Amazoniengipfel zur Rettung des Regenwaldes und zu einer Bio-Ökonomie zwischen Kritik und Lob

Zwei Tage lang haben in der brasilianischen Stadt Belém die Vertreter der Länder Amazoniens beim Amazonien-Gipfel über gemeinsame Ziele zum Schutz des Amazonas-Regenwaldes, der dort lebenden Völker und einer wirtschaftlichen Entwicklung diskutiert. Am Ende haben die acht Länder Amazoniens eine Deklaration mit 113 Zielen und Grundsätzen unterschrieben. Genannt wurde das Dokument „Declaração de Belém”.

Präsidenten der acht Amazonas-Ländern – Foto: Ricardo Stuckert AgenciaBrasil

Bei vielen Umwelt- und Klimaschutzorganisationen, Wissenschaftlern und Vertretern der Zivilgesellschaft stößt die Abschlußerklärung auf Kritik. Andere sprechen von einem ersten wichtigen Schritt auf dem Weg zu einer nachhaltigen Entwicklung der Region und dem Schutz des Regenwaldes.

Kritische Stimmen

Etliche Spezialisten sind vom Abschlußdokument des Gipfels wenig begeistert. Sie kritisieren vor allem, dass in wichtigen Bereichen Aussagen zu konkreten Maßnahmen fehlen. Umwelt- und Klimaexperte Márcio Astrini vom Klimaobservatorium sieht in dem Abkommen „eine Liste mit Versprechen“ und Wünschen ohne wirkliche Antworten. Fehlende Aussagen zu tatsächlichen Aktionen bemängelt ebenso Alicia Guzman, die das Programm Amazonien der Organisation Stand.earth koordniniert.

Gründer des Magazins Revista Amazônia Latitude, Marcos Colón, kritisiert das Fehlen von Kompromissen im Bezug auf die indigenen Völker Amazoniens. Die wurden nur am Rande gehört. Bei den Entscheidungen blieben sie hingegen gänzlich außen vor. Gleiches gilt für die traditionellen Gemeinschaften, wie den Quilombolos. Quilombolos sind Dorfgemeinschaften, die einst von entflohenen versklavten Menschen gegründet wurden.

Fehlende Amazonienpolitik als Hindernis

Spezialisten sehen ein Hindernis für eine gemeinsame Politik der Region in der Tatsache, dass in den beteiligten Ländern selbst eine klare Politik für Amazonien fehlt, wie Diplomat Rubens Ricupero es ausdrückt. Immerhin sei mit dem Gipfel aber ein erster Schritt gemacht worden, so Ricupero.

Regenwaldschutz und wirtschaftliche Entwicklung

Bei der Cúpula da Amazônia ging es nicht nur um den Regenwaldschutz. Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva machte vielmehr klar, dass ein Regenwaldschutz unabdingbar mit einer wirtschaftlichen Entwicklung einhergeht, die den dort lebenden Menschen ein Auskommen und soziale Gerechtigkeit gewährt. Schließlich leben etwa 50.000 Millionen Menschen in der Region. Deutlich wurde bei dem Gipfel, dass dies mit einer nachhaltigen Wirtschaft geschehen soll, von der sowohl Wald als auch Mensch profitiert.

Amazonienblock

Gestärkt wurde mit dem Gipfel ebenso eine Art Amazonienblock, der international mehr Gewicht erreichen will. Angeregt wurden auch weitere Diskussionen. Die sind notwendig. Eine nachhaltige Wirtschaft zu fordern alleine reicht nicht. Debattiert werden muss gleichzeitig auch über Infrastrukturen, um Produkte, Waren und Dienstleistungen verkaufen zu können. Ausgerechnet die könnten aber zur Achillessehne werden. Studien zeigen, dass beispielsweise der Bau, der Ausbau oder die Asphaltierung von Straßen nicht nur einen Warenfluß ermöglicht, sondern gleichzeitig die Kahlschläge und illegale Besitznahme von Land anheizt.

Öl-Ausbeute wird ignoriert

Eine Aussage zur Ausbeute von Erdöl im Gebiet Amazoniens oder nahe der Mündung des Amazonasflusses gibt es in dem gemeinsamen Dokument nicht. Einzig Kolumbiens Präsident Gustavo Preto forderte, neue Ölbohrungen auszusetzen, stieß aber nicht auf Gehör.

Verstanden wurden Pretos Aussagen auch als Anspielung auf Brasiliens Präsident Luiz Inácio da Silva. Der ist in Sachen Umweltschutz ambivalent. Während er einerseits einen Schutz der Wälder verspricht und seine Regierung tatsächlich auch mehr Finanzmittel dazu bereitgestellt hat, als dies in den vergangenen Jahren der Fall war, steht er gleichzeitig der umstrittenen Ölausbeute nahe der Amazonasmündung und des dort sich erstreckenden einzigartigen Riffes trotz aller Klima- und Umweltprobleme positiv gegenüber.

