Eine kleine Gruppe trifft sich am Sonntag, um einer der beliebtesten Sportarten der Welt zu fröhnen. Kaum beginnt das Spiel, wird es auch schon beendet, werden die Frauen festgenommen, die es gewagt haben, Fußball zu spielen. Ein in den 40er Jahren erlassenes Gesetz verbat den Brasilianerinnen Fußball zu spielen. Heute gibt es keine Festnahmen mehr. Der Frauenfußball ist allerdings beinahe unsichtbar in dem südamerikanischen Land. Obwohl in wenigen Tagen in Kanada die Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen stattfindet, gibt es kaum Hinweise darauf. Die Unterstützung von öffentlicher Seite ist gering und selbst im vor acht Jahren eingeweihten Fußballmuseum hat das weibliche Geschlecht erst vor kurzem Eingang gefunden.
Nicht nur Politiker und viele Männer waren bis weit ins 20. Jahrhundert hinein davon überzeugt, dass der Frauenkörper für den Fußballsport nicht geeignet und der Platz der Frau vor dem Herd ist. Auch von der Kirche wehte den Mädchen ein starker Gegenwind entgegen. Das erste, offizielle weibliche Fußballteam Brasiliens entstand trotz aller Widernisse 1958 im Bundesstaat Minas Gerais. Der Araguari-Atlético Clube sorgte für Aufsehen. Die Mädchen hatten in kürzester Zeit so viel Erfolg und Nachahmerinnen gefunden, dass die “Religiösen“ prompt reagierten. Auf ihren Druck hin wurde der Club 1959 wieder aufgelöst.
Von den Vorurteilen nicht aufhalten ließ sich Léa Campos. Sie gilt als Wegbereiterin für den Eintritt der Frauen in die Männer-Fußballwelt. Nicht nur einmal wurde sie abgeführt, weil sie verbotener Weise dem Ball nachjagte und noch dazu auch andere Frauen dazu anstiftete. Bei der Abteilung für politische und soziale Ordnung der Militärpolizei war sie so bekannt, dass es hieß “ach, du schon wieder“. Beeindrucken ließ sie sich von all dem nicht.
Wenn sie schon nicht spielen durfte, wollte sie wenigstens als Schiedsrichterin arbeiten, und das keineswegs nur bei Spielen in den unteren Ligen. Sie wollte ein Spiel bei der Fußball-WM im Jahr 1970 pfeifen. Weil der damalige Präsident des brasilianischen Fußballverbandes (João Havelange) nichts davon wissen wollte, wandte sie sich kurzerhand an den General und Präsidenten Brasiliens, Emílio Garrastazu Médici. Das ganze spielte sich noch dazu während der Militärdiktatur Brasiliens ab. Doch Léa Campos setzte sich mit ihrem Apell durch. Sie war die erste Frau, die als Schiedsrichterin bei einer Fußball-Weltmeisterschaft zum Einsatz kam und war Brasiliens erste Schiedsrichterin.
Jetzt hat die heute 70-Jährige endlich auch in ihrem Heimatland die ihr zustehende Anerkennung erhalten, nachdem sie weltweit bereits Auszeichnungen erfahren hat. Auch wenn die Ehrung in ihrem eigenen Land spät kam, zeigte sie sich dennoch gerührt. Geehrt wurden im Fußball-Museum São Paulos neben Léa Campos noch weitere Frauen, die den Ballsport geprägt haben, wie Gegê, Marcinha, Maykon, Rosely, Emily Lima, Silvia Regina und Juliana Cabral. Anlass für die Ehrungen am 19. Mai war die Eröffnung der Ausstellung “Sichtbarkeit für den Frauen-Fußball“, mit der nun endlich auch die Frauen in dem Museum vertreten sind, das die Geschichte des Fußballs Brasiliens wiederspiegelt. Eingeflossen ist dort jetzt ebenso die Geschichte der Frauen, die mit Pokalen, Medaillen und anderen Ausstellungsstücken, Fotografien und Videos dargestellt wird.
Ihre derzeit bekanntesten Vertreter sind Marta und Formiga. Sie haben im Saal “Anjos Barrocos” (Barockengel) einen Platz erhalten. Geehrt werden dort die brasilianischen Fußball-Idole. Marta ist nicht nur in Brasilien für viele ein Idol. Fünfmal in Folge (2006 – 2010) ist sie von der Fifa zur besten Spielerin der Welt gekürt worden. Bei der WM der Männer im vergangenen Jahr hat Star Marta die Hoffung ausgedrückt, dass der Event auch ein wenig auf den Frauenfußball abfärben möge.
Knapp ein Jahr nach dem Event hat die Fifa kürzlich tatsächlich angekündigt, dass aus dem WM-Fonds 15 Millionen US$ (15 Prozent) in den Frauenfußball investiert werden sollen. Laut dem brasilianischen Fußballverband CBF sollen damit in 15 Bundesstaaten “Mini-Trainingszentren“ entstehen mit zwei Kunstrasenfeldern, einem Rasenspielfeld, Umkleideräumen und medizinischer Versorgung. CBF-Koordenator des Frauenfußballs, Marco Aurélio Cunha, ist dennoch enttäuscht. Nach seinen Aussagen kassiert der brasilianische Staat 40 Prozent der 15 Millionen ein.
