Die seltsamen, vielsagenden Blicke aus den dunklen, mandelförmigen Augen der Menschen Brasiliens, mit einer haselnussbraunen bis kohlschwarzen Iris – manchmal in verhaltener Melancholie, auch entrüstet oder provokativ, meist aber selbstbewusst und voll strahlender Freude am Leben – sie mit der Kamera einzufangen und festzuhalten, haben wir vom BrasilienPortal-Team uns schon vor Jahren vorgenommen, und diese „Augenblicks-Begegnungen“ haben sich im Lauf der Zeit zum Lieblings-Hobby für ein paar unserer Mitglieder entwickelt.
Brasilianer lassen sich im allgemeinen gerne fotografieren – es sei denn, sie befinden sich in Umständen, denen ihr eigenes Selbstwertgefühl zum Opfer gefallen ist, wie jene armen Teufel, die in den dunklen Ecken der Strassen und Plätze herumliegen und den Anschluss an die Gesellschaft verloren haben. Sich vor einer Kamera zu präsentieren entspricht dem (angeborenen) brasilianischen Geltungsbedürfnis – einer Extrovertiertheit, die man überall da beobachten kann, wo mehrere Exemplare dieser Exoten aufeinandertreffen: in einer Bar an meiner Ecke oder vor einem Kiosk in Ipanema, am Strand von Copacabana oder im Grün des Botanischen Gartens, im Omnibus oder in der Metro, auf dem mit schwarz-weissen Wellen eingelegten Flaniertrottoir der Avenida Atlantica oder im weiträumigen Flamengo-Park, in einem Shopping-Center oder einem Churrasco-Restaurant, beim bunten Strassenkarneval auf der Rio Branco oder im brodelnden Maracana-Stadion beim Fussball – um nur einmal von den “Cariocas“, den Bürgern von Rio de Janeiro, zu sprechen, unter denen ich heute lebe, und die ich deshalb auch in letzter Zeit häufiger portraitiert habe.
“Vor Jahren“ (zwischen 1964 und 1975) entstanden die Portraits meiner ersten Begegnungen mit den brasilianischen Ureinwohnern, die seit Kolumbus “Indianer“ genannt werden und mich mit ihrem harmonisch in die Natur integrierten Lebenszyklus am meisten fasziniert haben, sodass ich mehrere Jahre unter ihnen verbrachte. Ebenfalls “schon vor Jahren“ (zwischen 1975 und 1985) entstanden meine zahlreichen Bilder aus dem dürren brasilianischen Nordosten, von Menschen, die unter unglaublich bescheidenen Umständen mit dem Leben zurecht zu kommen versuchen – ohne Elektrizität und immer abhängig vom Regen, um nicht zu verhungern oder zu verdursten. Bei ihren Portraits kann von Extrovertiertheit allerdings keine Rede sein – die haben sie ihrer kontinuierlichen bangen Hoffnung auf eine Verbesserung ihres kargen Lebensstandards geopfert, und mit den sich von Jahr zu Jahr vertiefenden Furchen ihrer enttäuschten Gesichter ist auch der Glanz in ihren ehemals strahlenden Augen scheinbar erloschen.
Von damals bis heute hat sich eigentlich nichts wesentlich verändert im materiellen Leben der Brasilianer, wenn man mal von der äusseren Erscheinung der von mir portraitierten “wilden“ Indianer absieht, die ihre ehemalige “mit Federn und Pflanzenfarbstoffen geschmückte, edle Nacktheit“ heute einer manchmal deprimierenden Präsentation mehr oder weniger abgetragener Kleidungsstücke geopfert haben. Aber im Nordosten scheint die Zeit stillzustehen – trotz der ewigen Versprechen von einer Wahlkampagne der Politiker zur andern, besteht das Leben der Menschen im trockenen “Sertão“ immer noch mehr aus Hoffnung denn aus konkretem Fortschritt.
Für den Fotografen die gleichen, fotogen-rückständigen Impressionen wie vor dreissig Jahren: bunte Marktszenen unter freiem Himmel – Warentransport per Esel, Pferd oder Ochsenkarren – Fischen per vom Wind getriebener “Jangada“ auf dem offenen Meer – mühsamer Krebsfang im Schlamm der Mangroven – Kunsthandwerk aus geschickten, runzligen Händen der Menschen, die aus ihrer materiellen Not die schönsten brasilianischen Tugenden hervorgebracht haben: materielle und persönliche Bescheidenheit, Ehrlichkeit, Ausdauer und Beharrlichkeit, tiefe Religiosität und eine Hoffnungsbereitschaft, die geradezu beschämt. Und ich habe sogar die (den) eine(n) oder andere(n) inzwischen mal lachen gesehen – mit mehr oder weniger Zähnen im Mund und unter all den vielen Sorgenfalten – so ein Ereignis nimmt einen richtig mit, kann ich Ihnen sagen – aber dann erst das Lachen der Kinder: das haut einen um!