Forscher haben entdeckt, dass ein im Amazonas-Regenwald isoliert lebender Stamm von Yanomami-Indios eine so große Vielfalt an körpereigenen Bakterien hat, wie keine andere Zivilisation der Welt. Bei ihren Untersuchungen sind sie zudem auf Bakteriengene gestoßen, die gegenüber Antibiotika resistent zu sein scheinen – und das obwohl die Indio-Gruppe noch nie mit der westlichen Welt und deren Medikamenten in Berührung gekommen ist. Entdeckt wurden zudem Bakterien, welche ihre Wirte vor Krankheiten schützen.
Als ein Militärhubschrauber 2008 über den Amazonas-Regenwald im Süden Venezuelas flog entdeckte die Besatzung ein bis dahin nicht bekanntes Dorf von Yanomamis. 2009 machte sich ein medizinisches und wissenschaftliches Team auf den Weg zu dem Dorf, in dem 54 Menschen leben, die bis dahin noch nie Kontakt mit Nicht-Indios hatten, wie die Forscher herausfanden. Für sie war dies eine einmalige Gelegenheit, das Universium der Bakterien zu studieren, die im und auf dem menschlichen Körper leben, sowie die Ergebnisse mit dem Mikrobiom der Menschen westlicher Gesellschaften zu vergleichen. Dabei stießen sie gleich auf mehrere Überraschungen.
Um die Indios vor einer Übertragung westlicher Krankheiten zu schützen, nahm lediglich ein einziges Teammitglied Kontakt mit ihnen auf. Unter Einwilligung der Yanomamis nahm er von 34 Dorfbewohnern Proben aus dem Mund, von der Haut und aus dem Kot. Die wurden eingehenden Untersuchungen unterzogen, deren Ergebnisse dieser Tage in der Zeitschrift Science Advances veröffentlicht wurden.
Dass die Mikrobenwelt der isoliert lebenden Yanomamis größer als die westlicher Gesellschaften ist, davon sind die Wissenschaftler ausgegangen. Zu ihrer Überraschung zeigen die Studien aber, dass die Mikrobenvielfalt gleich um 100 Prozent höher ist als beispielsweise die der Nordamerikaner. Bei keinem anderen Volk der Welt wurde zudem bisher eine so große Vielfalt festgestellt, auch nicht bei anderen Indiostämmen der Amazonasregion.
Die Bakterien spielen für das Immunsystem, den Stoffwechsel und andere Vorgänge des Körpers eine wichtige Rolle. Warum und wann sich das Mikrobiom der westlichen Menschen jedoch verändert hat, ist noch unbekannt, wie María Gloria Dominguez-Bello von der Universität in New York ausführt. Andererseits gehen die Forscher davon aus, dass die Ernährung, Umweltfaktoren und Chemikalien dabei eine große Rolle spielen.
Auch wird vermutet, dass die Verwendung von Antibiotika, eine rigorose Hygiene, industrialisierte Nahrungsmittel und ebenso der Kaiserschnitt die genetische Vielfalt des menschlichen Bakterienuniversums verringern. Festzustehen scheint, dass je mehr die Menschen mit dem modernen Lebensstil in Kontakt kommen und diesen leben, desto ärmer werden deren Mikrobiome. Auch deshalb ist die Bakterienwelt der Yanomamis für die Wissenschaftler von großer Bedeutung, da sie noch so leben, wie ihre Vorfahren es vor tausenden von Jahren getan haben und somit ein bakterielles Bild der Vorzeit liefern.
Für ein Rätselraten sorgt die zweite Überraschung der Studien. Obwohl die Bewohner des Dorfes fernab anderer Zivilisationen und der modernen Medizin leben, haben die Forscher in den Genen verschiedener Bakterien der Yanomamis eine Resistenz gegenüber Antibiotika entdeckt, und das sowohl gegenüber Antibiotika auf Naturbasis als auch gegenüber den neuesten synthetischen Antibiotika.
Warum dem so ist, ist noch ungeklärt. Eine These ist, dass der enge Kontakt mit der Natur und der Bakterienflora des Bodens dazu geführt haben könnte, dass sich Gene gegen Antibiotika entwickelt haben. Dazu müssten jedoch im Boden auch Bakterien leben, die den synthetischen Versionen der Antibiotika gleichen und die bisher einfach noch nicht entdeckt worden sind, wie Gautam Dantes von der Universität Washington ausführt. Dies ist durchaus möglich. Immerhin kopierten die ersten Antibiotikaversionen das natürlich vorkommende Penicilin.
Laut José Clemente von der medizinischen Schule Icahn in Monte Sinai in New York bringen einige Bakterien der Yanomamis zudem großen Nutzen für ihren Wirt. Die Mehrheit dieses Indiostammes trägt beispielsweise eine kleine Anzahl einer bestimmten Bakterie, die bei anderen Völkern kaum mehr vorhanden ist. Sie hilft allerdings, der Bildung von Nierensteinen vorzubeugen.
Von weiteren Überraschungen aus der mikrobiellen Welt kann ausgegangen werden, sind die gesammelten Bakterien doch eingelagert worden, um sie noch weiteren und genaueren Analysen zu unterziehen.
Die Yanomamis sind mit einer geschätzten Zahl von 32.000 Angehörigen die größte Indio-Ethnie Südamerikas. Sie leben in verschiedenen Dörfern im Amazonas-Regenwald Brasiliens und Venezuelas. Beide Länder haben Territorien ausgewiesen, Venezuela das 8,2 Millionen Hektar umfassende Biosphärenreservat Alto Orinoco-Casiquiare und Brasilien das Indio-Territorium Yanomani. Allerdings sind auch sie vom illegalen Gold- und Edelsteinraubbau und der Regenwaldabholzung bedroht.