Doch nicht nur an Trainingszentren, der Präsenz beim Schulsport und an escolinhas (Fußballschulen) für Mädchen, fehlt es. Dürftig sieht es auch bei den Spielzeiten aus. Lediglich zwei Monate dauert der Campeonato Brasileiro (Meisterschaften) und in nur wenigen Bundesstaaten gibt es regionale Meisterschaften. Von der Fifa wurde bereits die Einführung einer Frauenliga und eine Erweiterung der Spielzeiten dringendst empfohlen. Vom CBF und der Regierung heißt es dazu, dass eine Erweiterung auf mindestens zehn Monate derzeit “studiert“ werde.
Immerhin scheint auch der brasilianische Fußballverband (CBF) endlich den Frauenfußball entdeckt zu haben. Einen Tag nachdem die Fifa öffentlich Besorgnis über die vernachlässigte Modalität geäußert hatte, gab es von Vertretern des brasilianischen Verbandes das Versprechen, dies zu ändern und an der Basis anzusetzen. Genau dort sieht auch der momentane Trainer der Frauen-Seleção eins der Probleme. Der unter dem Spitznamen Vadão bekannte Oswaldo Alvarez trainiert die Damen seit einem Jahr. Am 4. Juni wird er sich gemeinsam mit der Frauenmannschaft auf den Weg nach Kanada machen, wo am 6. Juni in Montreal die Frauen-WM beginnt. Ihren Auftakt werden die Brasilianerinnen am 9. Juni gegen Südkorea geben.
Favoriten werden sie allerdings nicht sein. Derzeit nehmen sie beim Fifa-Ranking den siebten Platz ein. Vadão versucht dennoch Optimismus zu verbreiten. Nach dem 0:4 beim Freundschaftsspiel gegen Deutschland im April und dem nur durchschnittlichen Auftritt an der Copa Algarve hat er auf ein verstärktes Training, Konditionsverbesserungen und eine Umorganisation gesetzt. Jetzt sagt er, dass erhebliche “taktische, physische und technische Verbesserungen” erreicht werden konnten.
Auf Kapitänin Bruna Benites muss Brasilien allerdings verzichten. Sie zog sich Anfang Mai während eines Trainings der Seleção eine Verletzung an den Kreuzbändern zu. Verletzt ist auch Debinha, einer der prinzipiellen Stars der neuen Generation. Nicht dabei sein wird ebenso Bia Zanarato.
Trotz aller Probleme sind die Brasilianerinnen jedoch zuversichtlich und halten an ihrem Traum fest, den WM-Pokal 2015 ins Land zu holen. Ihr bestes Ergebnis bei der Weltmeisterschaft ist bisher ein zweiter Platz, den sie 2007 erreicht haben. Und auch in diesem Jahr sieht es zumindest bei den Buchmachern so aus, als wären die USA und Deutschland die Top-Favoriten. Wer jedoch auf einen Titeltriumph der Kanariengelben setzt und noch nicht weiss, wo er seinen Tipp am besten abgeben soll, der findet hier zahlreiche Informationen über die verschiedenen Anbieter.
Trainer Vadão will nicht nur den begehrten Pokal. Er wünscht sich auch “dringende Veränderungen” an der Basis. Vor allem der kaum vorhandene Nachwuchs bereitet ihm Sorgen. Während in anderen Ländern, wie Frankreich, über 100.000 Mädchen in den U6 und U8 spielen, gibt es in Brasilien für die unter 20-Jährigen kaum Wettkämpfe. Nicht, dass die Mädchen kein Interesse am Fußball hätten. Richard Kindermann Ferreira kann das Gegenteil bezeugen. Dutzende e-mails gehen beim Sportclub Kindermann (AEK) im südbrasilianischen Bundesstaat Santa Catarina wöchentlich ein.
“Es sind eine Menge Mädchen, die bitten, um spielen zu dürfen, die eine Chance wollen“, sagte Kindermann beim Frauen-Fußball-Seminar. Der Verein Kindermann ist der aktuelle brasilianische Meister im Frauenfußball, campeão da Copa do Brasil feminina, und das obwohl seine Geschichte relativ jung ist. Erst 2004 hat der Club mit Frauen-Hallenfußball begonnen und erst 2008 mit dem Frauen-Fußball auf dem Rasen.
Seit das Fußballspielverbot für Frauen 1981 aufgehoben wurde, hat sich einiges getan. Um den Frauen-Fußball im Land des Fußballs tatsächlich sichtbar zu machen, haben die mehr als drei Jahrzehnte jedoch nicht ausgereicht. Nur eingeweihte Fans wissen beispielsweise, dass der brasilianische Club São José den Titel der Club-Weltmeisterschaft der Frauen inne hat. Wenig hat bisher auch geholfen, dass Brasilien seit über vier Jahren von einer Frau regiert wird.
Immerhin hat Präsidentin Dilma Rousseff Anfang des Jahres dem Frauen-Fußball Unterstützung zugesichert und im März eine “Medida Provisória“ unterzeichnet, bei der den Fußballclubs ein Aufschub für die Rückzahlung ihrer Schulden gewährt wird. Im Gegenzug müssen sich die Clubs dazu verpflichten, den Frauenfußball zu fördern. Zudem dürfte sich die Sichtbarkeit deutlich erhöhen, erhalten die brasilianischen Fussballerinnen erstmalig zur WM in Kanada ein eigenes Sticker-Album.
Auf den Frauen liegen derzeit alle Hoffnungen. Sollten sie es tatsächlich schaffen, die WM in Kanada zu gewinnen, würde dies den Brasilianern doch ein wenig die im Halbfinal der Copa 2014 erlittene Schmach des 1:7 gegen Deutschland erleichtern. Zumindest würde es ihnen aber mehr Aufmerksamkeit im Land des Fußballs einbringen.