Das Schicksal der letzten Piripkura…

…es liegt in den Händen einer vom “Bolsonarismus“ behinderten FUNAI – die Verordnung, welche die Nutzung ihres Territoriums garantiert, läuft am 18. September aus.

Rita Piripkura – Screenshot Video

Der Morgen war noch nicht angebrochen, als Rita Piripkura und ihre Verwandten bemerkten, dass sich Fremde in der Nähe ihres Territoriums, im Amazonasgebiet von Mato Grosso, aufhielten. Ihr Vater hielt die Eindringlinge zunächst für Affen, aber ihre Großmutter hatte bereits verstanden, was da vor sich ging. Weiße Männer waren im Wald, und sie waren im Begriff, anzugreifen. Rita erinnert sich daran, dass sie damals in Dunkelheit gehüllt, betäubt von den Moskitos und dem starken Wind, der das Wasser des Flusses aufwirbelte, den sie und ihre Familie in einem Jatobá-Kanu überquerten, um zu entkommen.

Bei dem Massaker, das wahrscheinlich in den 1970er Jahren stattfand, verlor Rita neun Angehörige, was sie in einem kürzlich von “Survival International“ veröffentlichten Video beschreibt. Seitdem wurden nur noch zwei Piripkura erfasst, Ritas Bruder Baita und ein Neffe, Tamanduá, aber es besteht immer noch die Möglichkeit, dass es noch weitere Mitglieder ihres Volkes im Wald gibt, wie Survivals Forscherin Sarah Shenker betont.

Rita ist die einzige Piripkura, die Kontakt zu Nicht-Indigenen hat, nachdem sie auf eine örtliche Farm gebracht wurde, um dort sklavenähnliche Arbeit zu verrichten, wie Fabricio Amorim, von der “Beobachtungsstelle für Menschenrechte isolierter indigener Völker und neuerer Kontakte“ (OPI), erklärt.

Als die Behörden 1984 von dem Fall erfuhren, verfolgten sie Rita, die zwischen 18 und 23 Jahre alt war und sich seit mindestens anderthalb Jahren auf der Farm aufhielt, wie eine von dem Indigenisten João Carlos de S. Lobato, im Auftrag der FUNAI durchgeführte Untersuchung, ergab.

Der Wettlauf von Rita und ihren Verwandten mit der Zeit, geht auf den Gummizyklus zurück, der von den 1870er Jahren bis Mitte der 1940er Jahre andauerte. Ein großer Teil der „Kautschuksoldaten“ ließ sich an den Ufern der Flüsse Branco und Roosevelt nieder, wo es häufig zu Zusammenstößen mit den indigenen Bewohnern kam, „die in dem Bemühen, ihr Land vor der zunehmenden Invasion durch die Kautschuk-Fronten zu schützen, diese daran hinderte, Kautschukstraßen zu eröffnen und Hauptquartiere in der Nähe der Kautschukplantagen zu errichten“, so Lobatos Nachuntersuchung von 1985.

Als Vergeltung organisierten sich die Kautschukzapfer zu einem „Ansturm“ auf die Eingeborenen, der „zahllose Dörfer verwüstete und ein großes Sterben unter diesen Völkern einleitete“.

Der Kautschukbaum ist inzwischen nicht mehr so lukrativ. Heute gibt es andere natürliche Ressourcen, die für einige wenige Gewinne abwerfen, aber die Geschichte ist die gleiche. Das Massaker, das Rita überlebt hat, und die Bedrohung, die von Baita und Tamandua ausgeht, sind das Ergebnis von Zusammenstößen mit Eindringlingen in ihr Land auf der Suche nach Holz, Mineralien und anderen Ressourcen. Trotz der Schwierigkeiten, mit denen ihr Volk konfrontiert ist, haben die Piripkura mit Hilfe von Verbündeten in der Regierung, die von Jair Bolsonaro unterminiert wird, Widerstand geleistet.

