Wo bleibt der Regen? Die Wasserversorgung in São Paulo erlebt eine ernste Krise. Erste Anzeichen gab es bereits im Jahr 2004. In diesem Jahr erneuerte die Sabesp – die Wasserversorgungs-Gesellschaft der Metropole São Paulo – ihre Genehmigung zur Versorgung der Stadtbevölkerung. Aber etwas war schon damals nicht in Ordnung: Die Kapazitäten der Wasserspeicher schienen ungenügend, um der Nachfrage der ständig wachsenden Bevölkerung standzuhalten, und man war sich einig, dass man zusätzliche Wasserspeicher anlegen müsse, um die Wasserversorgung dieser grössten Stadt Brasiliens zu garantieren.
Nach den Plänen der Sabesp würde die Stadt São Paulo zunehmend vom “Cantareira System“ (6 Dämme sind durch ein komplexes System aus Kanälen und Tunneln verbunden und versorgen mit Hilfe einer Hochleistungspumpe, die benötigt wird um die Gebirgskette der Serra da Cantareira zu überwinden) abhängig werden, eine beunruhigende Vision. Wenn die Tanks dieses Systems sich leeren würden, wäre dies das Chaos. Und genau das ist passiert! Im Juli 2014 war das zur Verfügung stehende Wasservolumen der Cantareira-Reservoirs, die 8,8 Millionen Paulistas versorgen, verbraucht – und immer noch kein Regen in Sicht. São Paulo erlebt nun die grösste Krise in seiner Wasserversorgung seit der letzten achtzig Jahre!
Das “Cantareira-System“ ist eine Gruppe von Wasserreservoirs, die 1970 als Antwort auf das schnelle Anwachsen der Bevölkerung São Paulos geschaffen wurde. Die Wasserspeicher befinden sich an den Quellen des Piracicaba-Flussbeckens, zirka 70 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. Um das Wasservolumen in den Wasserreservoirs zu halten, hängt das System von den Niederschlägen des Sommers ab. In diesem Jahr 2014 jedoch hat es in den ersten drei Monaten nur halb soviel geregnet, wie man es in dieser Periode bisher erwarten konnte. Die Trockenperiode folgte allerdings nicht von einem Tag auf den andern. Schon seit 2013 sind die Niederschläge in dieser Region auf weniger als die Hälfte zurückgegangen. Dagegen waren die Niederschläge zwei Jahre zuvor so heftig, dass das System mit einem Wasserstand von über 100% operierte.
Aber die Schuld an der Krise in der grössten Stadt Brasiliens kann man nicht allein der Unstetigkeit des Sankt Petrus anlasten. Er konnte zum Beispiel kaum voraussehen, dass die Bevölkerung so stark wachsen würde. Von 4,8 Millionen, im Jahr 1960, ist die Zahl der Einwohner São Paulos auf 11,8 Millionen im Jahr 2013 angestiegen. Und dies nur in der Hauptstadt – ohne die anderen Städte der metropolitanen Region einzubeziehen. Die Urbanisierung, wodurch die Flüsse verschmutzt werden, und der Zugang zum Trinkwasser erschwert wird, hat ebenfalls Schuld an dem Debakel, so wie alle diese anderen Schlampereien die man schon zur Genüge kennt: Einebnung, Undurchlässigmachung des Bodens, fehlende Planung, Überlastung des Versorgungssystems und Steuern. Die Sabesp schätzt, dass sich in São Paulo 25% des Wassers auf dem Weg von der Verteilerstation bis zu den Wasserleitungen der Haushalte verliert. Nach anderen Schätzungen kann dieser Verlust sogar bis zu 31% betragen!
Um das Problem abzuschwächen, entschied die Sabesp im Mai 2014, Wasser aus dem so genannten “Volume morto” (toten Volumen) einzusetzen, eine Reserve von 400 Milliarden Litern, die sich unterhalb der Schleusen befinden, welche das Wasser aus dem Cantareira-System verteilen. 180 Milliarden Liter wurden bereits aus diesem Speicher gepumpt – nie zuvor hat man das “tote Volumen“ benutzen müssen – und es löste das Problem… für eine gewisse Zeit. Die Voraussage der “Agência Nacional das Águas (ANA)“ – einem Organ der Landesregierung, das für die hydrischen Ressourcen Brasiliens verantwortlich ist – besagt, dass diese Reserve bis November 2014 reichen wird.
