Am 13. Mai vor 130 Jahren wurde in Brasilien mit dem “Lei Áurea“ offiziell das Sklaventum abgeschafft. Der Kampf gegen sklavenähnliche Arbeitsverhältnisse hält dennoch an. Über 52.000 Menschen sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten von ihren menschenunwürden Beschäftigungsverhältnissen “befreit“ worden.
Geschätzt wird indes, dass aktuell etwa 160.000 Männer, Frauen und auch Kinder unter unwürdigen Verhältnissen arbeiten müssen.
Gleichzeitig ist in den vergangenen vier Jahren die Zahl der aus ihrem unwürdigen Arbeitsverhältnissen erlösten Menschen gesunken. 2017 waren es lediglich 556 Männer und Frauen. Ein Grund zum Feiern ist das nicht. Die Abnahmen sind vielmehr politisch bedingt. Das Budget für Kontrollen wurde gekürzt.
Gesunken ist ebenso die Zahl der Revisoren. Für das Land mit den kontinentalen Ausmaßen sind gerade einmal 2.350 Kontrolleure im Einsatz, um Hinweisen auf sklavenähnlichen Beschäftigungsverhältnissen nachzugehen.
Einen heftigen Rückschlag hat es ebenso mit der konservativen Regierung Präsident Michel Temers gegeben. Im Oktober vergangenen Jahres hatte dieser am Kongress vorbei und unter Beifall der Agro-Lobby das Anti-Sklavengesetz soweit aufgeweicht, dass ein Nachweis von sklavenähnlichen Zuständen künftig quasi unmöglich gewesen wäre.
Ein Aufschrei ging nicht nur durch Brasilien. Internationale Institutionen und auch multinationale Konzerne haben umgehend Konsequenzen angekündigt.
Nach scharfer Kritik aus dem In- und Ausland hat Temer den Erlaß im Januar dann doch zumindest teilweise wieder zurückgenommen. Zuvor hatte der Oberste Gerichtshof ihn noch vorübergehend für ungültig erklärt, weil er gegen die Menschenrechte und die Konstitution des südamerikanischen Landes verstoße, wie es in der Begründung hieß.
Deutlich gemacht hat der Vorgang, wie tief verwurzelt in Brasilien die Zwei-Klassen-Gesellschaft noch ist, bei der die Not der Einen durch die Gier der Anderen skrupellos ausgebeutet wird. Aber auch in der normalen Arbeitswelt haben Schwarze und Mischlinge auch im 21. Jahrhundert noch das Nachsehen.
Nach Daten des brasilianischen Statistikamtes IBGE liegt das durchschnittliche Realeinkommen der Weißen bei 2.660 Reais (umgerechnet derzeit etwa 640 Euro) im Monat, während das der Schwarzen lediglich 1.461 Reais (etwa 352 Euro) beträgt.
Die Ungleichheit setzt sich bei der Ausbildung fort. An den Universitäten studieren überwiegen Weiße. Die Zahl derjenigen, die einen Mittelschul-Abschluß erreichen, ist unter den weißen Schülern wesentlich höher als unter den schwarzen oder Mischlingen.
Die Auswirkungen einer mangelhaften Politik zur Bekämpfung der Ungleichheit setzen sich bei der Gewalt fort. Laut dem „Atlas da Violência 2017“ vom Forschungsinstitut IPEA und dem Brasilianischen Sicherheitsforum sind von einhundert Mordopfern 71 Schwarze.
In den brasilianischen Haftanstalten stellen Afrobrasilianer die Mehrheit. Die meisten von ihnen sitzen wegen Kleindelikten ein. Etwa 40 Prozent wurden provisorisch inhaftiert und warten teilweise seit Jahren auf eine Verhandlung. Auch von der Armut sind mehr Afrobrasilianer betroffen als Weiße.
Die Armut war es auch, in welche die Sklaven am 13. Mai 1888 entlassen wurden. Als Prinzessin Isabel vor 130 Jahren das Gesetz zur Abschaffung des Sklaventums unterschrieben hat, war dies zwar ein bedeutender Schritt. Der war nach Ansicht der Historiker allerdings konservativ. Es fehlte ein rechtlicher Schutz und ebenso eine soziale Absicherung.
Nach Schätzungen der Historiker sind zwischen 1550 und 1860 etwa 4,8 Millionen Menschen gegen ihren Willen aus Afrika nach Brasilien verschleppt und versklavt worden. Die Aufarbeitung dieses Dramas steckt in Brasilien indes auch heute noch in den Kinderschuhen.