Die Konflikte um Land sorgen in Brasilien für immer mehr Unruhen und Tote. Zu dem Ergebnis kommt die katholische Land – Pastoralkommission (CPT), die am Freitag einen Bericht vorgelegt hat. Nach diesem ist es 2015 zu 50 Toten im Zusammenhang mit Landkonflikten gekommen sowie zu 59 Mordversuchen und zahllosen Morddrohungen. Von öffentlicher Seite werden die Zahlen jedoch angezweifelt.
Nach den Aufzeichnungen der dem Landwirtschaftsministerium angegliederten Agrarbeschwerdestelle OAN sind 2015 “nur“ 16 Morde registriert worden. Dem wird von der Landpastoral entgegen gehalten, dass in vielen Fällen überhaupt nicht ermittelt würde und Fällel desahlb nicht in die Statistik einfließen.
Pastoralkoordinatorin Jeane Belline führt zudem die steigende Praxis von Verschleierungsversuchen aus, bei der Kämpfer für die Landrechte nicht auf dem beanspruchten Bereich, sondern beispielsweise beim Einkaufen in der Stadt hinterrücks umgebracht werden.
Die Hauptbrennpunkte liegen dem Bericht zu Folge in der Amazonasregion, mit 20 Mordopfern im Bundesstaat Rondônia und 19 in Pará.
Angeheizt wird die Gewalt durch eine Straffreiheit. Laut den Pastoralbericht hat es zwischen 1985 und 2014 in Brasilien 1.115 Morde im Zusammenhang mit Landkonflikten gegeben, lediglich in zwölf Fällen kam es zu rechtskräftigen Verurteilungen.
Das bekannteste Beispiel ist der Mord an der amerikanischen Missionarin Dorothy Stang, die 2005 erschossen wurde, weil sie sich für verarmte Landlose eingesetzt hatte. Der vermeintliche Auftraggeber ihres Mordes wurde zwar 2010 verurteilt, 2012 jedoch nach einem Einspruch wieder bis zur endgültigen Rechtssprechung auf freien Fuß gesetzt.
Währenddessen ist 2015 ein Mitarbeiter des Agrar- und Landreforminstitutes Incra auf dem Gelände des von Stang betriebenen Projektes “Desenvolvimento Sustentável Esperança” (nachhaltiges Entwicklungsprojekt „Hoffnung“) umgebracht worden. Hinzu kommen weitere fünf Tote im Zusammenhang mit dem öffentlichen Gelände, das von Stangs Mörder unberechtigterweise beansprucht wird.
Eins der Probleme bei den Landkonflikten ist das Inventarsystem. In dem riesigen Land gibt es sowohl Grundbuchartig registrierte Grundstücke, als auch “posse“ (Besitz). Bei der posse ist es theoretisch notwendig, auf dem Grundstück zu leben. Gelingt dieser Nachweis nach ein paar Jahren mit Hilfe von Strom- oder Wasserrechnungen, kann die posse über ein spezielles Verfahren registriert und in Eigentum verwandelt werden.
Durch dieses System wird jedoch die illegale Landnahme gefördert. Öffentliche Flächen werden einfach besetzt und später verkauft. Diese Praxis wird mit “grilagem“ bezeichnet und ist nach wie vor zu beobachten, unter anderem in der Umgebung von staatlichen Großbaumaßnahmen wie Wasserkraftwerken und ebenso bei illegalen Kahlschlagsflächen sowie in landwirtschaftlich intensiv genutzten Bereichen mit Großgrundbesitzen. Bestätigt wird dies von der Agrar-Beschwerdestelle OAN. Sie spricht von einer Zunahme der “Spannungen“ und verweist auf die Praxis des „grilagem“.
Geschürt wird die Gewalt ebenso durch die Tatsache, dass einzelne Großgrundbesitzer teilweise tausende Hektar ihr Eigen nennen, während ihnen hunderte in oft ärmlichen Verhältnissen auf dem Land lebende Menschen ohne bewirtschaftbare Flächen gegenüber stehen.
Per Gesetz kann “unproduktives“ Land enteignet und den Landlosen zugesprochen werden. Auch dies ist ein aufwendiger Prozess, der sich oft Jahre und Jahrzehnte hinzieht. 2015 ist zudem kein einziges Dekret zur Landenteignung ausgestellt worden.
Auch für 2016 erwartet die katholische Landpastorale keine Entspannung der Situation. In den ersten vier Monaten sind nach ihren Angaben vielmehr bereits 13 Morde geschehen. Aktuell sind in Brasilien gegenüber mindestens 144 Männer und Frauen im Zusammenhang mit den Landkonflikten Morddrohungen ausgesprochen worden.