Die “Kanoê“ leben ziemlich auseinandergezogen in der Südregion des Bundesstaates Rondônia, nahe der Grenze zu Bolivien. Bei den Gruppen dieser Ethnie gibt es zwei unterschiedliche Situationen betreffend ihres Kontakts mit der nationalen Gesellschaft: Die grosse Mehrheit lebt längs der Ufer des Rio Guaporé und ist mit der “Welt der Weissen“ bereits seit langem vertraut. Im Gegensatz zu ihnen gibt es eine einzige Familie, die aus nur drei Personen besteht, die am Rio Omerê, einem Nebenfluss des Rio Corumbiara, lebt, und die erst 1995 von der FUNAI kontaktiert wurde, als sie noch aus fünf Mitgliedern bestand – diese Familie bevorzugt die Isolation. Diese Kanoê-Gruppen, jede auf ihre Art, sind geprägt durch tragische Ereignisse, die einen signifikanten Bevölkerungsschwund zur Folge hatten. Heute kämpfen sie um ihr physisches und kulturelles Überleben in einer Region, die zu weiten Teilen von Holzfällern, Landbesetzern und anderen Geschäftemachern besetzt ist, und die nicht selten die Integrität und exklusive Nutzung ihres Gebiets bedrohen.
Kanoê
Andere Namen: Canoe, Kapixaná, Kapixanã Sprachfamilie: Kanoê Population: 282 (2012) Region: Bundesstaat Rondônia |
INHALTSVERZEICHNIS Die Kanoê vom Rio Guaporé Geschichte des Erstkontakts am Guaporé Die Kanoê vom Rio Omerê Geschichten vor dem offiziellen Kontakt Sprache Perfektionismus und Gastfreundschaft Produktive Aktivitäten Materielle Kultur |
Die Kanoê vom Rio Guaporé
Die Kanoê an den Ufern des Rio Guaporé sind schon seit längerer Zeit mit dem Modus vivendi der brasilianischen Gesellschaft vertraut. Ein Grossteil von ihnen ist mit Mitgliedern anderer Ethnien oder Nicht-Indios verheiratet, und lediglich drei Personen sprechen noch ihre native Sprache. Allerdings sind sie sich dessen bewusst – so ihr Führer José Augusto Kanoê – dass sie ein indigenes Volk darstellen, eine gemeinsame Herkunft und verwandtschaftliche Bindungen haben, und dass sie aus diesem Grund Projekte entwickeln wollen, um ihre ethno-kulturelle Identität und Sprache neu zu beleben.
Die Kanoê leben mit anderen Ethnien in den Indio-Territorien “Rio Branco“ und “Rio Guaporé, sowie im Munizip von Guajará Mirim. Ausserdem gibt es noch eine Familie im IT “Pacaás Novas“ und andere Familien im IT “Sgarana“ – beide vom Volk der “Wari“ besetzt. Nach Aussage des Kanoê-Mitglieds Munuzinho, im Januar 1997, existieren möglicherweise weitere Verwandte von ihm in anderen Regionen Rondônias, von denen man schon seit langem keine Nachrichten mehr bekommen hat.
Geschichte des Erstkontakts am Guaporé
In der Südregion des Bundesstaates Rondônia leben zahlreiche indigene Völker mit unterschiedlichen Sprachen, die jedoch viele kulturelle Eigenschaften gemeinsam haben. Die kulturelle Ähnlichkeit zwischen den “Tupi“ und “Jabuti“ sprechenden Gruppen am rechten Ufer des Rio Guaporé und seinen entsprechenden Nebenflüssen, führte dazu, dass man sie als Teile eines so genannten “Marico-Kultur-Komplexes“ identifizierte, ein Name, der von den Körben aus Tucum-Fasern stammt, die von allen diesen Ethnien in vielen verschiedenen Grössen angefertigt werden (Cf. Maldi 1991: 210-11). Die Region zwischen den Quellen der Nebenflüsse des Mittleren Guaporé und den Nebenflüssen des Rio Pimenta Bueno war der Lebensraum anderer Gruppen, deren Mehrheit nie zuvor studiert und deren Sprache ebenfalls unbekannt war, die aber in kultureller Hinsicht die Aspekte der gesamten Region teilten, wie zum Beispiel auch den zeremoniellen Konsum von Chicha aus Mais. Die Kanoê gehörten zu dieser Gruppe.
Während der Kolonialzeit war die von den okzidentalen Nebenflüssen bewässerte Region des Guaporé und des Mamoré – heute bolivianisches Territorium – zirka 100 Jahre lang der grösste Missionskomplex Mittelamerikas: die Provinz von Mojos, die auch die Rolle einer Grenzenbewachung für die Spanier spielte. Die indigenen Völker, welche in dieser Region ansässig waren, wurden zur Verteidigung spanischer Interessen angeworben und ihre Kommunen aufgelöst. Auf unterschiedliche Art und Weise richtete sich die gesamte portugiesische Besetzung des rechten Guaporé-Ufers auf die Haltung dieser Stellung und die Zerstörung der Missionen. Die indigene Politik Portugals (im Interesse der kolonialen Staatsmacht) fusste auf einer Strategie, die im Gegensatz zu den Spaniern, die Indios in ihren angestammten Territorien beliess, um dortselbst als Grenzwächter zu agieren.
