Nach mehreren kleinen politischen Vorbeben hat am Freitag (4.) die Zwangsanhörung des Ex-Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva für eine Erschütterung gesorgt. Ihm und seiner Familie wird eine Vorteilnahme durch die Großunternehmen vorgeworfen, die am Korruptionsskandal des halbstaatlichen Ölkonzerns Petrobras beteiligt sein sollen.
Dass ein Ex-Präsident um sechs Uhr morgens unter einem erheblichen Polizeiaufgebot zu einer Anhörung gebracht wird, hat es bis dato in dieser Form in Brasilien noch nicht gegeben. Neben Lula sind weitere zehn Personen, unter ihnen ein Sohn des Ex-Präsidenten, zum Verhör gebracht worden. 200 Polizei- und 30 Finanzbeamte haben in drei Bundesstaaten Brasiliens insgesamt 33 Durchsuchungs- und Beschlagnahmungsbefehle durchgeführt. Etliche Akten und elektronische Daten wurden dabei auch im Privathaus, dem Institut Lulas und dessen Firma LILS beschlagnahmt.
Vom Staatsministerium heißt es dazu, dass es Hinweise gebe, dass der einst so beliebte Ex-Präsident über das Korruptionsschema um Petrobras Geld und Dienstleistungen erhalten haben soll. Als Beispiele werden Umbauarbeiten in einem Triplex-Appartment am Strand von Guarujá angeführt sowie auf dem Landgut in Atibaia. Beide laufen allerdings nicht auf dem Namen Lulas. Vielmehr wurde das Landgut offiziell von einem Unternehmenspartner von Lulas Sohn gekauft, später jedoch auf Kosten eines im Korruptionsskandal der Petrobras untersuchten Baukonzerns ausgebaut. Frenquentiert wurde es indes laut den Ermittlungen von der Familie Lulas.
Bei einer Pressekonferenz hat Staatsanwalt Carlos Fernando dos Santos Lima zudem ausgeführt, dass die sechs großen in den Petrobras-Skandal verwickelten Baufirmen für 60 Prozent der Spenden an das gemeinnützige Institut Lula verantwortlich seien sowie für 47 Prozent der Einnahmen der Firma LILS Palestra, über die der Ex-Präsident seine weltweiten Vorträge vermarktet. Die Summe der zwischen 2011 und 2014 erhaltenen Leistungen und Spenden soll 30 Millionen Reais (umgerechnet derzeit etwa 7,1 Millionen Euro) betragen.
Dass die Vernehmung mit Polizeieskorte realisiert wurde, wird offiziell mit Sicherheitsgründen angegeben. Seitens Lulas und der Regierung gibt es indes heftige Kritik. Selbst aus den Reihen der Juristen wird das Vorgehen kritisiert und von einigen als unverhältnismäßig eingestuft. Er sei immer für Anhörungen zur Verfügung gestanden, sagte Lula nach dem dreistündigen Verhör und verwies auf bereits vorhergegangene Anhörungen.
Er habe sich wie ein Gefangener gefühlt und dieses Bild hätte wohl auch verbreitet werden sollen, so Lula. Verärgert zeigte er sich auch darüber, dass die Medien noch vor den Betroffenen von dem Polizeieinsatz erfahren haben sollen und sprach von einer Vorverurteilung durch die Presse. Schon in den vergangenen Wochen hatte er Presseberichte und Ermittlungen zu seiner Person als politische Hexenjagd verurteilt.
Durchgeführt werden die Ermittlungen unter dem Namen “Atheia“, was im griechischen für “Wahrheit“ steht. Die scheint jedoch nicht so einfach zu finden sein. Lula weist sämtliche Vorwürfe zurück und spricht davon, dass es keinerlei Indizien gebe. Staatsanwälte und Richter verweisen hingegen auf “starke Anhaltspunkte“.
Bei einer anschließenden Ansprache im Hauptsitz der Arbeiterpartei in São Paulo vor der Presse und Sympathisanten zeigte er sich empört, aber ebenso kämpferisch. Er sei nichts schuldig und habe nichts zu befürchten, so der Ex-Präsident, der ebenso ankündigte, wieder politisch aktiv zu werden. Ob er bei den Präsidentschaftswahlen 2018 als Kandidat antreten wird, ließ er jedoch offen.
Polizeiaktion schwächt Rousseffs angeschlagene Regierung
Die Polizeiaktion färbt indes auf Präsidentin Dilma Rousseff ab, die von Lula zum Ende seiner Amtszeit zu seiner Nachfolgerin auserchoren wurde. Erschüttert wird ihre Regierung aber nicht nur durch die Ermittlungen um Lula. Am Donnerstag wurde von einer Reportage in einer Zeitschrift berichtet, die sich auf eine angebliche Kronzeugenaussage des Senats- und Arbeiterparteimitglieds Delcídio Amarals beruht.
