Die Arara Karo leben in den beiden Dörfern “Iterap“ und “Paygap“, beide befinden sich im südlichen Teil des Indio-Territoriums (IT) “Igarapé de Lourdes“, im Bundesstaat Rondônia. Zwei Drittel der Arara Karo bewohnen das erste, der Rest das zweite Dorf. Im gleichen IT leben auch die Indios “Gavião“, ihre traditionellen Feinde. Die Arara Karo wurden erstmals gegen Ende der 40er Jahre kontaktiert, wodurch Hunderte an ansteckenden Krankheiten starben und sich die Überlebenden auf die Latex-Sammellager der Region verteilten. Daraus resultierte ihre völlige Anpassung an eine nicht-indigene Lebensweise – jedoch werden ihre Schamanen von allen Indios der benachbarten Gebiete immer noch als “sehr mächtig“ anerkannt.
Arara Karo
Andere Namen: Arara de Rondônia, Arara Karo, Arara Tupi, Ramaráma, Urukú, Urumí Sprachfamilie: Ramarama Population: 121 (2019) Region: Bundesstaat Roraima |
INHALTSVERZEICHNIS Name Sprache Sozio-linguistische Situation Interessante Aspekte der Sprache Lebensraum Bevölkerung Geschichte des Erstkontakts Politische und gesellschaftliche Organisation Mythologie und Schamanentum Quellenangaben |
Name
Die Arara Karo werden auch als Arara Tupi, Arara de Rondônia oder einfach als Karo bezeichnet (der letztere Name bedeutet “Ara“ in ihrer Sprache). Diese Termini benutzt man, um sie von den übrigen Arara-Gruppen Brasiliens zu unterscheiden, wie den “Arara do Acre (Shawanawá), den “Arara do Aripuanã (Arara do Beiradão), und den “Arara do Pará (Ukarãgmã).
Wenn sie von sich selbst sprechen, nennen sich die Arara Karo “I’târap“ = “wir alle“ – ein Wort, welches sich aus einer Zusammensetzung der ersten Person plural “I’tâ“ = “wir“, gefolgt von der kollektiven Bezeichnung “tap“ (man spricht es “rap“ aus) = “alle“ ergibt.
Sprache
Die Arara von Rondônia sprechen die isolierte Sprache “Karo” – früher als “Arara“ bekannt – die von diesem Autor ab 1987 in “Karo“ umbenannt wurde, um sie von den übrigen Arara-Sprachen zu unterscheiden, welche von den Gruppen gleichen Namens in Brasilien benutzt werden. Die Karo-Sprache gehört zur Sprachfamilie “Ramarama“ aus dem linguistischen Stamm Tupi (Rodrigues 1964), und lange Zeit nahm man an, dass es weitere verwandte Sprachen gäbe, die zur gleichen Familie gehörten: “Ntogapíd (oder Itogapúk), Ramarama, Uruku, Urumi“ und “Ytangá“.
Jedoch demonstrierte eine von Gabas erarbeitete Studie (2000), dass alle diese angenommenen Sprachen in Wirklichkeit ein und dieselbe sind – durch verschiedene Ethnologen (Curt Nimuendaju 1925 und 1955; Marechal Rondon 1948; Claude Lévi-Strauss 1950; Horta Barbosa 1945 und Harald Schultz 1955), die zu unterschiedlichen Zeiten mit unterschiedlichen Sprechern ihre Wortsammlungen angelegt hatten, ergab sich dieser Irrtum. So wird die Karo-Sprache heute als einzige aus der Familie Ramarama behandelt, so wie auch andere Sprachen aus dem Tupi-Stamm einzigartig dastehen in ihren jeweiligen Familien: “Aweti, Puruborá“ und “Sateré-Mawé“.
Sozio-linguistische Situation
Die Karo-Arara bewohnen zwei verschiedene Dörfer – Iterap und Paygap. In beiden sprechen praktisch alle Bewohner ihre eigene Sprache, und Portugiesisch wird als Zweitsprache gelernt und nur als Kontaktsprache benutzt. Einige Karo-Arara, die von Familien der Kolonisten aufgezogen wurden, sprechen nur Portugiesisch, aber sie verstehen Karo vollkommen. Unterhaltungen, die diese Indios zwischen der Kommune und ihren Familien bestreiten, werden zweisprachig geführt.
Die Kinder beider Dörfer lernen nach ihrer Geburt die Karo-Sprache, und obgleich Portugiesisch erst später dazu gelernt wird, kann man bereits einen graduellen Gebrauch dieser Zweitsprache besonders bei der neuen Generation feststellen, wenn sie sich, zum Beispiel, auf die Verwandtschaftsgrade bezieht (Vater, Mutter, Onkel, Tante, Cousin, Cousine etc.).
