Insektensterben – Folgen für Mensch und Umwelt

Zuletzt bearbeitet: 22. Mai 2024

Als artenreichste Gruppe aller Lebewesen stellen Insekten 70 % der Tierarten weltweit dar. Diese vielfältige Gruppe von Lebewesen spielt eine entscheidende Rolle in Ökosystemen, von der Bestäubung von Pflanzen bis zur Zersetzung von organischem Material. Leider sind sie jedoch bedroht wie nie zuvor. Das Insektensterben und der daraus folgende Rückgang ihrer für das Ökosystem relevanten Leistungen haben unmittelbare Auswirkungen auf uns Menschen, unser Wohlbefinden, unsere Gesundheit und unseren Wohlstand.

Heuschrecke Manaus – Foto: Klaus Günther

Was Brasilien betrifft, so ist es ein wahres Paradies für die Artenvielfalt. Laut dem Institut für die Registrierung der Fauna weltweit (ICMBio) beherbergt Brasilien die größte Artenvielfalt an Tieren auf unserem Planeten. Es gibt mehr als 120.000 Arten von Wirbellosen und etwa 8.930 Wirbeltierarten. Leider steht diese Artenvielfalt auch an der Spitze der Aussterbelisten. In der letzten Ausgabe der Liste bedrohter Tierarten sind viele brasilianische Arten aufgeführt.

Was der Verlust der Insekten auch für unsere Wirtschaft bedeutet, wird in einer Schätzung des Weltbiodiversitätsrates IPBES deutlich. Dort wird ein ökonomischer Nutzen von Bestäubern wie Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlingen allein in Deutschland auf 3,8 Milliarden Euro beziffert. Weltweit sind es sogar 577 Milliarden Euro. Im Umkehrschluss bedeutet das: Mit dem Rückgang der Insekten werden auf die Landwirtschaft, die Kommunen und auf uns alle enorme Kosten zukommen. Zusätzlich wird sich die Verbreitung von Krankheiten massiv beschleunigen.

Hätten wir die Zeit sie zu zählen, käme auf jeden Menschen dieser Erde rund 1,4 Milliarden Insekten. Die Menge und Vielfalt an sechsbeinigen Tieren ist nahezu unvorstellbar. Schätzungsweise 5,5 Millionen verschiedene Arten sind es. Manche finden wir wunderschön, vor anderen gruseln wir uns vielleicht sogar etwas. Insekten brummen, hüpfen, krabbeln und beißen. Sie sind ungemein vielfältig in ihren Überlebensstrategien und fast in jedem Ökosystem dieser Erde zu Hause.

Landwirtschaft und Ernährung sind untrennbar mit dem Leben und Wirken von Insekten verbunden: Sie verbessern die Bodenqualität, bauen abgestorbene Pflanzen und Tiere ab und bestäuben die Nutzpflanzen. Drei Viertel unserer Nutzpflanzen werden von Insekten bestäubt!
Doch das Heer der Sechsbeiner schrumpft: Zahlreiche wissenschaftliche Studien weltweit, zeigen massive Rückgänge bei Arten und Anzahl der Insekten in den vergangenen 20 bis 200 Jahren. Die jährlichen Auswertungen der Roten Listen bestätigen diesen Schwund.

Exotischer Käfer – Foto: sabiá brasilinfo

Untersuchungen in Brasilien haben gezeigt, dass die Verluste an Insekten nicht regional begrenzt sind. Betroffen sind Spezies verschiedenste Arten mit ganz unterschiedlichen Lebensräumen. Am stärksten sind die Verluste in den offenen Regionen der Landschaft, also beispielsweise auf Äckern und Wiesen. Betroffen sind Spezies verschiedenste Arten mit ganz unterschiedlichen Lebensräumen. Einem internationalen Forscherteam unter Leitung der Technischen Universität München zufolge hat sich zwischen 2008 und 2017 die Insektenbiomasse auf Grünlandflächen um zwei Drittel verringert.

