Brasiliens Justizminister Anderson Torres hat am Mittwochabend bestätigt, dass bei der Suche nach dem im Amazonasgebiet vermissten Indigenen-Experten Bruno Araújo Pereira und dem britischen Journalisten Dom Phillips menschliche Überreste gefunden wurden. Bei einer Pressekonferenz hieß es, dass der bereits verhaftete Fischer Amarildo da Costa Oliveira die Tötungen gestanden hat.
Pereira und Phillips sind seit Sonntag (5.) vermisst worden. Nachdem sie sich in der Flussanliegergemeinschaft São Rafael am Rande des Indio-Territoriums mit dessen Sprecher „Churrasco“ treffen sollten, wollten sie eigentlich per Boot zur Stadt Atalaia do Norte weiterreisen. Dort sind sie nie angekommen.
Zeugen berichteten, dass ihr Boot nach dem Zwischenstopp für die geplante Besprechung von einem anderen verfolgt worden ist, dessen Fahrer der am 7. Juni verhaftete Amarildo da Costa Oliveira gewesen sein soll. Dieser ist Berichten zufolge mit Drohgebährden und erhobener Waffe nur wenige Tage vor dem Verschwinden der beiden von Dom Phillips fotografiert worden. Pereira hatte zudem schon vorab mehrmals brasilianische Behörden über erhaltene Morddrohungen ihm und indigenen Sprechern gegenüber unterrichtet.
Helfer der Indio-Vereinigung Univaja haben noch am Tag des Verschwindens umgehend Suchen eingeleitet. Durch die Hilfe der Indios konnten die Sicherheitskräfte am Sonntag (12.) auch erste Spuren der Vermissten ausmachen. Etwas abgelegen vom Flussufer wurden in einem überschwemmten Waldbereich persönliche Gegenstände wie Kleidung und ein Laptop gefunden. Ein Rucksack war dabei nach Polizeiaussagen unter der Wasseroberfläche an einem Baumstamm festgebunden gewesen.
Auf die menschlichen Überreste sind die Sicherheitskräfte hingegen erst nach einem Geständnis des bis dato als verdächtig geltenden Fischers Amarildo da Costa Oliveira gestoßen. Er hat die Polizisten zu einer Stelle weitere drei Kilometer in den überschwemmten Wald hinein geführt, an der die beiden Körper eingegraben waren. Amarildo stand seit dem Vermissen der beiden bereits unter Verdacht. Festgenommen wurde er am 7. Juni allerdings wegen des Besitzes von Drogen und Munition.
Bei einer Mittwochnacht gegebenen Pressekonferenz hieß es, dass die Ermittlungen weiter laufen und weitere Verhaftungen möglich seien. Erst am Dienstag ist Amarildos Bruder Oseney festgenommen worden. Nach Zeugenaussagen, war er in der Nähe des Tatortes kurz nach dem Verschwinden des Journalisten und des Indigenisten auf dem Fluss unterwegs und ebenso bewaffnet.
Zu den möglichen Hintergründen der Morde gab es bei der Pressekonferenz keine Aussagen. Die Ermittlungen dazu liefen in Verschwiegenheit hieß es.
Morddrohungen und zunehmende Invasionen
Bruno Araújo Pereira hat in der Vergangenheit mehrfach illegale Machenschaften durch Invasoren des Indio-Territoriums Vale do Javari denunziert. Im April hat das Staatsministerium dann auch polizeiliche Ermittlungen dazu gefordert. Im Zusammenhang mit den angezeigten Morddrohungen ist indes nicht viel passiert.
Mit einer Fläche die größer ist als die Landesfläche Österreichs ist Vale do Javari das zweitgrößte Indio-Territorium Brasliens. Es beherbergt zudem die größte Konzentration noch unkontaktieter indigener Völker der Welt. Allerdings ist es auch eins der bedrohtesten Territorien.
Vor allem in den vergangenen Jahren haben die Invasionen durch illegale Goldsucher, Abholzer, Jäger und illegale Fischer zugenommen. Auch soll die an der Grenze zu Peru und Kolumbien liegende Region von Drogenhändlern als Route benutzt werden. Gemutmaßt wird zudem, dass die illegale Befischung des Territoriums als Geldwäsche für den Drogenhandel benutzt wird.
Auch die Befischung wurde von Pereira denunziert. Bei dieser handelt es sich keineswegs um ein Sonntagsdelikt. Vielmehr werden nach einem Bericht der Indio-Vereinigung Univaja von den Invasoren tonnenweise Fische gefangen, darunter auch der Pirarucu, der eigentlich einem Fangverbot unterliegt. Zu den Raubgütern sollen zudem tausende Schildkröten zählen, die als Delikatessen gehandelt werden.
Bruno Pereira war jahrelang für die Indio-Behörde Funai als Experte und Koordenator in der Region Vale do Javali tätig. 2019 leitete er, schon unter dem Mandat des rechtsradikalen Präsidenten Jair Bolsonaro, eine Mega-Operation gegen den illegalen Goldbau, bei der von den Sicherheitskräften 60 Schürf-Fähren zerstört worden sind. Kurz nach der Operation wurde er von seinem Posten enthoben.
