Bildband Amazônia: von Menschen und Bäumen in einem bedrohten Paradies

Die endlose Weite Amazoniens und das immense Gewicht dieses einzigarten Naturparadieses gerade in Hinblick der bestehenden Klimakrise sowie die Vielschichtigkeit der Natur und dessen Leben – all dies kann man bereits spüren, wenn man den Bildband Amazônia in den Händen hält. Mit 528 Seiten im Querformat und über 4 Kilogramm kann man das neueste XL-Werk von Sebastião Ribeiro Salgado Júnior nicht einfach zum Durchblättern auf der Hand balancieren.

Nach jahrelanger Vorarbeit ist nun der Bildband Amazônia von Sebastião Salgado erschienen (Foto: Taschen)

Es ist ein Buch, gewidmet den indigenen Völkern des brasilianischen Amazonasgebietes. Sebastião Salgado zeigt dort detailliert und mit der Schärfe, die man von seinen anderen Werken bereits kennt, die Narben auf. Man muss sie manchmal suchen zwischen den Seiten, in den Gesichtern der Protagonisten, in den zahlreichen scheinbaren Wiederholungen, die doch immer wieder neue Facetten dieser unglaublichen Region und ihrer Bewohner offenbaren.

Es ist wahrlich kein Bildband zum schnellen und achtlosen Durchblättern. Jedes Bild zeigt eine neue Geschichte, die erzählt werden will, die nach Hintergründen sucht, die eine intime Verletzlichkeit zeigt. Und die dazu aufruft, endlich etwas dagegen zu tun. Gegen die Vertreibung der Ureinwohner, gegen den Raubbau an der Natur, aber auch ganz konkret gegen Klimakrise und fortwährende Ausbeutung von Naturvölkern.

Salgado lässt seine Bilder für sich sprechen. Wie gewohnt findet man erst am Schluss Bildbeschreibungen und Kartenmaterial. Das Vorwort deutet auch nur an, wie beschwerlich die wochenlangen Reisen durch das in weiten Teilen noch unentdeckte Land gewesen sein muss. Sechs Jahre lang bereiste der 1944 in Brasilien geborene Fotograf mit seiner Frau Lélia Wanick Salgado, die auch für die Gestaltung dieses Bildbandes verantwortlich ist, sein ehemaliges Heimatland. Immer wieder mussten die Beiden zum Schutz der indigenen Völker zunächst in Quarantäne, waren auf Regierungsorganisationen und das Militär angewiesen, um abgelegene Siedlungen zu erreichen oder über die Wipfel der Bäume zu fliegen.

Ein Dutzend indigene Völker Brasiliens, die in teilweise winzigen Gemeinschaften über den größten tropischen Regenwald der Welt verstreut leben, hat er besucht. Er dokumentierte dabei – dank einer riesigen Stoffbahn für Boden und Hintergrund wirken die Fotos teilweise wie Studioaufnahmen – Alltag, Rituale, Jagd und Körperkunst der Yanomami, der Asháninka, der Yawanawá, der Suruwahá, der Zo’é, der Kuikuro, der Waurá, der Kamayurá, der Korubo, der Marubo, der Awá und der Macuxi.

Wer sich die Zeit nimmt und den seit Jahrzehnten in Paris lebenden Künstler verstehen will, dem eröffnen sich beim Anblick der fast 1.000 Schwarz-Weiß-Fotos plötzlich die Farben der Seele des Landes. Ein lichtes Grau wird zum Blau des Himmels, eine schwarze Körperbemalung leuchtend rot, die unzähligen Bäume bis zum Horizont zu den unterschiedlichsten Grüntönen. Wir kennen die Farben von Mensch und Natur, Salgado muss sie uns nicht zeigen, weder sanft noch stark, er lässt sie uns spüren.

Ob Menschen oder Natur, der Bildband lädt ein, ihn immer wieder aufzuschlagen und die Motive in ihrer Anmut und Verletzlichkeit zu bestaunen. Sie sind allesamt nackt vor dem Auge des Fotografen und so vermischt sich mit zunehmendem Bestaunen die Angst, ein Vermächtnis in den Händen zu halten. Stehen die Bäume noch, wurden die indigenen Völker schon ausgelöscht oder haben sie ihre Kultur endgültig verloren? Salgado lehnt sich seit Jahren dagegen auf, sein Instituto Terra kämpft unermüdlich nicht nur gegen die stetig zunehmende Abholzung sondern auch für die Aufforstung bereits zerstörter Gebiete.

Salgado zeigt uns vielleicht daher auch keine wilden Tiere in karger Landschaft, sondern nur Menschen und Bäume, gewundene Flüsse, majestätische Berge und die Naturgewalten, die diese Landschaft genauso geformt haben. Regenschauer wie Atomexplosionen habe er erlebt, Völker so freundlich und offen angetroffen, wie man sie jenseits der Einsamkeit des schier undurchdringlichen Regenwaldes nicht mehr finden wird.

Und so ist der wohl wichtigste Satz im Vorwort von Amazônia mehr als ein Bekenntnis sondern vielmehr eine Aufforderung an uns alle, diesen unersetzlichen Schatz der Menschheit noch lange zu bewahren: „Ich wünsche mir von ganzem Herzen, dass dieses Buch in 50 Jahren nicht als Bestandsaufnahme einer verlorenen Welt gelten wird.“

Amazônia von Sebastião Salgado, Lélia Wanick Salgado ist erschienen im Taschen Verlag, Hardcover, 35,8 x 26 cm, 4,19 kg, 528 Seiten, ISBN 978-3-8365-8511-8, 100 Euro. Mehr Infos unter taschen.com

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AutorIn: Dietmar Lang

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