Ein Jahr nach Flugzeugabsturz von Fußballmannschaft kämpfen Familien um Entschädigung

Unglücksstelle Flugzeugabsturz – Foto: Sirli Freitas / Chapecoense
In der Nacht vom 28. zum 29. November 2016 ist in der Nähe des kolumbianischen Medellin ein Flugzeug mit der brasilianischen Erstliga-Fußballmannschaft Chapecoense abgestürzt. 71 Menschen sind gestorben, sechs haben überlebt. Ein Jahr nach der Tragödie warten die betroffenen Familien noch immer auf Entschädigungszahlungen. Noch offen ist auch die Frage, wer für die Katastrophe verantwortlich ist.

2016 war das Glanzjahr des jungen Clubs ”Associação Chapecoense de Futebol” der südbrasilianischen Stadt Chapecó. Er hatte argentinische Giganten besiegt und sollte in Medellin im Finale des Südamerika-Cup gegen Atético Nacional antreten. Die Erwartungen waren groß, den ersten internationalen Titel zu erringen.

Weil der Club von der Luftfahrtbehörde Anac keine Erlaubnis für einen Direktflug bekommen hatte, flog die Delegation zunächst nach Santa Cruz de La Sierra in Bolivien. Dort wurde für 130.000 Dollar die Unglücksmaschine der bolivianischen LaMia gechartert.

Mit einer Kapazität für 3.000 Kilometer hätte die AVRO RJ45 eigentlich einen Zwischenstopp zum Nachtanken einlegen müssen, um das 2.985 Kilometer entfernte Medellin zu erreichen. Das war auch der Flugkontrolleurin aufgefallen. Durchgesetzt wurde dennoch der vom Piloten vorgelegte Flugplan ohne Zwischenlandung.

Kurz vor dem Flughafen in Medellin ging der Treibstoff aus. In den Funkaufzeichnungen mit dem Tower spricht der Pilot indes von Prolemen mit der Elektronik, wohl um ein späteres Bußgeldverfahren zu vermeiden, und kündigt eine Notlandung an. Zu der kam es nicht mehr. Die Maschine ist etwa 38 Kilometer vom Ziel entfernt am Berg El Gordo abgestürzt.

19 Spieler des Fußballklubs Chapecoense, 14 Mitglieder der technischen Kommission des Clubs, neun Direktoriatsmitglieder des Clubs, 20 Journalisten und neun Besatzungsmitglieder kamen ums Leben. Sechs Menschen haben die Tragödie überlebt: Torwart Jackson Follmann, Stürmer Neto, Seitenspieler Alan Ruschel, Radiojournalist Rafael Henzel sowie die Besatzungsmitglieder Erwin Tumiri und Ximena Suárez.

Ein Jahr nach der Katastrophe steht Alan Ruschel für Chapecoense bereits wieder auf dem Spielfeld und trainiert Neto für sein bevorstehendes Comeback. Torwart Follmann musste ein Bein amputiert werden. Er hat eine Karriere als Kommentator bei einem Sportsender begonnen und will weiter Sport betreiben.

Dass er auch mit einer Prothese das Tor hüten kann, hat er in einem Training bereits bewiesen. Henzel war nur wenige Monate nach dem Flugzeugabsturz wieder als Radiojournalist tätig. Auch die beiden bolivianischen Besatzungsmitglieder gehen wieder einer Arbeit nach.

Chapecoense konnte mit Spielerausleihen und der Unterstützung durch andere Clubs weiter bestehen. Seinen Verbleib in der ersten Liga hat er erst unlängst besiegelt.

Für viele der hinterbliebenen Familien hat das Leid aber noch lange kein Ende. Während die Angehörigen verstorbenen Fußballspieler vom Club Zahlungen erhalten haben, standen andere Familien plötzlich ohne Hauptversorgung da und waren auf die Unterstützung von Freunden, Verwandten und Gönnern angewiesen.