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts, als die Unabhängigkeitsbewegungen anfingen, sich zu definieren, und die kolonialen Grenzen an Bedeutung verloren, leerte sich diese Region sehr schnell. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jedoch, wurde sie erneut besetzt durch das zunehmende Interesse an der Latexausbeutung – der Gummi-Zyklus hatte begonnen. In dieser Periode wurden die übrig gebliebenen indigenen Völker der antiken Missionen von Mojos – die bereits einen schmerzlichen Prozess der kulturellen Entfremdung und Völkermischung durchlaufen hatten – schnell als billige Arbeitskräfte integriert. Während die indigenen Kontingente auf der brasilianischen Seite der Grenze sich in ihrer Mehrheit isoliert hielten, in schwer zugänglichen Gebieten. Diese Gruppen verblieben in ihrer relativen Abgeschiedenheit von der nationalen Gesellschaft bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Die meisten von ihnen, darunter auch die Kanoê, wurden erstmals von General Rondon kontaktiert, als dieser die Region der Flüsse Pimenta Bueno und Corumbiara überquerte, im Jahr 1909.
Diese Situation wurde dann in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts erweitert, als zahlreiche Sammellager zur Latex-Ausbeutung am rechten Ufer des Rio Guaporé aus dem Boden schossen, deren Besitzer in den meisten Fällen Bolivianer waren. Vor allem während der 30er Jahre, als die Nachfrage nach Gummi im Kontext des Zweiten Weltkriegs noch einmal aufloderte, vertieften sich die Kontakte, und viele Völker wurden in ihren Dörfern überfallen, litten unter Epidemien und wurden nicht selten gezwungen, ihre Territorien zu verlassen, um sich in den Latex-Sammellagern zu installieren, wo verschiedene Eheschliessungen zwischen Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien stattfanden, die zur Auflösung der Gruppen und ihrer Kultur führten.
Die Kanoê bewohnten das Ufer des Rio Pimenta Bueno (wahrscheinlich waren sie vom Rio Corumbiara nach Osten gewandert), als sie 1940 zum grössten Teil zum Rio Guaporé verlegt und am antiken Indio-Posten Ricardo Branco angesiedelt wurden, zusammen mit anderen Ethnien, auf Befehl des SPI (des antiken Indianerschutzes) und des Gouverneurs des Guaporé-Territoriums (das später in den Bundesstaat Rondônia umgewandelt wurde).
Wie Denise Maldi berichtet (1984:110), waren die verlegten Indios bereit für die Dienstleistungen in den Latex-Sammellagern, um die indigenen Arbeitskräfte zu ersetzen, die im Lauf der Zeit durch Krankheiten verloren gegangen waren. Der Indio-Posten jedoch hatte nicht die nötige Infrastruktur, um die Neuankömmlinge zu versorgen. Es gab dort keine Felder, und die Indios mussten ihre gesamte Zeit für das Sammeln von Latex verwenden, sodass sie sich von den Lebensmitteln ernährten, die ihnen in den Lagern zur Verfügung standen: Trockenfleisch, Bohnen und Maniokmehl. Wenig später wurden sie von einer Masernepidemie befallen. Die Sterblichkeit war dermassen, dass die Kanoê fast ausgerottet wurden. Und seither, während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, führte die Besetzung des Rio Guaporé zu verschiedenen Massakern der Indios.
In den 60er und 70er Jahren, besonders während der Militärdiktatur, rodeten Fazendeiros (Viehzüchter) eigenmächtig den Wald – die meisten begünstigt durch “Negativ-Bescheinigungen“ der FUNAI (das sind Dokumente, die bestätigen, dass ein Territorium “frei von Indigenen“ ist – was in der Regel und den schwierigen Umständen entsprechend nie nachgeprüft wurde) – sie pflanzten Gras und setzten ein paar Schuppen auf das Land, um zu “beweisen“, dass es bewirtschaftet wird – nicht selten benutzten sie versklavte Indios für die Fronarbeit.
In diesem widersprüchlichen Zusammenhang gibt es über die Kultur vieler indigener Gruppen aus Rondônia bis heute nur spärliche Dokumentationen, und der Anthropologe Luiz Fernando Machado de Souza (verantwortlich für den Bericht zur Identifizierung des IT Omerê) attestiert ihnen eine Bedrohung vor allem durch eine Invasion von Holzfällern in ihren traditionellen Territorien.
Während der Feldarbeiten des Linguisten Laércio Nora Bacelar, in den Jahren 1991 und 1997, hatte dieser Gelegenheit, die Geschichte der Kanoê mittels der Aussagen von Munuzinho Kanoê und Maria Atiminaké, Angehörigen dieses Volkes, aufzuschreiben. Wie diese Informanten berichten, bewohnten die Kanoê und Kapixana grosse Dörfer am Ufer des Igarapé Kauruá, im Gebiet der Flüsse Carvão und Machado, im Süden Rondônias. Munuzinho sagte, dass sie noch während seiner Kindheit nackt gelebt hatten, Felder mit Mais, Baumwolle, Taioba, Erdnüssen, Fava und anderem bewirtschafteten und die Jagd und den Fischfang betrieben. Sie waren als “Wilde“ bekannt und wurden dann durch den Kontakt mit den Missionaren “zahm“ – vor allem nach dem Tod des letzten “Tuxauá“ (Häuptling), als die Gruppe sich auflöste.
Der Kontakt mit den Weissen brachte ihnen den Tod durch Krankheiten. Munuzinho Kanoé, zum Beispiel, verlor einen seiner Söhne als ein Opfer von Keuchhusten, zwei weitere durch Masern, einen weiteren durch “einen Wurm im Bauch“, und eine seiner Töchter verschwand in Porto Velho, nie bekam er eine Nachricht, ob sie noch lebte oder gestorben war. Seine Frau starb dann nach ihrer letzten Entbindung.
