Als “absolute Katastrophe“ bezeichnen Spezialisten das von Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro erlassene Dekret über das Tragen von Waffen. Nach diesem könnten sich künftig nicht nur Millionen von Brasilianern legal bewaffnen, sondern ihre Waffe auch mit sich führen.
Bereits im Januar hat Bolsonaro sein Wahlversprechen eingelöst und den Zugang zu Schußwaffen erleichtert. Den Befürwortern sind die Veränderungen jedoch nicht Weit genug gegangen. Am Dienstag (7.) hat Bolsonaro nun bei einer feierlichen Zeremonie ein weiteres Dekret unterschrieben, mit dem auch das Tragen von Pistolen und anderen Schußwaffen erlaubt wird.
Profitieren werden davon Jäger, Sportschützen und Waffensammler. Sie können künftig den Weg zum Schützenheim sogar mit geladener Waffe antreten. Aber auch Journalisten, Politikern, Stadträten, Angestellten von öffentlichen Beratungsgremien, Verkehrswächtern und sogar Lastwagenfahrern ist das Recht zum Mitführen von Schußwaffen eingeräumt worden.
Vom Instituto Sou da Paz (Friedensinstitut) wird das durch das Dekret ausgelöste Potential der möglichen Waffenführer auf 19 Millionen Brasilianer geschätzt. Sicherheitsexperten zeigen sich extrem besorgt. Sie befürchten einen Anstieg der ohnehin schon hohen Gewaltrate Brasiliens. Nach offiziellen Zahlen sind in dem südamerikanischen Land 2017 etwa 64.000 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen.
Bolsonaro macht für die hohe Zahl der Toten durch Schüsse die Politik zur Entwaffnung verantwortlich. Um die tödliche Gewalt einzuschränken ist 2003 unter Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva der Estatuto do Desrmamento in Kraft getreten.
Nach einem 2015 vorgelegten Bericht der Mapa da Violência, konnte in zehn Jahren damit der Tod von 160.036 Menschen vermieden werden. Auch andere wissenschaftliche und internationale Studien belegen, dass weniger Schußwaffen weniger Tote bedeuten, wie Sicherheitsexperten konstatieren.
Bolsonaros Regierung sieht dies anders. Regierungsvertreter sprechen von einer Entbürokratisierung und einer Erhöhung der öffentlichen Sicherheit durch die Bewaffnung der Zivilbevölkerung. Bei der feierlichen Unterzeichnung des Dekrets betonte der rechtspopulistische Präsident dennoch, dass das Dekret nichts mit der öffentlichen Sicherheit zu tun habe. Vielmehr werde mit ihm das Recht eines jeden, sich zu bewaffnen durchgesetzt.
Bolsonaro beruft sich dabei auf die 2005 durchgeführte Volksbefragung. Bei der stand allerdings zur Abstimmung, ob der Handel von Waffen und Muniton verboten werden sollte, was von knapp 64 Prozent der Befragten abgelehnt wurde.
Die Stimmung in der Bevölkerung hat sich in den vergangenen Jahren geändert. Nach den jüngsten Meinungsumfragen der renommierten Institute Ibope und Datafolha im April haben sich 64 Prozent der Befragten gegen Erleichterungen beim Zugang zu Schußwaffen ausgesprochen.
Kritiker sprechen deshalb von einem “Minderheitendekret“ und der Legalisierung des “Wilden Westens“. Sie verweisen darauf, dass mit dem Erlass auch die Landkonflikte noch weiter angeheizt werden könnten.
Fazendeiros und andere abseits der Städte auf dem Land lebende Bürger, dürfen nach dem Dekret künftig auf ihrem Grund eine Waffe mit sich führen, um ihre Familien und ihr Land zu verteidigen, wie Bolsonaro es ausgedrückt hat.
Melina Risso vom Instituto Igarapé spricht von einem “Dekret des Blutvergießens“. Sie hebt hervor, dass künftig auch Munition für Waffen mit einem Kaliber von 9 Millimeter, 40 und 45 Millimeter erworben werden können, die bisher Polizei und Militär vorbehalten waren.
Verändert hat sich auch die Menge der Munition. Statt 50 Patronen ist der Kauf von bis zu tausend Patronen für Waffen mit beschränktem Zugang gewährt worden und 5.000 Patronen im Jahr für freigegebene Schußwaffen. Erleichtert wird ebenso der Handel und der Import von Waffen und Munition.
Von der Opposition sind bereits gerichtliche Schritte angekündigt worden. Sie will das Oberste Gericht STF anrufen. Die Oppositionsparteien berufen sich dabei darauf, dass das Tragen von Waffen nicht durch ein Dekret geregelt werden dürfte, sondern laut Konstitution eine Entscheidung des Kongresses notwendig sei. Vorerst tritt es trotz aller Kritik dennoch in Kraft.