Einige Karo-Arara sprechen oder verstehen die Sprache der Gavião, ihrer Nachbarn, dank verschiedener Eheschliessungen zwischen den beiden Ethnien. Die Vielsprachigkeit wird in diesem Fall nicht negativ angesehen, obwohl die Karo-Arara und die Gavião traditionelle Feinde gewesen sind.
Interessante Aspekte der Sprache
Die Karo-Sprache besitzt verschiedene interessante Aspekte für diejenigen, die nicht-europäische Sprachen studieren. Davon möchte ich drei hervorheben:
Der erste Aspekt ist ein Klassifizierungssystem, durch das ein Substantiv von einem Klassifikator ergänzt wird, welcher sich auf die reale oder imaginäre Erscheinungsform des Objekts bezieht, das durch das Substantiv ausgedrückt wird. Ein praktisches Beispiel ist das Wort für “Auge“ – es heisst in der Karo-Sprache “Icagá ‚a‘ – das erste Wort bedeutet “Auge“ und das zweite “rundes Objekt“. Das Klassifizierungssystem des Karo besteht aus zehn unterschiedlichen Bezeichnungen, die sich auf unterschiedliche Aspekte von Objekten beziehen.
Ein weiterer interessanter Aspekt der Sprache ist ihr “Ideophonisches System“ – Worte mit einer sehr speziellen verbalen Bedeutung, die benutzt werden, um Geschichten und Gesprächen mehr Kolorit zu verleihen. Ein Beispiel von Ideophonie in der Karo-Sprache ist das Wort “Oturum“, das bedeutet: Auf den Boden herunterkommen und viel Lärm machen“ – oder “Ngârâgn“, was bedeutet: “Den Kopf nach hinten drehen“. Ideophonika in Karo sind eine offene Klasse für sich, das heisst, sie werden von der Vorstellungskraft und Kreativität der jeweiligen Redner geschaffen, deshalb ist ihre Zahl unbegrenzt.
Ein dritter interessanter Aspekt der Karo-Sprache ist die Existenz eines Systems von verdeutlichenden Worten, die dazu dienen, die Quelle oder die Vertrauenswürdigkeit einer weitergegebenen Information durch die Redner zu identifizieren. Wenn ein Karo-Arara zum Beispiel das Wort “to’wa“ hinter eine Mitteilung setzt, will er damit sagen, dass er diese Information gehört hat, das heisst, er war weder Zeuge des Geschehens, noch kann er es bestätigen – er gibt lediglich die Information weiter. Die Karo-Sprache bedient sich zehn verschiedener Arten von Verdeutlichungen.
Lebensraum
Traditionell bewohnten die Karo-Arara stets dasselbe Gebiet, in dem sie noch heute ansässig sind – das Indio-Territorium (IT) “Igarapé de Lourdes“, im Bundesstaat Rondônia, das sie sich wie erwähnt mit den Indios Gavião, ihren traditionellen Feinden, teilen. Das Gebiet hat eine Fläche von zirka 190.000 Quadratkilometern, davon gehört zirka ein Drittel den Arara und zwei Dittel den Gavião.
Die nächstgelegene Stadt der beiden Arara-Dörfer ist Ji-Paraná – in zirka 70 km Entfernung, zu erreichen auf einer Erdpiste (in der Trockenzeit) oder zirka drei Stunden per Boot den Rio Machado hinab bis zum Dorf Iterap. Die Anfahrt zum Dorf Paygap ist einfacher, denn es liegt nahe des Fleckens Nova Colina. Auf einer Erdpiste erreicht man es nach 50 km von Ji-Paraná aus.
Bevölkerung
1987, als dieser Autor seine Forschungen bei den Arara begann, gab es nur ein einziges neu gegründetes Dorf, in dem zirka einhundert Indios lebten. 2004 wurde die Bevölkerung beider Dörfer auf zirka 170 Indios geschätzt, von denen 2/3 im Dorf Iterap und der Rest im Dorf Paygap lebten.
Es finden unregelmässig Eheschliessungen zwischen den Arara (sowohl Männer wie auch Frauen) und den Gavião statt, und seltener zwischen den Arara und den Zoró, die im Nachbargebiet leben. Ehen zwischen den Arara und Nicht-Indios sind selten. Vom linguistischen Standpunkt aus gesehen, erlernen die Kinder aus interethnischen Ehen die Sprachen beider Eltern (Arara und Gavião oder Arara und Zoró), und später auch Portugiesisch als Kontaktsprache.
