist.

Brasilien liegt bekanntermassen zum Grossteil südlich des Äquators, weshalb die Jahreszeiten dort spiegelbildlich ablaufen. Das mag angenehm sein, wenn man dem hiesigen Herbst- oder Spätwinterwetter entfliehen will. Aber spätestens, wenn man am Strand das grosse Weihnachts-Heimweh bekommt, weil die Hitze und Bikini-Bodys so gar nichts von der heimischen Feststimmung aufkommen lassen, wird man vielleicht das Gegenteil feststellen.

Viele Expats, die auf die Südhalbkugel zogen, berichten das: Es kann viele Jahre dauern, sich daran zu gewöhnen. Und apropos Jahreszeiten…

3. Die echten Jahreszeiten

Brasilien ist in weiten Teilen ein Sommer-Wunderland, da gibt’s keine Frage. Aber selbst ausgesprochene Sonnenfreunde sollten vielleicht mal kurz ihren Blick auf ein ganzjähriges Klimadiagramm richten, etwa das von Rio de Janeiro.

In vielen Regionen dieses grossen Landes sieht es ähnlich aus. Es ist ein tropisches Land. Selbst wenn man nicht unbedingt „richtigen“ Winter braucht, wie man ihn bei uns kennt, so sind doch viele von uns froh oder zumindest daran gewöhnt, dass es zwischen den Jahreszeiten einen echten, d.h. merklichen Unterschied gibt. Denn erst bei Bibberwetter kommt richtige Sommer-Vorfreude auf.

4. Die Spielfreiheit

Nein, wir wollen jetzt keine Fussball-Parallelen aufziehen. Wenn man erst den FC Santos spielen sieht und danach Super League schaut, gibt’s nur wenig schönzureden. Aber denken wir den Begriff Spiel mal weiter.

Denn so gross Brasilien auch ist, Glücksspiel ist dort verboten. Im Gegenzug hat die Schweiz erst 2019 ein neues Glücksspielgesetz erlassen. Schweizer Casinoboni sind im Vergleich deshalb nicht bloss „besser“, sie sind auch legal zu erhalten, wo man in Brasilien bei ähnlichen Tätigkeiten schnell vor dem Richter stünde.

5. Der allgemeine Strassenverkehr

Das brasilianische Lebensgefühl ist vor allem frei – das ist ja einer der Gründe, warum viele das Land so lieben. Aber jeder, der dort den Strassenverkehr auch nur beobachtet hat, weiss, dass es oft reichlich chaotisch zugehen kann.

Und das überfordert nicht nur viele Touristen, sondern auch die Einheimischen – Beulen und Kratzer an Autos sind dort wesentlich präsenter als hier, selbst wenn man die reine Verkehrsdichte ausser Acht lässt, die in Millionenmetropolen wie Rio sowieso noch dazukommen.

Im Vergleich dazu geht es in der Schweiz wirklich geruhsam zu – selbst der dichteste Feierabendverkehr wirkt im Vergleich noch hübsch geordnet.

6. Die Sache mit dem Fussball

Abermals ohne einen Vergleich ziehen zu wollen, muss der brasilianische Fussball nochmals erwähnt werden. Denn ohne Frage lebt und atmet das ganze Land diesen Sport mit jeder Pore. Schön, wenn man sich davon anstecken lassen kann. Bloss: Was ist eigentlich, wenn man so gar nicht auf diesen Sport steht?

In der Schweiz kann man sich dann ziemlich einfach entziehen – schon auf der Arbeit stehen die Chancen gut, dass nur einige wenige Kollegen darüber reden. Aber in Brasilien? Unmöglich. Wer da nicht ein Mindestmass an Fussball-Vernarrtheit mitbringt, wird es selbst im normalen Ligabetrieb äusserst schwer haben. Übrigens sind Hornussen, Schwingen und Co. in Brasilien gänzlich unbekannt.

7. Die Pünktlichkeit

Die meisten Brasilianer behalten trotz Jobstress und Alltagssorgen eine stoische Ruhe, die auf viele Mitteleuropäer beneidenswert wirkt. Allerdings findet dieses Gefühl oft ein Ende, wenn man entdeckt, dass diese Ruhe manchmal direkt entgegengesetzt zur schweizerischen Art steht.

Wenn man hierzulande einen Bekannten für Samstag 15:00 Uhr zu sich einlädt, darf man in den meisten Fällen sicher sein, dass er schon um 14:55 Uhr klingeln wird. In Brasilien werden Termine jedoch häufig nur als Richtwerte gesehen, nicht bloss im privaten Umfeld. Das mag für unsereins schön sein, wenn es uns weniger Druck macht. Doch sobald man mal auf der anderen Seite steht, ewig lange auf einen Bekannten, einen Kollegen oder eine Fachkraft wartet, kann es auch beträchtlich stören.

8. Die räumliche Nähe

Es gibt in den Weiten des Netzes eine Landkarte. Da hat jemand die Umrisse der Schweiz nach Brasilien hineingepackt. Selbst wenn man an den Länderformen nichts ändert, passt die Schweiz 142 Mal dort hinein – geht man nur nach der Fläche sogar 206 Mal.

Das mag auf der einen Seite jenseits Brasiliens grosser Städte dafür sorgen, dass man sich nicht gegenseitig auf die Füsse tritt. Aber wer dort ländlich lebt, der lebt auch „wirklich ländlich“, wo hierzulande selbst abgelegene Dörfer binnen vergleichsweise weniger Autominuten zum nächsten Amt, Supermarkt, Arbeitsplatz und Co. führen.

Fazit

Wenn man Brasilien lieben möchte, sollte man das auch tun – es gibt tausendundeins gute Gründe, die in diesem Land dazu einladen. Was man allerdings nicht tun sollte, ist, seine „Pass-Heimat“ darüber gänzlich schlecht zu reden. Aus einem einfachen Grund: Sonst wird die ganze Lebenszeit zu einem Ablauf von kurzen Urlaubsmomenten, die viel zu schnell vorbei sind und langen Monaten dazwischen, die man hier missmutig und sehnsüchtig verbringt. Damit tut man niemandem einen Gefallen, sich selbst am allerwenigsten.

Wer es cleverer macht, erkennt an, dass beide Länder ihre Vorteile haben und zieht das für sich jeweils Passende davon heraus. Auf diese Weise hat man immer, egal ob hier oder dort, zumindest ein bisschen Vorfreude.

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