Ausser dem Tod durch Krankheiten “von den Weissen“, gegen die es keine Mittel in seiner traditionellen Medizin gab, auch nicht von Seiten des Schamanen, brachte ihnen der Kontakt auch den Tod durch Feuerwaffen, vor allem in Konflikten mit Holzfällern, Landräubern, Goldschürfern und anderen. Dazu kamen noch die Auseinandersetzungen mit anderen indigenen Gruppen wegen der territorialen Rechte, weil diese Völker von den Weissen zunehmend in die Enge getrieben wurden. Und so kam ein Moment, in dem die Anzahl der Frauen die der Männer bei weitem übertraf – in der Gesellschaftsstruktur der Kanoê gab es keine Möglichkeit mehr, die Eheschliessungen durchzuführen. Also verehelichten sich die Frauen mit Männern anderer Ethnien (Aikaná, Jabuti, Mekém, Makurap, Cujubim etc.) und folgten ihren Ehemännern. Die Auflösung der Gruppe geschah anlässlich des Todes ihres letzten Häuptlings, dem Vater von Teresa Piraguê, denn es gab keinen Mann mehr, der in Übereinstimmung mit den Kanoâ-Traditionen den Platz des Verstorbenen hätte einnehmen können.
Ohne genaue Zeitangaben und mit einigen Gedächtnislücken, erinnert sich Munuzinho einer Zeit, wahrscheinlich Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre, in der er und andere Mitglieder seines Volkes auf einer Fazenda arbeiteten, wo sie in einen brutalen Ausnutzungsprozess gezwungen wurden – behandelt wie Sklaven, wurden sie von Söldnern des Besitzers bewacht. Auf dieser Fazenda wurde ein Kanoê-Junge von 11 Jahren von zwei Söldnern vergewaltigt – die Kanoê revoltierten nach dieser Gräueltat, einer der Vergewaltiger und einige Kanoê starben. Dem zweiten Vergewaltiger gelang die Flucht nach Porto Velho, und der Vater des Jungen verfolgte ihn bis in die Stadt – jedoch kam er nie mehr zurück.
In den letzten drei Jahrzehnten, bedingt durch den intensiven landwirtschaftlichen Expansionsprozess in Rondônia, sind viele indigene Völker des Rio Guaporé (Kanoê, Arikapu, Jabuti, Puruborá, Kwaza, Mekém etc.) auf einige wenige Überlebende reduziert worden, zusammen mit einem daraus resultierenden Verlust ihrer jeweiligen linguistischen Identitäten und ihren kulturellen Traditionen. Jedoch aus diesem entmutigenden Szenario, so beschreibt Maldi, taucht eine neue gesellschaftliche Realität auf, bestimmt durch die Intensivierung der interethnischen Verbindungen. Im IT Guaporé, zum Beispiel, werden einige kulturelle Aspekte zu Mechanismen der Solidarität zwischen unterschiedlichen Gruppen, wie der Konsum von Chicha aus Mais, der Gäste und Gastgeber vereint, und das Schamanentum, in einer gemeinsamen Aktion der Individuen unterschiedlicher Ethnien, die Angico-Pulver schnupfen und gemeinsamen Heilungszeremonien beiwohnen.
Die Kanoê vom Rio Omerê
Im Gegensatz zu den Bewohnern der Guaporé-Ufer, ist diese Kanoê-Gruppe in der Kategorie “isolierte Indios“ bei der FUNAI registriert. Ihr Kontakt wurde erstmals 1995 durch das offizielle Organ hergestellt, nach zehn Jahren vergeblicher versuche durch eine Kontaktfront (heute genannt “Ethnoambientale Schutzfront“). Es handelt sich um eine einzige Familie, die damals aus der etwa 50 Jahre alten Mutter Tutuá bestand, einer Tochter Txinamanty, auf 30 geschätzt, einem Sohn Purá, zirka 25, und zwei Enkeln, von denen einer Operá hiess, dessen Vater Kunibu ist, der Häuptling der Akuntsu, einer anderen stark reduzierten indigenen Gruppe, die “isoliert“ am Rio Omerê lebt. Der andere Enkel wurde 2002 geboren. Anfang 2003 erkrankten sie an Malaria und es starben die Mutter Tutuá und der Enkel Operá, der damals sieben Jahre alt war.
Diese Familie ist einsprachig in Kanoê, und nachdem sie sich in ein Waldreservat einer Fazenda zurückgezogen hatte, gelang es ihr ohne direkten Kontakt mit dem weissen Mann zu überleben, nachdem verschiedene Massaker fast zur kompletten Vernichtung ihrer Gruppe geführt hatten.
1984 deuteten Berichte auf die Existenz von Indios innerhalb jener Waldreservate hin, die für den Holzhandel und die Anlegung von landwirtschaftlichen Fazendas gerodet werden sollten, obwohl die lokalen Betreiber garantierten, dass es keine Indigenen mehr in dieser Region gäbe. 1985 wurde daraufhin eine Kontaktfront geschaffen, die ihre Arbeit offiziell 1986 begann – eine Fläche von 63.900 Hektar und 103 km Umfang wurde zum Zweck der Annäherung gesperrt. Von da an hörten die Versuche einer Beseitigung indigener Spuren nicht mehr auf: Mit gefällten Bäumen, der Anlegung von Pisten und Wegen, Interventionen mit Traktoren, die Spuren auslöschten, taten die Fazendeiros alles, um eine Existenz von Indios zu vertuschen. Trotzdem entdeckte die FUNAI-Equipe bei Rundflügen und auch auf der Erde verschiedene Beweise, wie Felder, Fusspfade, Fallen, Hüttenreste und andere indigene Gegenstände.