Rita sitzt am Ufer des Flusses, den sie vor so vielen Jahren im indigenen Territorium Piripkura überquert hat, und beschreibt ihre Angst, dass nun ihre letzten Verwandten getötet werden. „Hier sind viele Leute unterwegs. Sie werden sie beide umbringen. Wenn sie die Beiden töten, gibt es keine Piripkura mehr“, sagt sie.

Laut der Kampagne „Isoliert oder dezimiert“ war die Piripkura IT (Indio-Territorium) im Jahr 2020 von den Territorien, in denen Menschen in freiwilliger Isolation leben, das am stärksten betroffene IT überhaupt, da die Kontrollen aufgrund der Covid-19-Pandemie zurückgingen. Der derzeitige Schutz, der die Ausbeutung dieser Gebiete verhindert, läuft am 18. September aus. Wenn die FUNAI das Schutzgebiet nicht verlängert oder verkleinert, könnten die beiden verbliebenen Mitglieder dieses bedrohten Volkes, die sich seit Jahrzehnten allein zu wehren versuchen, zum Tode verurteilt werden, wenn der derzeitige Schutz nicht erneuert wird.

Die Demarkation dieses Territoriums ist immer noch nicht ganz abgeschlossen, erklärt Elias Bígio, ehemaliger Generalkoordinator für isolierte Indios und jüngste Kontakte bei FUNAI. Im Jahr 2007 genehmigte die Behörde jedoch eine Verordnung zur eingeschränkten Nutzung, ein Rechtsinstrument, das die Ausbeutung natürlicher Ressourcen auf dem Land oder die Erweiterung von Grundstücken, die vor Inkrafttreten der Verordnung errichtet wurden, vorübergehend verhindert. Seitdem wird die Verordnung alle zwei bis drei Jahre erneuert, wie auf der Website des “Sozial- und Umweltinstituts“ (ISA) nachzulesen ist. Der Schutz läuft am 18. September dieses Jahres aus.

Die FUNAI, die seit dem Amtsantritt von Präsident Jair Bolsonaro, im Januar 2019, geschwächt ist und starke Rückschläge hinnehmen musste, hat bis zum 17. September Zeit zu entscheiden, ob sie die Verordnung verlängern will oder nicht. FUNAI teilte dem Blatt “OpenDemocracy“ mit, dass das Unternehmen noch Studien durchführt, um die Entscheidung zu treffen. „Die Nationale Indigenenstiftung (FUNAI) stellt klar, dass sie über die Allgemeine Koordination der isolierten Indios Anstrengungen unternommen hat, um die Untersuchungen durchzuführen, welche die Entscheidungsfindung über die Verlängerung der Verbotsverordnung des Piripkura-Indioterritoriums unterstützen sollen“, erklärte sie am 17. August per E-Mail.

Laut Shenker von “Survival International“ stellt die Kooptation von FUNAI durch die “bolsonaristischen Kräfte“ eine Bedrohung für die Rechte der Indigenen dar, was bereits mehr als einmal deutlich gemacht wurde. Im Juni 2020 sagte der derzeitige Präsident von FUNAI, Marcelo Xavier, dass die derzeitigen Beschränkungen für Gebiete, in denen unkontaktierte Völker leben, übertrieben seien. „Wir haben viele widersprüchliche Berichte, Gebiete, in denen mögliche Sichtungen von Indios registriert wurden, die direkt an der Grenze zu Dörfern liegen. Und es kommt vor, dass Gebiete zehn Jahre lang isoliert bleiben, ohne dass jemand die Suche ausweitet, ohne dass es irgendwelche anderen Anzeichen für die Anwesenheit isolierter Völker gibt“, sagte Xavier damals.

Unter den Territorien, die Indigene in freiwilliger Isolation beherbergen, wurde das Piripkura IT im Jahr 2020 am stärksten verwüstet.

