Wenn der Besucher von Pernambuco sich erst einmal auf die wunderschönen Strände stürzt, dann ist das sicher verständlich, denn die bieten, besonders für Nordeuropäer, das begehrteste Kontrastprogramm zur eigenen kühlen und oft badestrandlosen Heimat. Ausserdem gehören die Strände Pernambuco zu den schönsten in Brasilien, und einige von ihnen liegen nur ein paar Minuten zu Fuss vom Hotel entfernt. Also erst mal raus aus den Reisekleidern und rein in Bikini und Badehose – einen Geldschein in den Hosenbund für einen Snack – und ab zum nächsten Strand.
Wenn dann aber, nach ein paar Tagen der Entspannung und der ersten Bräunung, der Entdecker und Abenteurer wieder in Ihnen erwacht, werden Sie sich wahrscheinlich auch ein bisschen aktiver in Pernambuco umsehen wollen, und da hat dieser brasilianische Bundesstaat besonders viel Interessantes und Überraschendes zu bieten:
VITÓRIA DE SANTO ANTÃO“ – DIE ROUTE DES „FORRÓ
Also machen wir heute mal unseren ersten Ausflug ins pernambukanische Inland, und zwar auf der quer durch den Bundesstaat laufenden BR-232-Strasse nach Westen, die sich auf den ersten 135 Kilometern beeindruckend gut und doppelspurig präsentiert. Soweit fahren wir aber gar nicht, sondern erreichen unser erstes Etappenziel schon nach läppischen 40 Kilometern.
VITÓRIA DE SANTO ANTÃO
Kurz „Vitória“, liegt direkt an der Schnellstrasse, in der so genannten „Zona da Mata“ – der ehemals vom Atlantischen Regenwald bedeckten „Waldzone“ – dem Übergangsgebiet zwischen Küstenregion und „Agreste“.
Nicht mehr viel zusehen vom Atlantischen Regenwald, den schon die historischen Zuckerplantagen-Besitzer grosszügig abzubrennen begannen, um auf der fruchtbaren Erde ihre Plantagen anlegen und die „Engenhos“ (Zuckerverarbeitungs-Anlagen) errichten zu können.
Diese „Engenhos“ sind heute nicht nur attraktive Sehenswürdigkeiten für Besucher, die hier den ganzen komplizierten Prozess der Zuckergewinnung und der „Cachaça-Destillation“ (Zuckerrohr-Schnaps) im historischen Original verfolgen können, sondern sie sind auch die Basis für eine moderne „Cachaça-Herstellung“ geblieben: die Stadt exportiert ihren traditionellen „Pinga“ (volkstümlicher Ausdruck für den Zuckerrohr-Schnaps) in die verschiedensten Länder der Welt.
Vitória hat auch zur Zeit der Besetzung Pernambuco durch die Holländer eine strategische Rolle gespielt, denn natürlich bemächtigten sich die Invasoren zuallererst der wertvollen Zuckerplantagen. Hier, am „Monte Tabocas“ (Berg), schlugen sich, am 3. August 1645, Holländer und Portugiesen mit schrecklichen Verlusten auf beiden Seiten – an der holländischen Besetzung änderte sich jedoch vorläufig nichts. In Gedenken an diese Schlacht errichtete man im Jahr 1945, anlässlich der 300-Jahrfeier, auf dem Berggipfel des „Monte Tabocas“ die Kapelle „Nossa Senhora de Nazaré“.
Das Wohngebäude des „Instituto Histórico e Geográfico“, von 1851, beherbergte u.a. so illustre Gäste wie den Kaiser Dom Pedro II. und seine Gemahlin Tereza Cristina – auf ihrem Staatsbesuch im Dezember 1859. Das Gebäude ist ganz mit importierten Kacheln verkleidet. Daneben gibt es noch ein paar andere historische Sehenswürdigkeiten, die einen Kurzbesuch in Vitória interessant machen.
Wir sagten etwas von der „Route des Forró“: Während der Juni-Festwochen (Festas Juninas), die im Nordosten besonders ausgiebig und ausgelassen gefeiert werden, gehört Vitória zu den Städteverbund rund um Recife, in denen Brasiliens grösste „Forró-Bands“ und Sänger Station machen, um das Volk anzuheizen (siehe Artikel „São João und die Festas Juninas“). Feste feiern – davon verstehen sie alle am meisten in Brasilien! Auch in Vitória: das erste Fest des Jahres ist dem Schutzheiligen der Stadt gewidmet – „Santo Antônio Antão“, im Januar.
