Der Kollaps der Amazonas-Flussdelfine

Zuletzt bearbeitet: 31. August 2024

Umweltstress

Bei der Nekropsie machte die Tierärztin Fortschritte bei den Analysen. Was ihrem Team auffiel, waren die Merkmale eines „hyperakuten Umweltstressfaktors“, mit vielen Stauungen und Blutungen. Es scheint, als ob der Körper der Tiere nicht in der Lage war, auf den Anstieg der Wassertemperatur zu reagieren.

„Das Nervensystem der Tiere begann, Stoffe, in diesem Fall Stressproteine, ins Blut zu schicken, und die Gefäße gerieten in eine schwere dynamische Störung“, erklärt sie. Unter normalen Bedingungen besteht ein hämostatisches Gleichgewicht zwischen dem Blutkreislauf und den Substanzen, die aus den Gefäßen fließen. Bei Tefé kam es aufgrund dieses Ungleichgewichts zur Paralvsation.

Der Austritt von Stresssubstanzen führte zu Blutungen, Stauungen und sogar zu einem Kreislaufschock, der zum Tod der beobachteten Tiere führte, so dir Tierärztin. Der Organismus der Flussdelfine und Tucuxis war durch das fehlende osmotische Gleichgewicht (Flüssigkeitsbewegung im Organismus) desorientiert und statisch.

Tiefster Wasserstand seit Jahren – Foto: Steffane Azevedo/Amazonia Real

Den Spezialisten zufolge kommt es bei einem Schock wie dem beschriebenen zu starken Blutungen im Bereich des Schädels und des Brustkorbs. Das Blut tritt aus, bildet Gerinnsel und führt zu Hirn- und Lungenödemen sowie zu Lungenblutungen. In den Nieren tritt Muskeleiweiß aus, was zu einer Vergiftung dieser Organe führt. Adria berichtet auch, dass der Urin der Tiere blutig war, was auf eine Nierenblutung hinweist, die ein Merkmal des Schocks im Körper ist.

„Rhabdomyolyse ist eine Muskelüberlastung, die eine Nierenblutung verursacht. Wenn man hinschaut, ist der Urin dunkel. Ich kann nicht sagen, dass es sich um eine Rhabdomyolyse handelt, aber die Toxikologie hat bereits Spuren davon gefunden“, sagt die Tierärztin. Es ist bekannt, dass es in Situationen mit sehr hohem Stress auftritt, sei es bei Fischen oder Menschen“, sagt Adria Moreira. „Die Flüsse und die Tiere leiden sehr unter diesem Umweltstress“, warnt sie.

Ökologischer Kollaps

Seit 40 Jahren erforscht der Ichthyologe Jansen Zuanon die Unterwasserwelt des Amazonas und ist Zeuge der verheerenden Auswirkungen extremer Dürreperioden. Bei jedem schwerwiegenden Ereignis befindet sich die Unterwasserwelt in einem Überlebenskampf. Wenn die Wassertemperaturen steigen, sinkt die verfügbare Sauerstoffmenge, was sich direkt auf die Physiologie der Fische auswirkt. Diese Arten haben wie Menschen und andere Wirbeltiere eine thermische Toleranzgrenze von etwa 40 Grad. Oberhalb dieser Grenze denaturieren die Proteine des Körpers und stellen ihre Funktion ein.

„Proteine haben eine dreidimensionale physikalische Struktur, bei der die Atome durch verschiedene Kräfte aneinander gebunden sind. Wenn es zu heiß wird, geraten die Atome in Bewegung, all diese Bindungen werden aufgebrochen und die physikalische Struktur des Proteins bricht zusammen“, erklärt er. Im Tefé-See hat die Kombination aus hohen Temperaturen und schlechter Wasserqualität zum Tod von Tausenden von Fischen geführt. „Diese Fische zersetzen sich und die Bakterien verbrauchen mehr Sauerstoff, was die Situation noch verschlimmert. Das führt dazu, dass das Wasser in einem schrecklichen Zustand ist, nicht nur für die Fische selbst, sondern auch für Wassersäugetiere, wie wir im Fall der Delfine und Tucuxis gesehen haben“, sagt Zuanon.

Tiefsstand des Lago Tefe – Foto: Steffane Azevedo/Amazonia Real

Obwohl einige Fischarten über den „aiú“ verfügen, einen Anpassungsmechanismus, bei dem sich die Unterlippen aufblähen, um Sauerstoff an der Oberfläche aufzunehmen, variiert die Temperaturtoleranz. Die verschiedenen Arten erliegen zu unterschiedlichen Zeiten, bis der Zusammenbruch des Ökosystems unausweichlich wird. „Es ist ein Dominoeffekt“, sagt Zuanon. „Je mehr Fische sterben, desto schlechter wird die Wasserqualität, bis sie für die meisten Organismen unerträglich wird.“

In der Flussaue ist der Sauerstoffgehalt während der Trockenheit sehr niedrig, weil sich dort Material zersetzt. Einige Arten haben sich bereits an diese neue Realität des Sauerstoffmangels angepasst. Sie können bis zu zwei oder drei Monate überleben, wie es im Tefé-See der Fall war.