Keine konkreten Aktionen zum Aus der Kahlschläge

Keine konkreten Aussagen gibt es dazu, bis wann die Länder zumindest die illegalen Abholzungen des Regenwaldes austilgen wollen oder wie sie dies erreichen wollen. Einig waren sich die Landesvertreter lediglich, dass sie gegen illegale Kahlschläge vorgehen wollen. Auf die Festlegung von gemeinsamen Zielen oder Fristen haben sie indes verzichtet.

Amazonas Abholzung – Foto: Alberto Cesar Araujo/Amazonia Real

Anerkannt wurde indessen die Dringlichkeit, sich gemeinsam für den Schutz und den Erhalt des Amazonas-Regenwaldes einzusetzen. Vermeiden wollen die Länder, dass der Punkt des „no returns“ erreicht wird. Der tritt ein, wenn sich der Regenwald nicht mehr selbst erholen kann und sich nach und nach in eine Waldsteppe verwandelt. Laut etlichen Wissenschaftlern steht der Amazonas-Regenwald aufgrund der Abholzungen schon kurz vor diesem Punkt. Erschwerend hinzu kommt der Klimawandel, der ebenso die Regenwälder beeinträchtigt.

IPCC des Regenwaldes

Vorgeschlagen wurde die Gründung eines Painel Técnico-Científico Intergovernamental da Amazônia. Das soll ähnlich wie das Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) der Vereinten Nationen länderübergreifend arbeiten und ein gemeinsames Monitoring der Region zum Schutz des Regenwaldes ermöglichen. Als Basis sollen dabei wissenschaftliche Erkenntnisse dienen. Vorgesehen ist darüber hinaus die Einbindung von indigenen und traditionellen Gemeinschaften.

Frankreichs Präsident enttäuscht Südamerikaner

Enttäschung gibt es auch über Frankreichs Präsidenten Emmanuel Macron. Mit Französisch-Guayana gehört Frankreich eigentlich zu den Ländern Amazoniens. So wurde Macron auch offiziell zum Gipfel eingeladen. Erschienen ist er nicht. Auch wurde keine offizielle Delegation Französisch-Guayanas nach Belém entsendet.

Stattdessen hat Macron über Twitter Brasiliens Präsidenten für die Ausrichtung des Gipfels gedankt und auf die Bedeutung der Wälder in Sachen Klimaschutz verwiesen. Verteidigt hat er ebenso Umweltauflagen für den Handel zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsverband Mercosur. In den Augen der Südamerikaner und allen voran Brasiliens Präsidenten blockieren diese Allerdings das Abkommen zwischen den beiden Wirtschaftsverbänden.

Trotz allem positiv

Brasiliens Umweltministerin Marina Silva stuft den Gipfel trotz aller Kritiken als Erfolg ein. Beim Gipfel vor 14 Jahren sei der Umweltbereich Nebensache gewesen, jetzt indes Hauptthema. Auch ziehe sich die Nachhaltigkeit durch alle Bereiche. Sie soll zudem künftig Grundlage für die wirtschaftliche Entwicklung und die Verbesserung der Lebensbedingungen der dort lebenden Menschen sein.

Mit Zivilgesellschaft im Dialog

Als positiv betrachtet Marina Silva auch die Betiligung der Zivilgesellschaft. Organisationen und Vertreter der Zivilgesellschaft haben eine eigene Erklärung zum Gipfel erarbeitet und herausgegeben. Die ist zwar nicht in das offizielle Abkommen der Regierungen eingeflossen. Marina Silva geht aber davon aus, dass eine Beteiligung der Zivilgesellschaft bei künftigen Amazonien-Gipfeln garantiert ist. Sie verweist dabei auf einen Vorschlag von Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva, für einen Dialog mit der Zivilgesellschaft unabhängige Foren zu bilden.

Indigene Völker

Vereinbart haben die Ländervertreter ebenso, die aktive Beteiligung der indigenen Völker der Region sowie der traditionellen Gemeinschaften, zu denen unter anderem die Flussanlieger gehören. Sie, ihr Wissen und ihre Traditionen sollen respektiert werden. Insgesamt werden die indigenen Völker im Abschlußdokument 64-mal erwähnt. Allerdings gibt es keine Ausführungen dazu, wie die Völker des Waldes geschützt werden sollen oder welche Investitionen vorgesehen sind. Vermieden wurden ebenso konkrete Aussagen über die Ausweisung von Indio-Territorien. Die sind laut diverser Studien jedoch diejenigen Gebiete, die am wenigsten von Kahlschlägen betroffen sind und einen effektiven Schutz des Regenwaldes bieten.

Geld für den Klimaschutz

Während Europas Länder längst eine gute wirtschaftliche und soziale Entwicklung erreicht haben, sind die Länder Amazoniens noch auf dem Weg dahin. Das Argument, wer mit Industrie, Energie und Verkehr mehr klimaschädliche Gase ausstößt, soll im Gegenzug für den Erhalt der Wälder in anderen Ländern zahlen, ist immer wieder zu hören. Auch Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva forderte beim Gipfel mehrmals, dass reichere Länder zum Schutz des Regenwaldes eine nachhaltige Entwicklung der Region Amazoniens finanzieren sollten.

