Der Atlantische Regenwald – die Mutter der brasilianischen Regenwälder

Morgen Montag, den 27. Mai, ist Brasiliens Nationaltag des Atlantischen Regenwaldes – ein Tag zum Nachdenken über das am meisten bedrohte Biom des Landes.

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“Brasil, bonito por natureza“ (Brasilien, von Natur aus schön), so lautet der Refrain eines Sambas von Jorge Ben Jor – und tatsächlich: Die Natur Brasiliens ist eine der schönsten, die ich je gesehen habe, und ihre vielgestaltige Fauna und Flora weltweit anerkannt als zum Schönsten gehörig, was die Natur auf unserem Planeten zu bieten hat. Landschaftliche Highlights wie die Guanabara-Bucht in Rio de Janeiro, mit dem herausragenden Kegel des Zuckerhuts und der Buckel des Corcovado mit der Christusstatue, haben sich als umschwärmte Postkartenmotive bei allen ausländischen Besuchern unvergesslich ins Gedächtnis gegraben – aber was wären diese Monumente ohne den sie umschliessenden Wald mit einem der phantastischsten Ökosysteme unseres Planeten – ohne den Atlantischen Regenwald? Er ist das Gesicht Brasiliens – und trotzdem wird er von den Brasilianern selbst gering geschätzt. Heute sind weniger als 10% seiner ehemaligen Vegetationsdecke erhalten geblieben!

Der Atlantische Regenwald steht an zweiter Stelle der meist gefährdetsten Biome der Erde, noch schlimmer dran ist nur der fast zerstörte Regenwald der Insel Madagaskar. In diesem brasilianischen Bergwald leben mindestens 120 Millionen Menschen. Mit anderen Worten, sein Lebensraum ist über alle Massen reduziert worden und inzwischen extrem fragmentiert. Und gerade er war einmal der Wald mit der grössten Artenvielfalt des Planeten. Das erklärt sich aus seiner besonderen geografischen und klimatischen Verbreitung und seinem entsprechenden Relief, Eigenschaften, die eine hohe Diversifizierung der Spezies begünstigen, durch unterschiedliche topografische Qualitäten des Bodens, der Feuchtigkeit und der Wärme.

Mit einer Fläche von 1.020.000 Hektar umfasst der Atlantische Regenwald Küstengebiete, Mangrovedschungel, Restingas, hoch gelegene Savannen, Savannentäler, Berge, dichten ombrophilen (regenliebenden) Wald, gemischten ombrophilen Wald, offenen ombrophilen Wald, dezidualen (Regulationsmechanismus) und semidezidualen Wald und innere Sumpfgebiete. Er erstreckt sich über die Bundesstaaten Ceará, Rio Grande do Norte, Paraíba, Pernambuco, Alagoas, Sergipe, Bahia, Minas Gerais, Espírito Santo, Rio de Janeiro, São Paulo, Mato Grosso do Sul, Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul.

Konzentrierter Reichtum

“Der Atlantische Regenwald ist eins der wichtigsten Biome in planetarischer Hinsicht für die Biodiversifikation und die ambientalen Dienstleistungen, welche er für eine Bevölkerung von mehr als 120 Millionen Personen zur Verfügung stellt. Trotz seiner grossen Verwüstung hält er den Rekord an Biovielfalt. Ein Beispiel dafür geht aus einer kürzlich im Süden von Bahia bis nach Espirito Santo durchgeführten Studie hervor, die belegt, dass Forscher herausfanden, dass in einem Hektar Wald (etwa in der Grösse eines Fussballfeldes) mehr als 400 verschiedene Arten von Bäumen wachsen – ausgenommen von dieser Zählung waren andere Pflanzen und Büsche. Diese Zahl übertrifft in vielen Fällen die Gesamtheit der Baumarten ganzer Länder“, sagt der Präsident des “Conselho Nacional da Reserva da Biosfera da Mata Atlântica“ (RBMA).