Ausserdem stiessen sie auf verschiedene Aussagen anderer Indios und Fazenda-Arbeitern. Einige dieser Arbeiter bestätigten, dass es Pistoleiros gäbe, die auf die Indios angesetzt waren, weil diese die Abholzung zu verhindern suchten. Die Indianerin Sabanê (Stamm Nambiquara) erzählte vom Besuch dreier unbekannter Indios: einem Alten, einer Alten und einem Jungen von schätzungsweise 13 Jahren, bewaffnet mit Pfeilen und Bogen, die einen Korb trugen, den sie am Ufer des Flusses gefunden hatten, eine Kalebasse mit Honig und eine andere mit Ketten aus schwarzen Samenkernen. Ausserdem hatten sie einen Feuerstein und Fasermaterial dabei zum Feuermachen. Sie erklärten, dass sie auf der Suche nach ihren Familienmitgliedern seien, die seit einer Woche auseinander gelaufen waren, als ein Traktor ihre Hüten niederwalzte und ihre Felder zerwühlte.
Im Mai 1986 bewilligte der föderative Richter von Porto Velho, bedrängt von den Fazendeiros des gesperrten Territoriums, eine Aufhebung der Verordnung des Präsidenten der FUNAI. Aber das Indio-Schutzorgan legte Beschwerde ein und die Sperrung des Territoriums wurde von höchster Stelle als betätigt abgesegnet. Der Indio-Kenner Sidney Possuelo wurde nominiert, die Arbeit zur Lokalisierung der isolierten Indios zu koordinieren. In seinem Bericht gab er an, dass das gesperrte Gebiet intensiv von Pisten in allen Richtungen durchquert sei, zum Abtransport von Bäumen, und dass dort eine grosse Bewegung von LKWs, Hunderten von Waldarbeitern, und Flugzeugen im Gange sei, mit einer Waldzerstörung von mehr als 30 km Länge. Possuelo folgerte daraus, dass das Gebiet, in dem man zuvor Anzeichen von indigenen Bewohnern gefunden hatte, inzwischen komplett verwüstet worden war, und dass eine reduzierte Gruppe, die vielleicht vor kurzem noch in diesem Gebiet Zuflucht gefunden hatte, es inzwischen, durch die Umstände gezwungen, längst verlassen hatte. Deshalb wurde die Sperrung des Territoriums im Dezember desselben Jahres aufgehoben und den Fazendeiros zurückgegeben.
Doch ungeachtet dieses Misserfolges gaben die Spezialisten der Kontaktfront, Marcelo dos Santos und Altair Algayer, ihre Nachforschungen nicht auf. Ausserhalb ihrer offiziellen Befugnisse setzten sie ihre Suche in den darauf folgenden Jahren fort, sammelten Beweise, stellten Hypothesen auf und wichen den Hindernissen von Holzfällern, Landbesetzern und Fazendeiros aus. 1993 konnten sie dann auf eine wertvolle Hilfe zählen: Das waren Satellitenaufnahmen, die es ihnen ermöglichten, mit grosser Präzision die gesammelten Beweise über die Präsenz von Indios mit den noch stehenden Waldflecken und jenen von den Fazendeiros abgeholzten Flächen zu vergleichen. Auf den ersten zwei Expeditionen fanden sie nichts. Dann rüsteten sie eine dritte aus, und die Beweise tauchten auf. Endlich entdeckten sie auf einem Satellitenfoto einen roten Punkt (Signal einer Abholzung) von der Grösse eines Stecknadelkopfes, inmitten eines Waldfleckens von sechs mal vier Kilometern Ausdehnung. Sie markierten die Koordinaten und die Equipe bestätigte die Lokalisierung des Dorfes.
Einen Monat später, im September 1995, bereiteten sie eine neue Expedition vor, diesmal kontaktsicher. Sie luden ein paar Journalisten dazu ein und, mit Hilfe eines Kompasses, fanden sie das Dorf nach vier Tagen. Die ersten Kontakte wurde ausführlich in der Presse beschrieben, besonders vom “O Estado de São Paulo“, dem Magazin “Veja“ und im TV-Programm “Fantástico“ (Globo) – mit Bildern von Vincent Carelli, Anthropologe und Kameramann des CTI (Centro de Trabalho Indigenista/SP), der diesen Fall seit der 80er Jahre begleitet hatte.
Nach einem Bericht von Pablo Pereira, Journalist vom “Estado”, der bei der Erstbegegnung anwesend war, erschienen am Steilufer des Flusses zwei Indios im Körperschmuck. Ein Mann von zirka 1,60 Meter Körpergrösse, und eine Frau, etwas kleiner, dunkle Haut, barfuss, die Bogen und Pfeile trug. Sie redeten mit lauter Stimme in einer unbekannten Sprache. Mit Gesten versuchten die Mitglieder der Kontaktfront ihnen zu zeigen, dass ihr Besuch friedliche Absichten hatte. Die ersten Schritte des Paares waren zögernd. Die Frau begann mit einem Zeremoniell, bei dem sie die bösen Geister der Luft einzufangen schien, um sie dann in Richtung auf den Wald wegzublasen. Als wir uns näherten, berührten sie Hände und Arme der Weissen. Die Frau zitterte. Der Mann stammelte irgendwelche undefinierbaren Laute. Dann plötzlich grinsten sie uns an – und wir grinsten zurück. Die Indios deuteten die Präsenz einer weiteren Gruppe im selben Gebiet an, die sie als “Akuntsu“ bezeichneten. Prompt, einen Monat später, erfolgte der Kontakt mit den Akuntsu.