Protest der Indigenen – Foto: Cícero Pedrosa Neto/Amazonia Real

In das Abschlußdokument eingeflossen ist letztlich die Forderung an die sogenannten Erste-Welt-Länder, ihren Kompromis zum Klimaschutz einzuhalten. Der beinhaltet das Ziel jährlich für 100 Milliarden US-Dollar aufzukommen, um Entwicklungsländer zu unterstützen und dort Maßnahmen zum Klimaschutz zu finanzieren. Allerdings waren sich die Amazonien-Länder auch einig, dass dies nicht zum „Grünen Kolonialismus“ werden darf. Gewünscht sind langfristige Finanzierungszusagen, die nicht an Bedingungen geknüpft sind, wie Präsident Luiz Inácio Lula da Silva betonte.

Grüne Wirtschaft

Fördern wollen Amazoniens Länder die Grüne Wirtschaft. Geschaffen werden sollen dazu unter anderem finanzielle Mechanismen. Bereits gegründet wurde die „Coalizão Verde”, eine Allianz verschiedener Banken aus den Länder der Region Amazoniens. Über die „Coalizão Verde” sollen unter anderem Finanzmittel für nachhaltige Wirtschaftsweisen, nachhaltige Unternehmen und andere sogenannte grüne Produktionsaktivitäten bereitgestellt werden, um die Bioökonomie anzukurbeln. Dazu gehört beispielsweise auch die Kreditvergabe für Kohlenstoffprojekte zum Schutz des Regenwaldes.

Gemeinsam gegen Kriminalität

Das organisierte Verbrechen, sei es im Bereich des Drogenhandels oder der Umweltzerstörung, wollen die Länder durch eine Kooperation bekämpfen. Beabsichtigt ist eine Zusammenarbeit der Ermittlungseinrichtungen und der Justiz der verschiedenen Länder. Erwähnt wird auch die Einrichtung eines integrierten Systems zur Kontrolle des Luftraumes, um den illegalen Flugverkehr, Drogenhandel und andere Vergehen zu bekämpfen sowie die Gründung eines polizeilichen Kooperationszentrums mit Sitz in Manaus.

Warum wurde der Amazonien-Gipfel abgehalten?

Der Gipfel der Länder Amazoniens ist keineswegs eine neue Erfindung. Vielmehr haben die Länder bereits 1978 die Organização do Tratado de Cooperação Amazônica, kurz OTCA (übersetzt etwa Organisation des Amazonien-Kooperationsvertrages), gegründet.

Bei dem Kooperationsvertrag ging es ursprünglich vor allem um die Zusammenarbeit der betroffenen Länder zur wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung der Region.

Offiziell getroffen, um einen Gipfel abzuhalten, haben sich die Länder in den 45 Jahren seit der OTCA-Gründung erst viermal, das heißt, der vierte Gipfel hat vom 8. bis zum 9. August 2023 stattgefunden, 14 Jahre nach dem dritten Gipfel.

Die Cúpula de Belém, wie der jüngste in Brasilien stattgefundene Gipfel genannt wurde, geht auf das Drängen von Brasiliens Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva zurück. Der hat bei seinen Ansprachen beim Gipfel immer wieder auf die Wichtigkeit einer wirtschaftlich nachhaltigen, sozial gerechten und ökologisch tragfähigen Entwicklung verwiesen. Darüber hinaus wollte er mit dem Gipfel ein gemeinsames Auftreten der Amazonien-Ländern auf internationaler Ebene stärken.

Wissenswertes über den Amazonien-Gipfel – Cúpula da Amazônia

Von den neun Ländern, über die sich Amazonien erstreckt waren Präsidente und Vertreter aus 8 Ländern beim Gipfel anwesend: Brasilien, Bolivien, Kolombien, Guyana, Peru, Suriname, Venezuele, Ecuador. Französisch Guayana war nicht vertreten.

Anwesend waren ebenso Vertreter der Republik Kongo, der Demokratischen Republik Kongo und Indonesien, in deren Länder es ebenso große Tropenwaldreserven gibt. Darüber hinaus waren Vertreter aus Norwegen und Deutschland zugegen. Die beiden Länder sind bisher die Haupteinzahler des Amazonien-Fonds

Teilgenommen haben am Gipfel insgesamt 27.000 Personen. Sie haben in 400 autonomen Gruppen diskutiert.

Sechs übergreifende Gruppen haben deren Diskussionen zusammengefasst und Berichte dazu erarbeitet.

Stattgefunden hat der Gipfel in der brasilianischen Stadt Belém, in der 2025 auch die UN-Umweltkonferenz COP 30 ausgetragen wird. Belém liegt im Bundesstaat Pará, der bei den illegalen Kahlschlägen seit Jahren zu den Spitzenreitern gehört.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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