In Brasilien werden täglich so viele Menschen umgebracht, dass dies einem Flugzeugabsturz pro Tag entsprechen würde. 2015 sind 59.080 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen, wie aus dem am Montag vorgelgeten “Atlas da Violência 2017“ hervorgeht. Betroffen sind vor allem junge Männer schwarzer Hautfarbe.
Während es an greifenden Maßnahmen zur öffentlichen Sicherheit und einer Sozialvorsorge fehlt, stirbt Brasilien die Jugend weg. Die 15 bis 29-jährigen Opfer stellen knapp 53 Prozent aller Fälle. Die Mordrate dieser Altersgruppe liegt bei 60,9 pro 100.000 Einwohner. Über alle Altersgruppen hinweg beträgt sie indes 28,9.
Schockierend ist, dass die Morde und Totschläge an den jungen Menschen zwischen 2005 und 2015 um 17,2 Prozent zugenommen haben. Schockierend ist ebenso die hohe Zahl der jungen Opfer. So sind in dem Zeitraum über 318.000 Jugendliche umgebracht worden. Das entspricht in etwa der gesamten Einwohnerzahl der deutschen Großstadt Bonn.
Laut dem vom Wirtschaftsforschungsinstitut Ipea und dem Sicherheitsforum vorgelegten Bericht sind Schwarze am stärksten von der Gewalt betroffen. Von einhundert Todesopfern sind 71 Schwarze. Ihre Chance ermordet zu werden ist um 23,5 Prozent höher, als die weißer oder anderer Brasilianer. Gleichzeitig ist die Mordrate an Weißen um 12,2 Prozent gesunken, die der Schwarzen hingegen um 18,2 Prozent gestiegen.
Mord- und Totschlag haben im vergangenen Jahrzeht aber auch insgesamt zugenommen. Die Erhöhung wird mit 10,6 Prozent zwischen 2005 und 2015 angegeben. Am wenigsten zählt das Leben im Norden und Nordosten Brasiliens. Dort liegen die Munizipe mit der höchsten Gewaltrate und dem größten Anstieg an Opfern.
An der Spitze steht Altamira im Bundesstaat Pará. In dem Munizip hat der Bau des gigantischen und umstrittenen Wasserkraftwerkes Belo Monte die Bevölkerungszahl in kürzester Zeit von 100.000 auf 140.000 ansteigen lassen, ohne dass die Stadt darauf vorbereitet gewesen wäre. Eine der Folgen war der Anstieg der Mordrate auf 107, wie es in dem Gewaltatlas heißt.
Gleich um 232 Prozent zugenommen hat die Gewalt im Bundesstaat Rio Grande do Norte. In Sergipe beträgt der Anstieg 134,7 Prozent und in Maranhão 130,5 Prozent. Im ebenso im Nordosten liegenden Pernambuco konnte die Zahl der Opfer zwischen 2007 und 2013 hingegen um 36 Prozent reduziert werden.
Verantwortlich gemacht wird dafür das eigens aufgelegte Programm “Pacto pela Vida“ (Pakt für das Leben), das nicht nur die Polizeikräfte einbezieht, sondern ebenso soziale Maßnahmen, Gesundheitswesen und Bildung.
Anders als anhand der vielen Medienberichte erwartet werden mag, hat die Mordrate auch in São Paulo abgenommen. Dort ist sie zwischen 2005 und 2015 um 44,3 Prozent zurückgegangen. Im Vergleich mit anderen Regionen kann São Paulo beinahe als friedlich eingestuft werden.
Laut dem Bericht lag die Mordrate 2015 dort bei 12,2 Opfern pro 100.000 Einwohner. Gesunken ist sie auch in Rio de Janeiro (- 36,4 Prozent). In der Stadt am Zuckerhut ist die Rate mit 30,6 allerdings trotzdem noch höher als der Landesdurchschnitt.
Die Mehrzahl der Munizipe mit der geringsten Zahl an Gewalttoten liegen im reicheren Süden und Südosten Brasiliens. Dass die Wirtschaftskraft und eine gleichmäßigere Verteilung des Reichtums sich positiv auswirken, wird von den Spezialisten bestätigt.
Allerdings gelten sie nicht als alleiniger Grund für eine geringe Gewaltrate. Verwiesen wird dabei auf das Wirtschaftswachstum vor wenigen Jahren, während dem die Mordzahlen dennoch gestiegen sind.
Mittlerweile sind von der Gewalt nicht mehr nur die großen Zentren betroffen. Die Studie zeigt eine Verlagerung auch auf Gemeinden abseits der Hauptstädte. Dennoch gilt das düstere Szenario nicht flächendeckend für ganz Brasilien. Nach dem “Atlas da Violência 2017” sind 2015 in lediglich zehn Prozent aller Munizipe Brasiliens mehr als drei Viertel aller gewaltsam ums Leben gekommenen Menschen registriert worden.
Positiv hervorgehoben wird in dem Bericht ebenso eine Steigerung der Zahl der Bundesstaaten, in denen die Mordraten reduziert wurden.
Höhere Investitionen alleine in den Polizeikörper reichen allerdings nicht aus, um den Gewaltexzess zu verringern. Hinzu kommt, dass die brasilianische Polizei für ihren nicht gerade zimperlichen Umgang bekannt ist. So gehen 3.320 Todesopfer im Jahr 2015 auf das Konto von Polizisten.