Anzahl der Arten von Insekten

Die Wissenschaft ist noch weit davon entfernt, alle in der Natur vorkommenden Insektenarten zu finden und zu klassifizieren. Die letzte Umfrage aus dem Jahr 2017 schätzte Folgendes: etwas mehr als 1 Million Arten wurden katalogisiert und die Gesamtzahl könnte zwischen 1,4 und 5,5 Millionen liegen.

Trotz dieser großen Artenzahl ist ein Rückgang der Insektenpopulationen zu verzeichnen, der unter anderem durch Veränderungen der Lebensräume und den intensiven Einsatz von Pestiziden verursacht wird.

Prozentsatz der entdeckten Arten aus jeder Gruppe, die einen Populationsrückgang erleiden.

  • Grillen und Heuschrecken: 24 tausend
  • Bienen, Wespen, Ameisen: 117 tausend
  • Käfer: 387 tausend
  • Schmetterlinge und Motten: 157 tausend
  • Fliegen und Mücken: 155 tausend
  • Zikaden, Blattläuse und Stinkwanzen: 104 tausend
  • Andere: 80 tausend

Im Jahr 2018 hat die Universität Sydney einen Bericht zum Insektensterben vorgelegt, der Forschungsstudien aus verschiedenen Kontinenten zusammenführt. Die Daten zeigen, dass die Population bei 41 Prozent aller Insektenartenarten zurückgeht und ein Drittel aller Arten vom Aussterben bedroht ist. Pro Jahr nimmt die Gesamtbiomasse der Insekten – so die Schätzung aus Sydney – um 2,5 Prozent ab.

Die meisten der in die Untersuchung einbezogenen Forschungsstudien stammen aus Europa, einige aus Süd- und Nordamerika und wenige aus Asien, Afrika oder Lateinamerika. Regionale Beispiele für Insektensterben gibt es viele: Im Vereinigten Königreich ist die Schmetterlingspopulation seit 1976 um etwa die Hälfte geschrumpft.

Schmetterling – Foto: sabiá brasilinfo

In deutschen Naturschutzgebieten hat sich Stichproben zufolge die Biomasse der Fluginsekten der letzten 30 Jahren um 76 Prozent reduziert. In Nordamerika sind die Bestände des östlichen Monarchfalters in 30 Jahren um 80 Prozent zurückgegangen. Und in den Niederlanden sank die Zahl der Köcherfliegen in 20 Jahren um 60 Prozent. Für viele Regionen fehlen derzeit noch Daten, insbesondere für die Tropen. Die Erkenntnisse deuten aber darauf hin, dass der Rückgang ein globales Phänomen ist.

Die Wissenschaft führt das Verschwinden der Insekten auf eine ganze Reihe von Faktoren zurück, wie den Verlust von Lebensräumen, die Klimakrise und Lichtverschmutzung. Auch der zunehmende Einsatz von Düngemitteln und invasiven Arten spielen eine wichtige Rolle. Die Auswirkungen von Pestiziden auf Insektenpopulationen wurden bislang am ausführlichsten am Beispiel der Schmetterlinge untersucht – eine Insektengruppe, für die relativ gute Populationsdaten vorliegen.

Forschende haben unter anderem festgestellt, dass in ökologischen Landwirtschaftsbetrieben mehr Schmetterlinge leben als in Nachbarbetrieben, die nicht auf ökologischen Anbau setzen. In Gärten, in denen Pestizide eingesetzt werden, kommen nur halb so viele Schmetterlingsarten vor wie in unbehandelten Gärten.

Die Auswirkungen von Pestiziden auf die Umwelt hat erstmals 1962 die Wissenschaftlerin Rachel Carson in ihrem Buch „Der stumme Frühling“ hervorgehoben. Darin machte sie auf die Probleme aufmerksam, die durch den Einsatz von Insektiziden wie DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) und Organophosphate verursacht werden. Diese Chemikalien wurden mittlerweile in den meisten Ländern verboten. Jedoch hat die Industrie sie durch neuere Verbindungen ersetzt, von denen viele für Insekten deutlich giftiger sind, zum Beispiel die in den 1990er-Jahren eingeführten Neonikotinoide. Weltweit sind sie die heutzutage am häufigsten verwendeten Insektizide – auf Insekten wirken sie etwa 7.000-mal giftiger als DDT.