Nachdem nun der Kontakt erwiesen war, wurde das Gebiet erneut gesperrt – ein Jahrzehnt nach der ersten Sperrung. Die Fazendeiros reagierten sofort, indem sie versuchten, den Kontakt der FUNAI als eine Farce zu erklären, die mit Indio-Schauspielern zustande gekommen sei. Sie begaben sich ins Dorf der frisch Kontaktierten, begleitet von Cinta-larga-Indios, um einen Gegenbeweis auf Video aufzunehmen. Danach verlangten sie ein Gutachten bezüglich der beiden Video-Aufzeichnungen von den Gebrüdern Villas-Boas (Indio-Experten, die den Xingu-Nationalpark gegründet haben), begleitet von einem neuen Video-Player als “Geschenk“. Die Experten zogen es vor, die beiden Videos in ihrem alten Recorder abzuspielen und attestierten die Echtheit von Carellis Material, sowie auch die Fälschung des von den Fazendeiros in Auftrag gegebenen Bilder – zusammen mit angefügten Kommentaren. Anschliessend wurde das “Geschenk“ intakt zurück geschickt.
Nach dieser Episode eröffnete die “Policia Federal“ von Rondônia eine Untersuchung wegen des Versuchs eines Genozids der Indios, auf die Anschuldigung hin, dass Fazendeiros vergrippte Cinta-largas in Kontakt mit den Kanoê bringen, die gegen solche Zivilisationskrankheiten noch keine Immunisierung besitzen.
Von da an stabilisierte sich der Kontakt zwischen FUNAI und den neu entdeckten Indios, jedoch galt es, sie auch ethnologisch und linguistisch zu identifizieren. Beim Erstkontakt verfügte die FUNAI nicht über indigene Interpreten. Mit den Video-Aufnahmen von Vincent Carelli versuchte man es mit Interpreten der “Mequém“-Sprache, einem anderen Volk, dessen Überlebende in indigenen Territorien Rondônias leben – vergeblich.
Die Indio-Expertin Inês Hargreaves sammelte auf einer Liste 123 Worte durch den Kontakt mit zwei Frauen der Gruppe, die den Sprachwissenschaftler des Museums Goeldi in Belém, Nilson Gabas Junior, befähigte, eine grosse Ähnlichkeit mit der Kanoê-Sprache festzustellen. Danach lokalisierte man im IT Guaporé einen Herrn von zirka 70 Jahren, der fliessend Kanoê sprach, einer Sprache, die von den Linguistikern als praktisch ausgestorben betrachtet wurde. Und siehe da, nachdem der Herr Munuzinho Kanoê auf dem Videoband alles verstanden hatte – und nachdem man ihn mit den Neukontaktierten zusammengebracht hatte, konnten diese als “Kanoê“ identifiziert werden.
Ein Camp der FUNAI wurde am Eingang einer jener Waldreserven errichtet, am Ufer eines kleinen Igarapé (Flüsschen), einem Zufluss des Rio Omerê. Eine Arzt-Equipe und eine odontologische begannen reguläre, monatliche Besuche im Dorf zu machen, und ein Sanitäter mit Erste-Hilfe-Ausbildung hält sich drei Wochen pro Monat im Camp auf. Des Weiteren gibt es einen Beamten, um die Indios während der Abwesenheit des Chefs vor eventuellen Interferenzen von Neugierigen oder Eindringlingen (Kuhtreiber, Holzfäller und Sonstige) zu schützen, sowie das Camp gegen mögliche Aktionen der gegnerischen Grossgrundbesitzer und Holzfäller zu bewachen.
Geschichten vor dem offiziellen Kontakt
Was die spezifische Geschichte der Kanoê vom Rio Omerê betrifft, so haben die Beauftragten der Kontaktfront, Marcelo dos Santos und Altair Algayer, mit Munuzinho Kanoê als Dolmetscher, die ersten Aussagen der Gruppe gesammelt. Hier folgt eine Zusammenfassung jener Geschichte, die eine Antwort auf die Frage gibt, warum nur die Familie von Tutuá übrig geblieben ist:
1996 zählte die Gruppe noch zirka 50 Personen, deren Mehrheit aus Frauen und einigen Kindern bestand. Eines Tages versammelten sich die Männer und entschieden, dass sie sich auf die Suche nach anderen Völkern begeben wollten, mit denen sie vielleicht über ein paar Einheiraten verhandeln könnten. Alle Kanoé-Männer, von den Älteren bis zu den grösseren Knaben, verliessen ihr Dorf – die Frauen blieben nur mit ihren Kindern zurück. Und die Tage vergingen, aber die Männer kehrten nicht zurück. Die Sorge unter den Frauen nahm zu mit jedem Tag, der verging. Da entschlossen sich zwei der Frauen, sich auf die Suche nach den Männern zu begeben. Drei bis vier Tage später kamen sie mit der schrecklichen Nachricht zurück, dass ihre Männer und Söhne ermordet worden waren. Die Frauen verfielen in Panik – ohne Perspektiven entschlossen sie sich zum kollektiven Suizid. Sie bereiteten ein Pflanzengift zu, gaben es ihren Kindern zu trinken und tranken es dann selbst. Tutuá jedoch, kaum hatte sie das Gift getrunken, fand sie noch die Kraft, sich gegen den Tod aufzulehnen und erbrach alles, was sie getrunken hatte. Und es gelang ihr auch, ihre Kinder – Txinamanty und Purá – ihre Schwester und ihre Nichte (Aimoró) auf dieselbe Weise zu retten.
