Wenn das größte deutsche Volksfest in Lateinamerika ruft, dann wird dies auch jenseits des Atlantiks in Europa gehört. Denn nach 27 Jahren Oktoberfest in Blumenau ist es inzwischen eine Ehre, als deutsche Kapelle oder Band mit deutschsprachigen Liedern im Repertoire im „Parque Vila Germânica“ die Zuschauer unterhalten zu dürfen. Deutsche Volksmusik ist eine der Stützen des dreiwöchigen Mammutspektakels und die Verantwortlichen sich sich dessen wohl bewusst. Ob die Trachtenkapelle D’Rauschberger-Zell, die Dorf-Oxn, die Musikkapelle Chieming oder Die Grombacher – von bayerischer Blasmusik bis zu Bierzelt-Krachern reicht das Spektrum, mit dem bis in die frühen Morgenstunden gefeiert wird.
Und auch zum Oktoberfest 2011 waren wieder zahlreiche deutsche Gruppen angereist, um in den drei Wochen des Megaspektakels mehr als eine halbe Million Menschen zu unterhalten. Vier Bühnen stehen in den verschiedenen Hallen auf dem Veranstaltungsgelände “Parque Vila Germânica” bereit, zu Spitzenzeiten verfolgen zwischen 10.000 und 15.000 Besucher die Auftritte der verschiedenen Bands. Damit jedoch jedes Jahr aufs Neue die beliebten Stimmungsmacher auf dem größten deutschen Volksfest des amerikanischen Kontinenten präsent sind, haben sich die Organisatoren ein ausgefeiltes Konzept ausgedacht. Sämtliche “Importgruppen” werden in Deutschland angeworben und bekommen lediglich Flug, Unterkunft und Verpflegung gestellt. Die abendlichen rund zweistündigen Auftritte erfolgen dann komplett ohne Gage.
“Anders ist das ganze sonst finanziell gar nicht zu bewältigen” verrät José Carlos Oechsler im Gespräch mit dem BrasilienPortal. Der gebürtige Blumenauer, in dessen Familie bereits in der vierten Generation trotz der Entfernung zur ursprünglichen Heimat perfektes Deutsch gesprochen wird, leitet die Musik-Kommission des Festes und fliegt dafür jedes Jahr nach Deutschland. Dort trifft es sich mit den verschiedenen Gruppen, sieht sich die Auftritte an und versucht sie für das Oktoberfest im Süden Brasiliens zu gewinnen. Dabei legt er vor allem Wert auf das Repertoire. 90 Prozent der Musikstücke sollen in deutscher Sprache vorgetragen werden, nur zehn Prozent internationale Hits sind erwünscht.
“Dies ist eine Konsequenz aus dem stetigen Besucherrückgang vor dem Jahr 2005″ so Oechsler. Damals habe man, um wieder mehr Publikum anzulocken, das mehrere Hallen umfassende Festgelände gebaut und gleichzeitig versucht, “das Deutsche” wieder mehr in den Vordergrund zu rücken. Mehr Gruppen aus dem deutschen Sprachraum wurden verpflichtet, und dies trotz knapper Kassen mit Erfolg. Das Fest erfuhr einen gewaltigen Zulauf, das Konzept wurde trotz damals ebenfalls eingeführten Eintrittspreisen hervorragend angenommen.
“Wir machen faktisch keinen Gewinn, denn das beim Oktoberfest eingenommene Geld soll ja hier in Blumenau zirkulieren” betont Oechsler und verteidigt damit zugleich die Ticketpreise, die am Wochenende umgerechnet rund sieben Euro betragen. Schüler, Studenten und Senioren zahlen dabei nur die Hälfte, dies mache etwa 45 Prozent aller verkauften Karten aus. Und zudem sei der Eintritt in einer “traditionellen Tracht” sowieso frei. Dass die Kapellen und Bands aus Deutschland auch ohne finanziellen Anreiz gerne kommen, sei der Beliebtheit des Oktoberfestes zu verdanken. Manche Gruppen wollten einfach nur einen Auftritt in Brasilien in ihrer Vitae stehen haben, für andere sei es einfach ein kostenloser Urlaub in Brasilien. Denn bei zwei Stunden Spielzeit am Tag bliebe genügend Zeit für Ausflüge in die nähere Umgebung oder an die rund 50 Kilometer entfernte Atlantikküste.
Nicht jede musikalische Attraktion kann Oechsler jedoch einfach so einfliegen lassen. Auch er müsse ein Budget beachten, inzwischen habe sich sogar eine kleine Warteliste gebildet. “Bis in das Jahr 2014 haben wir jetzt schon Anfragen vorliegen” erzählt er voller Stolz. “Aber ob eine Gruppe im kommenden Jahr wiederkommt, hängt natürlich auch davon ab, wie sie bei den Zuschauern ankommt” so Oechsler mehr als überzeugend. Daher wurden gleichermaßen einheimische Gruppen verpflichtet, diese bekommen allerdings eine entsprechende Gage. Prämisse ist jedoch auch hier, dass überwiegend deutsch gesungen wird. Die Einheimischen freut es, für einen Deutschen mag der teilweise starke Akzent befremdlich wirken, doch eines ist klar: beim Oktoberfest in Blumenau war schon immer Wille wichtiger als die letztendliche Umsetzung. Und so blickt man auch gelassen über die reichlichen Rechtschreibfehler im offiziellen Programm oder auf den Anzeigetafeln hinweg, wenn man versucht, mal wieder ganz besonders Deutsch zu sein. Hauptsache, alle singen mit!
Aber selbstverständlich gibt es spezielle brasilianische Oktoberfest-Klassiker, liebevoll zugeschnitten auf die kleine Stadt inmitten des atlantischen Regenwaldes. Beispielsweise „Ein Prosit Blumenau“, „Alô Blumenau“ (Hallo Blumenau) oder „Em outobro eu também sou alemão“ (Im Oktober bin auch ich Deutscher) heissen diese Hits, die dann von den Zehntausenden feuchtfröhlichen Kehlen mitgesungen werden. In der Region kann man die Songs zur Oktoberfest-Zeit natürlich auch im Radio oder als Hintergrundmusik im Einkaufscenter hören. Das Spektakel in den Farben der deutschen Flagge ist damit so omnipräsent, dass man als gebürtiger Deutscher meist nicht umhin kommt, es dann doch ein klein wenig befremdlich oder übertrieben zu finden.