Die wilden Pflanzen werden immer weniger

Insekten sind auf ganz umfangreiche Art und Weise von Pestiziden betroffen. Obwohl Insektizide die Pflanzen vor Schädlingen schützen sollen, schaden sie letztlich allen Insekten, sowohl den Schädlingen als auch den Nützlingen. Sie töten auch die natürlichen Feinde von Pflanzenschädlingen: Insekten wie Marienkäfer, Schwebfliegen oder Florfliegen. Pflanzenschädlinge wie Blattläuse können sich dadurch oft schnell wieder erholen. Aber auch Fungizide und Herbizide schaden Insekten.

Marienkäfer – Foto: Ron van den Berg auf Pixabay

Einige Fungizide wirken zum Beispiel synergistisch mit Insektiziden – ist ein Insekt beiden Substanzen gleichzeitig ausgesetzt, wirken sie noch giftiger. Darüber hinaus vernichten Herbizide den Pflanzenbewuchs, darunter Wildblumen, die eine wichtige Ressource für Landinsekten darstellen.

Die kleinen Helfer sterben aus
Ernteeinbußen bei Totalverlust tierischer Bestäubung, nach Frucht:

  • Über 90% bei Kürbis, Wassermelone, Kakao und Paranuss
  • 40-90% bei Mandel, Gurke, Kirsche. Apfel, Pflaume
  • 10-39% bei Kaffee, Pfeffer, Sonnenblume, Tomate, Kidneybohne, Erdbeere, Papaya und Feige.

In den letzten 15 Jahren gehen die Insekten gemäss Langzeitstudien weltweit wie folgt zurück:
Grillen und Heuschrecken
49 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Bienen, Wespen, Ameisen
46 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Käfer
41 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Schmetterlinge und Motten
34 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Fliegen und Mücken
25 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Zikaden, Blattläuse und Stinkwanzen
8 % der entdeckten Arten sind vom Ausserben bedroht

Der Rückgang der Anzahl und Vielfalt der Insekten auf der Welt kann sich auf verschiedene menschliche Aktivitäten sowie auf alles Leben auf der Erde auswirken. Maßnahmen zur Erhaltung der Entomofauna (Biodiversität der Insekten) sind unerlässlich, um diesen Prozess umzukehren.

Biogeografische Regionen

Biogeografische Regionen sind Einteilungen, die von Wissenschaftlern verwendet werden, um den Globus in Regionen zu unterteilen, die sich durch ihre klimatischen, geologischen und geografischen Merkmale unterscheiden, die zur Erklärung ihrer ökologischen Zusammensetzung beitragen.

Geschätzte Anzahl der in jeder biogeografischen Region vorkommenden Insektenarten:

  • Afrika: 975 tausend
  • Eurasien: 524 tausend
  • Nordamerika: 116 tausend
  • Ozeanien: 721 tausend
  • Südamerika: 2 Millionen
  • Südostasien: 735 tausend

Auch die menschliche Lebensqualität nimmt ab

Systemische Insektizide wie Neonikotinoide kontaminieren die Böden und werden von den Wurzeln der Wildblumen aufgenommen – was wiederum ihren Nektar und Pollen belastet. Neonikotinoide haben außerdem eine Reihe subletaler Auswirkungen auf Bienen. Sie rufen Lernschwierigkeiten hervor, die Kommunikation und Navigation der Bienen beeinträchtigen. Sie verschlechtern das Immunsystem, weshalb Bienen anfälliger für Krankheiten werden und außerdem schädigen sie deren Fruchtbarkeit.