Die Kanoê vom Rio Omerê waren somit reduziert auf zwei erwachsene Frauen und drei Kinder. Aber Tutuás Schwester war nicht mehr dieselbe. Sie war verrückt geworden und glaubte nicht daran, dass die Männer alle tot waren – übergab ihre Tochter Aimoró ihrer Schwester Tutuá und machte sich ganz allein auf die Suche nach ihrem Mann und ihren Söhnen. Tutuá versuchte zwar, sie zurückzuhalten, aber vergebens: ihre Schwester ging fort und sie hat nie mehr von ihr gehört.
Allein hat Tutuá ihre Söhne und die Enkelin aufgezogen, zurückgezogen im Wald. Als sie auf die “Akuntsu“ traf, versuchte sie, bei ihnen unterzukommen in der Hoffnung, vielleicht eine Möglichkeit zur Einheirat für ihre Kinder zu finden. Aber das Verhältnis zwischen den beiden isolierten, indigenen Gruppen war nie besonders gut gewesen – nicht nur wegen der sprachlichen Barriere, sondern auch durch die deutlichen kulturellen Unterschiede. Was Marcelo dos Santos durch seinen Dolmetscher Munuzinho Kanoê herausfand ist, dass Tutuá Kanoê alles versuchte, um ihre Kinder bei den Akuntsu zu integrieren, in der Hoffnung, dass Kunibu, der Häuptling, vielleicht weich würde oder eine seiner Töchter ihrem Sohn Purá zur Frau gäbe. Zur gleichen Zeit hoffte sie, dass ihre Tochter Txinamanty und ihre Enkelin Aimoró vielleicht von Pupaki schwanger würden, einem Akuntsu-Burschen, der ihnen gewogen war – oder vielleicht vom Häuptling Kunibu selbst. Jedoch alle ihre Versuche scheiterten. Jedes Mal, wenn sie sich näherten, gab es Reibereien und Morddrohungen – die schliesslich wahr wurden. Weil sie mit ihnen nervöser und aggressiver umging, wurde Aimoró von den Akuntsu umgebracht. Ihr Tod beeinträchtigte das Verhältnis zwischen beiden Gruppen noch mehr. Ungeachtet dieser Instabilität des Zusammenlebens wurde Txinamanty Kanoé vom Häuptling Kanoé geschwängert, und im Oktober 1996 kam ein Junge auf die Welt. Tutuás Sohn schenkte dem kleinen Neffen seinen Namen, der “Operá“ (Jaguar) war und nannte sich selbst fortan “Purá“ (Zikade).
Durch den Tod von Aimoró verhielt sich die restliche Kanoê-Familie traurig und in sich gekehrt. Aimoró war ein fröhliches Geschöpf gewesen – und ihre Schamanin. Sie hatte die wenigen Rituale organisiert, welche die Kanoê noch aufrecht erhielten – jetzt war ihnen der letzte Lebenswille genommen. Da griffen die FUNAI-Experten ein und schlugen den Kanoê vor, sich in ein anderes Waldreservat verlegen zu lassen, am Ufer des Igarapé Omerê, zirka drei Kilometer vom Camp der FUNAI entfernt.
Sprache
Die Sprache der Kanoê, auch als “Kapixaná, Kapishana“ oder “Kapixanã“ bezeichnet, wird gegenwärtig nur noch von sieben Personen gesprochen. Im Süden von Rondônia überleben noch 40 Indio-Sprachen, in ihrer Mehrheit gehören sie zu acht Makrofamilien und zu verschiedenen “isolierten“ Sprachen – das heisst, es sind Sprachen, für die man noch keine stichhaltigen Beweise einer Verwandtschaft mit anderen Sprachen oder Sprachfamilien feststellen konnte.
Von den sieben Kanoê, die ihre Originalsprache noch beherrschen, wohnen drei alte Männer an den Ufern des Rio Guaporé, und sind, wie bereits gesagt, durch einen antiken und intensiven Kontakt mit der regionalen Bevölkerung verbunden, während die anderen Mitglieder dieses Volkes (zirka 87 Personen im Jahr 2002) nur Portugiesisch sprechen. Die gruppe vom Omerê, kontaktiert im Jahr 1995, ist reduziert auf eine einzige Familie von vier Personen, die nur Kanoê sprechen.
Die Kanoê-Sprache wurde als “isoliert“ klassifiziert (siehe Rodrigues: 1986 und Adelaar: 1991), obwohl Greeberg (1990: 34, 49,55) versucht, sie der “Kunsa“-Sprache zuzuordnen, und Price (1978) vermutet, dass sie aus der Nambiquara-Sprachfamilie stammt. Mit Erfolg präsentiert Greenberg (1997: 94-98) einige wenige Indizien, das Kanoê zum Stamm Macro-Tucano gehören könnte, aber diese Indizien reichen nicht aus, um eine solche Klassifikation aufrecht zu erhalten.
Perfektionismus und Gastfreundschaft
Die physische Gestalt der Kanoê ist schlank, die Männer sind zirka 1,70 Meter gross. Die Gruppe vom Omerê trägt ihre Haare sehr kurz gestutzt, aus diesem Grund werden seine Verwandten, so erklärte Munuzinho Kanoê, als “Cabeça seca“ (Trockenkopf) bezeichnet.