Nach Daten des Umweltministeriums besteht der Reichtum nicht nur aus der Flora. Was die Fauna betrifft, so existieren zirka 261 Säugetierarten im Atlantischen Regenwald (55 von ihnen sind endemisch), 340 Amphibienarten (90 sind endemisch), 1.020 Arten von Vögeln 188 sind endemisch), 350 Fischarten (133 endemisch) und 197 Arten von Reptilien (60 davon endemisch). Mit anderen Worten: Von den 633 bedrohten Tierarten Brasiliens kommen 383 im Atlantischen Regenwald vor. Als Beispiel ein schwerwiegendes Problem des Atlantischen Regenwaldes: Von den 17 Primatenarten, die dort leben, sind 7 endemisch (kommen nur in diesem Biom vor) und 10 sind ernstlich vom Aussterben bedroht.

“Wenn wir an die endemischen Tiere denken, die in jedem Regenwals-Fragment leben, wird uns bewusst, wie beklagenswert der Verlust des Waldes tatsächlich ist. Bereits 90% sind zerstört und übrig geblieben sind nur Fragmente. Wenn man den Atlantischen Regenwald nur an bestimmten Orten erhält, so rottet man spezifische Arten in anderen Regionen aus – es ist vielmehr notwendig, ihn im Gesamt zu restaurieren, nicht zu vergessen, dass jedes seiner Fragmente spezifische Arten mit besonderen Eigenschaften beherbergt. Der Endemismus erstreckt sich sowohl auf Tiere als auch auf Pflanzen“, gibt der Präsident der RBMA Lino zu bedenken.

Weltnaturerbe

ABr084-Mata AtalanticaDer Atlantische Regenwald wurde von der UNO als Weltnaturerbe anerkannt und von der Unesco als Biosphäre-Reservat – im eigenen Land ebenfalls als Nationales Erbe in der Verfassung von 1988 registriert. Neben seiner unvergleichlichen Biodiversifikation enthält der Atlantische Regenwald auch ein unschätzbares historisches Erbe und zahlreiche indigene Kommunen, Siedlungen von Fischern, Flussbewohnern und Quilombolas (Kommunen von Nachfahren ehemaliger Sklaven). Er ermöglicht nicht nur das Überleben seiner Fauna und Flora, sondern beherbergt auch einen beträchtlichen Teil der brasilianischen Bevölkerung.

“Deshalb ist er die Mutter der brasilianischen Wälder. Zwei Drittel der nationalen Bevölkerung hat er in und um sich versammelt. Er ist eine enorme Quelle verschiedenster Ressourcen für die Menschen und bietet Arbeitsplätze und Gewinnmargen mit den vorhandenen Spezies, die für ganz unterschiedliche Zwecke verwendet werden – von der Medizin bis zum Kunsthandwerk. Leider sind bereits viele der ausgebeuteten Spezies am Verschwinden, wie zum Beispiel die Araukarie (Araucaria angustifolia), die Juçara-Palme (Euterpe edulis) und der Caju-Baum (Anacardium occidentale) – alle endemisch im Atlantischen Regenwald. Seit der Kolonialzeit wurde der Endemismus bereits Opfer der Ausbeutung durch den Menschen. Der Pau-brasil (Caesalpinia echinata Lam.), zum Beispiel, ist nur in diesem Biom zu finden”, erzählt Lino.

Was die Ursachen der vehementen Waldzerstörung betrifft, erklärt er, dass die auf drei Punkten beruht: Die Abholzung für Landwirtschaft und Viehzucht (der durchlässige, fruchtbare Boden ist begehrt für die Anlage von Monokulturen wie Zuckerrohr, Kaffee und Eukalyptus) – die Urbanisierung, die Areale invadiert, die eigentlich geschützt werden müssten – und vor allem die selektive Ausholzung der Spezies von wirtschaftlichem Interesse.