Trockener Wald

Die tatsächlichen Auswirkungen der extremen Dürre von 2023 auf die Regionen Igapó und Várzea sind noch ungewiss, aber frühere Studien und Expertenanalysen liefern beunruhigende Hinweise. Flávia Costa, Forscherin am Nationalen Institut für Amazonasforschung (INPA) im Bereich Wald- und Funktionsökologie, erklärt, dass Pflanzen Zeit brauchen, um auf den Klimawandel zu reagieren, dass sie aber bereits gezeigt haben, wie empfindlich überschwemmte Wälder, insbesondere Igapós, sind.

„Das Problem bei Igapós ist, dass sie eine dichte Laubschicht auf dem Boden ansammeln, die anfällig für Brände ist“, sagt der Forscher. Diese Anfälligkeit trug zu der Rekordzahl von Bränden im Amazonasgebiet im Jahr 2023 bei, die laut “Mapbiomas Fire Monitor“ im Vergleich zu 2022 um 463 Prozent gestiegen ist. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr 1,3 Millionen Hektar verbrannt!

Trockenheit und hohe Temperaturen führen in den Wäldern zu Stress in der Vegetation, was zu einer Verringerung der Fähigkeit, Kohlenstoff zu speichern, oder sogar zu dessen Verlust führt, erklärt Costa. Das funktioniert so: Die Pflanzen schließen ihre Spaltöffnungen, um Wasserverluste zu vermeiden, nehmen aber keinen Kohlenstoff mehr für die Photosynthese auf.

Und, so Costa weiter, „extreme Dürren erhöhen die Sterblichkeit, wodurch die Zahl der Bäume, die Kohlenstoff aufnehmen können, sinkt. Die abgestorbenen Bäume beginnen dann, während der Zersetzung Kohlenstoff in die Atmosphäre abzugeben“. Joice Ferreira, Ökologin bei “Embrapa Amazônia Oriental“ und Mitbegründer des “Sustainable Amazon Network“ (RAS), erklärt, dass hohe Temperaturen die Toleranzgrenzen von Pflanzen und Tieren überschreiten und ihre lebenswichtigen Prozesse beeinträchtigen.

Laut Joice summieren sich die Auswirkungen der verschiedenen Belastungen und verschlimmern die Situation noch. Joice erforscht an der “RAS“ seit Jahren die langfristigen Auswirkungen äußerer Einflüsse auf den Wald und nennt als Beispiel die Pillendreher-Käfer, deren Anzahl und Vielfalt nach der Dürre von 2015 abgenommen hat, was sich auf die Samenverbreitung und die Umwälzung der Waldböden auswirkt.

„Das Beispiel dieser Gruppe zeigt, dass alles im Wald miteinander verbunden ist und dass der Verlust einer Gruppe von Flora oder Fauna wie eine Kettenreaktion wirkt. Diese kleinen Insekten sind mit vielen Säugetieren im Wald verbunden, da sie ihre Ausscheidungen als Nester und Nahrung nutzen. Ihr Rückgang hängt also auch mit dem Verlust größerer Säugetiere zusammen“, folgert sie.

Die Umweltbedingungen in Manaus

Manaus hatte noch nie eine so starke Rauchentwicklung durch Brände erlebt. Monatelang herrschte giftige Luft, die in der Kleidung Brandgeruch hinterließ und einen tagelangen schweren Dunst und gesundheitliche Probleme verursachte. Aber geografisch gesehen haben die Hauptstadt von Amazonas und eine größere Region im Nordwesten, im Guayana-Schild, glücklicherweise eine Umweltbedingung, die die Probleme von Hitze und Dürre auf dem Terra-Firme-Wald mildern kann, sagt Flávia Costa.

