Mitten im Amazonas-Regenwald liegt eine Ruinenstadt, um die sich Geschichten und Legenden ranken, wie die vom Latex-Boom und den Feuerameisen. Gehütet wird die längst vergessene Stadt von einem Japaner, dem einzigen Einwohner, der in einem Zimmer seines Holzhauses ein kleines Museum angelegt hat und Touristengruppen vom längst vergangenen Glanz der Stadt Velho Airão erzählt.
Der “Ciclo da Borracha“, der Gummiboom von 1879 bis 1912 brachte dem etwa 180 Kilometer von Manaus entfernten Städtchen ein gewisses Ansehen. Danach verlor es immer mehr an Einwohnern, bis es in den 60er Jahren völlig verwaiste und Bäume, Sträucher und Farn Häuser und Grabstätten vereinnahmten.
Shigeru Nakayama sagt, er wollte schon immer einmal im Wald leben. Auf das Abenteuer eingelassen hat er sich 2001, nachdem er von Glória Bizerra gebeten wurde, Stadt und Geschichte zu hüten. Die inzwischen verstorbene Glória Bizerra war Nachkomme des “Coronel de barranco de Airão”, des Oberst Francisco Bizerra, dessen Familie einst das Sagen in dem Städtchen hatte.
Mit zwei weiteren Männern machte er sich daran, Ruinen und Häuser von Wurzeln und Bäumen freizulegen, bis er alleine in der Einsamkeit des Waldes zurückblieb, acht Stunden mit dem Kanu mit Außenmotor von der nächsten Stadt entfernt, 20 Bootsminuten vom nächsten Nachbarn. Seitdem pflegt er Stadt und Ruinen, entfernt Sträucher und Kräuter und bewahrt das auf, was er dabei findet, Fotos, antike Flaschen, ein Luftgewehr aus dem 19. Jahrhundert, Töpferwaren, Werkzeuge. Sie werden zu Gegenständen seines kleinen Museums.
Über Jahre hinweg hat er Dona Glória und andere mitlerweile verstorbene Zeitzeugen der Stadt befragt, hat Geschichten und Wissenswertes gesammelt. Sein Wissen gibt er jetzt an die Touristengruppen weiter, die hin und wieder vorbeikommen. Sie erfahren nicht nur vom Gründungsdatum im Jahr 1694, den Boomzeiten und dem Niedergang der Stadt, der aus politischen und wirtschaftlichen Gründen geschehen ist und nicht aufgrund der Feuerameisen, wie er sagt. Die formigas-de-fogo sollen die Menschen überfallen haben, bis diese vor ihnen geflohen seien, so eine der Mythen der Stadt.
Wer “Seu Nakayama“ besucht, erfährt noch mehr, taucht ein in eine Welt, deren Uhr vor hundert Jahren stehen geblieben zu sein scheint. Ohne Strom und mit gestampften Lehmboden im Holzhaus lebt Nakayama, so wie einst viele der Menschen der heutigen Geisterstadt. Nur die reicheren, die lebten in gemauerten Häusern, deren Ruinen noch ein wenig vom Hauch der Boomzeiten versprühen.
Der in Japan geborene Nakayama ist Selbstversorger. Er fischt, geht auf die Jagd, sammelt Heilkräuter und baut etwa hundert Meter von seinem Haus entfernt Gemüse und Früchte an. Dass er seinen Bauerngarten soweit vom Haus entfernt angelegt hat, liegt an seiner Idee, Airão Velho so erhalten zu wollen, wie es einst war. Darüber hinaus steht es unter Denkmalschutz und liegt inmitten des Naturschutzgebietes “Parque Estadual Rio Negro“.
Laut Kamila Amaral vom staatlichen Sekretariat für nachhaltige Entwicklung (SDS) wird daran gearbeitet, Airão Velho als “touristische Einheit“ auszuweisen und den “Parque Estadual Rio Negro“ in ein Reservat zur nachhaltigen Entwicklung umzuwandeln. Damit könnte es theoretisch Unterstützung für Nakayama geben, im Versuch Geschichte und Stadt zu erhalten. Bisher ist er allerdings der Einzige, der sich ohne Unterstützung unermüdlich und auch unentgeltlich darum kümmert.
Nach Brasilien gekommen ist der heute 62-Jährige als 13-jähriger Junge mit seinen Eltern über ein Immigrationsabkommen zwischen Japan und Brasilien. Wie lange er noch Hüter der Geisterstadt und ihres Friedhofes sein wird? Vielleicht zwei Jahre. Dann werde er zu seinen Brüdern in die Stadt ziehen, weil er nicht alleine sterben will, wie er sagt.