10 Jahre „Bolsa Família“: Regierung wertet Sozialprogramm als Erfolg

Vor 10 Jahren wurde unter Staatspräsident Luiz Ignácio Lula da Silva das Programm Bolsa Família eingeführt, eine Art Sozialhilfe für Familien mit Kindern. Jetzt legte das Sozialministerium in Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftsforschungsinstitut IPEA ein 500 Seiten umfassendes Buch vor, in der 66 Autoren ihre Studien über das Programm vorstellen und die Ergebnisse diskutieren. Vieles ist dabei durchaus positiv zu bewerten. So konnte die Zahl derjenigen, die in extremer Armut leben, von 8,0 Prozent im Jahr 2001 auf 4,7 Prozent im Jahr 2011 reduziert werden. Abgenommen hat ebenso die Rate der Kindersterblichkeit sowie die Zahl der unterernährten Kinder. Laut IPEA hat das Programm ebenso einen Beitrag dazu geleistet, die Ungleichheit der Einkommensverteilung um 15 bis 20 Prozent zu reduzieren.

Extreme Armut ist in vielen Teilen Brasiliens noch lange nicht ausgerottet (Foto: Dietmar Lang / IAP Photo)
Extreme Armut ist in vielen Teilen Brasiliens noch lange nicht ausgerottet (Foto: Dietmar Lang / IAP Photo)

Das Programm Bolsa Família unterstützt derzeit 13,8 Millionen Familien, etwa 50 Millionen Männer, Frauen und Kinder, was in etwa einem Viertel der brasilianischen Bevölkerung entspricht. Die finanzielle Hilfe, die direkt via Magnetkarte ausgezahlt wird, ist für Familien gedacht, in denen das Einkommen pro Familienmitglied umgerechnet unter circa 46 Euro liegt. Ziel ist aber nicht nur eine finanzielle Hilfe, sondern ebenso eine Unterstützung bei der Durchsetzung von gesetzlich garantierten Rechten.

In den vergangenen zehn Jahren wurde das Programm stetig verbessert und ausgebaut, wurden diverse bereits vorhandene andere Sozialleistungen integriert, wie zum Beispiel das Recht auf verbilligte Stromtarife für Einkommensschwache Familien. Seit 2012 erhalten die Familien, deren Einkommen selbst mit der Bolsa Família pro Familienmitglied geringer ist als umgerechnet 23 Euro im Monat, zudem eine zusätzliche Hilfe, um aus dem Bereich der extremen Armut herauszukommen. Insgesamt erhöhte sich der durchschnittlich ausgezahlte Satz an Sozialhilfe von umgerechnet etwa 32 Euro im Monat auf 51 Euro und bei den Familien im Bereich der extremen Armut auf 72 Euro. Das mag wenig erscheinen. Die Auswirkungen sind dennoch spürbar, wie die nun veröffentlichen Studien zeigen.

In den Regionen, in denen die einkommensschwachen Familien, die mit dem Programm unterstützt werden, einen hohen Anteil an der Bevölkerung ausmachen, hat die Sterblichkeit der Kinder von bis zu fünf Jahren um 19 Prozent abgenommen, wobei die Zahl der Todesfälle wegen Unterernährung um 65 Prozent abnahm und die Zahl der Todesfälle, die auf Durchfallerkrankungen zurückzuführen sind, um 53 Prozent.

Die Verbesserungen lassen sich auf mehrere Umstände zurückführen. Zum Einen erhalten die betroffenen Familien neben der finanziellen Hilfe auch Beratung und Unterstützung etwa in den Bereichen Gesundheit und Erziehung. Zum Anderen ist die Hilfe an Bedingungen geknüpft. Eine der Voraussetzungen ist zum Beispiel, dass sich die Kinder den vorgeschriebenen Impfungen und bis zum siebten Lebensjahr den Vorsorgeuntersuchungen unterziehen müssen. Auch dürfen die Buben und Mädchen nicht mehr als 15 Prozent des Schulunterrichtes verpassen. Insgesamt spielen die Schulen eine wichtige Rolle. Dort greift auch das Programm “Gesundheit in der Schule”, bei dem Gewicht, Größe und Gesundheitszustand der Kinder kontrolliert wird. Darüber hinaus wird in den Schulen ein kostenloses Mittagessen angeboten. Kommunen, in denen mehr als die Hälfte der Schüler aus Familien stammt, die Bolsa Família empfangen, haben Vorrang bei der Einrichtung von Ganztagsschulen.

Auch im Bereich der Schulausbildung verweisen die Autoren der Broschüre auf Erfolge. So hat die Zahl der vorzeitigen Schulabbrüche unter den Leistungsempfängern abgenommen und die Buben und Mädchen fehlen weniger in der Schule. Einen Grund zur Entwarnung sehen die Forscher dennoch nicht. Eine Untersuchung aus dem Jahr 2011 zeigt, dass unter der armen Bevölkerung die durchschnittliche Schulzeit nur 5,6 Jahre beträgt, während Kinder der reicheren Brasilianer durchschnittlich 10,7 Jahre die Schule besuchen.

Zentraler Angelpunkt der Bolsa Família ist das “Cadastro único”, ein in ganz Brasilien einheitliches Erfassungssystem, bei dem Kommunen und Staat zusammenarbeiten. Dazu wurden in den 5.570 Gemeinden Brasiliens 9.600 Sozialversorgungszentren eingerichtet. Dort werden die Daten erfasst und die Sozialhilfeempfänger betreut und beraten, sei es in Bezug auf Vorsorgeuntersuchungen, Kurse zur Berufsausbildung, die Trinkwasserversorgung oder Mikrokredite für Klein- und Kleinstunternehmer.

Das Programm war allerdings von Beginn an vielen Vorurteilen und Kritiken ausgesetzt. Unter anderem wurde gemunkelt, dass die finanzielle Unterstützung mit der Verknüpfung der Kinderzahl, dazu animiere, mehr Kinder in die Welt zu setzen, um mehr Sozialhilfe zu bekommen. In einer in der Broschüre veröffentlichten Studie heißt es jedoch, dass die Geburtenrate, die in Brasilien insgesamt seit Jahren sinkt, auch in den Einkommensschwachen Familien zurückgeht. Entkräftet wurde zudem die These, dass die Sozialhilfe zur Bequemlichkeit verleitet, gar nicht erst eine Arbeitsstelle oder entlohnte Arbeit zu suchen. Dies sei laut den vorliegenden Studien nicht belegbar, so die Autoren.

Das Programm Bolsa Família ist heute wesentlicher Bestandteil der Sozialpolitik. Laut IPEA wird es darüber hinaus international als eins der effektivsten Programme beim Kampf gegen die Armut angesehen, und das obwohl die Ausgaben dafür derzeit lediglich bei 0,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen. Neben der direkten Soforthilfe für die Ärmsten unter den Armen wird in der Broschüre aber auch auf den sogenannten Vervielfachungseffekt verwiesen. Nach diesem erhöht sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) durch die Sozialhilfe. Wird ein Prozent des BIP für die Sozialhilfe ausgegeben, erhöhe sich dann um 1,44 Prozent, so die Forscher.

Einig sind sich die Autoren, dass mit dem Programm Bolsa Família schon viel erreicht wurde. Unstrittig ist jedoch auch, dass noch viel getan werden muss.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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