2019 ist zudem der im Indio-Territorium zuständige Funai-Mitarbeiter Maxciel Pereira dos Santos ermordet worden. Auch er war gegen Invasoren vorgegangen. Der Mord ist bis heute noch nicht aufgeklärt. Gleiches gilt für wiederholte Schüsse auf Funai-Wachposten und Indio-Wachen, ganz abgesehen davon, dass illegale Goldsucher, Abholzer, Drogenhändler, Fischer und Jäger trotz mehrfacher Denunzierungen weiterhin unbehelligt im Indio-Territorium ihren Machenschaften nachgehen.
Verunglimpfungsversuche und schleppende Ermittlungen
Bolsonaro hat sich wiederholt gegen die Zerstörung von Gerätschaften der „garimpeiros“, der Goldschürfer ausgesprochen. Auch setzt er sich offen für eine wirtschaftliche Nutzung der Indio-Territorien durch Nicht-Indios ein. Experten führen die in den vergangenen Jahren registrierte Zunahme von Invasionen der Indio-Territorien und die Konflikte unter anderem auch auf seine Haltung zurück.
„Die Indios sprechen unsere Sprache nicht, sie haben kein Geld, sie haben keine Kultur“, sagte er vor einigen Jahren. Indigenen-Schützer Bruno Araújo Pereira sprach vier indigene Sprachen, um diese Völker zu beschützen. Nun ist er ermordet worden.
Auch der für The Guardian und andere renommierte Tageszeitungen tätige Journalist Dom Phillip setzte sich für die Indios und den Regenwald ein. Für seine Arbeit an seinem Buch über die Rettung des Amazonas-Regenwaldes hat er mit Hilfe Pereiras Indios getroffen und unter anderem dazu befragt, wie sie den Wald schützen.
Bolsonaro hat er hingegen aus der Verfassung gebracht. 2019 befragte der in Brasilien lebende Brite bei einer Journalistenrunde Bolsonaro, wie er angesichts steigender Abholzungen und sinkender Kontrollen durch die Umweltbehörden der Welt zeigen möchte, dass seine Regierung den Schutz des Amazonas-Regenwaldes ernst nehme. Der Antwort harsch und gewohnt unhöflich darauf: „Erst musst du verstehen, dass Amazonien Brasilien gehört und nicht euch.“
In einem Interview am Dienstag behauptete Bolsonaro nun, dass Dom Phillips in der Region „schlecht angesehen“ sei, weil er viele Artikel gegen Goldsucher schreiben würde. Dass der ermordete Journalist unter illegalen Goldschürfern kein gutes Ansehen genoss, ist möglich. Das Gleiche gilt aber nicht für den Rest der Bevölkerung.
Bolsonaro hatte zudem schon kurz nach dem Bekanntwerden des Vermissens von Dom Phillips und Bruno Araújo Pereira versucht, die zwei Männer, die sich unermüdlich für den Schutz der Indios eingesetzt haben, in Misskredit zu bringen. Auf eine Frage über die Vermissten sagte er lapidar, dass sie sich als „Abenteurer“ freiwillig auf ein Wagnis in einer bekannt gefährlichen Wildnis eingelassen hätten.
Selbst von der Indio-Behörde Funai, die sich eigentlich für die Rechte der Urvölker Brasiliens einsetzen soll, gab es Versuche, die Reise Pereiras, um die Indios bezüglich eines Schutzes gegen kriminelle Invasionen zu beraten, und die Recherchereise Phillips als illegal hinzustellen. Die zwei hätten keinen Antrag für eine Erlaubnis zum Betreten des Indio-Territoriums gestellt hieß es vom . Der Presse vorgelegte Dokumente zeigen indes, dass Pereira sehr wohl eine Genehmigung hatte. Dom Phillips hat das Territorium zudem nicht betreten. Er hat sich mit Pereira und Indio-Vertretern in der Nähe der Grenze außerhalb des Gebietes getroffen.
Auch die Suche von staatlicher Seite ist zunächst nur schleppend und mit einer handvoll Polizisten angelaufen. Erst nach Tagen trafen vermehrt Militärs und Polizisten und mit ihnen Hubschrauber zur Überfliegung des riesigen und schwer zugänglichen Gebietes ein. Gegeben hat es ebenso einen Gerichtsbeschluss, der eine Intensivierung der Ermittlungen verordnete. Nach offiziellen Angaben waren dann letztlich doch 250 Sicherheitskräfte im Einsatz.
Von den Indios ist die Suche hingegen von Beginn an stark unterstützt worden. Über hundert Indios fünf verschiedener Völker standen als Freiwillige Helfer sofort zum Einsatz bereit. Wie sehr der Indigenist bei den Indios geschätzt wurde, hat auch ein Protest der Indios am Dienstag gezeigt. Auf Transparenten stand dort: „Bruno hat für das Vale do Javari gekämpft, jetzt kämpft das Vale do Javari für Bruno und Dom.“
Der Kampf ist längst noch nicht ausgekämpft. Noch fehlen Motiv und Hintermänner und es fehlt an Veränderungen, damit die längst per Gesetz gewährten Rechte zum Schutz der indigenen Völker und des Regenwaldes tatsächlich auch umgesetzt werden. Bis dahin wird es noch ein langer Weg sein, hat die Gewalttat doch auch einmal mehr das Fehlen des Staates in der Amazonas-Region offengelegt, das es den Kriminellen erst ermöglicht dort nahezu unbehelligt ihr tödliches Geschäft voranzutreiben.