Smog in Manaus – Foto: Alberto Cesar/Amazonia Real

„In dieser Region sind die Böden tiefgründig und lehmig, wodurch viel Regenwasser zurückgehalten wird, das dann über die Grundwasserwanderung langsam in die Flüsse gelangt“, erklärt die Forscherin. Auf diese Weise bildet sich im Boden und im Grundwasserspiegel ein großer Wasservorrat, der die Wälder „retten“ kann, solange die Regenperioden weiterhin in der Lage sind, dieses Reservoir zu infiltrieren:

„Wir haben eine größere Widerstandsfähigkeit unserer Wälder im Vergleich zu anderen Regionen des Amazonas beobachtet. Das bedeutet nicht, dass die Wälder hier nicht leiden, sondern nur, dass sie viel weniger leiden als Regionen wie der südöstliche Teil des Amazonas“, sagt sie. Diese Rechnung geht nur auf, wenn die Wälder in der Region nicht degradiert werden. Der Forscherin zufolge werden Wälder dort lebensfähig bleiben, wo sie groß und nicht isoliert sind, da kleine Gebiete empfindliche Arten verlieren können. „Wir haben in dem Waldfragment auf dem Ufam-Campus eine viel negativere Reaktion der Vegetation und auch der Tiere auf die Dürre von 2023 festgestellt.

Da dieses Gebiet relativ klein und von einer Stadt umgeben ist, verursachen die starke Hitze und das Dampfdefizit in der Luft viel Stress für die Vegetation“, sagt Flávia Costa. Ein offensichtliches Zeichen dafür sind die Pflanzen, die fast verwelkt sind, wie die Forscherin bei einem ihrer Spaziergänge selbst feststellen konnte.

Savanisierung des Amazonas?

In diesem Zyklus wiederholter und sich verstärkender Dürreperioden, mit zunehmenden Vegetationsbränden, wird der Wald voraussichtlich seine „Form“ verändern. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Die Ökologin Joice Ferreira beschreibt, dass einige Arten höherer Bäume, vor allem solche, die die Spitze des Waldes erreichen, anfälliger für den Stress der Trockenheit sind und eher absterben.

Mittel- und langfristig wird die geschlossene Vegetation niedriger. Andere sind besser an degradierte Umgebungen angepasst, wie Bambus, Lianen und bestimmte Palmen wie die Babassu. Die Ausbreitung besser angepasster Arten führt jedoch zu einer Verringerung der Vielfalt anderer Arten, die an geschütztere und feuchtere Umgebungen angepasst waren.

„Nach vielen Dürren und Bränden erwarten wir einen trockeneren, dünneren, niedrigeren und weniger vielfältigen Wald mit Arten, welche diese Belastungen besser verkraften. Bei den Tieren sehen wir einen Rückgang der Vielfalt, was dazu führt, dass generalistischere Arten, die sich an gestörte Umgebungen anpassen, bevorzugt werden“, sagt Joice Ferreira.

Die Forscher haben das Ausmaß dieses Anpassungskampfes bereits beobachtet und sind nun dabei, es zu quantifizieren. So verschwinden zum Beispiel seltenere oder größere Vogelarten, und an ihrer Stelle gewinnen die kleineren, häufigeren Arten, die wir beobachten und die mit Pflanzen mit kleineren Samen verwandt sind, mehr Raum.

Der Übergang vom Amazonas, wie er bekannt ist, kann immer noch ein Wald sein, aber mit anderen Eigenschaften und weniger Feuchtigkeit. Nach Angaben des Forschers von “Embrapa Amazônia Oriental“ sind die von Dürre und Feuer betroffenen Gebiete einfacher und ärmer geworden. Nach einem Brand verändert sich die Qualität des Waldes, die Vegetation wird dünner und offener, die Artenvielfalt nimmt ab, es dominieren eher generalistische Arten und Pflanzen mit weniger Kohlenstoff.

„Heute wird viel über Savannenbildung gesprochen. Aber Savannen bestehen typischerweise aus einer Grasschicht und einer Baumschicht, und sie können sehr reichhaltig und sehr vielfältig sein, wie es im brasilianischen Cerrado der Fall ist. Bislang haben wir in den von uns untersuchten Feuchtgebieten keine Anzeichen für eine Verschiebung hin zu Savannen gefunden“, betont sie.

Ungewisse Zukunft

Was kommt als Nächstes? Das ist eine Frage, die sich die Wissenschaft und die örtliche Bevölkerung in Bezug auf die Phänomene und Reaktionen des Amazonas auf die Klimakrise stellen. „Ich habe keine guten Aussichten. Aber wir wissen nicht, was mit dieser globalen Erwärmung passieren wird. Da wir eine sehr schwere Dürre hatten, könnten wir eine noch schlimmere Überschwemmung haben, und wir wissen nie, welche Folgen diese Dürren und die Überschwemmungen haben werden, weil das alles so neu ist“, sagt Mariana Lobato.

