WM der Frauen: Rekordhalterinnen und Debütantinnen auf den Weg nach Australien

Das Geheimnis ist gelüftet. Trainerin Pia Sundhage hat am Dienstag (27. Juni) die Liste der WM-Teilnehmerinnen veröffentlicht. 23 Fußballerinnen und drei Ersatzspielerinnen werden in drei Wochen Brasilien bei der Frauen-Fußballweltmeisterschaft in Australien & Neuseeland vertreten. Mit dabei ist Crack Marta, für die es die sechste WM-Teilnahme sein wird, und ebenso Camila, die zum ersten Mal für die Seleção antritt.

Begrüssung Seleção der Frauen – Foto: Thais Magalhaes/CBF

Ein bunter Mix von Jung und Erfahren, wie die schwedische Trainerin es bei der Bekanntgabe der Liste ausdrückte. Noch ist die jüngste der Spielerinnen, die Stürmerin Aline, 17 Jahre alt. Ihr zur Seite steht die 37-jährige Marta, als älteste der Seleção.

Dass Marta einmal mehr bei einer WM antreten wird, war eins der am besten gehüteten Geheimnisse. Pia Sundhage machte es bei der Vorstellung ihrer Liste noch dazu spannend. Beinahe alle Namen hatte Sundhage bereits verlesen. Marta war bei diesen nicht dabei. Dann legte Sundhage eine Sekundenpause ein, um schließlich doch noch Martas Teilnahme zu verkünden.

Mit 115 für die Seleção geschossenen Toren ist Marta Rekordhalterin. Sechsmal wurde „a rainha“ (die Königin) von der Fifa bereits zur besten Fußballerin des Jahres gekürt. Das Trikot mit der Nummer 10, das gleiche, mit dem König Pelé auf dem Fußballfeld zauberte, trägt sie bereits seit 21 Jahren für Brasilien. Trotzdem war ihre Teilnahme ungewiss, zumal sie bei den jüngsten Spielen im Vorfeld zur WM nicht dabei war.

Sundhage hat aber noch für weitere Überraschungen gesorgt, wie die Aufstellung der 35-jährigen Torhüterin Bárbara und der 36-jährigen Mônica. Für die Seleção war Bárbara seit Juli 2021 nicht mehr angetreten. „Mit all der Erfahrung, die Bárbara hat, wird sie Stärke mitbringen, was für das Team sehr gut ist“, begründete die Trainerin jetzt die Bennung Bárbaras. Bei Mônica hob sie deren Erfahrung und Führungsqualitäten hervor.

90 Spielerinnen hat Sundhage in den vergangenen Monaten bis zur endgültigen Auswahl getestet. Das Ergebnis ist eine Mischung von erfahrenen Fußballerinnen und Aufsteigerinnen. Neun der 23 Fußballerinnen sind unter 25 Jahre alt. Das gleiche gilt für die drei Ersatzspielerinnen. Mit elf sind zudem knapp die Hälfte der 23 ernannten Spielerinnen WM-Debütantinnen.

Wie Sundhage die Chancen der Brasilianerinnen auf einen Titel einstuft? Bei der Pressekonferenz zur Bekanntgabe der Aufstellung zeigte sie sich optimistisch. Die Grenze sei der Himmel und „we could be unstoppable“ (Wir könnten nicht zu stoppen sein), antwortete sie auf die Frage und vervwies dabei auf die Talente ihrer Spielerinnen.

Feststeht, dass die Frauen Brasilien zum Fiebern bringen werden. Schon bei der Bekanntgabe der Namen wurde gefeiert. Fernsehen zeigten Ausschnitte, davon wie die Spielerinnen im Kreise ihrer Familien und Freunde das Verkünden ihres Namens mit einem Aufsprung, Freudesrufen und Umarmungen beantwortet haben.

Brasilianischer Frauenfußball im Aufwind

Der Frauenfußball erhält derzeit in Brasilien soviel Aufmerksamkeit wie noch nie. Seit Wochen laufen Werbespots zur WM der Fußballerinnen in den Medien. Es gibt Interviews mit den Spielerinnen und die Spiele in Down Under sollen live übertragen werden.

Selbst der Brasileirão der Frauen, die Meisterschaft der brasilianischen Fußballclubs, profitiert davon. Gab es bisher lediglich Ausschnitte von schon stattgefundenen Spielen, werden jetzt zumindest einzelne Begegnungen ganz übertragen. Das geschieht zwar nicht zur besten Sendezeit, wie das beim Herrenfußball der Fall ist. Aber immerhin ist es ein erster kleiner Schritt auf dem Weg zur Gleichberechtigung im Sport.

Sportministerin setzt auf Frauenfußball

Sportministerin und Ex-Volleyballspielerin Ana Moser bekräftigt, dass im Bereich Fußball das Hauptaugenmerk auf der Stärkung des Frauenfußballes liegt. Sie spricht dabei von einem Projekt. Ein Ziel ist es, die Meisterschaften auf das ganze Jahr über zu verteilen und den Frauen bessere Stadien zu gewähren, so Moser .

Im März hat die Regierung Brasiliens auch eine nationale Strategie zur Entwicklung des Frauenfußballs ausgerufen. Die soll sowohl den Amateur- als auch den professionellen Frauenfußball fördern. Versprochen wird, mehr zu investieren.