Die Sabesp macht sich bereit, um erneut einige Milliarden Liter des “toten Volumens“ abzupumpen und so die Versorgung für ein paar Monate mehr zu garantieren. Die optimistischste Schätzung ist die, dass das Wasser bis im März 2015 reichen wird. Danach hängt die Hoffnung aller allein am Regen. Falls der, wie erwartet, ab Oktober 2014 einsetzen sollte, könnte das Cantareira-System wieder mit zirka 30% seines Volumens operieren. Das ist nicht viel, aber es ist das beste aller möglichen Szenarien. Und das Schlechteste?
Der US-Staat Kalifornien erlebt eine ähnliche Wasserversorgungs-Krise wie die in São Paulo. Während des Jahres 2013 fielen dort nur etwa ein Drittel der Niederschläge, die man in São Paulo in den ersten sechs Monaten diesen Jahres 2014 gemessen hat. Der Wassermangel erreichte einen Punkt, an dem die Regierung den Notstand erklärte und Massnahmen ergriff, um die Wasserversorgung zu erhalten und Verschwendung zu vermeiden.
Die Bürger wurden angehalten, Wasser zu sparen, ähnlich wie die Rationierung des Stromverbrauchs in Brasilien im Jahr 2001. Wer beim Verschwenden von Wasser erwischt würde, wie zum Beispiel beim Autowaschen mit dem Schlauch oder dem stundenlangen Sprengen des Rasens, bekäme ein Strafmandat von 500 Dollar. Das war keine leere Drohung. Seit April 2014 hat allein die Stadt Santa Barbara mehr als eine Million Dollar an Geldbussen eingenommen. Was die Voraussagen eines Endes der Wasserreserven dort betrifft, so liegen die bei einem bis einundeinhalb Jahren (sehr viel länger als in São Paulo).
Hier hat man, anstelle einer Rationierung, entschieden, den Bürgern, die wenigstens 20% an Wasser einsparen, einen Abzug von 30% auf ihre Wasserrechnung zu gewähren. Die Sabesp hat ausserdem den Druck der Versorgung verringert und mit einer Kampagne der Bewusstmachung unter der Bevölkerung begonnen. Jedoch seit dem Ende der Fussball-WM spüren die Bewohner einiger Stadtteile bereits die Folgen der Krise, wenn beim Spülen und Duschen das Wasser fehlt.
Selbst wenn es mehr regnen sollte als irgend ein Meteorologe voraussagen kann, selbst wenn die Bevölkerung die dringende Notwendigkeit zur drastischen Reduzierung des Wasserverbrauchs begreifen und ihr entsprechen sollte, selbst dann wird es unumgänglich sein, einen effektiveren Plan zur Wasserversorgung aufzustellen. Die Erholung des Wasservolumens im Cantareira-System kann bis zu zehn Jahre dauern. Während dessen wird die Bevölkerung weiter wachsen. In wenigen Jahrzehnten kann es passieren, dass nicht einmal die gegenwärtigen Wasserspeicher, auch wenn sie zu 100% voll sein sollten, den enormen Wasserverbrauch dieser gigantischen Metropole decken können.
Anmerkung der Redaktion
“Sankt Petrus“ kann als Schuldiger für die Katastrophe ausklammert werden. Es ist zu wünschen dass die zuständigen Organe einmal darüber nachdenken, in wie weit der beobachtete Rückgang des Regens mit der Waldzerstörung in Amazonien in Zusammenhang steht! Das BrasilienPortal hat mehrmals diesbezügliche Warnungen von Wissenschaftlern veröffentlicht, die diesen direkten Zusammenhang ausführlich erklären – zum Beispiel erst kürzlich den Bericht des brasilianischen Wissenschaftlers Antônio Nobre – hier ein Auszug:
“…es besteht nun das Risiko durch diese weitläufige Zerstörung, dass der Regenwald seine Kapazität zur Senkung des atmosphärischen Drucks verliert und seine Feuchtigkeit mittels der so genannten “Rios voadores“ (Luftströmungen) in andere Gebiete transportiert und dadurch in Amazonien die Trockenheit einleitet. Die Folgen für die Südostregion, besonders für den Bundesstaat São Paulo, der bereits eine lange Trockenheit erlebt, werden noch studiert, aber Nobre glaubt, das ein Teil davon die Folge der Zerstörung des Atlantischen Regenwaldes ist…“