Brasilianisches Sozialprogramm “Bolsa Familia“ – Kommt es jetzt in die Schweiz?

bolsa familiaEs ist das Flaggschiff der brasilianischen Sozialpolitik und heisst „Bolsa Familia“, eine Art Familiensozialhilfe, deren Leistungen an den Schulbesuch und Impfnachweise für Kinder gekoppelt ist. 2013 stieg das Volumen allein für dieses Sozialprogramm auf rund 24 Milliarden Reais (9,20 Mrd. Euro), was rund 0,46 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Fast 80 Millionen bedürftige Brasilianer stehen direkt oder indirekt auf der Empfängerliste für soziale Hilfen. Der übergeordnete Plan „Brasil sem Miseria“ (Brasilien ohne Elend) hat ein klares Ziel: Jeder Brasilianer soll mindestens 70 Reais (26,83 Euro) im Monat zum Leben haben.

Am 20.09.2013 feierte das grösste Sozialprogramm Brasiliens seinen 10.Geburtstag. Von vielen gehasst, die es assistenzialistisch finden, schädlich und vor allem nur zum Stimmenfang für die Wahlen gedacht. Aber obwohl Stein des Anstosses der Regierungen des Ex-Präsidenten Lula (Luíz Inácio da Silva) und der amtierenden Präsidentin Dilma Rousseff, sicher ist, dass das Familiengeld immer mehr Nachahmung weltweit findet.

Nachdem es mit Hilfe von brasilianischen Beratern in New York implantiert wurde, kommt es in den nächsten Wochen in die Schweiz zur Abstimmung im Parlament.

Das grösste Sozialprogramm der Regierung, das während der Regierungszeit des Ex-Präsidenten Lula ins Leben gerufen wurde und während der Amtszeit von Dilma Rousseff zum Stein des Anstosses wurde, wird an diesem Sonntag (20.10.2013) 10 Jahre alt – und geht global. Von vielen in Brasilien angegriffen,wird es von der UNO und internationalen NGO’s als eins der hauptsächlichen Programme zum Kampf gegen Armut in der Welt betrachtet. Es wurde von der Zeitschrift „The Economist“ als „Plan gegen Armut mit Ursprung in Lateinamerika, der weltweit Anhänger findet“ bezeichnet. „Regierungen aller Welt sehen genau hin“, registriert Wikipedia. Für das französische Journal Le Monde „erweitert das Familiengeld vor allem den Zugang zu Schulbildung, welche die beste Waffe gegen die Armut darstellt, in Brasilien oder in jedem beliebigem Land der Welt.“

In den nächsten Wochen, so ein schweizerischer Regierungssprechers, wird das Modell “Bolsa Familia“ in einer kleinen Region des Landes getestet. Allerdings in der neuen Version 2.0 mit Zuwendungen im Wert von umgerechnet 6000 Reais. In den USA war New York die erste Stadt, die das Programm adoptiert hat, das heute mit Hilfe von brasilianischen Beratern ca. 3000 Familien erreicht.

Für die italienische Forscherin Francesca Bastaglia von der London School of Economics wurde das Programm regelrecht so zugeschnitten, dass es die Selbständigkeit der davon Profitierenden zulässt. „Das Familiengeld hat eine Struktur die dem Assistenzialismus (dem Abhängig-Machen) entgegensteht“, fügt Francesca hinzu, die Projekte verschiedener Länder studiert, um die Verschiebung von Einkommen hin zu den Armen zu ermöglichen.
In Brasilien kann man die “Bolsa Família” lieben oder hassen. In den 10 Jahren, in denen das Programm funktioniert, blieb wenig Raum für einen Mittelweg der Gegner. Beschwerden über stellenweise Unregelmässigkeiten erscheinen oft in den Medien, aber eines ist sicher: es hat das Gesicht Brasiliens verändert, in dem es Millionen von Familien erreicht.

„Das Familiengeld macht die arme Bevölkerung faul“, hat die nationale Bischofskonferenz der katholischen Kirche in Brasilien einmal festgestellt. Für diese Einrichtung sei das Programm „nur eine persönliche und familiäre Hilfe. Es stimmt, dass im Norden und Nordosten 11 Mio. Familien diese Unterstützung bekommen, aber dies brachte sie zur Bequemlichkeit, zu einer Übersättigung“.

Unveröffentlichte Studie

Aber für die Regierung ist es wirklich ihr Lieblingskind. In einer unveröffentlichten Studie, die am 15.10.13 aus Anlass des 10.Jahrestages des Programms herausgegeben wurde, enthüllte das IPEA (Institut für angewandte ökonomische Studien), das die Initiative, die in der Regierung Lula eingeführt wurde, die extreme Armut in den letzten 10 Jahren um 28% reduziert und so das von der UNO gesteckte Ziel um 70% übertroffen hat.

Momentan betreut „Bolsa Família“ ca. 13,8 Mio. Familien – beinahe 80 Mio. Menschen. Fast die Bevölkerung Deutschlands sozusagen, nur nebenbei. Für die Ministerin Tereza Campello bringt das Programm vor allem Verbesserungen in der Reduzierung der Armut und der Ungleichheit. „Wir haben Daten, handfeste Statistiken, die den Nutzen beweisen, den das Familiengeld für die Familien gebracht hat, in dem es die Armut erleichtert, die Kinder in die Schule bringt (statt arbeiten zu müssen, um zum Familieneinkommen beizutragen !), die Entwicklung in der Schule verbessert und die Kindersterblichkeit senkt“, bestätigt die Ministerin.

Nach Marcelo Neri, dem Präsidenten der IPEA, werden von je 2%, die für das Familiengeld verwendet werden, 12,5% in Profit für die Bevölkerung verwandelt. Anders gesagt, hilft das Programm nicht nur, die Armut zu vermindern, sondern es stimuliert ebenfalls die Wirtschaft vom Konsum der ärmsten Bevölkerung ausgehend. „Das Familiengeld hat einen multiplizierenden Effekt in der Wirtschaft, jeder Real, den Sie in das Regierungsprogramm investieren, bringt in der Wirtschaft weitere 2,40 Reais in Umlauf. Es hat Auswirkungen auf die Armut, mit einer direkten Wirkung von 36%, d.h. die Armut sinkt von 4,9% auf 3,6% mit dem Familiengeld ohne die multiplizierenden Effekte mit einzubeziehen“, bestätigt er.

Die Daten der Auswirkungen des Programms zeigen auch, dass das Einkommen der Ärmsten viermal schneller gewachsen ist als das Einkommen der Reichsten. Die Investition in das Familiengeld durch die Regierung Brasiliens im Jahr 2013 bestand aus 24 Milliarden Reais, was 0,46% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) darstellt. „Dieses Regierungsprogramm verwendet nur 0,5 % des BIP und trotzdem erreicht es viel gegen die Armut und die Ungleichheit. Es erreicht viel, obwohl nur relativ wenig investiert wird“, sagte Neri.

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AutorIn: Ursula Barros Penharvel · Bildquelle: Programm Bolsa Familia

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