Erst im März hat Chapecoense 40.200 Reais (umgerechnet derzeit etwa 10.600 Euro) jeder der betroffenen Ehefrauen, Kindern und Angehörigen zukommen lassen. Der Betrag stammte von Spenden und dem Erlös eines Freundschaftsspiels.

Weil es an Unterstützung von offizieller Seite fehlt, haben Angehörige der Verunglückten zwei Vereinigungen gegründet. Die Vereinigung der Opfer des Unfalls unterstützt die Hinterbliebenen vor allem finanziell. Vom Club erhält diese mittlerweile monatlich 28.800 Reais (etwa 7.600 Euro).

Die Vereinigung der Familien und Freunde der Opfer setzt sich hingegen rechtlich ein, um Entschädigungszahlungen durchzusetzen. Die Verhandlungen dazu sind allerdings zäh. Die Versicherungsgesellschaft der LaMia weigert sich die auf 20,8 Millionen Euro geschätzte Police zu zahlen, weil der Absturz durch Treibstoffmangel und somit durch menschliches Versagen verursacht wurde.

Unlängst hat sie dennoch eine Zahlung angeboten, allerdings von lediglich 168.000 Euro für jede der Familien. Von den Hinterbiebenen wurde das Angebot abgelehnt.

Der Club selbst wurde von der brasilianischen Justiz von der Schuld am Unfall freigesprochen. Mit Schadensersatzforderungen muss er dennoch rechnen. Sechs Witwen verunglückter Spieler klagen zudem gegen Chapecoense.

Sie fordern einen Anteil an den Bildrechten und die Zahlung einer Pension. Insgesamt sieht sich der Club 17 Arbeitsklagen und drei zivilrechtlichen Klagen gegenüber. Vorgeworfen wird ihm ebenso, die Tragödie auszunutzen, weil er über Filmrechte und Dokumentarfilme verhandeln soll.

Viele der Hinterbliebenen drängt aber auch die Frage nach der zur Rechenschaftziehung der Verantwortlichen. Auch das wird wohl so schnell nicht gelöst werden. Nicht einmal einen abschließenden Bericht über die Unglücksursache gibt es bisher. In einem Zwischenbericht wurde als Unglücksursache Treibstoffmangel lediglich „vermutet“ und ebenso ein erhöhtes Ladegewicht.

Noch nicht festgelegt haben sich auch die Behörden und Gerichte der drei Länder (Bolivien, Kolumbien und Brasilien) bei der Frage nach den Verantwortlichen. Angeklagt wurde bisher der Partner des Unglückspiloten. Beide gelten als mutmaßliche Inhaber der Fluggesellschaft. Der Aufenthaltsort des Angeklagten ist allerdings unbekannt.

Angeklagt sind ebenso der Direktor des Unternehmens und sein Sohn. Sie befinden sich in Haushaft, streiten aber eine Partnerschaft mit der LaMia ab. Zwei Flughafenmitarbeitern wird zudem vorgeworfen, den irregulären Flugplan genehmigt zu haben. Eine von ihnen ist nach erhaltenen Morddrohungen nach Brasilien geflüchtet.

Zu den drei beteiligten Ländern kommt inzwischen möglicherweise ein viertes hinzu. Neueste Ermittlungen und Gesprächsmitschnitte legen die Vermutung nahe, dass die Tochter eines venezuelanischen Ex-Senators Inhaberin der Fluggesellschaft ist und ihr Vater Inhaber des Unglücksflugzeuges.

Während die Gerichte weiter mit der Suche nach den Hauptverantwortlichen beschäftigt sind, wird Chapecoense am Mittwoch (29.) die Pforten der Arena Condá öffnen, um den Hinterbliebenen, Freunden und Fans einen Ort für ein Gedenken an die Opfer und Gebete zu bieten.

Aus Solidarität wird auch in Kolumbien den Absturzopfern gedacht werden. Dort hat der Fußballklub Atlético Nacional für Dienstag (28.) zu einer Gedenkfeier eingeladen. Atlético Nacional hatte auch kurz nach der Tragödie den Antrag gestellt, Chapecoense den Titel des Südamerika-Cup zu verleihen, was auch geschehen ist. .

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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