Obwohl sie sich gegenwärtig noch in einem relativ traurigen Zustand befinden, wegen ihrer geringen materiellen Lebensqualität und den fehlenden Perspektiven, sind sie doch höflich und gastfreundlich. Die Gruppe vom Omerê zeichnet sich aus durch einen gewissen Perfektionismus, den man in ihrer materiellen Kultur und der Pflege ihres Dorfes beobachten kann – der Innenhof ist stets sehr sauber und gekehrt, inklusive der Pfad, welcher zum Flüsschen führt. Auch der Weg zum Dorf wird sehr sauber und von fallenden Ästen frei gehalten, damit die Funktionäre der FUNAI oder die Mitglieder der medizinischen und odontologischen Equipe, von denen sie regelmässig besucht werden, sie par Motorrad besuchen können – diese Arbeit besorgt Purá, der jetzt das Haupt der Familie ist.
Vor der “Maloca“, wo sie schlafen, unter einem Dach, das sich über die Küche erstreckt, scheint jeder seinen bestimmten Platz zu haben. Bei Besuchen im Dorf, als alle zugegen und versammelt waren, setzten sie sich stets in einer bestimmten Position: die Mutter, Tutuá, stets zur linken Seite des Herdes – Txinamanty, die sich mit ihrem Sohn Operá beschäftigte oder ihn stillte, stets in einer der Extremitäten der Küche, frontal zur Position ihrer Mutter – Purá in der anderen Hälfte der Küche, wo sie auch die Schweine anbinden, wenn sie gefüttert werden.
Sofort nachdem die Gäste eingetroffen sind, bieten sie ihnen einen grossen Becher mit Chicha aus Mais an (eine Art Saft ohne Alkohol), kalt und erfrischend, leicht gesüsst. Seit dem Kontakt mit der FUNAI trinken sie nur gefiltertes Wasser und bereiten ihre Chichas und andere Nahrungsmittel ebenfalls mit durch Tonfilter behandeltem Wasser zu, so wie sie auch in brasilianischen Haushalten üblich sind. Diese Filter haben sie vom Camp bekommen, um sich vor möglichen Krankheiten zu schützen, die sie durch das Wasser des Flüsschens Omerê eventuell einfangen könnten. Wenn der Besuch sie verlässt, sind sie stets bemüht, ihm noch etwas auf den Heimweg mitzugeben – vor allem Bananen. Und wenn sie selbst einen Besuch im Camp der FUNAI machen, bringen sie stets etwas mit, wie einen Fisch, ein Stück Jagdbeute oder ein paar Früchte.
Produktive Aktivitäten
Die Kanoê sind Bauern, Jäger, Fischer und Sammler. Sie halten Hühner und Wildschweine, bebauen Felder mit Maniok, Zuckerrohr, Mais, Cará, Süsskartoffeln, Erdnüssen und Tabak. Sie kultivieren auch Bananen, Papayas und Ananas.
Für die Anlage ihrer Felder wird ein ausgesuchtes Terrain aufwendig gerodet, abgebrannt und umgegraben. Die Pflanzungen werden in spezifische Sektoren unterteilt: Zuckerrohr hier, Maniok dort und Erdnüsse dahinter. Mit der gleichen Akribie behandeln sie auch die Haustiere: die Hühner haben einen Stall, um sie zu schützen. Die Schweine haben ebenfalls zwei Ställe, deren Wände aus aneinander gereihten Pfählen bestehen, die mit einem Dach aus geflochtenem Palmstroh gedeckt sind. Die Türen aus Holzbrettern besitzen eine Schliessvorrichtung, um die Schweine sicher zu verwahren und des Nachts vor Raubtieren zu schützen. Sie bedienen sich auch der Felder des FUNAI-Camps, wo sie Maniok und Cará, Papayas und Kokosnüsse ernten, immer wenn ihre Felder noch keine reifen Früchte haben.
Ein anderes charakteristisches Merkmal ist ihre Bereitschaft zu arbeiten. Die alte Tutuá wacht stets sehr früh auf, und mit einer Machete, ihren Pfeilen und Bogen und einem Korb auf dem Rücken, zieht sie los um Kokosnüsse zu suchen, vor allem in der Gegend des Camps, wo viele Palmen stehen. Nachdem sie die eingesammelt hat, verstaut sie alles in ihrem Korb und wandert zurück ins Dorf. Das Gewicht ist enorm, und sie läuft zirka drei Kilometer sehr aufmerksam, um keine Gelegenheit zu verpassen, vielleicht noch ein Tier anzutreffen, dass sie mit einem gut gezielten Pfeil erlegen kann. Zurück in der “Maloca“ röstet sie die Kokosnüsse in der Glut des Feuers. Dann schlägt sie die Nüsse eine nach der anderen auf, entnimmt ihnen das gegarte Fruchtfleisch und wirft die Masse den Schweinen zum Fressen hin. Das ist eine sich täglich wiederholende Arbeit, die sie aber stets mit Hingabe und gut gelaunt erledigt.
Materielle Kultur
Schon vor dem Kontakt mit der FUNAI benutzten die Kanoê vom Omerê verschiedene vielfarbige Ketten aus Plastikmaterial. Und sie tragen einen typischen Hut in derselben Form eines Hutes der Weissen, jedoch gefertigt aus geflochtenen Streifen von Palmblättern und an der Krempe ein Band aus schwarzem Zeltstoff. Ausserdem trugen sie beim Erstkontakt schon ein paar Kleidungsstücke aus industriell hergestellten Stoffen (aus Jute-Sackleinen), die sie selbst hergestellt hatten. Darüber hinaus fand man einige Utensilien, wie Gabeln und Messer aus Metall, Gefässe aus Aluminium und Plastikverpackungen diverser Produkte. Diese Dinge hatten die Kanoê im Wald gefunden, sie waren wahrscheinlich von dort campierenden Holzfällern, Latex- und Palmitosammlern dort liegen gelassen worden. Nach dem Besuch von Munuzinho Kanoê baten sie um Kleidung und Schuhe – und bekamen sie. Nur die alte Tutuá arbeitet noch mit entblösster Brust, die aber teilweise von einer Menge Ketten verdeckt wird – einige aus Plastikmaterial, andere aus Muscheln und Samenkernen.
