Exklusiv-Interview mit interkulturellen Indio-Sprecher Marcos Terena zum Tag des Indio

“Wer weiß, eines Tages werden wir, die Indigenen, einen “Tag des Weißen“ erfinden“, sagt Marcos Terena verschmitzt in einem Exklusiv-Interview für das BrasilienPortal zum “Tag der Indios“, der am 19. April begangen wird. In Brasilien ist er 1943 eingeführt worden.

Marcos Terena, einer der Organisatoren der 1. Jogos Mundiais dos Povos Indígenas - Foto: Marcelo Camargo/Agência Brasil)
Marcos Terena, einer der Organisatoren der ersten indigenen Weltspiele – Foto: Marcelo Camargo/Agência Brasil

Seitdem gibt es an diesem Tag von verschiedenster Seite Ansprachen und Aktionen, wie das indigene Fest im Aldeia Ekeruá, bei dem neben kulturellen Darbietungen der Ureinwohner Brasiliens auch Diskussionen und Vorträge auf dem Programm stehen, oder der indigenen Kulturwoche in Rio de Janeiro, die mit einem Markt und einem Filmfestival aufwartet, bei dem Filme von und über Indio-Kulturen zu sehen sind.

Marcos Terena ist eine der Stimmen der indigenen Völker Brasiliens, der sich im In- und Ausland für die Rechte und Kulturen der Urvölker einsetzt. Er ist Pilot, Schriftsteller, Kommunikator, Mitglied der Länder und Kultur übergreifenden Universität Cátedra Indígena Intercultural und war eine der treibenden Kräfte für die Realisierung der ersten indigenen Weltspiele, die Ende 2015 im brasilianischen Palmas mit Teilnehmern von dutzenden Völkern aus 24 Ländern der ganzen Welt erfolgreich stattgefunden haben. Wir wollten von ihm wissen, wie die Indios selbst zum Tag der Indios stehen.

Welche Aktionen sind für den “Tag der Indios“ geplant?
Marcos Terena: Ich glaube, dass viele Gemeinschaften und indigene Völker lernen, ihre eigenen Formen zu entwickeln, mit denen sie sich zum Tag des Indio ausdrücken werden. Früher hat die Funai (Anm.: die Funai ist die staatliche Indiobehörde Brasiliens) dies für die Indios getan, Grillfeste gegeben, die Nationalhymne Brasiliens in den Schulen singen lassen usw.

Aber jetzt gibt es eine Vielfalt von Veranstaltungen in Form von Festen und auch Protesten. Ich glaube, dass es gut war, für dieses Jahr keinen allgemeinen Großevent zu organisieren. Auf diese Weise haben die indigenen Anführer Aktivitäten vorbereitet wie Treffen, traditionelle Spiele, antropologisch-indigene Seminare. Dennoch ist es wichtig, dass wir auch die instutionellen Einrichtungen einbinden wie den Nationalkongress mit den Senatoren und Abgeordneten.

Wird es Tänze oder Proteste geben?
Marcos Terena: Es wird viele Tänze und Protese geben. Auch in Momenten der Feierlichkeiten oder bei Gesängen und Tänzen müssen wir über unsere Probleme und unsere Träume sprechen.

Wie sehen die Indios den “Tag der Indios“?
Marcos Terena: Der “Tag des Indio“ ist eine Schöpfung, eine Erfindung der Koloniesatoren. In den Dörfern und Gemeinschaften, wie ein brasilianischies Lied der Música Popular Brasileira sagt, ist jeder Tag, Tag des Indio. Die indigenen Feste sind sehr unterschiedlich. Es gibt das Fest der Manhiokwurzel, des Mondes, des Ara, des Wassers, des Fisches usw.

Alles ist mit dem Leben der Natur und der Gemeinschaft verbunden. Aber wenn wir sehen, dass Poeten, Künstler und Aktivisten diesen Tag aufnehmen wollen und ihn als Referenz zu unseren Leben nehmen, dann wollen auch wir mit ihnen diese Begebenheit teilen. Wer weiß, eines Tages werden wir, die Indigenen, einen “Tag des Weißen“ erfinden…

Was hat sich verändert, seit das Datum 1943 eingerichtet wurde?
Marcos Terena: Viele, auch Indigene, sagen, dass wir nichts zum Feiern haben. Das stimmt, aber wenn wir nicht aus unseren Dörfern hinaus gegangen wären um beispielsweise in Brasília für unsere Rechte einzustehen, wäre unser Land wohl kaum demarkiert worden oder hätten wir keine zweisprachlichen Schulen, Indios, die in Universitäten studieren und andere Fortschritte. Das war keineswegs eine Spende des kolonialistischen Systems.

Indio Protesttanz in Brasilia - Foto: Agencia Brasil
Indio Protesttanz in Brasilia – Foto: Agencia Brasil

Wir haben dafür gekämpft, dass dies eines Tages Wirklichkeit wird. In der Vergangenheit sind wir stark diskriminiert, an den Entscheidungsprozessen nicht beteiligt worden. Ist das heute anders? Nein, es ist immer noch so. Wir müssen davon absehen, nur zu protestieren, und sollten lernen Verhandlungsrunden mit dem System zu erreichen. Die Deklaration der UNO spricht von einer “Freien Bestimmung“ und das ist eine ernste Sache, die viel im Leben des Indio und des Indios in der Gesellschaft ändern könnte.

Was muss sich noch ändern?
Marcos Terena: Wir haben zum Beispiel nie einen Indio als Präsident der Funai gehabt. Warum nicht? Es gab schon schwarze Minister und von der landlosen Bewegung (MST) und sogar eine Präsidentin der Republik. Aber wenn wir an der Reihe sind, heißt es vom System, dass es noch zu früh dafür sei und deshalb ziehen sie es vor, einen “Spezialist“ zu benennen.

Ich glaube aber, dass wir in zwei oder drei Jahren einen indigenen Prozess entwickeln können, um die Entscheidungsprozesse zu beeinflussen, wie zur Einrichtung einer Indigenen Universität. Um dies zu erreichen müssen wir Indigene aber selbst eine Meinung dazu gebildet haben.

Wenn Sie sich heute an alle Brasilianer richten könnten, was würden Sie sagen?
Marcos Terena: Brasilien hat über 200 Millionen Einwohner, aber niemand darf vergessen, wer zuerst hier war. Das waren unsere Vorfahren, die mehr als tausend Sprachen gesprochen haben. Wir wurden für das Vertrauen in falsche Versprechungen verraten und haben das in der Vergangenheit nicht bemerkt. Aber es gibt eine Zukunft, die ohne die Kenntnisse, das indigene Wissen über nachhaltige Entwicklung, über die Gleichheit der Rassen und über die menschlichen Beziehungen nicht existiert.

Die arabische Welt und Europa erleben gerade eine soziale Krise, die ohne Ausweg erscheint. Wie geht es weiter? Wir indigenen Völker gehen auf den Spuren unserer Vorfahren auf die Zukunft zu. Die Vielfalt darf kein Grund für eine Trennung und Rassismus sein. Das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Völkern und des Menschen mit der Natur ist für uns eine magische Formel unseres Großen Schöpfers. Wir sagen und wiederholen es immer wieder, aber wer wird uns mit dem Herzen hören?

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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