Geschichte des Erstkontakts
Obwohl sie seit 1920 bereits sporadische Kontakte mit der sie umgebenden nationalen Bevölkerung hatten, wurden die Karo-Arara erst in den 40er Jahren vom antiken “Serviço de Proteção ao Índio“ (SPI) offiziell kontaktiert. Dieser Kontakt war niederschmetternd für sie – Hunderte Indios starben an Krankheiten, die von den Nicht-Indios eingeschleppt worden waren (besonders Lungenentzündung, Grippe und Mumps), und die wenigen Überlebenden begaben sich in die Latex-Sammelstellen der Region, wo sie zusammen mit der nicht-indigenen Bevölkerung arbeiteten.
Erst gegen Ende der 60er Jahre gelang es einem Funktionär des SPI, wahrscheinlich dem Chef des Postens Lourdes, Senhor Brígido, die Karo-Arara neu zu gruppieren – sie lebten fortan zusammen mit den Gavião. Nach zahlreichen Querelen entschlossen sich die Arara dann Mitte der 80er Jahre, ihr eigenes Dorf zu gründen, in der Nähe des Igarapé da Prainha, einem kleinen Flüsschen, zirka 5 km oberhalb seiner Mündung in den Rio Machado. Bald erhielten sie von der FUNAI (der Nachfolgeorganisation des SPI) die Anerkennung ihres Dorfes mit der Gründung des FUAI-Postens “Iterap“.
Anfang der 90er Jahre entstand bei den Arara ein interner Zwist, der den damaligen Häuptling Pedro Agamenon bewog, sich mit seiner Grossfamilie in einen anderen Teil des IT zurückzuziehen, wo er sein eigenes Dorf gründete, das heute “Paygap“ heisst. Nach Auskunft der FUNAI-Techniker gibt es im Dorf Paygap keine genügende Anzahl Bewohner, die die Gründung eines weiteren Indio-Postens rechtfertigen würde.
Politische und gesellschaftliche Organisation
Weil die Karo-Araramit der nationalen Bevölkerung bereits seit langer Zeit in Kontakt stehen (etwa 60 Jahre), haben sich ihre politische und gesellschaftliche Organisation, sowie ihre traditionelle Kultur, aufgelöst und werden nicht mehr praktiziert. Wie man durch die Ältesten des Volkes in Erfahrung bringen konnte, gab es einst traditionelle Feste (zum Beispiel das Fest der Maisernte), und auch die Reklusion der Jungfrauen bis zum Tag ihrer Heirat war bei ihnen üblich.
Es existierten zwei unterschiedliche Arara-Gruppen: die gegenwärtigen Karo-Arara und die so genannten “Pés Pretos“ (Schwarzfüsse), die wahrscheinlich einen anderen Dialekt sprachen als die Karo-Arara. Berichte deuten darauf hin, dass die beiden Gruppen in Nachbarschaft zueinander lebten und freundschaftliche Beziehungen pflegten, jedoch bei mehreren Gelegenheiten auch aufeinander losgingen, was mit Toten auf beiden Seiten endete. Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen einer Existenz jener “Schwarzfüsse“ unter den Karo-Arara.
Zu den Aspekten ihrer gesellschaftlichen Organisation, die noch immer beibehalten werden, ist zum Beispiel die Sitte, dass der frisch gebackene Ehemann für seinen Schwiegervater arbeitet, bis dieser ihn von seinen Aktivitäten befreit (zum Beispiel Feldarbeit, Jagd, Fischfang u.a.). Dieses Detail kann man auch bei jenen Arara beobachten, die in eine andere Ethnie einheiraten – zum Beispiel in die Gesellschaft der Gaviáo.
Es gibt einige wenige Ehen (älteren Datums) zwischen Indios und Nicht-Indios, aber diese Art von Vereinigung wird im Allgemeinen nicht gern gesehen unter den Mitgliedern der Kommune.
Man weiss nicht mehr, wie einst das traditionelle System der Namensgebung von Neugeborenen funktionierte – heute erhalten die Arara-Babys sowohl einen Arara-Namen als auch einen portugiesischen (in der Regel verliehen von den Eltern und/oder den Grosseltern. Die Bedeutung des Arara-Namens bezieht sich stets auf einen physischen Aspekt des Kindes oder eine Episode im Zusammenhang mit seiner Geburt (oder der Schwangerschaft).