Dann kommt der Karneval, der die kleine Stadt in einen der animiertesten Pole des Bundesstaates verwandelt. In der Karwoche kann man im hiesigen Stadion dem „Leidensweg Christi“ beiwohnen – der bis zu 25.000 Besucher mit der Bevölkerung vereint. Im August wird die „Festa das Tabocas“ gefeiert – ein Gedenk der Schlacht am besagten Berg. Und der aussersaisonale Karneval – jenes Hallodria für Touristen, die den richtigen Karneval verpasst haben – findet hier im September statt, unter der Bezeichnung „Vitória-Fest“.
GRAVATÁ – DIE PERNAMBUKANISCHE SCHWEIZ
Zurück auf der BR-232, geht´s von „Vitória de Santo Antâo“ die Serpentinen zur „Serra das Russas“ hinauf – schon die herrliche Landschaft, durch die wir fahren, ist ein Fest. Hier oben, auf 480 Metern über dem Meer, gibt es interessante Aussichtspunkte, Kioske am Strassenrand, mit allerlei Hausgemachtem und regionalen Früchten – und wenn Sie schon Hunger verspüren, kommt ein kurzer Halt beim „Rei da Coxinha“ – dem „König des Schenkelchens“ gerade recht. Gemeint sind Hühnerschenkel, die der „König“ persönlich, frisch vom Grill, serviert.
Und dann entdecken wir die „Pernambukanische Schweiz“ (Suiça Pernambucana), ein lokaler Superlativ, der die Bewunderung der Brasilianer für die Errungenschaften und Eigenheiten der so genannten „Ersten Welt“ ausdrückt, auch wenn er sich, wie in diesem Fall, nur auf eine durchschnittlichen Hügelhöhe von etwa 500 Metern bezieht. Und, in Anlehnung an diesen Traum, haben die Einwohner hier nicht etwa normale Häuser errichtet, sondern „alpine Chalets“ – kein Witz – und ihr Lieblingsgericht ist das „Fondue“!
Wir sind in Gravatá angekommen (85 km von Recife)
In der Region des „Agreste Central“, dem noch fruchtbaren Übergangsgebiet zwischen der „Zona da Mata“ und dem „Sertão“. Die „alpinen Chalets“ entpuppen sich, aus der Nähe gesehen, als ein bisschen aus der Art geschlagen, aber das stark abgeschrägte Dach gegen den pernambukanischen Schnee haben sie alle – und einen niedlichen bunten Steingarten davor. Der Ersatzchristus – eine Kopie des „Christo Redentor“ von Rio de Janeiro – breitet, von einer Hügelkuppe herab, seine Arme segnend über den Chalet-Giebeln aus.
Die „alpine Idylle komplett“ machen die hier verbreiteten Erdbeer-Pflanzungen – tatsächlich – Erdbeeren im Nordosten Brasiliens! Gravatá beliefert den gesamten Nordosten mit den beliebten Früchten und feiert – wie könnte es anders sein – sein „Erdbeer-Festival“ (Festival do Morango) im November, wenn die Erdbeeren ihren höchsten Reifegrad erreicht haben und von jedermann, in und um Gravatá, verkonsumiert werden. Direkt vom Feld, als Kompott, in Torten und Kuchen, in Form von Marmeladen und Gelees und als Likör, natürlich!
Andere Veranstaltungen, wie zum Beispiel ein im ganzen Land bekannter Motocross-Wettbewerb, im April, oder die „Vaquejada Pernambucana“ – eine Art Rodeo – im gleichen Monat und viele Shows, mit regionalen und nationalen Künstlern, während des laufenden Jahres, machen aus Gravatá ein beliebtes Ausflugsziel.
Ökotouristisch hat die reizvolle Umgebung des Ortes auch einiges zu bieten: von lokalen Guides wurden bereits Wege vorbereitet, die viele interessante Naturschönheiten des Gebiets zusammenfassen. Da gibt es zum Beispiel einen so genannten „Mineralquellen-Weg“ oder den Weg „da Pedra do Tao“ – und viele Wasserfälle unterwegs, auch für ein erfrischendes Bad. Also packen Sie leichte Baumwollkleidung und Turnschuhe für ein solches Programm mit ein!