Er soll ausgesagt haben, dass Lula und Rousseff vom Schmiergeld- und Korruptionsschema um die Petrobras gewusst haben. Lula soll er beschuldigt haben, das Schweigen von Zeugen erkauft zu haben. Die ”Delação premiada” wurde von offizieller Seite bisher nicht bestätigt, jedoch auch nicht verneint.
Die politische Lage ist jedoch bereits seit den Amtsantritt Rousseffs gespannt. Versuche, die Regierung Dilma Rousseffs abzusetzen, gibt es bereits seit Oktober 2014, nachdem diese mit einem Vorsprung von nur wenigen Prozent gewonnen hatte. Von der Opposition wurde kurz nach der Wahl eine neue Auszählung der Stimmen gefordert und versucht, den Wahlkampf Rousseffs rechtlich anzufechten. Angerufen wurde ebenso der Rechnungshof, von dem letztlich die Rechnungsbilanz der Regierung der vergangenen Jahre nicht anerkannt wurde.
Eingereicht wurden mehrere Anträge für ein Impeachmentverfahren, bis im Dezember ein Antrag zugelassen wurde. Immer wieder kommt es ebenso zu Aufrufen zu Demonstrationen gegen die Regierung und Töpfeklappern bei öffentlichen Ansprachen Rousseffs. Noch am Freitag haben Oppositionsabgeordnete zudem angekündigt über keinerlei Anträge mehr abzustimmen, solange das Impeachmentverfahren nicht aufgenommen wird.
Gespaltene Bevölkerung
Die Bevölkerung ist geteilter Meinung. Während vor allem Sozial- und Gewerkschaftsverbände sowie die Menschen ärmerer Regionen zur Unterstützung der Regierung und der Arbeiterpartei auf die Straßen gehen, finden die Töpfeklapper-Konzerte in der Regel in wohlhabenderen Stadtteilen statt. Die Proteste für ein Impeachment finden indes vor allem von der Mittel- und der Oberschicht Zulauf.
Zu Demonstrationen ist es auch am Freitag gekommen. Schon kurz nach Bekanntwerden des Polizeieinsatzes und der Zwangsanhörung haben sich vor dem Haus Lulas und am Flughafen Congonhas Menschen versammelt, um Lula ihre Unterstützung auszudrücken. Zu Protesten ist es ebenos in anderen Städten Brasiliens gekommen. Demonstriert wurde dabei sowohl pro als auch contra Lula.
Geht es um die Politik reagieren viele Brasilianer jedoch wie Anhänger eines Fanclubs. Wie die Fußballvereine wird auch die jeweilige Partei energisch angefeuert und verteidigt. Die jüngsten Vorkommnisse haben dies einmal mehr deutlich gemacht. Bei den spontanen Protesten vor dem Haus und am Flughafen in Congonhas ist es zwischen ”rivalisierenden“ Demonstranten zu Handgreiflichkeiten und Verletzten gekommen.
Einige Demonstranten Pro-Lula haben zudem versucht, Reporter des größten brasilianischen Fernsehsenders am Filmen zu hindern. Dem wird vorgeworfen, einseitig zu berichten und die Stimmung gegen die Regierung anzuheizen.
Fakt ist, dass die großen Medien seit Monaten ausführlichst über die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal um die Petrobras berichten. Im Mittelpunkt stehen dabei neben den großen Bauunternehmen vor allem Mitglieder der regierenden Parteien. Eine minutiöse Berichterstattung gibt es ebenso über das ländliche Anwesen und den Triplex.
Nur am Rande erwähnt werden hingegen Korruptionsskandale, in die Mitglieder der konservativen Oppositionsparteien verwickelt sein sollen (z.B. Eduardo Cunha, dem Präsidenten der Abgeordnetenkammer. Ihm wird vorgeworfen, Schmiergelder im Umfang von fünf Millionen Dollar angenommen zu haben…).
Währenddessen muss die Regierung neben Wirtschaftskrise und Rezession auch mit wegbröckelnden Verbündeten kämpfen. Unter der Bevölkerung hat Dilma Rousseff ohnehin schon längst das Vertrauen verloren. Nach der jüngsten Datafolha-Studie halten nur 36 Prozent der Befragten die Regierung Rousseffs für gut oder regulär. Als schlecht oder sehr schlecht wird sie hingegen von 64 Prozent eingestuft.
In der Wirtschaft hat die Destabilisierung der Regierung hingegen einen positiven Schub ausgelöst. Der Börsenindex São Paulos (Ibovespa) ist noch am gleichen Tag der Anhörung um vier Prozent gestiegen und der Real hat gegenüber dem Dollar an Stärke gewonnen.
Beinahe um zehn Prozent gestiegen sind die Werte der Petrobras-Aktien. Experten begründen dies mit der Vermutung, dass Rousseff nach den jüngsten Skandalen ihre Amtszeit wohl nicht beenden und es zu Veränderungen in der Wirtschaftspolitik kommen wird.