Endlose Schlangen, übernächtigte Passagiere, machtlose Angestellte. Der Streik der brasilianischen Fluglotsen hat die Flughäfen des Landes in ein Chaos gestürzt.
Begonnen hat alles am frühen Freitagmorgen in Manaus. Die Flugaufsicht des internationalen Flughafens Eduardo Gomes legt endgültig die Arbeit nieder. Bereits am Vortag wurden dort zwischen Mitternacht und sechs Uhr keine Flüge abgefertigt. Eine Kettenreaktion beginnt, Flüge mit dem Ziel Manaus kehren um und fliegen zu ihren Startflughäfen zurück. Innerhalb kürzester Zeit werden Flugausfälle und Verspätungen im ganzen Land gemeldet. Schon um die Mittagszeit haben rund 1/5 aller Flüge in Brasilien Verspätungen von mehr als einer Stunde oder sind komplett gestrichen worden.
Die Fluglotsen anderer Flughäfen, darunter die Airports von São Paulo, Rio de Janeiro und Brasília, folgen im Laufe des Tages dem Beispiel aus Amazonien. Schwerwiegende Folgen hätte dies für die militärischen Fluglotsen haben können, zu deren Aufgabenbereich auch die Kontrolle des zivilen Luftverkehrs in ihrem Bereich zählt. Deren Vorgesetzte berufen sich auf die Militärgesetze und befehlen die sofortige Inhaftierung der Streikenden. Doch Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva untersagt dies noch am Freitagabend, ironischerweise per Telefonat aus seiner Präsidentenmaschine auf dem Weg in die Vereinigten Staaten, wo er von US-Präsident Bush erwartet wird. Nachdem es keine Verhaftungen gibt, erklärt zudem Planungsminister Paulo Bernardo de Souza am Samstagnachmittag, dass ab sofort die betroffenen Fluglotsen nicht mehr dem Militär unterstehen und somit nun auch ein offizielles Streikrecht besitzen.
Am Freitag konnte jedoch das Chaos nicht mehr aufgehalten werden. Nachdem die brasilianische Flughafenbehörde die absolute Kontrolle über den zivilen Luftverkehr verloren hat, beschliesst sie die drastischste Massnahme ihrer Geschichte. Um 18.44 Uhr brasilianischer Standardzeit wird der Start jeglichen Flugzeugs auf allen 49 brasilianischen Flughäfen untersagt. Tausende Passagiere in den Flughäfen des Landes sind zum Warten verurteilt.
Die Fluggesellschaften reagieren ziemlich schnell. Bei kürzeren Stecken wie bei der Luftbrücke São Paulo nach Rio de Janeiro zahlt die Low-Cost-Airline GOL sogar die Taxifahrt. Bei mittleren Strecken werden in allen Teilen des Landes Reisebusse gechartert, da ein Ende des Streiks nicht abzusehen ist. Und die Ratlosigkeit ist gross. In Florianópolis im Bundesstaat Santa Catarina wartet ein TAM-Linienflug mit Ziel São Paulo rund drei Stunden auf dem Rollfeld vergeblich auf eine Startgenehmigung. Um 23 Uhr wird der Flug dann endgültig gestrichen. In allen Teilen des Landes bilden sich lange Schlangen in den Abfertigungshallen. Nach stundenlangem Warten beim Check-in warten Passagiere nun abermals – diesmal auf ihr bereits aufgegebenes Gepäck. Das Personal der Gesellschaften ist restlos überfordert, die Anweisungen aus den Konzernzentralen umzusetzen. GOL verspricht zwar kurz vor Mitternacht allen seinen vom Streik betroffenen Kunden Hotel, Verpflegung und Transport, doch viele müssen die Nacht auf dem Flughafen verbringen.
Einige Passagiere verlieren die Geduld, schreien und toben durch die Hallen. Andere wiederum weinen, da sie keinen Flug zu ihrer Familie bekommen. Sogar Schiedsrichter müssen die Nacht auf dem Flughafen verbringen, die Austragung des Spiels am Folgetag steht auf wackeligen Beinen. Viele Hotels um die Flughäfen herum sind ausgebucht, Leihwagen sind absolute Mangelware. Und sogar ein Todesfall wird im Laufe der Nacht gemeldet. In Curitiba stirbt ein Mann in einer Warteschlange an einem Herzinfarkt.
Zeitgleich treffen sich Fluglotsen und Regierung kurz nach Mitternacht zu Verhandlungen. Gefordert werden seitens der Luftaufsicht Lohnerhöhungen, „Entmilitarisierung“ der Beschäftigten und mehr Personal. In einem ruhigen und professionellen Klima werden erste Ergebnisse erzielt. Bereits im Laufe der Nacht nehmen dann nach und nach die Flughäfen wieder ihren Betrieb auf.
Doch Verspätungen und gestrichene Flüge lassen sich nicht so leicht kompensieren. Bis zum späten Samstagabend hat sich die Lage noch lange nicht normalisiert. Beruhigende Worte vom Präsidenten der brasilianischen Flughafenverwaltung Infraero, José Carlos Pereira. Bis kommenden Dienstag habe sich die Lage wieder vollkommen normalisiert. Am Wochenende würde auch vermehrt in den frühen Morgenstunden geflogen und die Gesellschaften würden für die Abfertigungen ihr Personal verstärken um die „Rückstände“ schnellstmöglich aufzuholen. Dies ist auch der Wunsch von Staatspräsident Lula. Vor dem Treffen mit US-Präsident Bush in Camp David erklärte er, dass die nun sechs Monate andauernde Krise in der brasilianischen Luftfahrt bis Dienstag nun endgültig geklärt werden muss.
Seit dem Zusammenstoss eines GOL – Linienflugs mit einem Kleinjet Anfang September letzten Jahres, wobei 154 Menschen ums Leben kamen, machen die brasilianischen Fluglotsen vermehrt „Dienst nach Vorschrift“. Damals wurden vor allem überforderte Fluglotsen für das Unglück verantwortlich gemacht.