Die Häuser des Dorfes entsprechen nicht mehr ihrer traditionellen Architektur. Es sind Holzhäuser (einige schon mit Ziegelsteinen), aufgeteilt in einen Wohnraum und zwei oder drei Zimmer – die Küche befindet sich in einem Extra-Anbau und besteht aus einem mit Palmstroh gedeckten Dach und fast offenen Wänden. In der heissen Zeit ist hier der Aufenthalt am angenehmsten.
Mythologie und Schamanentum
Man weiss nur wenig über die Kosmologie des Arara-Volkes. Einige ihrer erhaltenen Mythen deuten jedoch darauf hin, dass der “weisse“ Mann aus einem Jatobá-Baum geschaffen wurde – und sie zeigen auch die Dualität zwischen Gut und Böse auf in den Figuren zweier Brüder, einen tugendhaften und einen unverschämten, die sich durch den Dschungel schlagen, bis schliesslich der Erste den Zweiten tötet. Eine Sammlung der Arara-Mythen, an die sich die Ältesten noch erinnern, ist in Arbeit und dürfte demnächst publiziert werden.
Keines der traditionellen Arara-Rituale wird gegenwärtig noch praktiziert. Es gibt verschiedene Schamanen im Dorf, alle werden von der Kommune aufs äusserste respektiert, ebenso von Mitgliedern anderer Ethnien, aber ihre Funktionen scheinen sich anlässlich kommunaler Interessen auf Ratschläge zu begrenzen, und nicht mehr mit den typischen Praktiken ihres Schamanentums einherzugehen (Krankenheilungen, rituelle Dialoge, Erarbeitung von Beschwörungen etc.).
Materielle Kultur
Die traditionelle Kunst der Kano-Arara zeigt sich an der Konfektion von Handarbeiten, wie zum Beispiel diversen Ornamenten der Körperbemalung, verschiedenen Ketten aus Samenkerne, Armbändern, Federkronen etc. – Artikeln für den Haushalt, wie Körben unterschiedlicher Grössen, Hängematten aus Tucumã-Fasern und Baumwolle, Besen, Fächern etc. – oder auch den Artikeln für die Jagd, wie Pfeiel und Bogen. Inzwischen gibt es keine Produktion von Keramikgefässen mehr, aber die Frauen nähen ihre Kleidung selbst, aus Stoffen, die sie in der Stadt kaufen.
Die Kano-Arara pflegten sich mit Jenipapo zu bemalen – ihr “Markenzeichen“ war eine feine schwarze Linie von einer Seite des Gesichts zur anderen, die Nasenscheidewand wurde durchbohrt und eine Ara-Schwanzfeder hineingesteckt, die durchbohrte Unterlippe schmückte ein kleiner Holzpflock. Obwohl sie diesen Schmuck heute nicht mehr benutzen, kann man ihn gelegentlich bei den Älteren noch sehen.
Periodisch bedienten sie sich des “Timbó“ (Lianengift) für einen alljährlichen grossen Fischzug anlässlich eines besonderen Festes, zu dem auch die benachbarten Stämme eingeladen und bewirtet wurden. Heute fischt man mit Angelhaken, und einige Indios ziehen es vor, auf die traditionelle Art und Weise, mit Pfeil und Bogen, den Fischen aufzulauern.
Auf die Jagd geht man längst mit dem Karabiner. Für die Jagd von Vögeln, besonders der grösseren Exemplare, vertraut man immer noch auf die traditionellen, aus Palmfasern geflochtenen, Fallen.
Quellenangaben
Es existiert nur wenig (oder fast gar nichts) an anthropologischem Wissen über die Kano-Arara. Das einzige publizierte Material mit einer kurzen Beschreibung der Lebensumstände der Arara findet man in den Aufzeichnungen von Levi-Strauss (1950). Speziell in der linguistischen Wissenschaft (mehrheitlich Listen mit Worten) wurden Arbeiten seit 1925 erstellt, mit Nimuendaju. Andere Referenzen sind HORTA BARBOSA (1945), HUGO (1959), NIMUENDAJU (1955), RONDON & FARIA (1948), und HARALD SCHULTZ (1955).
Das tiefer gehende linguistische Wissen über die Karo-Arara jedoch, stammt aus dem Jahr 1987, als dieser Autor mit den Studien der Arara-Sprache begann. Seither hat er verschiedene Artikel, Buchkapitel und Bücher publiziert, die sich mit Aspekten der Arara-Sprache beschäftigen.
Gegenwärtig sind auch eine vollständige Grammatik der Sprache und ein Wörterbuch “Karo-Portugiesisch“ in Vorbereitung von diesem Autor.
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung Klaus D. Günther