Darüber hinaus meldete die Agentur vor kurzem einen erheblichen Rückgang der Entwaldungsraten im Amazonasgebiet, eine Information, die im Widerspruch zu den wichtigsten Agenturen steht, die dieses Phänomen verfolgen. Im August 2021 meldete FUNAI einen Rückgang der Abholzung im legalen Amazonasgebiet um 23,3 % zwischen 2019 und 2020. Das “Nationale Institut für Weltraumforschung“ (INPE), eine dem “Ministerium für Wissenschaft, Technologie und Innovation“ (MCTI) angeschlossene Einheit, verzeichnete jedoch zwischen August 2019 und Juli 2020 einen Anstieg der Entwaldung um 34 %. Das Institut für Mensch und Umwelt (Imazon) wies dagegen auf einen Anstieg der Entwaldung um 30 % im Vergleich zum Vorjahr hin.

Druckkampagne für die Erneuerung der Verordnung

Angesichts des Ernstes der Lage und der jüngsten Stellungnahmen der FUNAI hat eine Gruppe indigener Organisationen unter der Leitung der “Koordination der indigenen Organisationen des brasilianischen Amazonasgebiets“ (COIAB) und der “Beobachtungsstelle für Menschenrechte der isolierten und neu kontaktierten indigenen Völker“ (OPI) die Kampagne „Isoliert oder dezimiert“ gestartet, um auf die Erneuerung der Verordnung für die IT Piripkura und vier weitere ITs, die isolierte Völker beherbergen und deren Verordnungen zwischen September und Januar auslaufen, zu drängen: Jacareúba/Katawixi (Amazonas), Piriti (Roraima) und Ituna-Itatá (Pará).

Eingang zum Indio-Reservat zerstört – Foto: IBAMA/FotosPublicas

Im Jahr 2020 war das indigene Land Piripkura IT, das isolierte Völker beherbergt, am stärksten von der Abholzung betroffen. Insgesamt wurden 2.132 Hektar abgeholzt, was mehr als 2.000 Fußballfeldern entspricht, so die Kampagne unter Berufung auf einen technischen Bericht der “Operation Native Amazon“ (OPAN) und der ISA. Die Situation verschlimmerte sich im Jahr 2021, als allein im März eine Fläche von 518 Hektar illegal verwüstet wurde.

In den letzten Jahren hat die Zahl der Übergriffe durch illegale Holzfäller und Bergleute zugenommen, was die Dringlichkeit des Schutzes dieses Gebietes verdeutlicht, wie Bígio erklärt. „Die ganze Bewegung hat sich für diese Erneuerung eingesetzt. Wenn ihre Situation schon mit dem Dekret so ist, wie wäre es dann ohne das Dekret?“, fragt der ehemalige Generalkoordinator von FUNAI für isolierte Indios und jüngste Kontakte. Amorim von OPI ist der Meinung, dass die FUNAI den Schutz verlängern sollte, befürchtet aber, dass dadurch das Schutzgebiet verkleinert wird.

Bereits 1985 argumentierte Lobato, dass ohne die Abgrenzung und den Schutz der von den Piripkura bewohnten Gebiete das indigene Volk „zum Verschwinden verurteilt ist“, ein Aussterben, das „durch Unterlassung oder Langsamkeit“ eintreten würde.

Die Übernahme der aktuellen Regierung verdeutlicht die Besorgnis Lobatos, die sich heute wie eine Prophezeiung liest: „Wir sind uns sicher, dass die Geschichte der Piripkura ohne Zweifel ein Weg der Bitterkeit und des Leidens ist und dass, wenn wir uns nicht beeilen, das Volk nicht mehr in der Lage sein wird, uns seine Geschichte zu erzählen, denn die Wunden der Auslöschung bewegen sich unaufhaltsam in ihre Richtung.“

Original: Manuella Libardi – Instituto Socioambiental (ISA)
Deutsche Bearbeitung/Übersetzung: Klaus D. Günther

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