Das ist dringend notwendig. Nicht nur, dass die Frauen selbst bei den Spielen der Meisterschaften schlechten Rasen oder untergeordnete Stadien in Kauf nehmen müssen. Auch beim Training stehen die meisten Frauenteams weit hinter den Männerteams. Sie können zwar die gleiche Struktur, Krafträume und Spielfelder der Clubs nutzen, wie die Männer, allerdings nur dann, wenn ihre männlichen Kollegen dies gerade nicht tun und somit ein wenig freie Nutzungszeit für sie übrig ist.

Dennoch wird in Brasilien derzeit mehr auf den Frauenfußball geachtet. Das liegt nicht nur an der bevorstehenden WM und daran, dass das Sportministerium von einer Frau geleitet wird. Vielmehr hat sich das südamerikanische Land ebenso für die Austragung der Frauenfußball-Weltmeisterschaft im Jahr 2027 beworben. Spätestens bis dahin sollen die geplanten Verbesserungen greifen, soll Brasilien nicht mehr nur ein Land des Männer-, sondern auch des Frauenfußballs sein.

„Frauen sind nicht für den Fußball geschaffen“

Auf den Fußballplätzen der Dörfer und Städte ist davon noch nicht viel zu sehen. Fußballplätze gibt es in Brasilien in jeder noch so kleinen Ansiedlung, in beinahe allen Vierteln großer und kleiner Städte in den Favelas und selbst in Weilern. Auf denen treffen sich morgens, nachmittags, abends und auch nachts unter den Scheinwerfern der Flutlichter Jung und Alt zur „pelada“, zum Fußballspielen. Da ist die Mannschaft des Supermarktes, die gegen das Team der Post spielt, der Freundeskreis, der gegen einen anderen Freundeskreis antritt, da sind die Senioren, die Schüler, die Jugendlichen.

Die Mannschaften sind jedoch, wie der Name schon sagt, von Männern geprägt. Nur selten laufen auch Frauen mit und noch seltener gibt es Frauen- oder Mädchenteams zu sehen. Bei den „escolinhas“ sieht es ähnlich aus, den Fußballschulen. Die sind zum überwiegenden Großteil auf Jungen ausgerichtet. Die Zahl der bisher spärlich vorhandenen Fußballschulen für Mädchen steigt nur langsam.

Das Vorurteil gegenüber den Frauenfußball ist in Brasilien vielleicht noch tiefer verankert als das in anderen Ländern der Fall ist. Bis 1979 war es den Brasilianerinnen per Gesetz verboten, Fußball zu spielen. Dieser sei „mit den Grundlagen der Natur der Frau nicht vereinbar“, der Körper einer Frau sei eben nicht für den Fußball geschaffen, lautete die Begründung. Tatsächlich wurde Der Frauenfußball in dem südamerikanischen Land erst ab 1983 geregelt.

Und doch sind da auch positive Beispiele, wie das 2016 gegründete Projekt Meninas em Campo (übersetzt etwa: Mädchen auf dem Fußballplatz). Über Meninas em Campo werden derzeit 241 Mächen kostenlos professionell trainiert. Es ist das einzige Projekt des Frauenfußballs der Basis, das von den Vereinten Nationen über das Programm #FootballForTheGoals anerkannt ist.

Ein anderes Beispiel ist das Projekt „Em Busca de Uma Estrela“ (Auf der Suche nach einem Star) in der Megametropole São Paulo. Auch es ist für die zehn- bis 19-jährigen Mädchen völlig kostenlos. Über das Projekt sind 120 Mädchen ausgewählt worden, die in den Kategorien U15, U17 und U20 gezielt gefördert werden sollen. Als Botschafterin des Projektes hat keine andere als Stürmerin Cristiane gewirkt, die den Rekord von 14 olympischen Toren inne hält.

Als die heute 38-jährige ihre Leidenschaft für den Fußball entdeckte, war von all dem noch keine Spur. Mädchen wurden im Fußball schlicht nicht gefördert. „Zu meinen Anfängen gab es keine Basisarbeit und ich hatte keine ausreichende Ausbildung“, erinnerte sie sich bei der Eröffnung des Projektes. Wer weiß, hätten sie, Marta, Fußball-Legende Formiga und ihre Generation eine bessere Ausbildung und Förderung im Fußballbereich erhalten, hätten sie vielleicht bereits einen WM-Titel oder Olympiasieg erreichen können, so Cristiane.

Statt der Vergangenheit nachzutrauern, setzen sich viele der weiblichen Cracks seit Jahren aktiv für die Basisarbeit und die Förderung des Frauenfußballs ein. Wer weiß, vielleicht trägt ihr Einsatz ja bald Früchte. Vorerst sind jedoch alle Augen auf die Weltmeisterschaft in Australien & Neuseeland gerichtet. Ihren Auftakt geben die Brasilanerinnen dort am 24. Juli gegen Panama in Adelaide Australien.

Bevor es so weit ist, kommen die brasilianischen Fans aber noch einmal in ihrem eigenen Land in den Genuß der Künste der Frauen-Seleção. Am 2. Juli werden sie in der Hauptstadt Brasília im Stadium Mané Garrincha bei einem Freundschaftsspiel gegen Chile antreten.

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AutorIn: Gabriela Bergmaier Lopes

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