Die Ketten aus Plastikmaterial sind zusammengesetzt aus trapezförmigen oder runden Stückchen, die Fäden aus Tucum-Faser oder Baumwolle aneinander gereiht sind. Diese Plastikstückchen scheinen aus alten Plastikeimern herausgeschnitten zu sein, die von Holzfällern und Palmitosammlern im Wald zurückgelassen wurden. Die Ketten demonstrieren der Perfektionismus der Kanoê, denn alle Teilchen haben genau die gleiche Form und Design, ausserdem sind sie teilweise monochromatisch oder mit wechselnden Farben übereinander gelegt – die Farben orange und weiss herrschen vor, was ihnen einen schönen visuellen Effekt verleiht. Ergänzt werden die Ketten von Ohrgehängen aus demselben Plastikmaterial, in gleicher geometrischer Form und Grösse. Die Frauen Tutuá und Txinamanty tragen weisse Ohrringe, und Purá, der junge Mann, orangerote Ohrgehänge.
Der Körperschmuck wird ergänzt von einem langen Lendenschurz aus losen Buritifasern, diversen Armbändern, einige davon ähnlich wie die Ketten, Knie- und Knöchelringe aus geflochtenem Stroh oder Stoff. Dieser Körperschmuck wird von den Jüngeren über den Hemden getragen. Ausserdem schmücken sich die Kanoê manchmal auch mit zwei langen, roten Schwanzfedern vom Ara, die in einem kleinen Holzpflock befestigt werden, den sie in der Nasenscheidewand eingeführt haben.
Im Dorf benutzen sie nicht immer alle diese Schmuckelemente, jedoch legen sie Wert auf ihre Ketten, Armbänder und den Lendenschurz aus Buriti-Fasern. Immer wenn sich jemand nähert, setzen sie sofort ihren Hut auf, oder wenigstens eine Mütze. Andererseits, wenn sie das Camp der FUNAI besuchen, tun sie dies in vollem Ornat, inklusive der Arafedern quer in der Nase.
Der Hut wird auf zweierlei Art hergestellt. Der erste Typ ist aus einem Stück, das aus Palmenfasern geflochten ist – vorzugsweise Buriti – mit einer festen Krempe. Der andere Typ sieht fast genauso aus, besteht aber aus zwei Teilen. Das erste Teil ist eine Art halbrunder Mütze, hergestellt aus triangulären Lederstreifen oder Stoff, die mittels Fäden zusammengenäht sind, und zwar in einer erstaunlichen Kunstfertigkeit. Das zweite Teil ist eine lose, runde Hutkrempe, geflochten aus feinen Schilfhalmen, umwickelt mit straffen Streifen aus schwarzem Plastikmaterial, zusammengehalten durch Buriti-Fasern, die ein regelmässiges Design aufweisen. Dir Hutkrempe ist hinten mit langen Arafedern geschmückt, vor allem roten. Diese lose Hutkrempe wird nach dem Aufsetzen der Mütze über diese gestülpt und macht dann den Eindruck eines kompletten Hutes. Wenn sie allein im Dorf sind, benutzen sie oft nur die Mütze.
Der Perfektionismus der Kanoê spiegelt sich auch in der Herstellung ihrer Pfeile und Bogen. Purá besitzt eine Ledertasche, in der er sämtliches Material zur Herstellung von Bogen und Pfeilen aufbewahrt. Die Vogelfedern zur Befiederung der Pfeile sind sorgfältig getrennt, nach Typ und Farbe geordnet, in Bündeln, die von gewachsten Tucum-Fasern zusammengehalten werden. In derselben Tasche hebt Purá Rollen von Pflanzenfasern und Nylonmaterial auf, sowie Stücke von Bienenwachs, mit denen er die Bindungen der Federn und das Bett der Pfeilspitze feuchtigkeitsabweisend einwachst.
Das Dorf der Kanoê am Rio Omerê besteht aus fünf Behausungen, ohne interne Teilungen und ohne Fenster, lediglich mit einer Vorder- und einer Hintertür. Das Firstdach erstreckt sich bis auf den Boden, es wird von durch Stämme verstärkten Wänden getragen. Diese Häuser sind mit Blättern der Açaí-Palme (Euterpe oleracea) oder Inajá (Pindarea concinna) gedeckt. Der Boden ist sorgfältig gestampft und nivelliert im Innern und um die Häuser herum.
Was die Zeremonien und Rituale betrifft, so veranstalten die Kanoê vom Omerê zahlreiche schamanistische Rituale, anlässlich derer sie Angico-Pulver schnupfen. Nach Maldi ist es charakteristisch unter der indigenen Bevölkerung dieser Gegend, dass die Schamanen mittels diese Halluzinogens agieren: Die Samenkerne des Angico-Baumes werden zerkleinert, bis sie zu einem Pulver geworden sind, dann werden sie mit einem speziellen Tabak gemischt, der zu diesem Zweck angebaut wird. Die Schamanin der Gruppe vom Rio Omerê ist Txinamanty, die Heilungsrituale veranstaltet und alltägliche Vorkommnisse behandelt.
Deutsche Übersetzung/Bearbeitung Klaus D. Günther