Gravatá hat mit einem besonders kreativen und hochwertigen Kunsthandwerk Geschichte gemacht – Kunstgeschichte! Besonders Leder-Artikel kann man hier günstig einkaufen – Taschen, Gürtel, Koffer und Reisetaschen, Hüte, Stiefel, Zaumzeug und Pferdesättel sind von allererster Güte. Stücke aus Holz, Bronze oder Keramik, die man in den lokalen Ateliers entdecken kann, sind wahre Kunstwerke. Feilschen Sie ein wenig mit den Schöpfern dieser Kunst, und Sie werden sehen, dass Ihnen ein Handel gelingt, an dem Sie ein Leben lang Ihre Freude haben.
Apropos Kunsthandwerk: auch eine gute Küche gehört bekanntlich dazu, und die findet man ebenfalls in Gravatá: zum Beispiel die „Buchada“ (schon im Teil Paraíba ausführlich erklärt), das „Carne de Sol“ (Sonnenfleisch), die „Galinha à Cabidela“ (Huhn im eigenen Saft) sind Menus, die hier, genauso wie im übrigen Nordosten, zum Gastronomie-Standard gehören. Eine gastronomische Besonderheit sind die „Fondues von Gravatá“, die wir schon anfangs erwähnten – und die vielen süssen Sachen, die man aus Erdbeeren zubereiten kann!
BEZERROS
Fährt man nur 15 km weiter auf der BR-232 nach Westen, erreicht man den kleinen Ort „Bezerros“, mit 52.000 Einwohnern, am Ufer des „Rio Ipojuca“. Hier gibt es einige schöne alte Häuser, historische Plätze und Kirchen aus dem 19. Jahrhundert. Der alte Bahnhof ist in ein Kulturzentrum verwandelt worden. Was aber unseren Abstecher eigentlich rechtfertigt, sind die Kunsthandwerksarbeiten im Distrikt „Encruzilhada de São João“ – hier ist der Künstler und Poet „J. Borges“ geboren (1935).
Seine Werke – in der Hauptsache Holzschnitte mit volkstümlichen Themen – sind schon in der ganzen Welt ausgestellt worden. Andere Arbeiten, wie zum Beispiel die „Papangu-Masken“ aus Papiermaché, Holzspielzeug, Ledersachen, Holzschnitzereien und Keramikarbeiten werden von ansässigen Künstlern hier ausgestellt und verkauft.
Der Karneval hat einen besonderen Ruf – Mittelpunkt sind hier mythologische Wesen – halb Bär und halb Teufel – die, entsprechend fell-verkleidet und gehörnt – unter der Bevölkerung Angst und Schrecken verbreiten. Sie nennen ihren Karneval „Folia de Papangu“.
10 km von „Bezerros“, beim Dorf „Serra Negra“, hat man in einem Ökopark einen schönen Weg zum Wandern erschlossen – mit Höhlenbesichtigungen und Baden in Wasserfällen.
BONITO – DIE ROUTE DER WASSERFÄLLE
Wenn man so stundenlang durch das sonnige Interior von Pernambuco fährt, besonders im brasilianischen Sommer, kann einem die Hitze ganz schön zusetzen, und der Wunsch nach einem erfrischenden Bad wird fast übermächtig. Deshalb müssen Sie aber nicht unbedingt gleich wieder an die Küste zurückkehren, sondern nur Ihre Fahrtroute entsprechend programmieren. Zum Beispiel: mit einem Abstecher von „Bezerros“ nach „Bonito“ – nur 30 km weiter – wo eine wahre Sammlung von Wasserfällen Ihnen die ersehnte Erfrischung bieten wird.
BONITO (heisst einfach „Schön“ und liegt 136 km von Recife)
Der kleine Flecken macht seinem Namen Ehre: wunderschöne Landschaft mit gemässigtem Klima, viel Wald mit interessanten Wanderwegen und ein hydrografisches Netz voller Überraschungen: mit Quellen, kleineren Bächen und Flüssen, Seen, Staubecken und Stromschnellen und – sage und schreibe – sieben herrlichen Wasserfällen! Während des Tages erreichen die Temperaturen im Ort 24º C, in der Nacht fallen sie auf 18º C.