Im “Institut Mamirauá“ hat die historische Dürre von 2023 die Forscher gezwungen, ihre Arbeitspläne von nun an neu auszurichten. Was kann man tun, um zu verhindern, dass sich Todesfälle wie jener der Delfine und Tucuxis wiederholen? Uns ist klar, dass die Zahl der Tiere im Tefé-See drastisch zurückgegangen ist. Wenn es also jedes Jahr eine solche Situation geben sollte, ist die Wahrscheinlichkeit groß, dass diese Art ausstirbt, weil es so extrem war“, sagt Mariana.

Am Ende zählten die Forscher des Instituts Mamirauá den Tod von 222 Delfinen und Tucuxis im Tefé-See. In Coari, einer anderen Gemeinde im Bundesstaat Amazonas, starben 121 Tiere, einige davon jedoch mit Anzeichen menschlicher Aktivitäten. In der Literatur ist zu lesen, dass nur Salzwasserdelfine an Hyperthermie und Krankheiten gestorben sind – eine andere Realität als die, die im Amazonasgebiet zu beobachten war.

Eines der Ärgernisse für Mariana Lobato war, dass die Proben in andere Bundesstaaten im Süden des Landes exportiert werden mussten, um die Testergebnisse zu erhalten. Sie sagt, das Team habe viel Unterstützung von anderen Instituten und Forschungsgruppen erhalten, aber es sei schwierig, im Amazonasgebiet nicht die notwendigen Investitionen zu tätigen, um auf Krisensituationen wie die am Tefé-See zu reagieren. Bis Dezember warteten die Forscher auf einen Teil der Ergebnisse und warten auch vier Monate nach dem Ereignis noch immer darauf!

„Wissen Sie, was ich wirklich gefühlt habe? Es gab eine Menge Partnerschaft – das war großartig, aber wir finden es immer noch sehr schwierig, die Analysen hier im Amazonasgebiet durchzuführen, und wir müssen immer alles exportieren, wissen Sie? Also muss es in den Südosten, in den Süden gehen. Ich weiß nicht genau, wohin es geht. Warum können wir das nicht hier machen?“, fragt sie.

El Niño im Jahr 2024?

Die Analysen von Ayan Fleischmann bestätigen, dass die in der historischen Dürre von 2023 verzeichneten Temperaturen mit der Klimakrise zusammenhängen, die durch El Niño und die Erwärmung des nordtropischen Atlantiks ausgelöst wurde. Diese Kombination von Faktoren führte zu einer Verringerung der Niederschläge und einer sehr langen Dürreperiode im Amazonasgebiet, die einen Anstieg der Sonneneinstrahlung und eine Verringerung des Wasserspiegels zur Folge hatte. Mit anderen Worten: El Niño könnte noch zwei Jahre andauern!

„All diese Ereignisse sind ein Weckruf. Wenn El Niño im nächsten Jahr anhält und der nördliche tropische Atlantik warm bleibt, was eine konkrete Möglichkeit ist, könnten wir im September und Oktober 2024 wieder eine starke und extreme Dürre haben“, sagt Fleischmann. Nach Ansicht des Forschers ist die Bewältigung der Klimakrise und der Umweltkatastrophen, die sich in Brasilien ereignen, auf die mangelnde Vorbereitung der Behörden zurückzuführen.

Die Maßnahmen zur Minimierung der sozio-ökologischen Auswirkungen müssen unbedingt überprüft werden. Angesichts der Überschwemmungs- und Dürreperioden, die jedes Jahr mit mehr oder weniger großer Intensität auftreten, geht der Forscher davon aus, dass das Amazonasgebiet jedes Jahr etwa zwei potenzielle Katastrophen erlebt.

Um sie zu bewältigen, müssen wir darüber nachdenken, was zu tun ist, und zwar nicht erst Monate vor dem Höhepunkt des jeweiligen Phänomens. „Wir können nicht warten, bis die Überschwemmung vorbei ist, bevor wir an die Dürre denken. Wir müssen daran arbeiten, alle
Katastrophen zu verhindern und uns dauerhaft und dringend an diese Katastrophen und die Klimakrise anzupassen“, sagt er.

Original: Werica Lima, AmazoniaReal
Adaption/deutsche Übersetzung: Klaus D. Günther

Wer ist Amazônia Real
Die unabhängige und investigative Journalismusagentur Amazônia Real ist eine gemeinnützige Organisation, die von den Journalistinnen Kátia Brasil und Elaíze Farias am 20. Oktober 2013 in Manaus, Amazonas, im Norden Brasiliens gegründet wurde.

Der von Amazônia Real produzierte Journalismus Real stützt sich auf die Arbeit von Fachleuten, die mit viel Feingefühl auf der Suche nach großen Geschichten über das Amazonasgebiet und seine Bewohner sind, insbesondere solche, über die in der Mainstream-Presse nicht berichtet wird.

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