Biene und die Trauben – Foto: Christelle PRIEUR auf Pixabay

In einer aktuellen Studie – veröffentlicht im Fachmagazin „Science“ – wurden in drei Vierteln der weltweit gesammelten Honigproben Neonikotinoide gefunden. Honigproben enthalten darüber hinaus oft nicht nur einzelne Neonikotinoide, sondern gleich einen Cocktail aus zehn oder mehr Insektiziden, Herbiziden und Fungiziden. Wenn Honigbienen diese Mischungen aufnehmen, ist es sehr wahrscheinlich, dass Tausende anderer Bestäuberinsekten beim Besuch der Blüten diese Mischungen ebenfalls aufnehmen.

All diese Auswirkungen werden im Zulassungsverfahren nicht ausreichend berücksichtigt. Obwohl die Folgen fatal sind: Ein fortschreitender Rückgang der Insekten bedroht lebenswichtige Ökosystemleistungen wie Bestäubung, Recycling und biologische Schädlingsbekämpfung. Das Insektensterben führt zu relevanten Lücken in Nahrungsnetzen und gefährdet letztlich das menschliche Wohlergehen durch geringere Qualität und Quantität unserer Ernten.

Als Pestizid-Alternative werden winzige Nützlinge gezüchtet

In der Landwirtschaft sind Nützlinge die natürlichen Feinde der Schädlinge. Nützlinge können kleinste Organismen wie Bakterien oder Pilze sein. Hierzu zählen unter anderem winzige Pilze der Gattung “Trichoderma“, die überall im Boden vorkommen.

Bakterien – Foto: Arek Socha auf Pixabay

Indem sie bestimmte Substanzen bilden, können sie pflanzenschädliche Pilzkulturen außer Gefecht setzen. Auch Milben, Insekten, Spinnen oder Vögel können beim Schutz der Ernte helfen. So wurden etwa in Israel und in den USA Schleiereulen in der Agrarlandschaft angesiedelt, die Mäusebestände in den Feldern erfolgreich reduzieren.

Um den Pestizideinsatz in der Landwirtschaft verringern zu können, sind vor allem die kleineren Organismen von großer Bedeutung. Sie fressen die Schädlinge entweder direkt – oder parasitieren sie, indem sie ihre eigenen Eier in oder an den Schädlingen ablegen. Manche Nützlinge sind auf die Bekämpfung bestimmter Schädlingsarten spezialisiert, andere wiederum fressen viele verschiedene Arten.

Fliege – Foto: Erez Krukower auf Pixabay

Blattläuse können zum Beispiel erfolgreich von Florfliegen, Schwebfliegen oder Ohrenkneifern bekämpft werden. Zu den wohl bekanntesten Nützlingen im Einsatz gegen Schadinsekten zählen die Marienkäfer. Sie und ihre Larven sind räuberisch: Sie fressen unter anderem Blattläuse, Getreidehähnchen, Rapsglanzkäfer, Weiße Fliegen und Kartoffelkäfer. Ein einzelner Marienkäfer kann circa 50 Blattläuse am Tag vertilgen – das macht hochgerechnet etwa 40.000 Blattläuse in seinem gesamten Marienkäferleben.

Neben räuberischen Käfern verzehren auch verschiedene Wanzen oder Fliegenarten eine große Menge Schadinsekten. Eine Florfliegenlarve etwa frisst in ihrem zwei- bis dreiwöchigen Leben bis zu 500 Blattläuse. Mittlerweile gibt es weltweit die Möglichkeit, kommerziell gezüchtete heimische Nützlinge zu kaufen – und dadurch gezielt im Freiland, im Gewächshaus oder in der Lagerhaltung als natürliche Alternative zu Pestiziden einzusetzen. Schlupfwespen werden zum Beispiel aktiv gegen Weiße Gewächshausfliegen eingesetzt, die Gemüsepflanzen wie Bohnen, Gurken und Tomaten befallen. In der Getreidelagerung eignen sich untern anderem Lagererzwespen zur Bekämpfung von Kornkäfern.

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