Unermessliche Verluste

Befragt nach den Konsequenzen dieser Zerstörung, verliert Lino die Übersicht und bestätigt, dass die Verluste für das Ambiente und für die Lebewesen in ihm unterschiedlicher Art sind. Einer der bedeutendsten Schäden ist die zunehmende Trockenheit durch die Zerstörung des Bioms. Der Atlantische Regenwald ist verantwortlich für 22 hydrographische Becken, die von grossen Flüssen, wie dem Tietê, São Francisco, Paraná, Doce, Paranapanema, Ribeira do Iguape, Jequitinhonha, Iguaçu, Paraguaçu, Uruguai, Pardo, Paraíba do Sul, Araranguá, Mapituba und dem Tramandaí gespeist werden.

“Über die Frage des Wassers und der zunehmenden Verwüstung hinaus, werden Menschenleben vernichtet durch das Abrutschen entwaldeter Areale, die von Landbesetzern illegal vereinnahmt wurden (so genannte Risiko-Areale). Überschwemmungen werden ebenfalls provoziert. Wir verlieren ganze Landschaften, und der Tourismus wird geschädigt. Und das Klima wird beeinflusst. Es gibt Studien, die belegen, dass zwischen der Serra da Cantareira und der Metropole São Paulo ein Temperaturunterschied von 10oC besteht. Die Serra hat eine gewisse Höhe, aber der Baumbestand beeinflusst das Klima enorm. Wenn man ihn abholzt, steigt Kohlendioxyd in die Atmosphäre, und Studien zeigen, dass diese Emissionen nie zuvor so hoch gewesen sind, was den Treibhauseffekt verstärkt“, sagt der Spezialist.

Die Zahl der “Unidades de Conservação (Ucs)“ (Naturschutz-Einheiten) im Biom Atlantischer Regenwald scheint gross zu sein, aber das ist noch immer nicht genug. Insgesamt gibt es 860 solcher Ucs, wie “Estações Ecológicas” (Ökologische Stationen), “Reservas Biológicas” (Biologische Reservate), “Parques Nacionais” (Nationalparks), “Parques Estaduais” (Staatsparks), “Monumentos Naturais” (Naturdenkmäler), “Refúgios de Vida Silvestre” (Wildlife-Refugien), “Áreas de Proteção Ambiental” (Naturschutz-Areale), “Áreas de Relevante Interesse Ecológico” (Areale von besonderem ökolischem Interesse), “Florestas Nacionais” (National-Forste), “Reservas Extrativistas” (Sammler-Reservate), “Reservas de Fauna” (Fauna-Reservate), “Reservas de Desenvolvimento Sustentável” (Reservate für erhaltende Entwicklung), “Reservas Particulares do Patrimônio Natural” (Private Reservate des Naturerbes).

Lino bestätigt, dass er eine grosse Mobilisierung seitens der Bevölkerung bemerkt hat, die sich zugunsten einer Erhaltung und adäquaten Restauration des Atlantischen Regenwaldes einsetzt. Jedoch wird diesem Wunsch seitens der Regierung längst nicht in effizienter Art und Weise entsprochen. Als Beispiel zitiert Lino die zögerliche Haltung der Regierung in einer Zusage, bis 2020 wenigstens 17% des Atlantischen Regenwaldes zu schützen.

“Die Politik unseres Landes betrachtet die ambientalen Fragen nicht als Prioritäten. Wir müssen bestimmte Kanäle stärken, damit das Volk von den Vertretern unseres Nationalkongresses gehört wird. Die grosse Mehrheit der Bevölkerung sorgt sich um die Erhaltung des Bioms, aber die Autoritäten scheinen sich zu diesem Thema nicht festlegen zu wollen. Es besteht eine Kluft zwischen der Bevölkerung und den Autoritäten“, beendet Lino das Gespräch.

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AutorIn: Klaus D. Günther · Bildquelle: AgenciaBrasil

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