Nach der Suspendierung Dilma Rousseffs verspricht Interimspräsident Michel Temer in seiner ersten Ansprache Reformen und sagt “Lasst uns nicht von der Krise sprechen, lasst uns arbeiten“. Angekündigt hat er unter anderem Privatisierungen, eine Liberalisierung des Arbeitsmarktes, eine Reform der Rentenpolitik, Sparmaßnahmen und eine Entbürokratisierung.
Auch wenn kurz vor der ersten offiziellen Ansprache Temers vor dem Kongressgebäude Feuerwerke abgebrannt wurden, hält sich das Gefühl, dass es jetzt aufwärts gehen wird, in Grenzen. Das Vertrauen in die Politiker ist gering. Schon vorab zeigten Umfragen, dass die Mehrheit der Bevölkerung auch gegen eine Temer-Regierung ist. In Blitzumfragen am Donnerstag wurde bestätigt, dass nur eine Minderheit an Verbesserungen durch die neue Regierung glauben.
Mehrfach hat Temer in seiner Rede das eingefordert, was Rousseff nicht nur von der Opposition, sondern ebenso von einigen ihrer Koalitionspartnern verweigert wurde, allen voran der Partei Temers, der PMDB: gemeinsam an einem Strick zu ziehen. Notwendig sei eine Union zwischen allen Kräften und dem Volk betonte Temer.
Festhalten will er an bisher “erfolgreichen“ sozialen Programmen, wie er betonte. Sie sollen allerdings angepasst werden, ohne dass die Bedürftigen ihre Rechte verlieren würden. Nicht unerwähnt ließ er ebenso die Ermittlungen “Lava Jato“, in deren Mittelpunkt der Korruptionsskandal um den halbstaatlichen Ölkonzern Petrobras stehen. Sie sollen uneingeschränkt weiter geführt werden.
Betroffen von den Ermittlungen ist allerdings auch Temer, der von Kronzeugen mehrfach genannt worden ist. Gleiches gilt für einige der Minister, die kurz vor der Ansprache in einer Zeremonie mit Feststimmung ihre Benennungen unterzeichnet haben.
Dass Temer sparen will, hat er nach eigenen Aussagen mit der Kürzung der Zahl der Ministerien von 32 auf 23 unterstrichen. Erarbeitet werden soll zudem eine Studie, um den immensen Staatsapperat des Landes zu schrumpfen und vor allem die Zahl der “cargos comissionados“, die von den Politikern vergebenen Posten, zu senken.
Von Temer dürften die für Brasilien so dringend benötigten Reformen und Erneuerungen nicht zu erwarten sein. Seine ausschliesslich männlichen Mitstreiter sind alte Bekannte, unter anderem ein mehr als umstrittener Agrarunternehmer und religiöse Hardliner. Reformen und Erneuerungen sehen anders aus, das klingt mehr als ein weiterer Rückschritt.
Die Bevölkerung ist weiterhin zweigeteilt. Schon am Donnerstagnachmittag sind wieder Menschen auf die Straßen gegangen. Vor dem Palácio do Planalto in Brasília hatte sich eine Gruppe von Frauen an den Zaun gekettet, um gegen eine Amtsenthebung Rousseffs zu demonstrieren. Diese ist beim Verlassen des Regierungsgebäudes von etwa 4.000 Frauen und Männern und Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva empfangen worden.
In einer kurzen Rede machte sie aus ihrer Enttäsuchung keinen Hehl. Was schmerze, sei die Ungerechtigkeit. Sie habe sich nichts zu Schulden kommen lassen, keine Konten in Steuerparadiesen und keine Schmiergelder erhalten, konstatierte sie in einem Seitenhieb auf ihren Erzrivalen und den ebenso suspendierten Präsidenten der Abgeordnetenkammer Eduardo Cunha. Rousseff zeigte sich jedoch auch kämpferisch. Kämpfen wolle sie bis zum Schluß.
Zu Protesten ist es auch in anderen Städten gekommen. In São Paulo sind nach Angaben der Organisatoren etwa 30.000 Menschen gegen ein Impeachment auf die Straßen gegangen. Von der Polizei wurden sie dabei daran gehindert, sich dem Gebäude des Industrieverbandes zu nähern, vor dem eine Gruppe von Impeachment-Befürwortern protestierte.
Mit Demonstrationen ist wohl auch in den nächsten Wochen und Monaten zu rechnen. Vor allem soziale Bewegungen und Verbände haben diese angesichts der nun neo-liberalen Regierung angekündigt. Die von Temer in seiner Ansprache so viel beschworene “Befriedung“ des Landes dürfte neben der Ankurbelung der darnieder liegenden Wirtschaft eine der schwierigsten Aufgaben werden, dies auch, da ein Impeachment angesichts der schwachen Argumente von Vielen als “golpe“, als Staatsstreich angesehen wird.
In einigen südamerikanischen Ländern wird die Suspendierung Rousseffs ebenso mit Sorge betrachtet. Der Generalsekretär der Union der Nationen Südamerikas (Unasul), Ernesto Samper, spricht von einem für die Demokratie “gefährlichen Weg“. Eine Amtsenthebung könnte nach seinen Worten zum Ausschluß Brasiliens vom Wirtschaftsblock führen. Er fordert, dass in der neuen Phase des Amtsenthebungsverfahrens die Verteidigung Rousseffs einen ausreichenderen Raum einnehmen sollte als bisher.