In Brasilien sind einer Diskothek mindestens 245 Menschen ums Leben gekommen – ausgelöst wurde die Tragödie offenbar von einem Musiker, der auf der Bühne ein Bengalo zündete. Augenzeugen berichten von dramatischen Szenen und erheben schwere Vorwürfe gegen das Sicherheitspersonal des Nachtclubs.
Es ist eine tragische, eine gespenstische Szene, die ein Reporter der Zeitung “Zero Hora“ am Morgen nach dem Inferno von Santa Maria beschreibt: Ein Transporter der brasilianischen Armee setzt sich in Bewegung, auf der kalten Ladefläche sind Tote aufgebahrt, ungefähr 70 an der Zahl. Feuerwehrleute schleppen Plastiksäcke aus den Trümmern, darin befinden sich Handtaschen und Dutzende Handys, viele Mobiltelefone klingeln ohne Unterlass. Das Material soll später helfen, die Toten der Brandkatastrophe zu identifizieren.
In der Nacht auf Sonntag nahm in der Diskothek Kiss in Santa Maria im brasilianischen Bundesstaat Rio Grande do Sul das Drama seinen Lauf. Gegen 2 Uhr war ein Feuer ausgebrochen. Auf der Bühne des Klubs hatte ein Bandmitglied wohl ein Bengalo gezündet. Als der Mann dann die glühende Fackel in die Luft hielt, fing die Deckenverkleidung sofort Feuer.
Eine Jugendliche sagte dem Nachrichtenportal G1 von “Globo“, der Musiker habe eine Art Handschuh getragen, aus dem Funken gesprüht seien. Eine Mitarbeiterin der Diskothek, Ingrid Goldani, beschrieb der Lokalzeitung “Diario de Santa Maria“ ihre Beobachtungen: “Der Sänger der Band hatte eine Art bengalisches Feuer in der Hand. Das brannte ein paar Minuten. Dann versuchte die Band, das Feuer zu löschen, zuerst mit Wasser, dann mit einem Feuerlöscher. Dann brannte schon die Decke.“
“Viele wurden zu Boden getreten“
Michele Pereira sagte der “Folha de São Paulo“: “Ich stand direkt am Ausgang, als sich das Feuer an der Decke in Sekunden ausbreitete. Ich bin losgerannt, aber sofort gestürzt. Alle sind übereinander hinweggerannt. Viele wurden zu Boden getreten. Es war wie in einem Horrorfilm. Körper am Boden, Geschrei, die Leute verloren das Bewusstsein. Ich konnte kriechen und habe nur mein Knie verletzt.“ Ihre Freundin war zu diesem Zeitpunkt nur kurz auf die Toilette gegangen. Seither fehlt von ihrer Kameradin jedwedes Lebenszeichen.
Eigentlich wollten in dem Nachtklub Studenten der örtlichen Bundesuniversität UFSM ausgelassen feiern und ihr Leben leben. Die Studierenden der Fachrichtungen Agronomie, Tiermedizin, Pädagogik und Nahrungsmitteltechnik wollten am Samstagabend gemeinsam tanzen, eine vorgezogene Karnevalsparty genießen. Ein rauschendes Fest, das in der Feuerhölle enden sollte. Viele Menschen wurden in der Panik erdrückt oder erstickten. In dem dichten, schwarzen Rauch, der sich schnell ausbreitete, verloren sie die Orientierung.
Nur ein Notausgang und der Haupteingang
Offenbar waren die Sicherheitsvorkehrungen in der Diskothek sehr mangelhaft. So soll es neben dem Haupteingang nur einen Notausgang gegeben haben – viel zu wenig für einen Veranstaltungsraum, der bis zu 2000 Menschen fassen konnte. “Die meisten Toten sind am Rauch erstickt oder wurden totgetrampelt“, sagte Militärpolizist Edi Paulo Garcia der “Diario de Santa Maria“ und bestätigte, dass der Nachtclub nur einen einzigen Ausgang hatte.
Ein weiterer Augenzeuge sagte der “Folha de Sao Paulo“, er habe sich nur retten können, weil er nahe am Ausgang gestanden habe. Nur mit viel Mühe konnte er sich durch die Menschenmassen drängen. Da es in dem Raum immer dunkler und stickiger wurde, hatten viele Jugendliche auf dem Weg durch den erstickenden Qualm keine Chance.
Die Lokalzeitung “Diario de Santa Maria“ berichtet, in der Disko habe nach Ausbruch des Feuers sofort “totale Panik“ geherrscht. Viele hätten versucht, sich in die Toilettenräume zu retten. Dort entdeckte die Militärpolizei später auch die meisten Toten.
Club-Security wartete zu lange
Schwere Vorwürfe erhoben nun die Augenzeugen und Opfer gegen die Sicherheitsleute: Zu Beginn der Katastrophe hätten sie die Tür nicht sofort geöffnet und seien so das Risiko eingegangen, dass die Gäste verbrennen würden, was sich leider auch bewahrheitete. Die Club-Security habe zudem zu verhindern versucht, dass Gäste den Laden verlassen, ohne zu bezahlen.
Bei den Rettungsmaßnahmen brach die Feuerwehr später Wände auf, um die Toten zu bergen. Inzwischen haben die Bergungstrupps ihre Arbeit abgeschlossen, keinem Menschen konnte mehr geholfen werden. 245 Tote wurden aus den noch immer qualmenden und kokelnden Trümmern geborgen, bestätigte Cleberson Bastianello, ein Major der Spezialpolizei bei einer Pressekonferenz. Mehr als 70 Verletzte werden noch in Krankenhäusern behandelt.
Die Leichen mussten mit Lastwagen abtransportiert werden, die Feuerwehr ist für solche Krisen nicht gerüstet. Die Toten wurden in eine Turnhalle gebracht, es gibt keinen anderen Platz in Santa Maria, der groß genug wäre.
Ein Krisenstab koordiniert die Hilfe für die Angehörigen, viele Familien wissen noch immer nicht, ob ihre Kinder und Freunde überlebt haben oder sich unter den Toten befinden. Die überlebenden Brandopfer wurden auf viele Krankenhäuser der Stadt und in der Umgebung verteilt. Die Stadtverwaltung hat alle Krankenpfleger, Ärzte und Psychologen der Stadt aufgerufen, sich freiwillig im Sportzentrum zu melden. Sie sollen bei der Identifizierung der Leichen helfen, und die Hunderten Angehörigen der Opfer betreuen.
Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff versprach, alles nur Mögliche zu tun, um den Angehörigen und Opfern der Tragödie zu helfen. “Ich möchte den Brasilianern und der Bevölkerung von Santa Maria sagen, dass wir in diesem traurigen Moment zusammenstehen“, sagte die Staatschefin in Santiago de Chile. Daraufhin brach sie den EU-Lateinamerika-Gipfel in Chile ab, an dem auch Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnimmt.
Eine, erschreckend ähnliche Katastrophe gab es in Lateinamerika vor wenigen Jahren schon einmal: Am 30. Dezember 2004 kam es in der Diskothek República Cromagnon in Buenos Aires zum Inferno, 194 Menschen starben damals. Ursache des Unglücks, damals wie heute: ein bengalisches Feuer, das von einer Band auf der Bühne entzündet worden war und die Deckenverkleidung in Brand setzte.