Obwohl es in diesem Distrikt nicht an Wasser-Optionen fehlt, stehen die Wasserfälle stets an erster Stelle des allgemeinen Interesses. Also hat die Präfektur eine Wander-Route geschaffen, die alle Wasserfälle des Distrikts einbezieht. Erfrischen Sie sich also auf diesem „Roteiro das Águas“:
Der „Véu da Noiva“ (Brautschleier) ist der wildeste, er befindet sich in einer Gebirgsformation mit Gipfeln bis zu 800 m Höhe, umgeben von Wald und ohne jegliche kommerzielle Infrastruktur.
Ab und zu fröhnen hier ein paar Rappel-Fans ihrem Drang, an der wasserübersprühten Felswand, aus 30 m Höhe, klitschnass, an einem Seil hinabzugleiten. Das kann man aber auch einfacher und trockener haben: indem man sich an Wurzeln, Ästen und Lianen des Randbereichs festhaltend, hinaus oder hinunter klettert.
Der nächste auf unserer „Wasserfall-Route“ ist der „Cachoeira da Pedra Redonda“ – etwas oberhalb des so genannten „Runden Felsens“ strömt er in breiter Front herab – dichter, malerischer, gewaltiger als der „Veu da Noiva“, aber nicht so hoch.
Sein Wasser hat den, mitten in seine Lauf liegenden, Felsblock über die Jahrhunderte abgerundet und strömt nun von allen Seiten kraftvoll über ihn hinweg. Sieht von einiger Entfernung aus wie ein riesiger Wasserpilz, der den Stein völlig verdeckt. Sehr gut zum Baden geeignet!
Nächster auf unserem Weg ist der „Barra Azul“ – ein 20 m hoher Wasserfall mit anschliessendem reissenden Strom von 50 m Länge – ungeeignet zum Baden, weil man hier leicht auf den glitschigen Steinen den Halt verlieren kann, und die strömende Gewalt des Elements würde den hilflosen Körper mit sich reissen. Aber hinter den Stromschnellen gibt es einen natürlichen Pool – hier ist das Bad ungefährlich und herrlich erfrischend!
Nachdem wir einige Kilometer entlang des „Rio Bonito“ gewandert sind – der von verschiedenen Quellen gespeist wird und über die genannten Wasserfälle hinweg stark an Volumen zulegt – erreichen wir seinen Zusammenfluss mit dem „Rio Verde“. Dieses Zusammentreffen resultiert in einem See, dem „Banho da Tomada“, dessen Abfluss den Wasserfall „Engenho Mágico“ formt. Der eigentliche Fall ist gering – nur 2,5 Meter – aber gerade deshalb ideal für ein Bad.
Und der folgende Wasserfall ist eine namentliche Sequenz des vorigen – „Engenho Mágico 2“ – ebenfalls nur mit geringer Fallhöhe. Da er auf einem Privatgrundstück liegt, hat der Besitzer an dieser Stelle ein bisschen Organisation und Infrastruktur einfliessen lassen: es gibt hier schöne, fast natürliche Swimmingpools, an einer kleinen Bar serviert man dem Gast Snacks und Mittagessen, wenn gewünscht. Das Areal hat ausserdem einen Campingplatz für Gäste.
Einer der bekanntesten Wasserfälle der Region ist der „Cachoeira da Corrente“ – er folgt als nächster auf unserem Weg. Sein Name stammt von einer Eisenkette (Corrente), die man von einem zum anderen Ufer, in 3 m Höhe gespannt hat. Die etwas kühneren Badegäste hangeln sich an dieser Kette bis in die Mitte des Flusses und lassen sich da, wo er am tiefsten ist, ins Wasser fallen. An dieser Stelle besteht die beste Infrastruktur für Badegäste.
Und der letzte auf unserer „Wasserfall-Route“ heisst so wie der erste: „Véu da Noiva 2“ – er ist einer der Mächtigsten – seine Fallhöhe beträgt zwar nur 5 Meter, aber der sich anschliessende Wasserstrom ist 30 m breit. Schön zum Baden, in einer landschaftlich sehr reizvollen Umgebung – wunderbar um einen aufregenden, erlebnisreichen Tag hier zu beschliessen.